Wer glaubt noch dem amerikanischen Wort?

Trump überantwortet Erdogan die Kurden
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Dass Donald Trump die von seinen Vorgängen angezettelten blutigen Konflikte im Nahen Osten „lächerliche Kriege“ genannt hat, verärgert nicht nur deren Anhänger, sondern auch Leute in den eigenen Reihen. Ihnen allen fällt es schwer akzeptieren, dass man den Nahen Osten zwar in Schutt und Asche legen, seinen Menschen aber nicht mehr die Vorteile amerikanischer Hegemonie vermitteln kann.

Wenn sich für mächtig erachtete Bündnispartner vor Ort wie Saudi Arabien nicht einmal vor zwei Huthi-Drohnen schützen können, erscheint Trump angesichts zweifelhafter Resultate der Preis des amerikanischen Engagements in der Region offenbar zu hoch. Da denkt er lieber an den kommenden Wahlkampf und erfüllt sein Versprechen, möglichst viele GIs nach Hause zu holen. Nicht nur bei den Demokraten, sondern auch bei Trumps engsten Mitarbeitern werden derzeit Krokodilstränen vergossen, weil der Präsident – zweifellos nicht ohne Rückendeckung seiner Militärs – Soldaten ausgerechnet aus den syrischen Kurdengebieten abziehen lässt, in die der türkische Präsident Erdogan mit einer Boden-Luft-Offensive einrücken will. Wer soll künftig noch an das Wort Amerikas glauben? tönt es da – als ob es noch auf einen Enttäuschten mehr oder weniger ankommt. Schon länger enttäuscht sind schließlich auch Millionen Menschen, die sich als Aktivisten oder gar Kämpfer für Regimechange in Syrien instrumentalisieren ließen und nun als Flüchtlinge in der Türkei oder im Freiluftgefängnis Idlib festsitzen, jener Provinz in Nordwesten Syriens, in die die Regierungsarmee besiegte Milizen abziehen ließ, statt sie gefangen zu nehmen.

 

Dass um Selbständigkeit ringende Minderheiten wie die Kurden bereit sind, notfalls auch Teufelspakte einzugehen, ist nichts Neues, sondern oft ihr tragisches Schicksal. Die Allianz zwischen den sehr links orientierten Volksverteidigungskräften YPG und den USA war ein Bündnis wider die Natur. Es wird den Kurden nichts anderes übrig bleiben, als innerhalb des syrischen Staatsgebildes um mehr Rechte zu kämpfen. Eine Gelegenheit könnten die vor kurzem begonnen Verhandlungen um eine neue Verfassung zwischen Regierung und etlichen Oppositionsgruppen bieten – worüber erstaunlicherweise sogar deutsche Leitmedien berichtet haben.

 

Die angekündigte türkische Offensive hatte einen – von der Weltöffentlichkeit schon fast vergessenen – Vorläufer in der Besetzung eines Gebiets zwischen den Städten Afrin und Manbidsch im Januar 2018. Eine spät zustande gekommene Vereinbarung zwischen YPG und der syrischen Regierungsarmee, das Gebiet gemeinsam zu verteidigen, konnte den türkischen Vormarsch nicht stoppen. Zwischen 100 000 und 200 000 Kurden wurden vertrieben und ihre Häuser – soweit noch bewohnbar – enteignet und Rückkehren aus der Türkei übergeben. Die Besetzung eines weiteren Grenzgebiets soll ebenfalls sowohl der „Heimführung“ syrischer Flüchtlinge dienen als auch als Schutzwall gegen die von Erdogan immer wieder beschworene Infiltration durch die Anhänger Abdullah Öcalans – dessen Porträt in den Kurdengebieten zum Straßenschmuck gehört.

 

Diese Besetzungen stellen einen schweren Bruch des Völkerrechts und der Menschenrechte dar. Angeblich will Donald Trump Erdogan eine „rote Linie“ setzen, die er um den Preis der „vollkommenen Zerstörung der türkischen Wirtschaft“ nicht überschreiten dürfe. Diese Erklärung war Trump den Kurden wohl mindestens schuldig.Was er genau damit gemeint hat, bleibt noch sein Geheimnis.

 

* Dieser Kommentar erschien unter dem Titel Nur der syrische Staat kann in dieser Situation den Kurden noch helfen in Der Freitag v. 10.10.2019, S. 1.

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