Eine Sensation für die öffentliche Meinung

Das "Zerstörer-Video" von Rezo - eine Sensation für die öffentliche Meinung
Personen: 

Rezo, der 26-jährige Youtuber und Influencer, dessen Klarname weiter nicht öffentlich ist, hat es mit einem 55-minütigen Video geschafft, die Ergebnisse der Wahlen am 26. Mai 2019 zum EU-Parlament zu "drehen". In welchem Ausmaß - das ist natürlich nicht genau zu quantifizieren. Die CDU erhielt 22,6% (- 7,5%), die SPD 15,8% (- 11,4%), die Grünen 20,5% (+ 9,8%), die AFD 11% (+3,9%), die Linke 5,5% (- 1,9%). Je jünger die Wählerinnen und Wähler, desto deutlicher war wahrscheinlich der Einfluss bemerkbar: bei den unter 30-jährigen erhielten die Grünen soviele Stimmen (nämlich 30%) wie CDU (13%), SPD (9%) und Die Linke (7%) zusammen. Besonders durchgeschüttelt hat es die SPD; bei den Erstwählern wurde sie hinter der Satirepartei DIE PARTEI mit 7% nur noch sechsstärkste Kraft.

Sensation Nr. 1 war die schiere Reichweite des Rezo-Videos. In einer kurzen Zeit nach der Veröffentlichung (18.05.19) stiegen die Klickzahlen auf über 14 Millionen (04.06.19). Zum Vergleich: die Bildzeitung kommt (jetzt nur noch) auf 1,5 Millionen verkaufte Exemplare und die Tagesschau als der Quotensieger im Fernsehen auf knapp 6 Millionen.

Sensation Nr. 2 war der Inhalt. Hier wurden in hohem Tempo und unterstützt von vielen Grafiken und Ausschnitten aus anderen Videos (fast) alle die neuralgischen Themen der Politik angesprochen, die vom Mainstream jahrzehntelang entweder verschwiegen oder propagandistisch umgedeutet worden waren: Klimapolitik, Einkommens- und Vermögensverteilung, Sozialpolitik, Steuerpolitik, Bildungspolitik, Medienpolitik, Uploadfilter, Kriegspolitik. Besonders erstaunlich: sogar die Airbase Ramstein, die Relaisstation der USA für die völkerrechtswidrigen Drohnenkriege im Nahen Osten, wurde von Rezo auf seine unnachahmlich anschauliche und direkt-persönliche Art attackiert. Was verwundert, weil dieses Thema in Teilen der deutschen Friedensbewegung immer noch mit der Begründung, die Kritik sei antiamerikanisch, vermieden wird. Jetzt, nach dem Rezo-Video, steigen die Klickzahlen für die Stop-Airbase-Ramstein-Kampagne, rasant an.

Es ist allerdings eine deutliche Einschränkung zu machen. Auf seinem 2. Video, in dem Rezo zu seiner Unterstützung über 90 Stars der Youtuber-Szene zusammenbrachte ("Ein Statement von 90+ Youtubern"), ist nur noch vom Klimawandel die Rede. Die anderen Politikfelder werden nicht mehr erwähnt.

Sensation Nr. 3 war die Machart. Nach den endlosen Debatten in den linken alternativen Medien, sich verständlicher, einfacher, populistischer auszudrücken - Rezo machte das einfach in der in diesen Jugendlichen-Szenen knappen, direkten, anschaulichen und smartphone-spezifischen Umgangssprache. Man merkt es ihm und auch den anderen Youtubern an, dass sie und ihre Millionen Follower, die kaum noch Zeitungen lesen und auch nicht mehr abends vorm Fernseher hocken, von der allgegenwärtigen Propaganda der Mainstream-Medien offenbar gar nicht mehr erreicht werden und von den vielen Tabus und Stereotypen, die die öffentliche Meinung beherrschen, offenbar unberührt sind. Entsprechend unbefangen sagt Rezo einfach, ohne Schere im Kopf, dass und wie sie lügen (und überführt Angela Merkel direkt mit zwei Videoausschnitten), dass und wie sie inkompetent sind (umwerfend komisch und hilflos die Umweltministerin Swenja Schulze und die Regierungsvertreter in den Video-Zitaten aus der Bundespressekonferenz) und dass sie die gesicherrten Erkenntnisse der Wissenschaft ignorieren. Die Kurzformel zur Bekräftigung von bestimmten Aussagen: "Really, Diggi?" (in etwa "Alles klar, Alter?") hätte es verdient, in die allgemeine Umgangssprache aufgenommen zu werden! Musste hier also nur einer wie in Andersens Märchen kommen und einfach den Propagandaschleier, der scheinbar so undurchdringlich ist, zerreißen, so dass die Akteure plötzlich nackt und lächerlich dastehen? Trifft die Metapher vom Lamm, das an allen vier Füßen gefesselt am Boden liegt (so das Cover des zur Zeit viel gelesenen Buches von Rainer Mausfeld (Warum schweigen die Lämmer?), für die Bewusstseinslage großer Teile der jüngeren Bevölkerung vielleicht gar nicht mehr zu?

Zweifel an der Authentizät

Konnte es wirklich sein, dass ein Video mit diesem Inhalt, mit einer solchen Reichweite und mit einer solchen Wirkung quasi aus dem Nichts aufgetaucht war? Dazu produziert von einem Youtuber und Influencer, der bisher auf seinen beiden Kanälen "Rezo" (mit 1,6 Millionen) und "Rezo ja lol ey" (mit 0,9 Millionen Abonnenten) sein jugendliches Publikum mit Musik- und Spaßvideos unterhalten und von den damit verbundenen Werbeeinnahmen gelebt hatte? Das Netz war sofort voll von Zweifeln über die Authentizität des "Zerstörervideos" vor allem auch deswegen, weil die Wahlen zum EU-Parlament gezeigt hatte, dass die Grünen-Partei die eigentlichen Nutznießer geworden waren.

Es ist verständlich, dass sich sofort nach Erscheinen des Videos in der eher rechten Web-Szene (z.B. Politically Incorrect) die Gerüchte verbreiteten, das Video sei Teil einer von den Grünen bezahlten bzw. gesteuerten Kampagne.

Aber der Verdacht wurde ziemlich schnell auch in eher linken Blogs geäußert.

  • Albrecht Müller von den Nachdenkseiten anerkannte zwar die große Leistung ("Rezos Video ist ein großer Beitrag zur dringend notwendigen Stärkuntg des Interesses für politische Zusammenhänge"), stellte aber dann, vor allem nach dem zweiten Video, die kritische Frage und beantwortete sie auch gleich selber. Kann so etwas "ohne Organisation und Koordination zustandekommen? Das glaube ich nicht. Die Einheitlichkeit der Aussagen und die große Zahl der Unterstützer spricht für eine organisierende Hand. Wer ist das?" Auch der Rechercheaufwand sei erkennbar so groß gewesen, dass daran mehrere Leute gearbeitet haben müssten.

  • Stellten die Nachdenkseiten noch Fragen, war Hartmut Barth-Engelbart in seinem Blog (30.05.19) schon fest davon überzeugt, dass es sich hier "tatsächlich um einen lange vorbereiteten PR-Coup" gehandelt habe und eine Arbeit von Spin-Doctoren vermutet werden müsse. Richtige Beweise hatte er allerdings nicht, er konnte nur darauf hinweisen, dass im Impressum der Rezo-Video-Kanäle die Medienagentur Tube One genannt wird, die wiederum zum Ströer-Konzern gehört. Außerdem habe eine andere Ströer-Tochter, die Nachrichten-Website t-online, das Video mit Artikeln gepusht und so erst richtig in die Medien gebracht. Tatsächlich ist die Ströer SE & Co KGaA eines der größten und international tätigen Unternehmen im rasant wachsenden Online-Werbemarkt (Vermarktung von Online- und Außenwerbung und von Out-of-Home-Medien wie giga.de, spieletipps.de, t-online.de, wetter.info, zuhause.de, wanted.de, desired.de, feelgreen.de u.v.a.m.) Die Ströer-Tochter Tube-one-Networks GmbH ist im social-media-Bereich aktiv und betreut viele Influencer. Barth-Engelbart nannte in seinem langen Blogbeitrag noch viele weitere unterschiedliche Quellen aus dem eher "machtelitenkritischen Lager", um seine These zu unterstützen. Aber Beweise für die vermutete Arbeit von Spin-Doctoren aus dem Hintergrund sind das alles nicht.

  • Thomas Röper titelte in seinem Anti-Spiegel-Blog v. 28.05.19 zwar vielversprechend: "Recherche: "Welche PR-Agenturen das Rezo-Video als lange geplante Aktion zur EU-Wahl platziert haben" und nannte ebenfalls tube-one-networks, Ströer und t-online.de als die Drahtzieher einer Kampagne. Aber auch er konnte nur ähnlich wie schon vor ihm Albrecht Müller die Fragen stellen ("Jetzt wäre es interessant, wenn jemand belegbare Informationen zu folgender Frage hätte: Wer hat den EU-Wahlkampf für die Grünen organisiert? Gibt es da eine Verbindung zur Ströer-Gruppe, vielleicht zu einer der Konzerntöchter des Unternehmens?") Mit einer Antwort konnte er auch nicht aufwarten.

  • Matthias Bröckers (seit langem kritischer Beobachter der Mainstream-Medien und mit Paul Schreyer Verfasser des Buches "Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren") schätzte die Situation m.E. zutreffender ein. Er habe, nachdem er auf seinem Blog broeckers.com am 27.05.19 das "Zerstörervideo" ordentlich gelobt hatte, geradezu einen Shitstorm erlebt. Von 1200 Kommentaren hätten gefühlt über 1000 ihre Abneigung gegen Rezo bekundet und ihre Meinung bekräftigt, dass Rezo doch nur die Marionette eines Werbekonzerns sein könne. Bröckers: "Ich kannte Rezo bis vor ein paar Tagen auch nicht, auch nicht seine Musikvideos, die er für einen Online-Konzern produziert und damit Geld verdient. Jetzt macht er ein Video mit politischen Themen und seine Fans - und viele andere, ich auch - finden es prima. Er redet Klartext und belegt seine Aussagen - was kann man denn mehr verlangen? Seine Ansichten muss niemand teilen, aber er hat die von sehr vielen Zuschauern offenbar auf den Punkt gebracht, die das Video geliked und weiter empfohlen haben. Wer da gleich wieder Großverschwörungen wittert, sollte mal einen Allergietest beim Konspirologen machen." 

  • Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam (seit einigen Jahren auf ihrem Blog "Ständige Publikumskonferenz" kritische Begleiter der Arbeit der öffentlich-rechtlichen Nachrichtenredaktionen), hielten mit ihrer Sympathie für Rezo ebenfalls nicht hinterm Berg: "Mit Rezo hat endlich einer die notwendige Sprache und Präsentationsform gefunden, die unsereiner nicht (mehr) drauf hat, mit der man aber erweislich 'ankommt'. Inhaltlich hat er ohnehin recht (...) Nichts, was Rezo anspricht, ist wirklich neu und nicht längst in aller Entschiedenheit angeprangert worden, in den alternativen Medien von Telepolis über NachDenkSeiten, Rubikon, Rationalgalerie bis RT, Neue Rheinische Zeitung, Spiegelkabinett, Peds Ansichten und ScharfLinks. Aber er hat es geschafft, mit seiner Kritik ein Millionenpublikum zu erreichen, das zudem noch jung und flexibel genug ist, um konsequent zu reagieren. Rezos nicht überbietbares Verdienst." Die Maßeinheit für gepfefferte Kritik müsse in Zukunft "Rezo (Rz)" genannt werden.

  • Auf Cicero.de erschien am 29.05.19 ein Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Lutz Frühbrot. Dass die Grünen dahinter stecken könnten, hält er für einen eher abwegigen Verdacht. Es gäbe dafür keine belastbaren Beweise. Die Verbindung von Rezo zu Ströer und Tube One wäre weder geheimnisvoll noch unüblich in der Szene: "Die bekannten Influencer arbeiten in der Regel mit einer oder teils auch mehreren Agenturen wie Tube One, Studio71 oder Mediakraft zusammen. Diese erhalten für ihre Dienstleistungen einen Teil der Einnahmen des Influencers, die dieser vor allem aus Werbeaufträgen erzielt. Die Zusammenarbeit reicht zuweilen auch bis zur Konzeption und Produktion einzelner Videoformate. Aber dass eine Agentur einem Influencer vorgibt 'So, jetzt mach‘ mal das Thema hier!', halte ich für absurd. Die Influencer-Szene funktioniert anders, sie ist nicht so leicht steuerbar. Schon eher kann ich mir vorstellen, dass man die Köpfe zusammengesteckt hat, um zu überlegen, wie man noch mehr Menschen erreichen kann."

Was sagt nun Rezo selber zu den Gerüchten um seine Person und seine Videos? Er bleibt zwar weiterhin anonym, hat aber dem Jugendkanal Bento von Spiegel-online am 03.06.19 ein Interview gegeben und sich zu seiner Arbeitsweise und zu den Umständen seines 14-Millionen-Videos geäußert. Er habe mit zwei Mitarbeitern hunderte Stunden in dieses Video investiert und in den letzten zwei Wochen vor Veröffentlichung quasi durchgearbeitet. Mehrere Freunde und auch sein Vater hätten das Video auf Fehler überprüft. Rezo über sich selbst: er sei ein politisch interessierter Mensch, engagiere sich privat für den Tierschutz, lebe vegan, habe einen Master in Informatik gemacht und interessiere sich für Wissenschaft und Forschung. Wie andere prominente Youtuber habe auch er gegen die mittlerweile beschlossene EU-Urheberrechtsreform gekämpft. Und nein - verdient habe er mit seinem Video nichts. Im Gegenteil, weil ohne Werbung habe er mit dem Video sogar ein Minusgeschäft gemacht, weil er seine Mitarbeiter habe bezahlen müssen und in der Zeit eben keine anderen Videos produzieren konnte. Bento stellte auch die Frage, ob er vorhabe, noch öfter politische Videos zu drehen. Rezos Antwort: "Irgendwann bestimmt. Ideen habe ich schon."

Auf seinem Twitter-Account (29.05.19) äußerte sich Rezo ebenfalls zu den Gerüchten. "Also maßgeblich dran gearbeitet haben nur TJ und ich. That's it. (...) (Wer mehr dahinter vermutet) offenbart vor allem ein grundlegendes Missverständnis darüber, wie ich und übrigens auch viele andere freie Medienschaffenden ticken. Ich mache schon immer Videos, weil ich Bock darauf habe und nicht um damit Geld zu verdienen. Wenn ich wie hier etwas mit meinen Zuschauern teilen kann, was mich schon lange beschäftigt und mir intrinsisch wichtig ist, dann wäge ich nicht ab, wie viel Geld mich das womöglich kostet oder wo ich das wieder reinbekomme. Wem das merkwürdig vorkommt, sollte vielleicht weniger mit BWL-Studenten abhängen. Es gibt halt wirklich viele Menschen, die einfach Sachen machen, weil sie dahinter stehen, unabhängig von den Nachteilen. Schockierend, ich weiß." Und: "By the way: Hätten wir Klarnamen-Pflicht im Internet, hätte ich nun schon ein paar Steine durchs Fenster geworfen bekommen und nach dem was man mir so androht, wären ich und meine Familie tot. Aber ja, gibt ernsthaft noch Politiker, die das fordern. lol alter..."

Fazit: Falls nicht doch noch Beweise für die Existenz einer "organisierenden Hand" auftauchen, ist davon auszugehen, dass Zweifel an den Schilderungen von Rezo keine Grundlage haben. Im übrigen finden sich in der "lerserbrieflichen Nachlese zum Rezo-Video" auf den Nachdenkseiten einige ganz plausible Schilderungen darüber, wie die Youtuber-Szene so "tickt" und wie ein derart sensationelles Video - ohne Hilfe von außen - zustande kommen konnte.

Wie werden die Eliten reagieren?

Das CDU-SPD-AFD-Zerstörervideo muss ein Schock für die politischen und medialen Eliten gewesen sein. Es ist ihnen auch bisher nicht gelungen, trotz vieler Versuche, Rezo wirksam zu kritisieren. Seine Fakten und seine Quellen (252 Quellenangaben auf 13 eng bedruckten Seiten), die er genannt hat, sind bis auf kleine Kleinigkeiten wasserdicht. Die Reichweite seines Videos übertrifft alle Massen-Mainstream-Medien und selbst seine eigenen Erwartungen. Was die attackierten Politiker besonders beunruhigen muss und auch beunruhigt, ist das hohe Maß an credibility, wie es in der Szene heißt, über die er verfügt, und über die sie nicht mehr verfügen. Gabor Steingart kommentierte das in seinem Morning Briefing (vom 24.05.19) ganz treffend so: "Alle etablierten Mächte spüren den Gezeitenwechsel: Die klassischen TV-Talkshows werden von der Jugend nicht boykottiert, sie bleiben nur ausgeschaltet. Die etablierten Politiker werden nicht bekämpft, nur ignoriert. Reklame wirkt, aber oft abstoßend. Die Verbandsfürsten senden weiter ihre Botschaften, aber es fehlt an willigen Empfängern. Das Epizentrum der politischen Veränderung befindet sich inmitten der jüngeren Generation (...) Aber: Dieses Interesse kommt den etablierten Parteien nicht zugute. Laut Forsa würden Union und SPD bei Schülern und Studenten derzeit nur jeweils elf Prozent der Stimmen erhalten."

Dass Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) als Generalsekretärin der CDU ziemlich offen die Einführung der Zensur forderte, brachte ihr erst einmal viel Hohn und Spott ein, weil diese schließlich vom Grundgesetz verboten sei. Aber das Ziel, das sie formulierte, nämlich wieder die mediale Oberhoheit zu erlangen, ist durchaus ernst zu nehmen. Gegen die Anarchie des Internets und die Reichweite und die Wirksamkeit der Youtuber müssten zuerst demokratietheoretisch, dann medienpolitisch und schließlich auch juristisch neue Antworten gesucht werden. Der Direktor der Landesmedienanstalt von NRW, Dr. Tobias Schmid, gab dann schon mal entsprechende Hinweise. In einem längeren Interview, das die FAZ am 30.05.19 mit ihm führte, forderte er "einfache und klare Regeln gegen Desinformation". "Alle journalistisch-redaktionellen Medienangebote - also Zeitungen, Fernsehen, Radio und eben auch Angebote im Netz - (müssten) gewisse Standards einhalten." Es gäbe für die Presse die diversen Pressegesetze und den Presserat, für die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender die Landesrundfunkgesetze und für die privaten Sender die Landesmedienanstalten, die die Aufsicht führten. "Ausgerechnet bei der Gefährdung durch Desinformation in journalistischen Inhalten im Netz können wir nicht einschreiten, weil das Gesetz genau diesen Fall ausgenommen hat. Eine Regelung, die aus einer vergangenen Zeit stammt und bestenfalls historisch verständlich ist, bei der wir aber aufpassen müssen, dass das Absurde nicht zur Tragödie wird."

Es wären zwei Wege denkbar, um den bis jetzt unkontrollierbaren Youtubern beizukommen. Entweder man erklärt sie zu "Rundfunkern" und definiert ihre Kanäle als ein "fernsehähnliches Medium", um von ihnen einen entsprechenden Antrag und die Zulassung bei den Landesmedienanstalten verlangen zu können. Oder aber man könne sie wie die Printmedien auf die Einhaltung der "anerkannten journalistischen Grundsätze", die dann entsprechend passend zu formulieren wären, verpflichten.

Die deutsche und europäische Medienlandschaft mit ihrem Geflecht aus Print- sowie öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkmedien ist wahrscheinlich viel zu kompliziert und in viel zu viele Zuständigkeiten auf Bundes- und Landesebene zersplittert, als dass man hier in nächster Zeit zu Regelungen und neuen Gesetzen kommen könnte. (Mehr Informationen dazu auf der Webseite des Landesmedienanstalt NRW ("Rundfunklizenzen für Live-Streaming Angebote" und auf der sehr guten Medienrechtsseite der Kanzlei Wilde, Beuger und Solmeke)

Viel wahrscheinlicher ist der Weg über die großen Internetplattformen Google (mit Youtube), Facebook (mit Whatsapp und Instagram) und Twitter, wo man schon seit einiger Zeit dabei ist, ein gefährliches Zensurgebräu anzurühren. An der Oberfläche werden zwar als Schlüsselbegriffe Hatespeech, Fake News und innere Sicherheit genannt, aber diese Begriffe sind alles andere als harmlos, können ihnen doch ohne weiteres politische Zwecke subsumiert werden. Da die Internetriesen private Unternehmen sind, sind ihre Zensurpraktiken praktisch und theoretisch jeder rechtlichen und politischen Kontrolle entzogen. Welche Seiten oder Accounts warum gelöscht, der Zugang zu ihnen erschwert, sie im Ranking runtergestuft oder welche Vernetzungen gekappt werden - für all das sind Beschwerden in das Belieben der Unternehmen gestellt und eine unabhängige, gar richterliche Überprüfung sowieso ausgeschlossen. Zur Zeit lässt sich geradezu täglich nachverfolgen, wie die Technologien aus Big Data, Künstlicher Intelligenz, Bewegungsdaten und Mustererkennung in hohem Tempo immer weiter entwickelt und getestet und so die Schlingen der Zensur immer enger gezogen werden.

Besonders viel Protest hat in der letzten Zeit die Urheberrechtsreform der EU mit ihren geplanten Uploadfiltern hervorgerufen. Am 23. März 2019 demonstrierten in den europäischen Städten Hunderttausende. Das Thema elektrisierte besonders jüngere und netzaffine Menschen, wurde doch schnell klar, dass diese Pläne direkt die Praxis von Youtubern bedrohen, nämlich auf eine kreative Art und Weise die verschiedensten Inhalte aus verschiedenen Medien und Genres zu kombinieren und zu remixen, um daraus neue Produkte zu schaffen. Sind die Youtuber als Inflencer unterwegs, nutzen also ihre Popularität und ihren Einfluss für Werbezwecke und verdienen ihr Geld damit, bedroht die Zensur auch direkt ihr Geschäftsmodell. Rezo hat selber auf seinem Twitter-Account erzählt, wie ihn und viele andere die Uploadfilter-Proteste politisiert haben.

(Der Artikel ist in einer gekürzten Fassung unter dem Titel "Beunruhigende Botschaften" am 16.06.2019 in der jungen Welt erschienen. Das Video von Rezo hat inzwischen über 15 Millionen Aufrufe

Das "Zerstörer-Video" von Rezo - eine Sensation für die öffentliche Meinung