Donald Trump wird nicht müde, bei den Nato-Verbündeten die Erhöhung Ihrer Rüstungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anzumahnen. Es ginge wohl nicht, dass Amerika mit gegenwärtig 610 Milliarden Dollar, die 3.4 Prozent des US-BIP betragen, die Sicherheit seiner Verbündeten mitfinanziert. Dazu seien US-amerikanische Steuerzahler nicht mehr bereit. Vielmehr stünden die Nato-Verbündeten deshalb in der Schuld der Amerikaner, die zurückzuzahlen sei.
Unbedacht, wie Trump daherredet, plaudert er hier doch aus dem Nähkästchen der hegemonialen Geheimnisse, die hier ein wenig gelüftet werden sollen:
Tatsächlich haben die USA seit der Gründung der Nato einen signifikanten Teil ihres BIP für Rüstung ausgegeben, sowohl für ihr kostspieliges nukleares Abschreckungssystem als aber auch für ihre mehr als 800 globalen Militärbasen. Sämtliche US-Regierungen haben sich allerdings nach dem Ende des Kalten Krieges einer nuklearen Abrüstung widersetzt. Zum einen weil ohne die nuklearen Aufträge die US-Rüstungsindustrie eine zentrale Säule ihrer Fortexistenz verloren hätte. Zum anderen hätten die USA ohne den nuklearen Schutzschirm ihre Schlüsselstellung in der Nato und damit auch ihr Faustpfand aus der Hand gegeben, Japan und die europäischen Staaten, die ökonomisch gleichzeitig ihre Konkurrenten sind, weiter in ihrer Abhängigkeit zu halten.
Die USA finanzieren auch ihre Militärbasen – ein Großteil davon im Mittleren und Nahen Osten –, um dadurch vor allem die Rohstoff- und Ölversorgung des Westens zu sichern. In diesem Sicherheitspaket sind enthalten (a) eine möglichst direkte Kontrolle der Rohstoffquellen durch den militärischen Schutz der verbündeten Ölstaaten wie Saudi-Arabien und (b) die Chance, bei Bedarf auch unliebsame Regime zu stürzen.
Die Tatsache, dass die USA seit beinahe 70 Jahren in nahezu alle Konflikte und Kriege im Mittleren und Nahen Osten verwickelt waren, dürfte als unstrittig gelten. Der weit verbreiteten Annahme, die USA wollten damit ihre eigene Ölversorgung sichern, widerspricht die Realität, dass sie seit jeher ihren Öl-Importbedarf zu 80 Prozent aus Südamerika decken.
Für die Militarisierung der Ölversorgung wäre jedoch ein anderes Ziel der USA plausibler, nämlich das Vorhaben, das Wachstum der Weltwirtschaft durch das mittelöstliche Billigöl anzukurbeln und vor allem den europäischen Nato-Verbündeten und Japan jahrzehntelang ein ununterbrochenes Wirtschaftswachstum zu bescheren. Folgerichtig macht das System, in dem nicht Freihandel, sondern hegemoniale Einflussnahme die Ölversorgung reguliert, diese Verbündeten der USA zu ihren sicherheitspolitischen Geiseln. Trumps aktueller Vorwurf, Europa mache sich durch die North-Stream-Pipeline von Russland abhängig, bestätigt noch diese These.
Für die USA gibt es allerdings noch einen weiteren, vielleicht sogar noch wichtigeren Grund für die Militarisierung der Ölversorgung: Der globale Ölhandel auf Dollar-Basis hat spätestens seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems im Jahr 1973 praktisch die goldbasierte Weltwährung ersetzt. Der Ölhandel auf Dollar-Basis garantiert also seit beinahe einem halben Jahrhundert die Stabilität des Dollars.
Die USA nutzen diesen ökonomischen Hebel zur andauernden Aneignung einer globalen Hegemonialrente (leistungsloses Einkommen) von schätzungsweise 1000 Milliarden Dollar jährlich und setzen obendrein diese leichte Beute als Finanzierungsquelle für Rüstungsausgaben ein.
Denn die Vermögenden der Welt, also auch Japaner und Europäer, tauschen ihr überschüssiges Kapital gegen US-Staatsanleihen und tragen so zum Zahlungsbilanzausgleich und zur Stabilität der Währung einer Wirtschaft bei, die seit beinahe 30 Jahren ein chronisches Leistungsbilanzdefizit aufweist. Dass dabei die US-Notenbank die Staatsanleihen gegen Papierdollar eintauscht und damit eine Dollarinflation in die Weltwirtschaft pumpt, ist inzwischen ein offenes Geheimnis.
Die Nato-Verbündeten der USA bezahlen also mit dem Kauf von US-Staatsanleihen brav Jahr für Jahr und auf Heller und Pfennig für ihre vermeintliche nukleare Sicherheit und für ihre angebliche Energiesicherheit. Sie haben deshalb bei den USA keine Schulden, wie Trump behauptet.
Für dieses Sicherheitssystem muss allerdings die Welt einen hohen Preis bezahlen: unzählige Kriege, Millionen Tote, vielfache Zerstörungen und Millionen Flüchtlinge. Dazu gehört auch, dass Menschheitsprojekte – wie die nukleare Abrüstung, eine auf fairem Handel beruhende Weltordnung mit weniger Waffen und Kriegen, mehr Ressourcen für den ökologischen Umbau und den Klimaschutz – auf der Strecke geblieben sind.
Erstveröffentlichung 7. August 2018, Frankfurter Rundschau. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.