Frieden in Libyen?

Frieden in Libyen?
Bild: The Russian Presidential Press and Information Office (CC BY-SA 4.0) via  Wikimedia Commons | Bild wurde verändert
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Mit den Libyen-Konferenzen in Moskau und Berlin versuchte die UNO, den Schaden einzugrenzen, den sie 2011 mit der Zustimmung zu einem multilateralen Militäreinsatz in dem nordafrikanischen Land angerichtet hat. Nach der Einschätzung der algerischen Zeitung El Watan gab es dort nur „einen inneren Konflikt geringer Intensität“.1 Er wurde bekanntlich von Katar, Frankreich und Italien so angeheizt, dass schließlich auch mit einem Großeinsatz von Muammar el Gaddafis Armee gegen Aufständische in Benghazi zu rechnen war. Inzwischen ist die Stadt zum Ausgangspunkt der Wiedergeburt der Republik Libyen geworden. Denn von hier aus gelang es der unter Leitung Chelifa Haftars entstandenen Libyschen Nationalarmee (LNA) in vier Fünfteln des Landes wieder eine Art Ordnung zu etablieren.

Dass dies der von der UNO in Tripolis eingesetzten Regierung von Fajez as Sarradj nicht glückte, sollte als alarmierendes Zeichen der Schwäche der Weltorganisation verstanden werden. Entweder war sie nicht willens oder nicht fähig, Sarradj dabei zu unterstützen, die in zahlreiche Milizen zersplitterten Sieger über die Regierung Gaddafis zu einer einheitlichen Armee zu verschmelzen und das Alltagsleben der Bevölkerung wieder zu normalisieren. Stattdessen machten sich die  jeweils von verschiedenen auswärtigen Staaten unterstützten Milizen Einflusszonen streitig und erhoben Steuern und Schutzzölle nach eigenem Ermessen. In dem erdölreichen Land kommt es immer wieder zu Engpässen bei Benzin und sogar an den Bankautomaten, die den Bürgern, wenn überhaupt, nur sehr begrenzte Geldmittel zur Verfügung stellen. Weil einige Milizen Sarradj nicht anerkannten, musste er zeitweilig auf einem Schiff vor Tripolis residieren.

 

Milizen regieren auch über die Lager, in denen etwa eine Dreiviertelmillion afrikanischer Flüchtlinge unter unmenschlichen Bedingen festgehalten wird. Und Milizen stellen auch die Küstenwache, die an Flucht und Fluchtverhinderung gleichermaßen verdienen, weil die EU die Flüchtlingsrettungsmission ´Sophia` eingestellt hat. 

 

Haftar, ein dissidentischer General Gaddafis, der in die USA geflüchtet war und – wohl im Auftrag des CIA – 2011 zunächst Verteidigungsminister der von der UNO eingesetzten Regierung war, zerstritt sich auch mit dieser, weil er islamistische Milizen entwaffnen wollte. Er setzte sich in den Osten des Landes ab und baute dort die LNA auf. Ihr gelang es, zunächst vor allem mit Hilfe Ägyptens, in großen Teilen des Landes etliche von Katar, später auch von der Türkei unterstützten Milizen auszuschalten, die den Muslimbruderschaften nahestanden. Wenn sie bereit waren, eine Umerziehung in einer Militärakademie zu absolvieren, stand ihnen die Integration in die LNA offen. Haftar befreite auch den Süden des Landes von islamistischen Gruppen aus dem Tschad und versorgte die jahrelang darbenden Gebiete sofort mit Geldern aus der Filiale der Nationalbank in Benghazi. Seit April 2019 steht die LNA vor Tripolis. Und Oberbefehlshaber Haftar drohte, die Hauptstadt noch vor Jahresende 2019 einzunehmen.

 

In dieser Situation bekam Sarradj überraschend robuste Hilfe von der Türkei, die nach der Jahreswende verstärkt Waffen und auch Soldaten nach Tripolis schickte. Darunter sollen auch etliche Söldner sein, die vordem unter türkischem Befehl in Syrien kämpften. Als Gegenleistung unterzeichnete Sarradj einen Vertrag mit Erdogan, der die Seegrenze beider Staaten zwischen Zypern und Griechenland festschreiben wollte, um dort gemeinsam Erdöl zu fördern. 

 

Um die drohende Schlacht um Tripolis abzuwenden, bei der Millionen Menschen zu lebenden Schutzschildern geworden wären, musste die Weltgemeinschaft endlich reagieren.

 

Wieso die nicht gewählte, erfolglose und durch ihren Vertrag mit der Türkei gänzlich diskreditierte Regierung Sarradj von den deutschen Leitmedien immer noch als „international anerkannt“ bezeichnet wurde, bleibt ein Rätsel. Denn sogar die EU war in dieser Frage keineswegs einig. Griechenland und Zypern protestierten gegen den – aus osmanischer Zeit überlieferten und nun willkürlich von Erdogan und Sarradj wiederbelebten Grenzverlauf, der ihre heutigen Hoheitsgewässer missachtet. Frankreich, das seinen Fehler von 2011 offenbar erkannt hat und sich stabile Verhältnisse in Libyen wünscht, unterstützt Haftar seit Jahren auch militärisch. Italien, das mit Sarradj wichtige Verträge für Erdöl und auch hinsichtlich der Küstenwache abgeschlossen hat, unterstützt dessen Regierung.  

 

Im Vorfeld der Berliner Libyen-Konferenz war es immerhin gelungen, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Das Ziel, Sarradj und Haftar zwecks verbindlicher Einigungen mit an den Verhandlungstisch zu bringen, misslang sowohl in Moskau als auch in Berlin. Die Tagesthemen belegten in blitzlichtartig kurzen Ausschnitten, dass sich die beiden in getrennten Räumen im Beisein ihrer engsten Schutzpatrone über den Konferenzverlauf informierten: An Haftars Seite saß Emanuel Macron, neben Sarradj stand Tayipp Erdogan.

 

Aber immerhin haben die Staaten, die sich mehr oder weniger offen in Libyen eingemischt hatten, unter dem Dach der UNO Beschlüsse gefasst, die, – ihre Beherzigung vorausgesetzt – den Weg zur inneren Befriedung des Landes erleichtern können. Man gelobte, den seit dem 12. Januar herrschenden Waffenstillstand zu unterstützen und jeder äußeren Einflussnahme militärischer Art entgegenzutreten. Die ehemals zur Flüchtlingsrettung eingesetzte Mission ´Sophia` soll wieder aufgenommen und um die Kontrolle des Waffenembargos erweitert werden. Damit wäre den Milizen der Küstenwache ein wichtiger Geschäftszweig entzogen wie auch die Möglichkeit, sich mit militärischen Gütern zu versorgen. 

 

Allerdings befinden sich in Libyen nach wie vor so viele Waffen und ausländische Militärs, dass die derzeitige Ruhe sehr zerbrechlich ist. Dass angeblich 1000 russischen Söldner auf Haftars Seite Interessen der Russischen Föderation vertreten, ist nicht erwiesen. Unzweifelhaft aber befinden sich türkische Waffen und Militärs zur Unterstützung Sarradjs in Libyen. Um deren Abzug zu erzwingen, hat Haftar einen Tag vor der Berliner Konferenz die Terminals der unter seiner Kontrolle stehenden Erdölförderanlagen schließen lassen. Dadurch entsteht der – bislang von beiden Parteien gemeinsam verwalteten – Nationalen Erdölgesellschaft ein täglicher Schaden von 55 Millionen Dollar.

 

Unmittelbar nach dem Ende der Berliner Konferenz brachten etliche Kommentatoren – darunter auch Josep Borell, der Außenbeauftragte der EU – die Frage auf, ob die vernünftigen Beschlüsse ohne militärischen Druck überhaupt durchsetzbar seien? Dabei ging es offensichtlich noch einmal nicht um die Interessen der gebeutelten Libyer, sondern um die Verhinderung einer weiteren angeblichen Ausdehnung des russischen Einflusses. Deutschland dürfe sich – so auch Volker Schwenk vom SWF in den Tagesthemen und Christoph v. Marschall bei Anne Will – diesmal vor einer militärischen Option nicht wie 2011 „wegducken“. Außenminister Heiko Maas, der neuerdings auf die Wählermeinung der SPD stärker Rücksicht nehmen muss, erteilte solchem kriegsgeilem Vorpreschen eine Abfuhr. Und der UNO-Beauftragte für Libyen, Ghassan Salamé, betonte, dass die Afrikanische Union, die Mitunterzeichnerin der Berliner Beschlüsse ist, jeglicher Militärintervention von außen ablehnend gegenüberstünde. Auch die UNO plant noch keine Blauhelmeinsätze. Sie will stattdessen versuchen, Haftar und Sarradj an den Verhandlungstisch zu bringen.   

 


1Zine Cherfaoui: Crise libyenne: Les enjeux de la conférence de Berlin. In: El Watan v. 19. 1. 2020.

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