Zum Tode von Elmar Altvater

Mohssen Massarrat
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Mit großer Bestürzung habe ich in Teheran vom Tode meines Doktorvaters und Freundes erfahren. In tiefer Trauer möchte ich zuallererst Birgit Mahnkopf mein herzliches Beileid aussprechen, die Elmar aufopferungsvoll vom Beginn seiner tödlichen Krankheit bis zu seinem letzten Atemzug begleitet und mit ihm gelitten hat. Auch seinem Sohn Florian und der ganzen Familie gilt mein inniges Beileid.

Mit dem Ableben von Elmar Altvater verliert die deutsche und die internationale Linke einen ihrer profiliertesten Vertreter mit anerkanntem wissenschaftlichen Format. Elmar hat sich in seinem wissenschaftlichen Leben mit zahlreichen strukturellen und aktuellen Themen des Kapitalismus gründlich und kritisch befasst und Entwicklungen aufgespürt und analysiert, lange bevor diese wahrnehmbar wurden. Ich glaube auch, dass Elmar als Erster die Abkoppelung des Finanzsektors von der Realwirtschaft erkannt und dargestellt hat. Elmar hat in den letzten Jahrzehnten auch die ökologische Krise wissenschaftlich begleitet und viele nützliche Ideen dazu zur Diskussion gestellt.

 

Elmar war als Vortragender ein Ausnahmetalent, er redete fast immer druckreif und war während seines wissenschaftlichen Lebens beinahe pausenlos produktiv. So bereicherte er mit seinen zahlreichen Büchern und hunderten von Beiträgen und Vorträgen die wissenschaftlichen und politischen Debatten zum Kapitalismus und dessen Überwindung wie kein anderer linker Wissenschaftler. Angesichts seiner ungeheueren wissenschaftlichen Leistungen war es beinahe vernachlässigbar, dass Elmar Kritik an seinen Beiträgen nicht immer mit Freude begegnet ist.

 

Elmar war m. E. ein unverwechselbar solidarischer Mensch und konnte zu Ungerechtigkeiten in der Welt und in seinem Umfeld absolut nicht schweigen. Dabei hat er auch keine persönlichen Risiken gescheut. Er ist beispielsweise von einem israelischen Wissenschaftler und in den Medien in Deutschland als Antisemit beschimpft worden, als er vor über zwei Jahrzehnten die israelische Besatzung Palästinas scharf kritisierte. Dieser völlig aus der Luft gegriffene Antisemitismusvorwurf hat ihn zutiefst verletzt. In einer seiner Erwiderungen anlässlich dieser Auseinandersetzung reagierte Elmar, soweit ich mich entsinnen kann, sinngemäß mit dem Satz, “man kann mich vielleicht ein Arschloch nennen, ein Antisemit bin ich aber nicht.“ Die Erfahrung mit dem Antisemitismusvorwurf als eine politische Waffe hat Elmar besonders sensibilisiert. Zumal sich ein solcher Vorwurf als ein billiges Mittel zur Diffamierung von Andersdenkenden in letzter Zeit bis in die attac-Kreise eingeschlichen hat. So reagierte er vor einigen Monaten auf einen ungerechtfertigten Antisemitismusvorwurf eines Mitglieds des wiss. Beirats von attac gegenüber einem anderen Mitglied mit aller Schärfe.

 

Elmar war Mitbegründer des wissenschaftlichen Beirats von attac und hat selbst einige Expertisen zur Globalisierung kritisch erstellt oder an solchen mitgewirkt. Er hat auch alle politischen Stellungnahmen aus dem Beirat zu aktuellen Themen, insbesondere gegen Kriege im Mittleren Osten, mitgetragen. Mit seinem Ableben verliert der wissenschaftliche Beirat und die internationale Linke einen schwer ersetzbaren Marxisten und Wegbreiter der emanzipatorischen Perspektive der Gegenwart.

 

In tiefer Trauer, Mohssen Massarrat

 

Teheran/Iran, 03.05.2018

Mohssen Massarrat