Das Ende der Kompromisse

Wirkliche Klima- und Umweltpolitik muss radikal Prioritäten setzen und hat nichts mit einer Kohlendioxidsteuer zu tun.
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Der Klimawandel ist ein existenzielles Menschheitsproblem. Er kann deshalb nicht mit den gleichen politischen Instrumenten gelöst werden, die bei Alltagsproblemen vielleicht ausreichen. Also auch nicht durch Kompromisse zwischen unterschiedlichen Bedürfnissen, wenn einige davon illegitim und schädlich sind. Weder die Grundsätze der Wirtschafts- noch der Sozialverträglichkeit sollten die Politiker in ihrem Handeln maßgeblich beeinflussen. Auf das Schicksal der Geringverdiener muss bei der Konzeption der Öko-Wende Rücksicht genommen, mit der Profitlogik der Konzerne hingegen radikal gebrochen werden. Dabei ist eine höhere CO2-Besteuerung nur eine Scheinlösung. Wichtig wäre eine drastische Reduktion des Angebots fossiler Energieträger.

Nun liegt das Klimaschutzpaket der Bundesregierung vor. Nach der Zustimmung des Bundestages dürfte es auch den Bundesrat — bestenfalls mit kosmetischen Änderungen versehen — passieren. Wie zu erwarten war, wurde in diesem Klimaschutzgesetz ein Sammelsurium von teils unzusammenhängenden Einzelmaßnahmen um den Fokus einer CO2-Steuer von 10 Euro pro Tonne CO2 zusammengeschnürt. Unter Klimaschutzexperten und in einem Teil der Medien besteht Konsens darüber, dass mit diesem Gesetz eine wirkungsvolle Senkung von Emissionen kaum erreicht werden kann. Die überwiegende Mehrheit der Kritiker sieht das Problem in der geringen Höhe der CO2-Steuer.

Die Grünen haben auf ihrem Bielefelder Parteitag Mitte November 2019 beschlossen, einen Preis von 40 Euro pro Tonne CO2 einzuführen. Die Schülerbewegung Fridays for Future hält auch diesen Preis für viel zu niedrig und schlägt, in Anlehnung an das Bundesumweltamt, einen Preis von 180 Euro pro Tonne CO2 vor. Bei genauerem Hinsehen unterliegen alle drei Vorschläge meines Erachtens fundamentalen Irrtümern mit weitreichenden Konsequenzen.

Kompromiss zu einem existentiellen Menschheitsproblem?

Die Bundesregierung versucht, ihr schwaches Klimaschutzgesetz nach dem Motto Politik sei die Kunst, das Machbare möglich zu machen, zu rechtfertigen. Bei politischen Entscheidungen zu Alltagsproblemen, vor allen Dingen bei Verteilungsfragen wie der Regelung von Mindestlohn, Grundrente, Vermögenssteuern et cetera, mag dieses Prinzip auch richtig sein. Denn jede Verteilungsfrage erzeugt Gewinner und Verlierer, die sich zu Wort melden und versuchen, auf ein Ergebnis zu ihren eigenen Gunsten hinzuwirken.

Der dabei erzielte Kompromiss resultiert letztlich aus den Kräfteverhältnissen der betroffenen gesellschaftlichen Gruppen.

Der Klimawandel ist jedoch kein Verteilungsproblem, sondern ein existenzielles Menschheitsproblem, das sämtliche Gruppen gleichermaßen tangiert. Die Gleichsetzung des Politikverfahrens zur Verhinderung der Klimakatastrophe mit dem Verfahren zur Lösung von Alltagproblemen ist der erste Irrtum, dem die Bundesregierung unterliegt.

Der Klimaschutz kann wegen seiner existenziellen Bedeutung nicht durch einen Kompromiss zwischen Parteien, zwischen Unternehmern und Gewerkschaften koordiniert werden. Vielmehr muss er auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse politisch entschieden und eingeleitet werden. Wenn eine Klimakatastrophe vermieden werden soll, dann müsste — menschliche Vernunft vorausgesetzt — zuallererst der wirkungsvollste Weg, und zunächst auch ohne Rücksicht auf die Kostenfrage, bestimmt und umgesetzt werden.

Im Kern geht es dabei also um nichts weniger als um den schnellstmöglichen weltweiten Ausstieg aus dem fossilen Pfad. Gemeint ist somit nicht ein bisschen Ausstieg, sondern der vollständige Ausstieg. Über den Zeitraum, in dem der Ausstieg stattfinden muss, dürfen Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen streiten und sich beispielsweise auf einen Zeitkorridor einigen. Der Ausstieg selbst dürfte jedoch nicht verhandelbar sein.

Vermengung von Klimaschutzwirksamkeit mit Sozial- und Wirtschaftsverträglichkeit ist eine Falle

Keine Frage: eine wirksame Klimaschutzpolitik beziehungsweise der konsequente Ausstieg aus dem fossilen Pfad ist ohne einen grundlegenden Strukturwandel unvorstellbar. Dieser stellt alle Staaten und die Weltgemeinschaft als Ganze vor neue soziale und ökonomische Herausforderungen. Es ist selbstverständlich, dass ein Ausstieg aus der Braunkohle in Deutschland — und in jedem anderen Land auch — nicht zu Massenarbeitslosigkeit, zu Sozialabbau und zum Ruin ganzer Regionen führen darf.

Selbstverständlich ist auch, dass die bevorstehende gewaltige Herausforderung keine ökonomischen Krisen heraufbeschwören und auch möglichst keine Wohlstandsverluste, vor allem für die unteren Bevölkerungsschichten, zur Folge haben dürfte. Die Vermengung dieser Ziele, die sich in den Begriffen von sozial gerechtem oder wirtschaftlich verträglichem Klimaschutz widerspiegeln, stellt meines Erachtens eine Falle dar und ist der zweite Irrtum der Bundesregierung und eines Teils der Klimaschutzbewegung. Dies, weil dadurch allen interessengeleiteten Bremsern Tür und Tor geöffnet wird, unter dem Deckmantel hehrer Ziele einen konsequenten Ausstieg aus dem fossilen Sektor zu blockieren oder ihn zumindest hinauszuschieben.

Das dem Klimaschutzpaket der Bundesregierung zugrundeliegende Politikkonzept, sich zur Geisel eines Kompromisses als einzig möglicher Handlungsmaxime zu machen, sorgt für den Rest. Die Vermengung von Sachverhalten, die unterschiedliche Lösungsstrategien erfordern, suggeriert zudem, es gäbe tatsächlich ein Instrument, mit dem man die Ziele Klimaschutzwirksamkeit sowie Sozial- und Wirtschaftsverträglichkeit gleichzeitig verwirklichen könnte.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Ziel des sukzessiven Ausstiegs aus dem fossilen Pfad jedoch um eine eher technisch konzipierte Handlungsebene, während Sozial- und Wirtschaftsverträglichkeit Ziele sind, die flankierend dazu in allererster Linie auf der Handlungsebene der Verteilung von Wertschöpfung, beispielsweise durch Subventionen, Steuernachlässe et cetera, entschieden werden müssen. Für den Ausstieg aus fossilen Energieträgern bedarf es auf nationaler und internationaler Ebene eines Masterplans, in dem auf der Basis des jeweiligen CO2-Ausstoßes und der geographischen Lage der Vorkommen eine Rangliste für effiziente Ausstiegsschritte erstellt wird. Aufgrund der vergleichsweise höheren CO2-Emission bei der Verbrennung müsste der Ausstieg aus der Braunkohle rascher stattfinden. Und hinsichtlich geographischer Standorte, vor allem ökologisch sensibler Regionen, erfordert der Ausstieg eine weitere Prioritätensetzung.

Die Politik müsste also für den konsequenten Ausstieg aus der fossilen Energie erst einmal — und zwar kompromisslos — einen solchen wissenschaftsbasierten Masterplan erstellen. Die Entscheidung darüber, wie die Umsetzung eines solchen Masterplans sozialverträglich und ökonomisch krisenfest umgesetzt werden kann, wird Gegenstand des politischen Aushandelns sein. Dabei muss dann selbstverständlich ein gesellschaftlicher Konsens durch Kompromisse, allerdings nicht um das Ob, sondern ausschließlich um das Wie des Masterplans, hergestellt werden. Erst durch eine methodisch saubere Trennung der Handlungsebenen wird es also möglich sein, Mogelpackungen wie das Klimaschutzpaket der Bundesregierung zu unterbinden.

Marktinstrumente können nur innerhalb eines politisch vorgegebenen Rahmens ihre produktive Wirkung entfalten

Der dritte und entscheidende Fehler, dem beinahe alle den Klimaschutz unterstützenden Parteien und Bewegungen unterliegen, ist die Illusion, dass die Märkte die Transformation von der fossilen zur erneuerbaren Energieversorgung koordinieren können — man müsse dafür lediglich den richtigen Preis für die klimaschädlichen Gase politisch festlegen. Nicht nur die Koalitionsparteien in der Bundesregierung und die FDP als die ohnehin marktradikale Partei, sondern auch die Grünen favorisieren eine CO2-Bepreisung als das Hauptinstrument der von ihnen angestrebten Klimaschutzstrategie. Der Unterschied unter diesen Parteien ist somit nicht struktureller Natur, er besteht lediglich in der Festlegung des „richtigen“ Preises. Einzig die Linkspartei hat sich mit Bezug auf das geeignete Instrument noch nicht festgelegt.

Marktradikale haben es offensichtlich bisher sehr erfolgreich geschafft, der Öffentlichkeit einzureden, Märkte könnten außer Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche sämtliche Weltprobleme mit Bravour und viel effizienter, unbürokratischer und auch kostengünstiger lösen.

Man müsse nur darauf verzichten, die Märkte politisch zu reglementieren und sie dadurch ihrer Wirkungskräfte zu berauben. Marktradikale schreiben damit im Grunde den Märkten gewissermaßen in einer Propagandisten-Überhöhung wundersame Kräfte zu. Jenseits einer solchen beinahe religiös anmutenden Erzählung sind Märkte jedoch weder alles optimierende und Wohlstand vermehrende Effizienzmaschinen, noch sind sie alles zerstörende Bulldozer.

In Wahrheit sind Märkte nichts anders als Medien, in denen ganz unterschiedliche Marktteilnehmer, Produzenten und Konsumenten, Staat und Gesellschaft, Reiche und Arme, Starke und Schwache, einander gegenüber stehen und ganz banal das Ziel verfolgen, ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen. Wären Märkte sich selbst überlassen, so würden Marktergebnisse allein durch die Macht der Starken bestimmt sowie durch das Beharrungsvermögen der Kräfte, die sich ihrem Wesen nach jeglichem Wandel zum Besseren mit allen Tricks zu widersetzen wissen.

So ließe sich auch das Geheimnis lüften, weshalb marktradikale Kräfte in Wirklichkeit die Parteigänger der Reichen und der Mächtigen sind, die ihre wahren Absichten trickreich hinter den vermeintlich wundersamen Kräften der Märkte zu verschleiern suchen. Klimaschutz den Marktkräften zu überlassen, käme dem Sachverhalt gleich, den Bock zum Gärtner zu machen. Warum das so ist, muss näher begründet werden.

Zwei wichtige Problemfelder werden von Protagonisten der CO2-Steuer ganz einfach übersehen:

Erstens: Die Bepreisung von klimaschädlichen Stoffen lenkt von dem eigentlichen Ziel, dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern, ab. Die zentrale Frage nach des Rätsels Lösung, wie hundertprozentig wirksame Schritte zum Ausstieg aussehen, verliert sich hinter der vermeintlichen Preislösung. Die Frage, warum man nicht den direkten Weg zum Ausstieg anstrebt, stellt sich offenbar überhaupt nicht, wenn der indirekte Weg über die Märkte und Marktpreise als einzig denkbare Alternative in den Vordergrund rückt.

Die CO2-Steuer ist ein End-of-Pipe-Instrument, von dem man schon entsprechend der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten wissen müsste, dass es das angestrebte Ziel der Verbrauchssenkung, wenn überhaupt, nur bruchstückhaft, jedoch niemals in vollem Umfang hervorbringen wird. Eine CO2-Steuer von 40 Euro pro Tonne, wie sie die Grünen vorschlagen, bedeutet lediglich eine Preissteigerung für den Liter Benzin von 9,5 Cent. Selbst die von der Fridays-for-Future-Bewegung geforderten 180 Euro pro Tonne CO2 würden nur zu einer Preiserhöhung von 42 Cent pro Liter Benzin führen.

Jeder Wirtschaftswissenschaftler, jede Wirtschaftswissenschaftlerin weiß aber, dass die Preise auf Einkommensgruppen unterschiedliche Wirkungen auslösen. Reiche Konsumenten reagieren auf Preissteigerung für Treibstoffe elastisch und konsumieren wie bisher, ändern also in der Regel ihr Konsumverhalten nicht. Sie fahren weiter SUVs und fliegen durch die Welt. Die 9,5 oder gar 42 Cent pro Liter Benzin und die geringfügige Verteuerung der Flugpreise würden sie ohne mit der Wimper zu zucken spielend in Kauf nehmen.

Im Unterschied dazu reagieren die unteren Einkommensgruppen auf die Steigerung der Treibstoffpreise unelastisch und haben keine andere Wahl, als ihren Treibstoffkonsum unmittelbar zu senken oder — wenn dies beispielsweise für Pendler gar nicht möglich ist — auf den Konsum anderer Produkte zu verzichten, also Wohlstandsverluste hinzunehmen (1). Der im Klimaschutzgesetz der Bundesregierung eingebaute Überprüfungsmechanismus, bei Nichterreichen der Ziele nachjustieren zu wollen, behebt das Grundproblem des Preisinstrumentes in keiner Weise.

Welchen anderen Sinn hat also dieser Umweg — am direkten Weg des Ausstiegs aus den fossilen Energien vorbei —, als Verwirrung zu schaffen und die wirklich wirksamen ordnungspolitischen Strategien unsichtbar werden zu lassen? Glücklicherweise schaffen es einige kluge Politiker, den Trick zu durchschauen und aus dem manipulativ herbeigeführten Konsens der Marktradikalen auszubrechen. So beispielsweise Klaus Töpfer, ehemaliger Umweltminister unter der Regierung Kohl, der in der Talkshow von Markus Lanz vom 22. Oktober 2019 die CO2-Steuer als Lösung des Klimaproblems radikal in Frage stellte. In Anlehnung an eine von Albert Einstein aufgestellte Regel, man könne doch ein Problem nicht dadurch lösen, dass man dafür Instrumente schafft, die das Problem überhaupt verursacht haben, präzisierte Töpfer:

„Wir machen jetzt marktwirtschaftliche Instrumente für das, was die Marktwirtschaft geschaffen hat“.

Zweitens: Die nationale, aber auch internationale CO2-Besteuerung entspringt einer selektiven Sicht auf die komplexe Wirklichkeit. Man steckt den Kopf in den Sand und tut so, als würden die globalen Produzenten von Öl, Gas und Kohle die Folgen der für sie existenziellen Entscheidungen westlicher Industriestaaten zur Verbrauchssenkung brav und ohne Gegenmaßnahmen hinnehmen. Eine solche, im Grunde neokolonialistische Sicht unterschlägt schlicht folgende Tatsache: Die Öl produzierenden Staaten aus dem Süden, deren Existenz von den Öleinnahmen abhängt, schauen nicht tatenlos zu, wenn die Energie konsumierenden Staaten ihnen eine wichtige Finanzierungsquelle rauben würden.

Wenn als Folge einer CO2-Bepreisung der Verbrauch tatsächlich sinken sollte, muss vielmehr damit gerechnet werden, dass die Weltmarktproduzenten von Öl, Erdgas und Kohle im globalen Süden, wie übrigens auch im globalen Norden, grundsätzlich mit Überproduktion und Preissenkung auf dem Weltmarkt reagieren und den Schadstoffsenkungseffekt wieder wettmachen können. Niemand kann die Anbieter fossiler Energieträger daran hindern, ihre sinkenden Einnahmen durch Produktionssteigerung zu kompensieren. Ein solcher Rebound Effekt, den CO2-Steuern mit Sicherheit auslösen würden, wird in der gegenwärtigen Klimaschutzdebatte systematisch ausgeblendet (2).

Damit steht fest, dass ein erfolgversprechender Klimaschutz nicht gegen, sondern nur mit den globalen fossilen Anbietern zu erreichen ist. Fest steht auch, dass nationale Klimaschutzstrategien so konzipiert werden müssten, als wären sie ein Baustein einer globalen Gesamtstrategie.

Nicht Marktgesetze, sondern Ordnungspolitik hilft dem Klimaschutz. Achtstundentag und Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als historische Beispiele

Zu keinem Zeitpunkt haben ungezügelte Marktkräfte in der Weltgeschichte einen fortschrittlichen Strukturwandel, sondern vielmehr menschliches Leid und Elend hervorgerufen. Die Lage der Arbeiter im 18. und 19. Jahrhundert ist der beste historische Beleg für diese These. Die naturwüchsige Migration der Landbevölkerung in die Städte im europäischen Industrialisierungsprozess führte bekanntlich zu dauerhaft expandierenden Arbeitskraftüberschüssen, sinkenden Löhnen und steigender Arbeitszeit. 16-Stunden-Tag, Frauen- und Kinderarbeit auch in den sich rasant vermehrenden Kohlebergwerken waren keine Seltenheit. Steigende Sterblichkeitsraten und sinkendes Lebensalter, insgesamt die Verelendung eines großen Teils der Bevölkerung waren Resultate ungezügelter Marktkräfte in allen entstehenden Industriestaaten. Statt die Effizienz zu steigern und den Wohlstand anzuheben, suchten die kapitalistischen Unternehmer ihre Profitraten durch den einfachen Weg der Lohnsenkung und auf dem Rücken der arbeitenden Menschen zu steigern.

Erst als der Achtstundentag erkämpft und am 1. Mai 1848 in Großbritannien eingeführt und allmählich in allen Industriestaaten zum Standard erhoben wurde, gewannen die arbeitenden Menschen ein Stück ihrer Menschenwürde zurück. Und nicht nur das: Erst seit Beginn dieses Zeitalters und nach der Einführung neuer gesetzlicher Rahmen für den Schutz der Arbeit, sprich der menschlichen Naturkraft, hat meines Erachtens auch die tatsächliche Ära einer flächendeckenden Innovation und Wohlstandsvermehrung im Kapitalismus begonnen.

Durch den neuen, politisch gesetzten Rahmen hat sich die Richtung der Konkurrenz und Bewegung der Marktkräfte von immer mehr Verelendung und Zerstörung der menschlichen Naturkraft hin zu Konkurrenz um mehr Innovation und im Ergebnis auch mehr Wohlstand geändert. Durch den Achtstundentag und folglich die Verteuerung der Arbeitskraft — letztlich also durch den Zwang, die Produktionskosten durch Produktivitätssteigerung senken zu müssen — hatte die Stunde eines innovativen und Wohlstand vermehrenden Kapitalismus geschlagen. Weitere Verbesserungen zum Schutz der menschlichen Arbeitskraft wie die Vierzigstunden- beziehungsweise Fünftagewoche, die Einführung von mehr Urlaubstagen, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall et cetera trugen ihrerseits dazu bei, dass dem Kapitalismus ein menschlicheres Antlitz übergestülpt wurde (3).

Wie wir aber wissen, ist die neue Ära des Kapitalismus dazu übergegangen, den von der Arbeiterbewegung erkämpften höheren Standard für den Schutz der menschlichen Naturkraft durch die Zerstörung der Umwelt und insgesamt der Naturkräfte wieder zu substituieren, die Externalisierung der sozialen Kosten also nunmehr durch eine Externalisierung der Umweltkosten zu ersetzen beziehungsweise zu erweitern.

Der massive Ausbau der Produktion zunächst von Kohle, dann von Erdöl und Erdgas und schließlich der Erzeugung von fossilen Energieträgern durch die Fracking-Technologie sowie letztlich der menschengemachte Klimawandel insgesamt gehören allesamt zur neuen, auf Umweltzerstörung basierenden Ära des Kapitalismus — des Kapitalismus im Westen und des Staatskapitalismus im Osten. Daher stehen wir heute an einer neuen Schwelle, mit Hilfe von wirksamen, mit dem Achtstundentag vergleichbaren ordnungspolitischen Instrumenten und Regularien erneut die Richtung der Marktkräfte für den Schutz der Umwelt und des Klimas zu verändern.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das erstmalig in Deutschland entwickelt und seit April 2000 in Kraft getreten ist, ist im Lichte dieser historischen Betrachtung der erste wichtige Schritt in Richtung eines strukturellen Wandels hin zum Klimaschutz durch gezielte Lenkung der Marktkräfte zu einer Energiewende. Durch dieses Gesetz wurden einerseits die Betreiber verpflichtet, ihre Stromnetze den Erzeugern von Solar- und Windkraftstrom zur Einspeisung von erneuerbarem Strom bereitzustellen, den Strom zu einem Rentabilität sichernden Preis zu vergüten und die Differenz durch Umlage (EEG-Umlage) auf den Verbraucherpreis zu finanzieren.

Mitnichten wurde also die Energiewende durch die als Jahrhundertprojekt aufgebauschte ökologische Steuerreform, sondern nachweislich durch das EEG, das den Marktkräften die Neuorientierung verordnet hat, eingeleitet. Jetzt ist ein gesamtgesellschaftlicher, im Grunde gar ein globaler Ordnungsrahmen gefragt, der wie eine Stellschraube die Neuausrichtung der Marktkräfte für den sukzessiv flächendeckenden Ausstieg aus dem fossilen Energiepfad reguliert.

Gesetz zum Ausstieg aus fossiler Energieversorgung

Wenn zur Vermeidung einer Klimakatastrophe ein Ausstieg aus dem System fossiler Energieversorgung unabdingbar geworden ist — und daran scheint niemand mit Ausnahme der AfD einen Zweifel zu hegen —, dann ist es doch für jeden mit Durchschnittsvernunft ausgestatteten Menschen plausibel, weniger fossile Energieträgen auf die Märkte zu bringen, noch besser: überhaupt weniger von diesem Material zu produzieren. Klar sollte doch sein: Der direkte Weg der Verknappung des Angebots oder gar der Produktion von fossilen Energieträgern ist auf alle Fälle ein Weg, der unzweifelhaft wirksamer ist, als zunächst beliebige Mengen dieser Energieträger zu produzieren und auf die Märkte zu tragen, um sie dann mit beträchtlichem Aufwand wieder einzusammeln.

Auf eine solche ökonomisch ineffiziente und politisch schräge Idee können nur jene kommen, denen die simple Idee der direkten Verknappung entweder schlicht nicht in den Sinn gekommen ist — oder aber diejenigen, die im Grunde ihres Herzens den Ausstieg gar nicht wollen und glauben, durch eine sinnlose Debatte über Preisinstrumente wie CO2-Steuer oder Emissionshandel den Zeitpunkt für den Ausstieg hinausschieben zu können.

Unter Umweltökonomen ist es auch unstrittig, dass steigende Preise zu sinkendem Rohstoffverbrauch führen können, aber nicht müssen, wogegen die Senkung der Produktion zielgenau zur Verbrauchssenkung führt. Es ist schon merkwürdig, dass die Klimaschutz befürwortende Fachwelt, die Umweltschutzorganisationen und die Grünen bisher allesamt diesen plausiblen wie einfachen Regelsatz im Kontext mit dem Klimaschutz einfach ausgeblendet haben und — vermutlich unter dem Einfluss der neoliberalen Marktideologie — beharrlich die Preisinstrumente favorisieren.

In der Tat werden die großen Konzerne so lange auch bei dem fossilen Pfad bleiben, wie es ihnen möglich ist, hinreichend Kohle, Erdöl und Erdgas auf den Märkten frei erwerben zu können. Die ökonomische Rationalität im Kapitalismus zwingt die Konzerne sogar, selbst die steigenden Preise für fossile Energien in Kauf zu nehmen, anstatt gewaltige Investitionen für den Ausstieg zu tätigen. Warum sollten diese auch hohe Investitionen auf sich nehmen, wenn sie dies nicht müssen. Die Konkurrenz verstärkt, bei genügend verfügbaren konventionellen Energieträgern, sogar das Festhalten an alten Technologien. Denn jeder fürchtet Wettbewerbsnachteile, wenn er früher als die anderen Investitionskosten für neue Technologien tätigt.

Auf den nationalen und internationalen Märkten dürfte auch weiterhin eher ein Überfluss an fossilen Rohstoffen vorliegen, weil auch die Anbieter fossiler Energieträger keine Notwendigkeit erkennen, freiwillig die Produktion zu drosseln. Ganz im Gegenteil muss damit gerechnet werden, dass — wie oben erwähnt — die Produzenten, unter dem Druck sinkender Einnahmen, ihre Produktion steigern, sodass der Überfluss an fossilen Energieträgern auf den Weltmärkten aller Wahrscheinlichkeit nach zunehmen dürfte. Neuere Studien belegen in der Tat, dass die multinationalen Ölkonzerne munter die fossile Energieproduktion ausweiten und dafür in den nächsten Jahren über 50 Milliarden Dollar investieren wollen (4). So gesehen nehmen diese Konzerne die CO2-Steuern als Klimaschutzmaßnahme überhaupt nicht ernst.

Solange also die Politik zulässt, dass Energiekonzerne so viel Kohle, Erdöl und Erdgas auf die Märkte bringen, wie sie dadurch weiterhin Profite erzielen, solange würde für Stahl- und Zementproduzenten auch keine, ja überhaupt keine Veranlassung bestehen, freiwillig auf die zunächst kostspieligen erneuerbaren Energien umzusteigen.

Die Politik könnte durch diverse Subventionen, Anreizsysteme und unkoordinierte Regularien — wie dies durch das Klimaschutzpaket der Bundesregierung der Fall ist — zwar aktionistisch an vielen Einzelschrauben drehen und dadurch auch geringfüge Erfolge vorweisen. Ein solches Verfahren ist jedoch nicht nur sehr kostspielig und zeitraubend, es ersetzt auch niemals einen Masterplan, eine gesamtwirtschaftlich einzurichtende Stellschraube, die eine zusammenführende Kettenreaktion zum Ausstieg auslösen könnte.

Erst wenn allen Unternehmen und Marktteilnehmern auf der Anbieter- wie auf der Nachfrageseite ein neuer ordnungspolitischer Rahmen vorgegeben wird, erst wenn die Politik von ihrer Kompetenz im Interesse des Gemeinwohls und des Klimaschutzes Gebrauch macht und dem zügellosen Angebot fossiler Energien einen Riegel vorschiebt, erst dann hätten die Unternehmen keine andere Alternative, als sehr ernsthaft und rasch in die Transformation zu investieren anstatt business as usual zu betreiben. Die Eindeutigkeit, dass das Angebot an fossilen Energien mit hundertprozentiger Sicherheit sukzessive schrumpfen wird, schafft sogar die notwendige Planungssicherheit und unter Wettbewerbsbedingungen auch die Gewissheit, dass alle Marktteilnehmer vor ein und dieselbe Alternative gestellt sind, der niemand entrinnen kann.

Ein glaubwürdiger Klimaschutz braucht insofern nach dem Teilerfolg des EEG ein Gesetz zum flächendeckenden Ausstieg aus den fossilen Energien. Ein solches Gesetz müsste die sukzessive Verknappung von Kohle, Erdöl und Erdgas in Deutschland systematisch koordinieren und wissenschaftsbasierte verbindliche Eckpunkte enthalten sowie sich an den wissenschaftlich ermittelten Klimaschutzzielen des UN-Weltklimarats (IPCC) und an den im Pariser Klimaschutzabkommen festgelegten Reduktionzielen orientieren.

Legte die Politik den notwendigen Rahmen für diesen konsequenten Ausstieg durch sukzessive Verknappung des Angebots fest, so würden zunächst die Energiepreise steigen und so könnte dann auch die von der FDP und anderen stets angemahnte Technologieoffenheit und der Wettbewerb unter Hunderten von technisch herangereiften Optionen in allen Sektoren, im Verkehr, im Bau und in der Industrie, mit aller Wucht zum Tragen kommen. Auf diese Weise würde die Angebotsverknappungsstrategie zu einer gesamtgesellschaftlichen Stellschraube mit dem wirkungsvollsten Lenkungseffekt.

Diese würde sämtliche Marktakteure im Privatsektor zwingen, selbst, und zwar ohne staatliche Anreize, an der Transformation hin zu erneuerbaren Energien flächendeckend mitzuwirken. Nur so entstünde auch eine für alle beteiligten Akteure erkennbare und verbindliche Gesamtstrategie aus einem Guss, die wie ein Magnet die Interessen — mögen sie noch so gegensätzlich sein — zusammenführte.

Die Verknappung von fossilen Energieträgern ist so gesehen historisch vergleichbar mit der Einführung der gesetzlich verknappten Arbeitszeit, dem Achtstundentag, im 19. Jahrhundert. Sie wird genauso wie damals eine neue Ära der technischen Innovation in Gang setzen und den verbindlichen Rahmen dafür bilden, damit die Marktkräfte ihre Wirkung umfassend und ergebnisoffen entfalten können. Dies wird nicht nur im Privatsektor, sondern auch im öffentlichen Sektor stattfinden. Beispielsweise werden die Kommunen dazu animiert, die kommunalen Verkehrssysteme auf der Basis von erneuerbaren Energietechnologien zu konzipieren. Ob am Ende des Tages sich elektrische oder wasserstoffbetriebene Mobilität durchsetzt, bestimmt nicht die Politik allein, sondern auch Effizienz und Kosten sind entscheidende Faktoren.

In diesem Kontext braucht die Politik keine Technologien vorzuschreiben, wie das gegenwärtig beispielsweise durch einseitige Subventionierung von Elektroautos beinahe flächendeckend geschieht, ohne dass bisher nachgewiesen ist, dass die E-Technologie die beste Lösung darstellt. Sämtliche bisher aktionistisch geschaffenen, unzusammenhängenden und sich teilweise gegenseitig neutralisierenden Einzelmaßnahmen wären dann überflüssig und könnten entfallen. Die sündhaft teuren, Hunderte von Milliarden verschlingenden Anreizsysteme und Subventionen wären dann überflüssig, ebenso wie die vielen Fachleute, die in zahlreichen Institutionen im Bund, in den Ländern und Kommunen — allein im Bundeswirtschaftsministerium sind es 287 auf vier Abteilungen und 34 Referate verteilte Beamte — Unmengen von Daten sammeln und ihre Energie mit der Konstruktion von komplizierten wie unsinnigen Fördermechanismen verplempern. Die Marktkräfte kämen so auch genau dort zum Zuge, wo sie für die Entwicklung und Durchsetzung der besten und ökonomisch auch sinnvollsten Technologien wirklich gebraucht werden.

Für Deutschland müsste das vorgeschlagene Energiegesetz meines Erachtens folgende Eckpunkte beinhalten:

  1. Das Angebot von sämtlichen fossilen Energieträgern — Erdöl, Erdgas und Kohle — wird von 866 in 2018 auf 563 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent bis zum Jahre 2030 gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen, also um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert.
  2. Die Reduktionsrate für die einzelnen fossilen Energien richtet sich nach dem jeweils spezifischen CO2-Ausstoßvolumen. Demnach muss das Angebot an Braunkohle, die einen vergleichsweise deutlich höheren CO2-Ausstoß als das Erdöl und einen noch höheren Ausstoß als das Erdgas produziert, entsprechend schneller reduziert werden als das Angebot von Öl; der Ölanteil müsste aus demselben Grund rascher sinken als der Anteil von Erdgas.
  3. Ein nationaler Klimaschutzrat, der aus Vertretern der betreffenden Ministerien, der Parteien und der Zivilgesellschaft zusammengesetzt wird, legt unter Berücksichtigung sozial- und regionalpolitischer Gesichtspunkte jährlich nach der unter Punkt 2 formulierten Regel den zulässigen Energiemengenmix und die jeweiligen Quoten fest, die in die Volkswirtschaft eingespeist werden dürfen.
  4. Eine eigens geschaffene Klimaschutz-Agentur reguliert — in Kooperation mit dem unter Punkt 3 beschriebenen Klimaschutzrat, zum Beispiel auf der Basis der durchschnittlichen Marktanteile der Produzenten und der Importeure in den letzten 10 Jahren — die Quoten für die Produktion beziehungsweise den Import von fossilen Energieträgern (5).

Mag sein, dass Marktradikale dieses Konzept als Ökodirigismus abqualifizieren. Damit stellen sie jedoch unter Beweis, dass es ihnen nicht um den Klimaschutz, sondern um die Verteidigung ihrer Ideologie geht.

Das ideologisch motivierte Spiel mit reinen Marktinstrumenten verschleiert eine Haltung, die praktisch auf ein Weiter so setzt. Tatsache ist jedoch, dass reine Marktinstrumente wie Emissionshandel und Ökosteuer bisher nur dazu beigetragen haben, kostbare Zeit zu verlieren, die der Klimaschutz aber längst nicht mehr hat. Jetzt muss mit marktradikalen Ideologien Schluss sein. Nur durch eine unzweifelhaft wirksame Regulierung kann auch der politische Wille dokumentiert werden, den menschengemachten Klimakollaps in allerletzter Minute doch noch zu verhindern.

Parallel zu dem hier dargestellten Gesetz zum Ausstieg aus dem fossilen Sektor müsste eine ähnliche Strategie für die Reduktion der in der Landwirtschaft durch Rinderzucht erzeugten Methangase, die eine vielfach höhere klimaschädliche Wirkung als CO2 haben, gesetzlich umgesetzt werden. Die Menschheit könnte den Klimaschutz auch als Chance betrachten, endlich auf die ökologische Landwirtschaft und nachhaltige Tierhaltung umzusteigen nach dem Motto Klasse statt Masse.

Sozialverträglicher Klimaschutz

Durch die zunächst notwendige Abkopplung des technologisch unerlässlichen Ausstiegs aus dem fossilen Energiesektor vom Ziel der Sozialverträglichkeit wird verhindert, dass die Klimaschutzwirksamkeit gegen die Sozialverträglichkeit — also die Klimaschutzbewegung gegen die Gewerkschaften — ausgespielt wird. Nachdem der Rahmen für die technologisch bestmöglichen Alternativen der Energiewende politisch gesetzt ist, müsste sich die Politik auf die sozialverträgliche und regional sinnvolle Gestaltung der Energiewende, also auf jene Aufgabenbereiche konzentrieren, die den Marktkräften nicht überlassen werden dürfen. Zu diesen staatlichen Aufgabenbereichen gehören:

  1. Ausgleichzahlungen an untere Einkommensgruppen und besonders energieintensive Sektoren, solange die Energiekosten als Folge des Strukturwandels im Übergangsstadium zum Zeitalter der erneuerbaren Energien steigen. Denn die Energiekosten dürften aller Wahrscheinlichkeit nach in der Übergangsphase den genannten Gruppen erhebliche Belastungen auferlegen. Hier müssten diese durch geeignete Ausgleichzahlungen entlastet werden. Diese Ausgleichszahlungen würden allerdings in dem Maße entfallen, wie die Energiekosten auf Grund der forcierten Innovation wieder zu sinken beginnen. Dies ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sowohl bei der Produktion von Solar- und Windkraftstrom, bei der Nutzung von Wasserstofftechnik wie auch beim verringerten Energieverbrauch durch Einsatz effizienterer Techniken zu erwarten. Die Erfahrung belegt, dass die Kosten für den Solar- und Windkraftstrom dank steiler Produktivitätssteigerung in der Vergangenheit drastisch gesunken sind. Betrugen beispielsweise die Herstellungskosten des Photovoltaik-Stroms 1977 über 76 Dollar pro Kilowattstunde, so sanken diese in den letzten beinahe 50 Jahren auf einen Preiskorridor, der heute um 5 bis 12 Cent pro Kilowattstunde beträgt. Hinzu kommt ein weiterer und bisher kaum beachteter kostensenkender Faktor bei der Nutzung von Sonnenenergie. Im Unterschied zu fossilen Energieträgern kann nämlich die unerschöpfliche Sonnenkraft, damit also die Rohstoffquelle der erneuerbaren Energien, nicht monopolisiert werden. Langfristig würden die durch monopolistisches Eigentum an den Energierohstoffen Kohle-, Erdöl und Erdgas entstandenen Grundrenten als ein beachtlicher Kostenfaktor der gegenwärtigen Energieversorgung gänzlich entfallen.

  2. Die Bereitstellung der Infrastruktur für die Umstellung der Verkehrssysteme von Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr in den Kommunen, den Ländern und im Bund, insbesondere im Ausbau von Bahnverbindungen zwischen Stadt und Land, gehört ebenso zu den Aufgaben des öffentlichen Sektors. Dies bedarf eines umfangreichen Investitionsprogramms, das beispielsweise durch die frei gewordene Subventionierung der fossilen Energien finanziert werden könnte. Ferner müsste die Bundesregierung die Forschungsförderung massiv auf Energieeffizienzsteigerung und erneuerbare Energietechnologien umstellen.
  3. Auch die ethischen Fragen, wie beispielsweis die Kinderarbeit und die Umweltfolgen etwa in Lateinamerika bei der Förderung von Lithium, Kobalt und anderen Rohstoffen für die Batterien der Elektroautos et cetera gehören zum Aufgabenbereich der Politik bei der Organisation der Energiewende. Anstelle von selektiven und kurzfristigen Entscheidungskriterien — Hauptsache schneller Ausbau der E-Mobilität — müssten Entscheidungskriterien zur Anwendung kommen, die ganzheitlich angelegt sind und sämtliche ökologischen und sozialen Folgen der Technikauswahl für den Ausstieg aus dem fossilen Sektor in Betracht ziehen.

EU- und weltweite Verknappungsstrategie

Diese radikale und meines Erachtens auch im Kern durchaus marktkonforme nationale Klimaschutzstrategie hilft zugegebenermaßen zuerst nur Deutschland, seiner Verpflichtung im Pariser Klimaabkommen nachzukommen, jedoch längst nicht dem Klima, das nur durch ein globales und radikales Handeln vor einer Katastrophe geschützt werden kann. Deshalb müsste dieselbe Klimastrategie der Verknappung des Angebots rasch EU-weit und selbstverständlich auch global umgesetzt werden. Dringend erforderlich wäre dazu die Einigung der Weltgemeinschaft auf einen Masterplan zur schrittweisen Reduktion der Produktion von Öl, Kohle und Gas gemäß den vom Weltklimarat ermittelten Treibhausgas-Reduktionsmengen.

Deutschland sollte mit der Umstellung auf die Verknappungspolitik beispielhaft vorangehen und dadurch der globalen Verknappungsstrategie den notwendigen Anstoß geben. Zu einem globalen Gesamtpaket für den Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung gehört zuallererst und umgehend die Einstellung der Nutzung von fossilen Vorräten in ökologisch sensiblen Regionen — in Regenwäldern, Lebensräumen indigener Völker, Offshoregebieten und Weltmeeren et cetera. Für die Regulierung der Verknappungsstrategie müssten dann circa 20 große Staaten, die Energierohstoffe fördern und exportieren und 100 weitere Global Player — Konzerne, die Kraftstoffe und Kohle vermarkten — in einen solchen Plan mit den erforderlichen Sanktionsmechanismen völkerrechtlich eingebunden und kontrolliert werden. Angesichts der überschaubaren Anzahl der handelnden Akteure kann mit einem vergleichsweise geringen Aufwand verhindert werden, dass der Plan unterlaufen werden kann.

Durch steigende Energiepreise als Folge von sinkendem Angebot von fossilen Energieträgern bei weiterhin wachsender Energiegesamtnachfrage werden gewissermaßen gleich zwei sich ergänzenden Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Erstens werden die Eigentümerstaaten und Produzenten fossiler Energieträger für ein klimaschutzkompatibles Verhalten belohnt und entschädigt (Win-Win-Situation). Diese würden im Übrigen auch dann genug Kapital in der Hand haben, um sich in der ihnen verbleibenden Restzeit auf die postfossile Ära umzustellen, die ohnehin unausweichlich sein wird.

Und zweitens würden klimafreundliche Energietechnologien auch global wettbewerbsfähig, sodass dadurch die ökonomischen Fundamente für eine globale Energiewende nachhaltig geschaffen würden. Sämtliche globalen Subventionen — nach einer IWF-Studie vom Oktober 2019 eine gigantische Summe von 5,3 Tausend Milliarden Dollar — könnten zur Unterstützung der Energiewende in den armen Staaten des Südens, die weder über Energieressourcen noch über das erforderliche Kapital verfügen, einfließen. Neue Technologien brauchen keine Subventionen mehr. Ab sofort entscheidet nicht mehr die Politik, welche Technologien für die Energieeinsparung und den Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien Sinn ergeben, sondern allein die Verbraucher und die Marktmechanismen.

Die zulässige Gesamtmenge an CO2 und anderen Gasen, die in die Atmosphäre geblasen werden darf, damit die Erderwärmung die 1,5-Grad-Grenze der Erderwärmung nicht überschreitet, müsste nach Energieart (Öl, Gas, Kohle) und Herkunft unter den Anbietern (Staaten beziehungsweise Konzernen) in einem globalen Plan aufgeteilt werden. Kurzum, das Pariser Klimaschutzabkommen müsste um einen völkerrechtlich belastbaren Vertragsabschnitt erweitert werden. Darin wäre allerdings auch die Entschädigung aller betroffenen Akteure klar zu regeln, damit eine globale Einigung im Konsens — Voraussetzung des Masterplans – überhaupt möglich wird.

Aus Gründen der Klimagerechtigkeit wäre auch ein globaler Fonds einzurichten, in den beispielsweise sowohl die überflüssig gewordenen Subventionen einfließen als auch entsprechende Mittel aus allen Industriestaaten nach Maßgabe ihres bisher insgesamt in die Atmosphäre geblasenen CO2-Anteils. Man bedenke, dass die unvermeidlich mit dieser Klimaschutzstrategie verbundenen Kosten den gigantischen klimaschädlichen Subventionen gegenüberstehen, die eingespart werden könnten. Man bedenke ferner, dass die Kosten einer sonst zu erwartenden Klimakatastrophe unermesslich sein dürften und den nachfolgenden Generationen als eine ethisch unverantwortliche und unvorstellbare Last aufgebürdet würden, die wir als vorausgehende Generationen ihnen zugemutet haben. Aus dieser Sicht wäre es nachvollziehbar, dass die hier vorgeschlagene fossile Verknappungsstrategie eine ökonomisch kostenneutrale oder gar gewinnbringende und zugleich auch eine sozial und ethisch gerechte Alternative ist.

 

Artikel übernommen mit freundlicher Genehmigung von Rubikon

Wirkliche Klima- und Umweltpolitik muss radikal Prioritäten setzen und hat nichts mit einer Kohlendioxidsteuer zu tun.