Weil der nicht wunschgemäße Verlauf des Syrienkrieges eine Neuorientierung gemeinsamer politischer Interessen Saudi Arabiens und des Westens im Nahen Osten erfordert, hielt sich Kronprinz Mohamed Salman Bin Salman mehrere Wochen in den Vereinigten Staaten auf. Dort war er ein vielgefragter Interviewpartner. Deutsche Medien haben sich vor allem mit der endlich genehmigten Autofahrerlaubnis für Frauen beschäftigt, mit der Ankündigung der Eröffnung von Kinos und der in Betracht gezogenen staatlichen Anerkennung Israels. Unbeachtet blieb ein ausführliches, am 22. März der Washington Post gegebenes Interview des Kronprinzen über die Kooperation zwischen dem Westen und seinem Land bei der weltweiten Förderung des Salafismus.
Seine diesbezüglichen Äußerungen sind nicht deshalb von Bedeutung, weil das Thema noch nie an die Öffentlichkeit gekommen wäre, sondern weil es normalerweise als Fake gilt. Wenn diesbezügliche Informationen in den Medien auftauchen, werden sie von anderen Medien als Verschwörungstheorie abgewimmelt – womit sich die meisten Bürger dann auch zufrieden geben. Welches Interesse könnte der Westen denn haben, islamistischen Radikalismus zu fördern, der nicht nur in muslimischen Ländern Terrorismus hervorbringt, sondern auch seine eigenen Bürger in Gefahr bringt? So stark sie westliche Politik mittlerweile auch anzweifeln – so viel Machiavellismus trauen sie ihm kaum zu.
Wenn Prinz Salman "die Forderung unserer Verbündeten" dass sich sein Land "für die Schaffung von Koranschulen, Moscheen und für die Propaganda des Wahabismus in der islamischen Welt engagieren" solle, in das Jahr 1979 datiert, als im Iran ein islamistisches Regime mit schiitischer Prägung errichtetet wurde, greift er etwas zu kurz. Beobachter des Nahen Osten sind sich einig, dass die Förderung islamistischer Bestrebungen durch die Golfstaaten unter wohlwollender Duldung des Westens schon nach dem Sechstagekrieg von 1967 einsetzte, als das Prestige des eher säkular ausgerichteten Panarabismus faktisch zusammengebrochen war. Ziel sei es gewesen, führte Salman weiter aus, "die Sowjetunion daran zu hindern, ihren Einfluss in der islamischen Welt zu stabilisieren" und die Verbündeten hätten gebeten, dass "wir dafür unsere finanziellen Mittel einsetzen." Wenn der Prinz sogar zugab, dass die dann "aufeinander folgenden saudischen Regierungen vom rechten Wege abgekommen seien" und dass es an der Zeit sei, "in die Normalität zurückzukehren" ist das bemerkenswert. Gleichwohl versicherte er, dass die Finanzierung des Salafismus, dessen terroristische Aktivität nicht nur die islamische Welt erschüttert, nicht vom saudischen Staat, sondern "zum größten Teil von privaten Institutionen" stamme, die allerdings in Saudi Arabien "verwurzelt" seien.
Auch dieses letzte Geständnis bestätigt nur, was für viele Analysten schon lange auf der Hand liegt: Im saudischen Königreich existieren immense private Vermögen, die der saudische Staat bislang nicht zu kontrollieren vermochte. Und noch weniger kontrolliert er offenbar die Empfänger der Finanzen, bewaffnete Gruppen mit tausenden von Kämpfern, die sich unter Beibehaltung salafistischer Disziplinierungsideologien stets bald eigene Ziele setzten. Deutliches Zeichen dieser immer wieder erfolgten Verselbständigung war, dass sich von den Saudis finanzierte Gruppen vom zunächst ebenfalls verbündeten Westen abwandten und auch ihn terroristisch angriffen. 1993 war bekannt geworden, dass Präsident Clinton dem saudischen Königreich gedroht hatte, die militärische Unterstützung der USA zurück zu fahren, falls es die außer Kontrolle geratene weltweite Finanzierung terroristischer Milizen nicht wieder in den Griff bekäme. Das gelang damals immerhin punktuell. Den bewaffneten islamistischen Aufständischen in Algerien, die große Teile des Landes beherrschten, gingen Mitte der neunziger Jahre die vor allem aus Saudi Arabien stammenden finanziellen Mittel aus, mit denen sie sich die Unterstützung marginalisierter Klassen der Bevölkerung erkauft hatten. Weil sich diese nun von ihnen abwandten, kam es zwar zunächst zu grauenhafter Ausweitung des Terrorismus. Letztlich war aber auch das Ende des Bürgerkriegs eingeleitet.
Weniger erfolgreich war Ryad damals mit Bin Laden, der zuvor der Koordinator jener saudischen Initiativen gewesen war, die ihre Finanzen weltweit salafistisch-terroristisch investierten. Er vollzog die politische Wende nicht mit, wurde ausgebürgert, agierte fortan selbständig und gilt bis heute als Inspirator der Attentate vom 11. September. Sein 2011 durch ein US-amerikanisches Spezialkommando herbeigeführter Tod hatte keinerlei Rückgang des weltweiten salafistischen Terrorismus zur Folge, der immer wieder auch Anschläge in westlichen Ländern verübt. Vor allem aber infiziert er ganze Regionen im islamischen Raum – wo das Zusammenspiel von Golfstaaten und westlichen Interessen offen zutage liegt.
Es sind die Misserfolge salafistisch-terroristischer Strategien in Syrien, die wenig beruhigte Situation im Irak und die – aus dem Blick der Medien geratene – völlig unübersichtliche Lage in Libyen, wodurch Saudi Arabien und seine westlichen Verbündeten zur Kontrolle jener Freischärler gezwungen sind, die man für die Neuordnung des Nahen Ostens eingesetzt hat und sicher auch künftig wieder einsetzen will. Dies ist der Hintergrund des mehrwöchigen Aufenthalts des saudischen Kronprinzen in den USA und auch seines kürzlichen Besuchs in Frankreich.
Das säkulare Syrien hat sich keinen islamistischen Staat aufzwingen lassen, der sich auch noch als "Demokratie" ausgeben wollte. Und dass der nach wie vor selber islamistisch geprägte Iran Syrien unterstützt, ohne dem Nachbarn sein eigenes System aufzwingen zu wollen, zeigt, dass man auch dort moderner denkt als die gesamte arabische Halbinsel.
Das soll sich jetzt ändern, versprach der saudische Kronprinz schon auf einem Forum in Ryad im Oktober 2017. Ein Bruch mit "den extremistischen Ideen", die seit drei Jahrzehnten die Politik seines Landes beherrschten, sei notwendig geworden. "Wir waren gar nicht so", versicherte er. "Und wir wollen einfach wieder so werden, wie wir einmal waren, wir wollen zurück zu einem gemäßigten, moderaten Islam, der sich der Welt öffnet wie auch allen anderen Religionen und allen Traditionen der Völker". Das klingt gut – denn bislang ist in Saudi Arabien sogar Ausländern das Einführen einer Bibel untersagt, obwohl der Prophet Mohamed sie zum heiligen Buch, zum Vorläufer des Koran erklärt hat.
Saudi Arabien und der Westen werden künftig wohl nicht auf militärische Optionen im Nahen Osten verzichten. Aber Mohamed Salman bin Salman scheint verstanden zu haben, dass die Hegemonieträume seines Landes in der Konkurrenz zum Iran überhaupt nur eine Chance haben, wenn es sich modernisiert. Um jedoch als Modell für andere attraktiv zu werden, wird es nicht genügen, dass Frauen Auto fahren dürfen und Kinos eröffnet werden. Nötig wären vor allem institutionelle Reformen, die in ihrer Summe eine Revolution darstellen und insofern auf stärksten Widerstand der konservativsten und aggressivsten Gruppen im Königreich treffen würden. Angesichts des anhaltenden Krieges im Jemen, der Saudi Arabiens Ansehen bei den Bevölkerungen westlicher Länder sehr schadet, ist es wahrscheinlicher, dass es zunächst nur bei einer etwas modernisierten Fassade bleibt.
* Dieser Artikel erschien unter dem Titel "Salman spricht's aus. Saudi Arabien. Keine Fake News. Lange Zeit engagierte sich der Westen für den Salafismus"
In: Der Freitag, Nr. 15 / 12. 4. 2018, S. 9.