Die Landtagswahlen in Thüringen haben die ganze Republik beschäftigt. Zu Recht. Zum einen hat die AfD mehr oder weniger Stimmen erhalten, als viele gewünscht oder befürchtet haben. Zum anderen hat die Partei Die Linke einen Wahlsieg davongetragen, ihre Bündnispartner aber markant verloren, so dass die bisherige Mehrheit im Landtag nicht mehr besteht. Die herben Verluste der CDU und das wahrscheinliche Überschreiten der fünf Prozent Hürde der FDP sind nun zusätzliche Herausforderungen für alle Beteiligten.
Die Reaktion der beiden Parteiführer von CDU und FDP direkt nach Vernehmen der Wahlergebnisse zeugten von Gesprächsbereitschaft mit den Wahlgewinnern. Dieser kurze Hoffnungsschimmer für die Demokratie währte jedoch nicht lange. Die Parteizentralen in Berlin mischten sich ein und verordneten ein Gesprächsverbot, das am nächsten Tag dann auch sowohl von Mike Mohring, CDU, als auch von Thomas Kemmerich, FDP, verkündet wurde. Es könnte – und dies wäre tödlich für die Demokratie – sogar in einem totalen Verweigerungsverhalten enden.
Die Bevölkerung hat ein Votum abgegeben, und maßgebliche Repräsentanten unserer Demokratie signalisieren, dass ihnen dieses Votum egal ist. Sie verkünden öffentlich, dass das Verfolgen einer Ideologie ihnen wichtiger ist. Der Kern dieser Ideologie ist der Antikommunismus. Dies ist deshalb irritierend, weil die Partei Die Linke keine rein kommunistische oder sozialistische Partei ist und auch nicht sein kann. Sie repräsentiert jedoch fast ein Drittel der Thüringer Bevölkerung. Mit den beiden Wunsch-Bündnispartnern SPD und Die Grünen ist dies sogar fast die Hälfte der Thüringer, denen hier der Dialog verweigert wird. Denn in den letzten Jahren haben SPD und Die Grünen immer wieder deutlich gemacht, dass sie mit der Partei Die Linke und dezidiert nicht mit der CDU koalieren möchten.
Ich möchte jedoch noch auf einen anderen Zusammenhang hinweisen. Wie das Buch „Die linkssozialistische Regierung Frölich in Thüringen 1923“ von Josef Schwarz beschreibt, wurden 1923 in Sachsen und Thüringen die Regierungen von Sozialdemokraten und Kommunisten mit Militärgewalt abgesetzt. Auch damals war der Wählerwille weniger wichtig als die Kommandos der Herrschenden in Berlin. Schon damals warnte die Regierung in Thüringen vor der Gefahr des Faschismus, der sich abzeichnete und der im Gegensatz zu den Repräsentanten der sogenannten Linken nicht konsequent bekämpft und unterdrückt wurde. Wir haben also ein historisches Muster vorliegen, welches sich wiederholt. 1923 konferierte die Regierung Stresemann mit den Repräsentanten der Großindustrie und der durch die Revolution von 1918 enteigneten Aristokratie, die ihre vor 1918 relativ uneingeschränkte Macht wiederherstellen wollten, und man einigten sich auf diese rigide und kompromisslose Linie der Absetzung zweier gewählten Regierungen.
Auch heute sehen wir uns mit einer immer offensichtlicheren Herrschaft der Finanz- und Großindustrie konfrontiert, die die Tendenz hat, ihre Macht ausweiten zu wollen. Damit einhergehend werden wir mit Ideologien konfrontiert, die ich eigentlich in der Mottenkiste wähnte. So ist zum Beispiel die Rote-Socken-Kampagne wahrscheinlich mehr als fünfzig Jahre alt, und mit der Hetze gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und Einwanderung gewann die CDU vor zwanzig Jahren in Hessen die Wahlen. So wurde die Einbürgerung von Hunderttausenden von seit teilweise Generationen unter uns lebenden ausländischen Mitbürgern erfolgreich verhindert, was unser Staatswesen bis heute destabilisiert.
Eine zweite Erinnerung gibt mir zu denken. Als in der zweiten Hälfte der 70er Jahre Christdemokraten und Kommunisten in Italien basierend auf dem Wählerwillen den „historischen Kompromiss“ umsetzen wollten, intervenierte die USA. In ihrem Buch „Terrorjahre – Die dunkle Seite der CIA in
Italien“ beschreibt Regine Igel, wie die Geheimdienste Italiens unter Anleitung der CIA von dem rechtskonservativen Flügel der Christdemokraten umorganisiert wurden und wie parallel dazu ein verdeckter politischer Kampf gegen die Beteiligung der Kommunisten an der Regierung geführt wurde, der in der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Repräsentanten des historischen Kompromisses, Aldo Moro, endete. „Just am Tag der Entführung stand im Parlament eine Abstimmung über das Regierungsprogramm an, das zum ersten Mal auch von den Kommunisten gestützt werden sollte und als eine Vorstufe für die Realisierung des ‚historischen Kompromisses‘ galt. Mit Aldo Moro und Enrico Berlinguer hatte eine große Mehrheit der Italiener die Hoffnung verbunden, der sozialen und politischen Übel im Lande endlich Herr zu werden.“ (S. 166)
Nach dem Fall der Mauer dachten die meisten Bürger aus West und Ost, nun gemeinsam und im gegenseitigen Respekt eine Gesellschaft von Frieden und Völkerverständigung aufbauen zu können. Nun haben wir in Thüringen die Chance, genau dies zu tun und gemeinsam und solidarisch Sachpolitik zu betreiben und vorbildlich zu zeigen, dass die gewählten Repräsentanten nur ihrem Gewissen verantwortlich sind und sein dürfen. In diesen Dialog schließe ich ausdrücklich auch die AfD mit ein. Nun hoffe ich sehr, dass der Mut bei den Betroffenen siegt und sie die Zeichen der Zeit erkennen.