Der Westen hält an der Teilung von Syrien fest

Vor dem Wiederaufbau will der Westen die Aufteilung des Landes

"(…). Es gab allerdings wenig Diskussion darüber, wie wir den Druck auf Russland aufrechterhalten oder auch erhöhen, wenn es das Regime nicht in der Art ausliefert, wie wir es erwarten. An dieser Front sollten wir das fortsetzen, was wir bereits tun – die schreckliche humanitäre Situation und die Komplizenschaft Russlands bei den Bombenangriffen auf zivile Ziele hervorheben."

(Kommentar Nr. 19, Protokoll „Kleine Syriengruppe“, Washington 11. Januar 2018)

 

Eine "Kleine Syriengruppe" traf sich auf Einladung des US-Außenministeriums am 11. Januar 2018 in Washington. Dabei ging es um die US-Strategie für Syrien und darum, wie dort in Zukunft Einfluss genommen und wie das Land aufgeteilt werden soll. Das Protokoll über das Treffen wurde von einem Mitarbeiter der britischen Botschaft in Washington verfasst. Das nicht öffentliche Papier wurde der Tageszeitung Al Akhbar (Beirut) zugespielt, die über das Treffen am 22. Februar 2018 berichteten. Die deutsche Übersetzung des Artikels von Mohammad Ballout und Walid Scharara erschien (3. März 2018) im Internetportal Rubikon: https://www.rubikon.news/artikel/lasst-uns-syrien-aufteilen. Erläutert wird darin ein Plan, in dem der völkerrechtswidrige Angriff auf Syrien vom 14. April 2018 nur eine Facette ist.

Die "Kleine Syriengruppe"

Vertreter der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Saudi Arabiens und Jordaniens trafen sich im vergangenen Januar, um die US-Pläne über die Aufteilung Syriens zu beraten. Die neue Syrien-Strategie war vom Nationalen Sicherheitsrat der USA beschlossen und von Präsident Donald Trump bewilligt worden. Neben dem Protokollführer, dem Diplomaten und Nahostexperten Benjamin Norman von der britischen Botschaft in Washington nahmen an dem Treffen folgende Personen teil: David Satterfield (Generaldirektor der Abteilung für Nahostfragen im US-Außenministerium), Hugh Cleary, Leiter der "Syrien-Gruppe" im britischen Außenministerium, Jerome Bonnafont, Leiter der Abteilung für den Nahen Osten und Nordafrika im französischen Außenministerium. Bei den zwei arabischen Teilnehmern handelte es sich um Nawaf Wasfi al-Tall, Berater des jordanischen Außenministers und seit 2011 verantwortlich für die Syrien-Politik Jordaniens sowie General Jamal Al-Aqeel, Sicherheitsbeauftragter im Innenministerium Saudi Arabiens.

Bei den Beratungen der "Kleinen Syriengruppe" trug der US-Vertreter Satterfield fünf Punkte vor: (1) Syrien soll geteilt und das östliche Territorium soll als "Euphrat-Region" abgetrennt werden. Das Weiße Haus stellt dafür jährlich 4 Milliarden US-Dollar zur Verfügung, u.a. um eine Grenzschutztruppe auszubilden, die verhindern soll, dass die syrische Armee in dieses ressourcenreiche Gebiet Syriens zurückkehren kann. (2) Die Gespräche in Sotschi (31.1.2018) sollen zum Scheitern gebracht werden. (3) Die Türkei soll umworben werden. (4) De Mistura (UN-Sonderbotschafter für Syrien) soll angewiesen werden, die Genfer Gespräche zu reaktivieren. (5) Das Acht-Punkte-Papier, das am 26. Januar 2018 bei einem UN-Treffen zu Syrien in Wien von dem US-Vertreter vorgelegt worden war, soll als Grundlage für eine politische Lösung für Syrien umgesetzt werden.

Die Teilnehmer der "Kleinen Syriengruppe" begrüßten die US-amerikanischen Vorschläge und beschlossen, dass "in diesem Sinne 2018 konkrete Fortschritte auf syrischem Territorium" erreicht werden sollten. Damit solle der "angebliche Siegeszug der Russen" widerlegt werden. Weitere Treffen wurden vereinbart, die "Kleine Syriengruppe" solle um Deutschland, Ägypten und auch durch die Türkei erweitert werden. Das Protokoll endet mit Kommentaren des Protokollführers Benjamin Norman, darunter der Kommentar, der diesem Text vorangestellt ist.

 

US-Strategie für Syrien: Teile und herrsche

Nur wenige Tage nach dem Treffen der "Kleinen Syriengruppe" referierte der damalige US-Außenminister Rex Tillerson am Hoover Institut der Stanford Universität ausführlich über den US-"Weg nach vorne in Syrien" (https://www.youtube.com/watch?v=Qyy0-LBKG38). Inzwischen heißt der US-Außenminister Mike Pompeo, der bisher Chef des US-Geheimdienstes CIA (Central Intelligence Agency) war. Die Eckpfeiler der von Tillerson skizzierten US-Pläne für Syrien dürften weiter Bestand haben.

Tillerson führte fünf zentrale Punkte für die Syrien-Politik der USA an: (1) Die endgültige Niederschlagung des "IS" und von Al Khaida. (2) Der Konflikt zwischen dem syrischen Volk und dem Assad-Regime müsse durch die UN entsprechend der UNSR-Resolution 2254 gelöst werden mit dem Ziel, "ein stabiles, vereintes, unabhängiges Syrien" zu schaffen, das "als Staat funktioniert" und mit einer "nach-Assad-Führung" ausgestattet sein soll. (3) Der iranische Einfluss in Syrien muss zurückgedrängt werden. (4) Bedingungen schaffen, damit Flüchtlinge und Inlandsvertriebene sicher und freiwillig zurückkehren können. (5) Syrien soll frei von Massenvernichtungswaffen sein.

Tillerson ging dabei ausführlich auf Russland ein, das von dem "Assad-Regime" als "Garantiemacht für seine Sicherheit" angesehen werde. Daher sei es an Russland, das "Assad-Regime" unter Druck zu setzen, "konstruktiv" am Genfer Prozess mitzuwirken und eine "ultimative Lösung durch den UN-geführten Genfer Prozess" für Syrien zu fördern. Russland müsse den Druck erhöhen, damit die Genfer Vereinbarung in Syrien endlich umgesetzt werde.

Er sprach weiterhin über "Stabilisierungspläne" der USA und deren Partner für Syrien. "Stabilisierung" sei eine zivil-militärische Aufgabe, so Tillerson: "Unsere militärische Präsenz in Syrien wird vom Außenministerium und von Teams der US-AID (staatliche US- Organisation für internationale Hilfe und Entwicklung) abgesichert, die bereits mit lokalen Verwaltungen arbeiten, um dem befreiten Volk zu helfen, ihre eigenen Kommunen zu stabilisieren."

Dieses klassische Element einer Politik von "Teile und Herrsche" wird laut Tillerson von "den USA, Europa und regionalen Partnern" dadurch ergänzt, dass man "keine internationale Wiederaufbauhilfe für irgendein Gebiet unter Kontrolle des Assad-Regimes" leisten wird. "Wir haben alle, die an der Zukunft Syriens interessiert sind aufgefordert, das gleiche zu tun", so Tillerson. "Stattdessen werden wir internationale Hilfe für die Gebiete fördern, die unter der Kontrolle der Globalen Koalition und ihrer lokalen Partner vom IS befreit worden sind. Wenn Assad nicht mehr an der Macht ist, werden die USA gern die Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Syrien und anderen Staaten fördern. Bis dahin fordern die USA alle Staaten auf, den wirtschaftlichen Druck auf Assad aufrechtzuerhalten und Syrien (erst) nach einer politischen Transition (deutsch: Wandel, Veränderung, Regime-Change) wieder aufzubauen. Wir erwarten, dass der Wunsch nach einem normalen Leben und der (wirtschaftliche, politische, militärische) Druck das syrische Volk und Einzelpersonen aus dem Regime aufrüttelt, um Assad zum Rücktritt zu zwingen."

(https://translations.state.gov/2018/01/17/secretary-of-state-rex-tillerson-on-the-way-forward-for-the-united-states-regarding-syria/)

Anfang Februar, anlässlich der "Wiederaufbaukonferenz für den Irak" in Kuwait (8.2.2018) präzisierte Tillerson vor Journalisten die US-Pläne für Syrien weiter: "Die USA und die Koalitionsstreitkräfte kontrollieren heute 30 Prozent des syrischen Territoriums und, damit verbunden, einen großen Anteil der Bevölkerung sowie der syrischen Ölquellen." Angesichts dessen zu sagen, die USA hätten keinen Einfluss und spielten keine Rolle in Syrien, sei "einfach falsch".

 

Der Gegner heißt Russland

Die Angriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs gegen angebliche Entwicklungs-, Produktions- und Lagerstätten von Chemiewaffen in Syrien in den frühen Morgenstunden des 14. April 2018 war die logische Fortsetzung dessen, was am 11. Januar 2018 in Washington beraten und von dem ehemaligen US-Außenminister Rex Tillerson an der Stanford Universität ausgeführt worden war. Die USA sind nicht bereit, die neue Ordnungsmacht Russland in Syrien und in der Region zu akzeptieren und sie zwingen ihre Verbündeten zu folgen, sofern sie nicht freiwillig mitziehen. Großbritannien und Frankreich schienen es gar nicht abwarten zu können, Syrien anzugreifen. Deutschland dagegen zeigte sich zumindest verbal zögerlich, auch wenn es den Angriff – der das Völkerrecht bricht - im Nachhinein gut hieß.

Die Behauptung, die syrische Regierung und Präsident Bashar al-Assad entwickelten, produzierten, lagerten und setzten Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung ein, war lediglich ein Vorwand, ein Instrument, um für sich das Recht auf ein militärisches Eingreifen in Syrien in Anspruch zu nehmen. Der Chemiewaffenangriff, der angeblich am 7. April in Douma stattgefunden haben soll, ist bis heute nicht bewiesen. Der Ort liegt östlich von Damaskus und wurde zu dem Zeitpunkt von der "Armee des Islam" kontrolliert.

Die Umstände des behaupteten Chemiewaffenangriffs der syrischen Armee sind mehr als fraglich. Es gab bereits eine - durch Russland verhandelte - Vereinbarung mit den Kämpfern, in den Norden des Landes abzuziehen und der syrischen Regierung die Kontrolle über Douma zurückzugeben. Tausende Kämpfer waren bereit, das staatliche Amnestieangebot zu unterzeichnen und ihre Waffen niederzulegen, um in Douma bleiben zu können. Rund 3500 Kämpfer und ihre Familien waren bereits abgezogen, als die "Armee des Islam" – aufgrund interner Meinungsverschiedenheiten - unvermittelt die Vereinbarung aussetzte und erneut Raketen und Granaten auf Damaskus schoss. Die syrische Luftwaffe reagierte massiv, das lokale Versöhnungskomitee von Douma setzte den ausgehandelten Waffenstillstand und die Vereinbarung über den Abzug erneut in Kraft. In dieser Zeit wurden – von den "Weißhelmen" und anderen Verbündeten der oppositionellen Kampfgruppen - Bilder verbreitet, die angebliche Giftgasopfer zeigen sollten. Die Bilder und entsprechende Stellungnahmen verbreiteten sich in Windeseile über die so genannten "sozialen Medien" und dank internationaler Medien wie der britischen BBC oder des deutschen Spiegel weltweit. Unmittelbar darauf folgten politische Stellungnahmen, eine Sitzung im UN-Sicherheitsrat folgte der nächsten. Die USA beantragte eine Resolution, um Syrien angreifen zu können, Moskau und China legten ihr Veto ein. Die Entsendung eines UN-Inspektorenteams zur Untersuchung der Angaben wurde beschlossen. Sie waren gerade in Damaskus eingetroffen, als die USA, Frankreich und Großbritannien am UN-Sicherheitsrat vorbei Syrien bombardierten.

Dabei beschuldigten die drei westlichen Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat, USA, Großbritannien und Frankreich, nicht nur Damaskus, sondern auch Russland, Syrien beim Einsatz von Chemiewaffen zu unterstützen. Moskau habe sein Versprechen, Syrien chemiewaffenfrei zu machen gebrochen und versagt, meinte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen Niki Haley nach dem Angriff am 14. April. Sie drohte, die US-Waffen seien und blieben "geladen und entsichert".

Die Angaben Syriens und Russlands, es habe keinen Chemiewaffenangriff in Douma gegeben, werden vom US-Lager als Lüge abgetan. Inzwischen wird behauptet, Syrien und Russland behinderten die OPCW-Inspektoren-Aufklärungsmission und hätten die Beweise für den Chemiewaffenangriff aus Douma entfernt. Dem militärischen Angriff wird ein umfassender Propagandaangriff auf Syrien und Russland an die Seite gestellt. Jede Äußerung Syriens oder Russlands wird als Lüge bezeichnet, mit der die beiden Staaten den Angriff verdecken wollten.

Die syrische Regierung wird vom Westen seit Jahren mit Missachtung und Verleumdung bestraft, Syrien als "gescheiterter Staat" herabgewürdigt. Die Angriffe richten sich daher vor allem gegen Russland, das nicht im Sinne des Westens das "Assad-Regime" ausgeliefert hat und sich nicht unterordnet. Bei dem Angriff auf Syrien am 14. April wollte man Russland die neuesten westlichen Waffensysteme zeigen, die überall und jederzeit zuschlagen können. Bei einer Sitzung der 28 EU-Außenminister zwei Tage nach dem Angriff in Luxemburg stellte die EU sich geschlossen hinter die Luftangriffe auf Syrien und zeigte "Verständnis" für die Aggressoren. Nun sollen alle Anstrengungen gegen den Einsatz von Chemiewaffen unterstützt werden. Anknüpfend an die bisherigen Strafmaßnahmen gegen Syrien sollen die Wirtschaftssanktionen "wegen anhaltender Repression und dem Einsatz chemischer Waffen gegen die Bevölkerung" weiter verschärft werden.

 

Deutschland vorne mit dabei

Nach dem militärischen und medialen Angriff folgt nun die politische Offensive des Westens. Dafür soll die "Kleine Syriengruppe" um weitere Länder – Deutschland, Türkei, Ägypten heißt es in dem Protokoll vom Treffen am 11.1.2018 – erweitert werden. Die Türkei soll – in Absprache mit den USA – den Nordwesten Syriens kontrollieren. Um die US-Truppen aus dem Gebiet östlich des Euphrat perspektivisch wieder abziehen zu können, will US-Präsident Trump dort Medienberichten zufolge arabische Soldaten aus den Golfstaaten und aus Ägypten stationieren. Vorerst soll der Einsatz der US-geführten "Anti-IS-Allianz" und ihrer "Partner am Boden" (syrische Kurden, Syrische Demokratische Kräfte u.a.m.) von den reichen Golfstaaten Saudi Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten finanziert werden.

Deutschland ist eine Rolle in der westlichen Führungsriege zugedacht. Bei der Syrien-"Stabilisierung" à la USA soll Deutschland weiterhin sowohl militärische als auch humanitäre Aufgaben übernehmen. Die Bundeswehr gehört schon jetzt zu der US-geführten "Globalen Allianz gegen den IS", ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates und daher völkerrechtswidrig. Deutsche Soldaten sind als Militärberater und -ausbilder in Erbil, Bagdad und Amman stationiert, deutsche Sicherheitsexperten bilden auf Militärbasen in Syrien "lokale Partner"im Minenräumen und für Sicherheitsaufgaben aus. Die Bundesregierung dementiert die Anwesenheit deutscher Spezialkräfte der Bundeswehr in Syrien, obwohl lokale Quellen (gegenüber der Autorin) wiederholt die Anwesenheit deutscher Soldaten im Nordosten Syriens bestätigt haben. Der Bundeswehreinsatz im Rahmen der US-geführten "Anti-IS-Allianz" (Operation Inherent Resolve) umfasst aktuell noch 800 Soldaten.

Im humanitären Bereich sind – neben der offiziellen staatlichen Hilfe für UN-Organisationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) - staatliche und private Hilfsorganisationen in Idlib und in Aleppo-Land aktiv. Diese Gebiete werden von der Nusra Front, Ahrar al-Sham, Faylaq al Rahman und von der Türkei kontrolliert, die völkerrechtswidrig nach Syrien einmarschiert ist und dort staatliche türkische Strukturen installiert. Im Rahmen der Astana-Deeskalationsvereinbarung für Idlib hat die Türkei offiziell temporär Soldaten nach Idlib entsandt.

Deutsche staatliche und private Hilfsorganisationen sind auch bei Manbij und östlich des Euphrat aktiv. Die Bundesregierung hat mindestens 10 Millionen Euro für das Minenräumen im verwüsteten Rakka zugesagt. Das deutsche oder von Deutschland finanzierte Engagement entspricht dem vom ehemaligen US-Außenminister Rex Tillerson skizzierten zivil-militärischen Engagement zur "Stabilisierung" der "befreiten Gebiete" in Syrien.

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist die staatliche Entwicklungszusammenarbeitsorganisation in der Bundesrepublik Deutschland und entspricht der US-AID, die in Syrien die militärische Präsenz absichert. Die GIZ kooperiert mit staatlichen und privaten Hilfsorganisationen sowie mit der syrischen oppositionellen "Interimsregierung" um "lokalen Verwaltungen, um dem befreiten Volk zu helfen, ihre eigenen Kommunen zu stabilisieren", wie Tillerson ausführte (s.o.) Berlin hat erhebliches Interesse an der Zukunft Syriens und folgt daher der Aufforderung aus Washington "keine internationale Wiederaufbauhilfe für irgendein Gebiet unter Kontrolle des Assad-Regimes" zu leisten. Deutschland nutzt den Wunsch der Syrer nach einem normalen Leben, um (wirtschaftlichen, politischen, militärischen) Druck auf Syrien auszuüben und "um Assad zum Rücktritt zu zwingen." (Tillerson s.o.) Jedes deutsche Engagement in und um Syrien herum – auch für syrische Flüchtlinge in Deutschland oder in Lagern in den Nachbarländern - steht in diesem Zusammenhang.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas machte sich unmittelbar nach dem Angriff auf Syrien (14. April 2018) für die Fortsetzung des Genfer Prozesses stark. "Wir versuchen, den politischen Prozess neu aufzusetzen", sagte er im ZDF-Interview. Wichtig sei eine Waffenruhe, das müssten auch die Russen akzeptieren. (https://www.zdf.de/nachrichten/heute/interview-mit-heiko-maas-100.html) Russland blockiere den UN-Sicherheitsrat mit seinem Veto.

Wenige Tage später, bei der Syrien-Debatte im Bundestag (19.4.2018) sagte Maas laut stenographischem Protokoll (https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2018/04/38-2-bmaa-syrien.html), "die internationalen Mechanismen zur Konfliktlösung (haben) versagt (…) ansonsten wäre auch das militärische Eingreifen Frankreichs, der USA und Großbritanniens nicht erforderlich gewesen." Und weiter: "Das Assad-Regime hat in der Vergangenheit nachweislich und wiederholt Chemiewaffen gegen die eigene Zivilbevölkerung eingesetzt. Mit Chlorgas und Sarin sind unschuldige Frauen, Männer und Kinder auf unerträglichste Weise ermordet worden." Jetzt solle die Lage "nicht weiter eskalieren" und die Dynamik genutzt werden, um "eine Wiederaufnahme des festgefahrenen politischen Prozesses" voranzutreiben. Weder Genf noch Astana hätten "den politischen Prozess bisher nachhaltig nach vorne bringen können", so Maas weiter. Die Vereinten Nationen seien "die einzige Institution und Organisation, die einen solchen Prozess dauerhaft tragen" könne.

Die Bundesregierung habe bei der NATO und der EU auf neue politische Gespräche gedrängt, beim Außenministertreffen der G7 in Kanada (22./24.4.2018) soll ebenfalls über Syrien gesprochen werden. Engsten Kontakt hält Berlin weiter zu Staffan de Mistura und "Schritt für Schritt müssen wir die internationalen Partner erst wieder an Bord holen, die dann gemeinsam den Prozess der Vereinten Nationen wieder in Gang bringen müssen. Frankreich, die USA, Großbritannien, die Partner aus der Region, die Türkei und Russland werden für diesen Prozess unverzichtbar sein."

Man werde alle "Kanäle nach Moskau nutzen, um gegenüber Russland auf eine konstruktive Haltung zu drängen." (…) Moskau müsse "den Druck auf das Assad-Regime erhöhen". Geld soll weiter in die humanitäre Hilfe fließen, das werde Berlin bei der nächsten Syrien-Konferenz in Brüssel (24./25.4.2018) bekräftigen. Menschenrechtsverbrecher in Syrien müssten vor Gericht gestellt werden und Deutschland sei bereit, die "Vernichtung syrischer Chemiewaffen ganz praktisch, finanziell und Logistisch zu unterstützen".

Mit seinen Äußerungen begibt der Außenminister sich auf dünnes Eis. Zumindest zeigt er, dass er über die historische Entwicklung des Konflikts in Syrien nicht ausreichen informiert ist. Das wäre aber eine Voraussetzung, um eine nachhaltige politische Lösung für Frieden in Syrien vorantreiben zu können.

Erstens war der militärische Einsatz von USA, Frankreich und Großbritannien völkerrechtswidrig, weil sie – nicht Russland – den international gültigen Mechanismus im UN-Sicherheitsrat missachtet haben. Zu diesem Ergebnis kommt neben Syrien und Russland auch der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestages (http://www.tagesschau.de/ausland/syrien-angriff-gutachten-101.html).

Zweitens wird bis heute behauptet, ist aber nicht bewiesen, dass die syrische Regierung Chemische Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Die Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW) hat selber Syrien die Vernichtung seiner Chemiewaffenbestände bestätigt.

Drittens haben die USA 2012 das zuvor unterzeichnete Genfer Abkommen missachtet, indem die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte, das Abkommen sei schön und gut, könne aber erst umgesetzt werden, wenn Assad nicht mehr an der Macht sei. Diese Forderung war und ist bis heute in keinem UN-Dokument zu Syrien enthalten. Der damalige UN-Sondervermittler für Syrien, Kofi Annan zog sich nach der Clinton-Äußerung von dem Posten zurück.

Viertens ist der politische Prozess in Genf festgefahren, weil die vom Westen, der Türkei und den Golfstaaten unterstützte Opposition sich regelmäßig nicht an die ausgehandelten Vorgehensweisen hielt, andere Oppositionsgruppen nicht akzeptierte und zu Beginn fast jeder Verhandlungsrunde den Rücktritt des syrischen Präsidenten forderte.

Fünftens hat Russland – gemeinsam mit Iran und der Türkei - mit den Gesprächen und Vereinbarungen in Astana innerhalb eines Jahres in Syrien umfangreiche landesweite Waffenstillstände und Deeskalationsgebiete erreicht, was die Gewalt in Syrien massiv verringert und den Menschen neue Hoffnung gegeben hat. Ein Amnestieangebot an syrische Kämpfer ist seit 2014 in Kraft und wurde von Tausenden Syrern bisher unterzeichnet, die ihre Waffen niedergelegt haben.

Sechstens agieren Russland und der Iran in Syrien mit der Zustimmung und auf Einladung der legitimen syrischen Regierung in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Die US-geführte Anti-IS-Allianz, der auch Deutschland angehört, hat weder die Zustimmung der syrischen Regierung noch des UN-Sicherheitsrates für seine Präsenz und seine Kampfeinsätze in Syrien.

 

Wer Frieden will muss das Völkerrecht akzeptieren

Wer Frieden in Syrien will, muss die Tatsachen im Land akzeptieren auch wenn sie ihm nicht gefallen. Die militärische und politische Unterstützung Russlands hat den syrischen Präsidenten Assad gestärkt und das Land stabilisiert. Die von Russland vorgeschlagenen und unterstützten Deeskalationsgebiete, Waffenstillstände und Vereinbarungen zwischen Regierung und Kampfgruppen haben den Weg für eine innersyrische politische Lösung geebnet. Russland ist eine, wenn nicht sogar die neue Ordnungsmacht in Syrien und in der Region. Der westliche Plan – Assad zu beseitigen – ist gescheitert. Die dafür aufgebaute und geförderte Opposition – auch die syrischen Kurden östlich des Euphrat – sind nicht in der Lage, allen Syrern in ganz Syrien eine politische Perspektive zu bieten. Sie sollen ihre Ideen in eine innersyrische Debatte einbringen, wie es bei der Konferenz in Sotschi angefangen hat. Dafür braucht Syrien und brauchen die Syrer Unterstützung.

Beratungen auf G7- und NATO-Ebene darüber, wie der "Druck auf Russland" erhöht werden kann, damit Moskau die syrische Führung ausliefert, ein Rezept für Eskalation. Besatzung, Destabilisierung und die anhaltende Einmischung in die inneren Angelegenheiten Syriens verstoßen gegen die UN-Charta. In Artikel 2, Absatz 3 heißt es: "Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden." Und Artikel 2, Absatz 4 führt aus: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."

Um den Syrern, dem Land und der Region neue Kriege, Leid und Unsicherheit zu ersparen, muss der Westen, muss Deutschland seine Niederlage in Syrien eingestehen. Verbal, politisch und militärisch muss abgerüstet werden. Der Westen muss auf Syrien und seine Verbündeten zugehen und auf die Golfstaaten, Israel und die syrische Opposition entsprechend einwirken, das ebenfalls zu tun. Hält der Westen an dem US-Plan fest und will die Zukunft Syriens und der Region bestimmen, knüpft er nicht nur an seine koloniale Tradition der Unterwerfung an sondern wird die Region auch in einen neuen Krieg führen.

 

(Karin Leukefeld, Beirut)

Vor dem Wiederaufbau will der Westen die Aufteilung des Landes