Chaos um und in Libyen

Sabine Kebir
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Dass die ein umfassendes Waffenembargo vorsehende Berliner Libyen-Konferenz vom Januar 2020 kaum geeignet war, den Konflikt in dem seit 2011 von einem Bürgerkrieg heimgesuchten nordafrikanischen Land zu deeskalieren, war vorhersehbar. Wer sollte die über Land- und Luftwege an Khalifa Haftas Nationalarmee gesandten Waffenlieferungen aus den Emiraten und Ägypten kontrollieren? Und würde die in Berlin geplante europäische Mittelmeermission Schiffe des NATO-Mitglieds Türkei inspizieren dürfen, die Waffen, Soldaten und Söldner für die Milizen der in Tripolis sitzenden Regierung Fayez Es-Sarrajs transportieren? Schließlich sind Kontrollen unter NATO-Partnern nur möglich, wenn sie einvernehmlich erfolgen.

Um so mehr verwundert, dass die ´Irini` genannte europäische Mission nun doch in See stechen soll, wofür der Bundestag 300 Soldaten genehmigt hat.

 

In Berlin waren die beiden rivalisierenden libyschen Parteien auch aufgefordert worden, zu Gesprächen zusammenzukommen. Solche unter Vermittlung Dritter erfolgte Treffen haben auch stattgefunden, aber zu einer Annäherung kam es nicht. Vielmehr konnte die durch robuste türkische Hilfe gestärkte Regierung in Tripolis eine militärische Offensive in Richtung Westen starten und mehrere größere Städte zurückerobern. Das wiederum veranlasste Haftar, auf die Empfehlungen der UNO einzugehen und mit Hinblick auf die Risiken der Covid 19-Pandemie für die Dauer des Ramadan einen Waffenstillstand vorzuschlagen. Es-Sarradj gab indes bekannt, dass er Haftar nicht vertraue und lehnte ab, seine Offensive zu stoppen. Haftar antwortete mit der Bombardierung einiger Vororte der Hauptstadt, die er seit einem Jahr belagert.

 

Diese Eskalation ist um so beunruhigender, weil während des Ramadan die Waffen an der Front von Idlib zwischen der syrischen Regierungsarmee und den Rebellen zum Schweigen gebracht wurden – was auf eine Vereinbarung zwischen der Türkei und Russland zurück geht. Wenn Ähnliches für Libyen nicht möglich war, ist das der Tatsache geschuldet, dass die Parteinahme der in den Konflikt verwickelten internationalen Kräfte weniger eindeutig sortierbar ist als im Falle Syriens.

 

Angeblich aus Gesundheitsgründen schmiss der für Libyen zuständige Sonderbeauftragte der UNO, Ghassem Salamé, Anfang März resigniert das Handtuch. Und sein durch 14 von 15 Ländern im Sicherheitsrat bereits akzeptierter Nachfolger, der algerische Diplomat Ramtane Lamamra, scheiterte am Veto der USA. Dazu muss man wissen, dass Algerien und Tunesien – trotz ihres Bekenntnisses zu einer innerlibyischen Verhandlungslösung – die Regierung in Tripolis bevorzugen, Donald Trump aber für Haftar optiert. Letzteres gilt auch für Frankreich, weshalb die Europäische Union in der Libyen-Frage als zerstritten gelten muss. Daran ändert auch eine kürzlich gemachte gemeinsame Erklärung  Deutschlands, Frankreichs und Italiens nichts, die die libyschen Konfliktparteien erneut zu einer Einigung aufrief.

 

Das Chaos in Libyen selbst und das Chaos in den internationalen Organisationen, einschließlich der NATO, macht deutlich, dass weder die Bürger des nordafrikanischen Landes, von denen 400 000 Binnenvertriebene sind, noch die 700 000 afrikanische Flüchtlinge, die auf eine Überfahrt nach Europa hoffen, auf eine baldige Änderung ihrer Lage hoffen können.

 

* Dieser Kommentar erschien unter dem Titel Diplomatie? Nur Schall und Rauch .In: Der  Freitag no. 19 v. 7. 5. 2020, S. 2.           

Sabine Kebir