Der vorgegebene Grund ist die Wiederherstellung von Demokratie im Jemen, das heißt die Wiedereinsetzung der gewählten Regierung von Abed Rabbo Mansur Hadi. Dieser jedoch hatte etwas eingeleitet, was seinen Landsleuten nicht recht war: er schickte sich an, den Jemen unter die Hegemonie Saudi Arabiens zu stellen. Das aber widerspricht der in diesem Land stark empfundenen, Jahrtausende alten kulturellen Autonomie.
Sie schlägt sich auch in einer religiösen Variante des Islam nieder, die der Schia näher steht als der Sunna. Da Saudi Arabien jedoch nicht einmal kleinste Abweichungen vom sunnitischen Kult duldet, hätte Hadis Vorhaben quasi die Selbstaufgabe des Jemen bedeutet – und zweifellos auch die bislang hartnäckig verweigerte ökonomische Übernahme. Dieser widersetzen sich die jemenitischen Feudalkräfte, die ihr Einkommen zum großen Teil aus Kulturen der Droge Quat gewinnen, wovon sie einen Teil mit hohem Gewinn illegal in Saudi Arabien verkaufen, wo sie natürlich verboten ist.
Wie auch immer das im einzelnen zu bewerten ist, in dem erbarmungslosen Krieg kamen zehntausende Zivilisten nicht nur durch Bomben um, sondern auch durch Hunger und Seuchen. Denn die antijemenitische Militärkoalition blockiert auch die wichtigsten Häfen des Landes, dem also kein geregelter Handel mehr möglich ist und der Empfang von Hilfsgütern außerordentlich erschwert wird.
Es ist kaum nachvollziehbar, dass der Widerstand der Huthis, die asymmetrisch gegen die Vereinnahmung durch Saudi Arabien kämpfen, nicht zusammengebrochen ist. Offensichtlich sind die Huthis sogar zu effizienten Gegenschlägen fähig. Die von ihnen reklamierte Drohnenattacke vom letzten Sonnabend gegen zwei der wichtigsten Betriebe der saudi-arabischen Ölindustrie mag als gerechter Gegenschlag erscheinen. Aber ihre Bedeutung ist tiefer und bedrohlicher. Es spielt eigentlich keine Rolle, ob die Behauptung stimmt, sie hätten die Drohnen losgeschickt oder ob sie von iranischen Milizen im Irak auf den Weg gebracht wurden oder ob sie sogar direkt aus dem Iran kamen. In ihnen steckt jedenfalls Technologie, die die Iraner ihren Verbündeten zur Verfügung gestellt haben. Das trifft übrigens auch auf die Raketen zu, mit denen die libanesische Hizbollah den ständigen Schlagabtausch mit Israel führt. Sie werden längst nicht mehr importiert, sondern vor Ort gebaut.
Der Krieg zwischen dem Iran, seinen Verbündeten in der Region und den Saudis, mit ihren westlichen Verbündeten im Rücken, hat also längst begonnen. Gefährlich ist aber nicht nur dieser Krieg ansich, sondern auch die offenkundige Beeinträchtigung, die er für die Weltwirtschaft darstellt. Schon heute herrscht Unbehagen bei den Mannschaften der Schiffe, die den Persischen Golf und insbesondere die Straße von Hormus durchfahren müssen. Sie haben zwar einen gewissen Schutz durch amerikanische und englische Kriegsschiffe – aber wer will schon Anlass einer Seeschlacht werden oder auch nur in deren Nähe geraten? Allein durch den notwendig gewordenen militärischen Schutz von Schiffen verteuert sich der Welthandel beträchtlich.
Der Drohnenangriff auf die Erdölbasis von Khurais und die Raffinerie von Abqaiq, von denen 5% der globalen Energieversorgung abhängen, stellen kurzfristig auch deren Zuverlässigkeit infrage. Obwohl die USA ihre Ölreserven einsetzen wollen, um den Preis des schwarzen Goldes zu stabilisieren, stieg der zunächst schon mal um 20% an.
Wenn ein solcher Anschlag, der Konsequenzen für die ganze Welt hat, offenbar mit relativ einfachen Mitteln zuwege gebracht werden konnte, ist die Ankündigung der militärischen Führung der Huthis ernst zu nehmen, dass sie einen weiteren, noch schmerzhafteren Angriff plant.
Sichtbar geworden ist: nicht nur die USA, Saudi Arabien und Israel spielen mit dem Feuer. Auch der Iran zeigt sich entschlossen, deutlicher denn je die Instrumente, die er im Falle einer weiteren Eskalation des Konflikts zur Verfügung hat, offenzulegen und auch bereits taktisch einzusetzen. Was der öffentlichen Wahrnehmung bislang entging: lange schon, bevor in diesem Konflikt Atomwaffen eingesetzt werden sollten, entfaltet er ein Gefahrenpotential, das weit über das des Irakkrieges und des Syrienkrieges hinaus reicht. Das sollte sich die Außenpolitik Deutschlands zu Herzen nehmen, die sich aus historischen Gründen als besonders stark verpflichtete Schutzmacht Israels versteht. Meine Freunde aus der israelischen Friedensbewegung haben mir mitgeteilt, dass Benjamin Netanyahus Ankündigung, im Falle seines Wahlsiegs Teile des Jordantals zu annektieren, die Sicherheit Israels nicht vergrößert, sondern in große Gefahr bringt. Insofern war die kürzlich von der Bundesregierung abgegebene Erklärung, die den Plan Netanyahus entschieden ablehnte, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung – und zwar nicht nur hinsichtlich der Palästinenser, sondern auch hinsichtlich des Iran, der sich ja als deren Schutzmacht sieht. Solche, das Völkerrecht einfordernde Positionen müssen Teil einer diplomatischen Gesamtstrategie der Europäischen Union im Nahen Osten werden. Noch existieren funktionierende diplomatische Kanäle, über die versucht werden kann und muss, die bereits offene Büchse der Pandora wieder zu schließen. Eine klare Haltung der Europäer ist auch das probate Mittel, Donald Trump weiterhin auf seiner noch immer von Vorsicht bestimmten Iran-Strategie zu halten und ihm für andere Optionen die Gefolgschaft zu verweigern.
Sicher scheint es, dass der Iran dabei ist, sich mit der Demonstration seiner Kapazitäten eine möglichst breite Palette von Bedingungen zu sichern, die er im früher oder später anstehenden Verhandlungspoker einbringen kann.
* Dieser Artikel erschien unter dem Titel Der Krieg hat längst begonnen in Der Freitag no. 38 v. 19. 9. 2019.