Kultur und Kulturpolitik der DDR

Die DDR und ihre Kultur wird in bundesdeutschen Medien und oft sogar in der Wissenschaft mit pauschalisierenden Klischees aus dem Kalten Krieg beschrieben, die diese an hegemonialem Dünkel noch überragen.
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Die DDR und ihre Kultur wird in bundesdeutschen Medien und oft sogar in der Wissenschaft mit pauschalisierenden Klischees aus dem Kalten Krieg beschrieben, die diese an hegemonialem Dünkel noch überragen. Es fehlt die damals vorhandene Neugier eines Teils der bundesdeutschen Gesellschaft, das Andere in dem Staatsgebilde zu entdecken, das aus denselben historischen Wurzeln erwachsen war wie das eigene. Es fehlt die normale Haltung der Offenheit, die der Reisende heute weitaus exotischeren Reisezielen entgegenbringt und die der Sozialwissenschaftler z. B. einem bislang unentdecktem Indianerstamm entgegenzubringen gehalten ist.

So wurde den dramatischen Lebensveränderungen der DDR-Frau, die in den neunziger Jahren ihres Arbeitsplatzes verlustig ging, weit weniger Aufmerksamkeit zuteil als der muslimischen Frau mit dem Kopftuch.

 

Für alle historischen Epochen Deutschlands bis 1945, selbst für die Nazizeit, entdecken Medien und Wissenschaft immer wieder auch Züge normalen Alltags. In der DDR hat es ihn scheinbar nicht gegeben – hier werden die gesamten Lebensverhältnisse essentialistisch mit der ´Diktatur´ in Verbindung gebracht. Wer sich nicht demonstrativ der Bundesrepublik zuwandte, gilt als ´nützlicher Idiot` der Diktatur. An diesen Konstanten ändern die aktuell modischen Versuche, die „Lebensleistungen der Menschen“ zu würdigen, die in der DDR gelebt und gearbeitet haben oder einzelne Anerkennungsgesten wie der Deutsche Filmpreis für Andreas Dresens Film ´Gundermann` nur wenig.

 

Eine korrektere, moderner Sozialwissenschaft entsprechende Orientierung vermittelt die opulente ´Kulturgeschichte der DDR` von Gerd Dietrich, der zu den wenigen DDR-Historikern gehört, die nach 1989 ein Lehramt ausüben konnten. Nach Aussage des Autors handelt es sich um ein Nachschlagewerk, das der „Großideologisierung der Geschichte“ entgegenwirken will, die ja nichts anderes betreibe als seinerzeit die Feinddiagnostiker der SED. (XIX) Und es will beitragen zur Überwindung erstarrter „moralischer Raster“ des Erinnerungsgedächtnisses, wonach die Stasi wichtiger war als die Kinderkrippen. (XIII) Ausgehend vom breiten, die gesamten Lebensverhältnisse einbeziehenden Kulturbegriff, beschreibt Dietrich die DDR als historisch zu differenzierendes Gebilde. Obwohl sie durchaus eine Diktatur gewesen sei, ordnet er sie nicht dem gängigen pauschalisierenden Diktaturbegriff zu. Vielmehr legt er es darauf an, ihre – trotz ihres Scheiterns – vorhandenen demokratischen und emanzipatorischen Züge kenntlich zu machen, für die die Arbeiterbewegung lange gekämpft hatte: die Brechung des bürgerlichen Bildungsmonopols, die Gleichberechtigung der Frauen und ihre Einbeziehung ins Arbeitsleben, die sozialen Sicherheiten.

 

Schon mit dem Coverfoto, das sowjetische Soldaten zeigt, die im Juli 1945 die durch Holzverkleidung vor Kriegsschäden geschützen Statuen von Goethe und Schiller vor dem Theater in Weimar frei legen, wird auf einen oft vergessenen Zusammenhang verwiesen. Der Autoritarismus, der in der DDR regierte, war ganz wesentlich abhängig von Direktiven, die die östliche Siegermacht oktroyierte. Weil die aus sowjetischem Exil kommende kommunistische Elite ihre Macht weder selbst erkämpft noch demokratisch errungen hatte und sich angesichts der wirtschaftlich und kulturell attraktiveren BRD nie ganz sicher im Sattel fühlte, änderte sich an dieser Abhängigkeit nur wenig, als die Sowjetunion 1949 formal ihre Vormundschaft auch in den Kulturinstitutionen aufgab. Dietrich führt im ersten Teil das scheinbare Paradox vor, dass die Kulturpolitik unter der Ägide der Besatzungsmacht liberaler war als die der späteren Kulturfunktionäre der DDR – weil Stalin zunächst keinen sozialistischen Separatstaat, sondern ein neutralisiertes Gesamtdeutschland anstrebte. So wurden in der SBZ auch weitreichende Angebote an Autoren gemacht, die in bürgerlich-humanistischer Tradition standen. Zugleich blühte auch eine avancierte Kultur des Jazz, obwohl sie in der Sowjetunion seit 1946 brutal unterdrückt wurde. In der SBZ jedoch konnten 1948 die ersten deutschen Jazzplatten mit schwarzen Musikern seit 1917 gepresst werden. (231) Und zu allgemeiner Überraschung gewann bei einem anonymisierten Wettbewerb um die beste Jazzaufnahme 1951 in Paris das Stück ´Cherokee`, gespielt vom Orchester des Mitteldeutschen Rundfunks Leipzig unter Kurt Henkels. Dass zur selben Zeit in der DDR bereits scharf gegen die „amerikanische Affenkultur“ gekämpft wurde, lag an der sich verschärfenden Systemkonkurrenz. (237) Dietrich versäumt jedoch nicht, darauf hinzuweisen, dass kulturkonservative Kräfte im Westen damals ebenfalls den Jazz wieder verdrängen wollten. Damit ist ein weiteres methodisches Desiderat an künftige Kulturgeschichtsschreibung angezeigt: Um zu nüchterneren Bewertungen zu kommen, sollte häufiger synchronische Vergleiche der Entwicklung in beiden Systemen erstellt werden.

 

Dietrich zeichnet nach, dass der Kulturkampf gegen westliche Einflüsse eine mal mehr, mal weniger spürbare Konstante blieb, die oft in allmähliches Nachgeben mündete, weil es eine Lücke im ideologischen Gefüge der Kulturpolitiker der frühen DDR gab. Ihnen fehlte das Bewusstsein, dass die moderne Arbeitswelt kulturelle Bedürfnisse entfesselte, die weder mit dem Rückgriff auf die traditionelle Arbeiterkulturbewegung oder mit der im ganzen Ostblock stattfindenden Belebung vorkapitalistischer Folklore (z. B. Volkstanzgruppen) nicht zu befriedigen waren und auch nicht mit dem heren Ziel, die Volksmassen auf das Niveau der bürgerlich-humanistischen Kultur zu heben. Der letztere, unter dem Stichwort: „Gebildete Nation“ zusammenzufassende Strang der Kultur der DDR war während ihres ganzen Bestehens nicht nur staatlicherseits hoch subventioniert, sondern erhielt auch jeweils 10 Pfennige aus jedem Eintrittsticket zur schließlich doch breit entwickelten Unterhaltungskultur. Diese musste sich selbst tragen.

 

Aus der Spannung zwischen der oft unfreiwilligen Öffnung zur westlichen Massenkultur und dem – den Künstlern vorgegebenen – Ziel, die Kultur einer Gesellschaft zu entwickeln, die sich als Arbeitsgesellschaft definierte, sind auch viele genuine Kulturleistungen hervorgegangen.

 

Die oben angesprochenen Beispiele aus dem 1. Teil: ´Kultur in der Überganggesellschaft ( 1945-1957)` zeigen, dass die verschiedenen Etappen der kulturellen Entwicklung der DDR nicht als gradliniges autoritäres Durchregieren einer kulturpolitischen Linie verstanden werden können, sondern nur von ihrer Vielschichtigkeit her, die von inneren und äußeren Widersprüche geprägt war, welche wiederum Bewegung generierten – und das nicht nur durch einige vom Westen anerkannte, mehr oder weniger dissidentische Künstler. Eine große, wenn nicht die größte Anzahl von Kulturschaffenden aller Sparten – bis hin zum Sport – verstand sich im einen oder anderen Sinne als Sozialisten, die sich in ständigem Ringen mit der Kulturbürokratie befanden. Denn es kam nicht infrage, den Grundwiderspruch zwischen dem behaupteten radikalen Emanzipationsziel und der Gängelung der Kultur aufzulösen. Das wird am deutlichsten sichtbar, wenn eine plötzliche Neuorientierung der kulturpolitischen Leitlinien durchgesetzt werden sollte wie z. B, beim berühmten 11. Plenum 1965. Hier jedoch sei der Rezensentin die Bemerkung erlaubt, dass es sich letztlich um den Kampf um Finanzierungen und Markzugänge handelte, der – freilich geschickter verschleiert – auch in westlichen Gesellschaften vom gesellschaftlichen Hegemon dominiert wird.

 

Auch im 2. Teil: ´Kultur in der Bildungsgesellschaft (1957-1976)` und im 3. Teil: ´Kultur in der Konsumgesellschaft (1977- 1990)` verweist Dietrich detailreich nicht nur auf die inhaltlichen Entwicklungen in Kultur und Kulturpolitik, sondern stets auch auf die materielle und institutionelle Situation der Kultur im Gesamtzusammenhang des Systems, d. h. mit den wirtschaftlichen und politischen Koordinaten. Seine Arbeit übertrifft damit den eigenen Anspruch, nur ein Handbuch zu sein und wird hoffentlich nicht nur von der Wissenschaft, sondern auch von Medienarbeitern wahrgenommen.


 

* Diese Rezension zu: Gerd Dietrich: Kulturgeschichte der DDR, Vandehoeck & Ruprecht Verlag 2018, 2429 Seiten, 120 Euro (e-book: 99,99 Euro) erschien in Z. Marxistische Zeitschrift no. 119 im September 2019, S. 223-225.

Die DDR und ihre Kultur wird in bundesdeutschen Medien und oft sogar in der Wissenschaft mit pauschalisierenden Klischees aus dem Kalten Krieg beschrieben, die diese an hegemonialem Dünkel noch überragen.