Donald Trump schenkt Marokko die Westsahara

Trump schenkt Marokko die Westsahara
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Während es um Israels Besatzungspolitik und Annektionspläne stets weltweite Auseinandersetzungen in den Medien und den politischen Institutionen gegeben hat, spielte sich seit Jahrzehnten fast geräuschlos ganz Ähnliches an der Westküste Afrikas ab.

Nachdem im Mai 1973 in der der Westsahara, der letzten, unter spanischer Kontrolle stehenden Kolonie des Kontinents, ein bewaffneter Unabhängigkeitskampf entbrannt war, bestätigte die UNO am 4. Dezember 1973 mit ihrer Resolution 3162  das Selbstbestimmungsrecht des Volks der Sahrauis. Im August 1974 erklärte Spanien sich bereit, Anfang 1975 ein diesbezügliches Referendum zu organisieren.

 

Dem traten Marokko und Mauretanien entgegen, indem sie beim Internationalen Gerichtshof beantragten, die entkolonisierten Gebiete ihren Ländern anzugliedern. Am 16. Oktober 1975 bestätigte Den Haag jedoch das Selbstbestimmungsrecht der etwa eine halbe Million zählenden Sahrauis. Dies durchkreuzte der marokkanische König Hassan II mit einer pathetischen nationalistischen Aktion: er organisierte Anfang November einen Fußmarsch von 350 000 unbewaffneter Untertanen in die Westsahara. Daraufhin übergab Spanien die nördlichen Kasernen der marokkanischen und die südlichen der mauretanischen Armee.

 

Doch am 27. Februar proklamierte die Frente Polisario, die sahrauische Befreiungsarmee die Demokratische Republik Sahara. Sie fuhr fort, die beiden Besatzungsarmeen anzugreifen. Nachdem sogar eine Attacke auf Mauretaniens Hauptstadt Nuakschott stattgefunden hatte, kam es zum Friedensschluss mit dem südlichen Nachbarn, der sich aus der Westsahara zurückzog. Marokko annektierte nun schrittweise den Großteil des Territoriums, begann die reichen Phosphatvorkommen auszubeuten, betrieb eine äußerst aktive Siedlungspolitik, nutzte die neu gewonnen Gebiete landwirtschaftlich und befischte die saharischen Atlantikgewässer. Die Polisario kontrollierte nur den Osten des Gebiets und einen schmalen, bis zum Atlantik reichenden Streifen nördlich von Mauretanien. Algerien, das die Unabhängigkeit der Westsahara unterstützt, gewährte der Polisario ein militärisches Rückzugsgebiet, in dem auch etwa hunderttausend Sahrauis leben.

 

Da nicht nur die Afrikanische Union, sondern auch zahlreiche andere Länder die Republik Westsahara anerkannten, haben weder die UNO noch der Europäische Gerichtshof je ihre Entscheidungen aus den siebziger Jahren zurückgenommen. Die UNO rief 1991 die Mission Minurso ins Leben, die ein Referendum über den endgültigen Status des umstrittenen Gebiets organisieren sollte. Deshalb war die Polisario damals bereit, einen Waffenstillstand mit Marokko zu schließen. Jedoch gelang es nie, das Referendum durchzuführen: Marokko bestand darauf, dass seine in die Westsahara eingewanderten Bürger mit abstimmen sollten, während die Polisario forderte, dass nur die vor 1975 dort lebenden Menschen entscheiden dürften.

 

Marokko konnte – noch weniger behelligt als Israel – eine völkerrechtswidrige Siedlungspolitik betreiben, weil es schon seit dem Zweiten Weltkrieg eine feste militärische Bastion der USA ist und auch von einem starken Land der Europäischen Union indirekt unterstützt wird: von Frankreich. Dennoch üben auch weltweit Nichtregierungsorganisationen, die die Unabhängigkeit der Westsahara unterstützen, so starken Druck aus, dass Brüssel immer wieder bekräftigt, keine Einfuhr von Agrarprodukten aus den annektierten Gebieten der Westsahara zu genehmigen. Und Altbundespräsident Horst Köhler, der 2017 leitender Sonderbeauftragter der UNO bei der Minurso wurde, hat immer wieder die Unveräußerlichkeit der Rechte des sahrauischen Volkes betont.

Aus heutiger Sicht ist es wohl kein Zufall, sondern Donald Trumps Zauberstab gewesen, dass Köhler nach seinem Rücktritt aus Gesundheitsgründen im Mai 2019 nicht durch einen neuen Sonderbeauftragen ersetzt wurde. Das hat die Polisario in Alarmbereitschaft versetzt und Marokko ermutigt, am 13. November 2020 zu versuchen, den bislang von der Polisario kontrollierten Streifen an der mauretanischen Grenze militärisch zu besetzen. Als Grund wurde die Sicherung der von Marokko quer durch die Westsahara gebauten Fernstraße angegeben, die wichtig für die innerafrikanischen Handelsbeziehungen des Königreichs ist. Angeblich hätten sahrauische Zivilisten versucht, die Straße zu blockieren.

 

Der sahrauische Außenminister Mohamed Salem Ould Salek erklärte den Waffenstillstand für beendet und rief tausende Freiwillige zum Widerstand auf. Tatsächlich kam es tagelang zu Gefechten zwischen Polisario und marokkanischem Militär. Laut der algerischen Zeitung El Watan hatte die marokkanische Armee afrikanische Flüchtlinge zur Verstärkung eigener Kräfte angeworben.

 

Ould Salek appellierte an die UNO, die Afrikanische Union, die EU und an die  Menschenrechtsorganisationen, das stets erneuerte Bekenntnis zur Selbstbestimmung der Westsahara endlich in die politische Realität umzusetzen. Eine Gruppe Abgeordneter des Bundestages aus CDU, SPD, Linken, Grünen und FDP hat denn auch am 21. November die Intervention Marokkos verurteilt, die Durchführung des Referendums angemahnt und sogar mit einem Handelsboykott gedroht.

 

Alles Schall und Rauch. Eine Twitternachricht Trumps genügte, um zu zeigen, wer auch in dieser Region das Sagen hat. Nachdem er Israel bereits mit symbolisch bedeutsamen diplomatischen Beziehungen zu den arabischen Emiraten, Bahrein und Sudan beschenkt hat, fügt er am Ende seiner Amtszeit nun auch Marokko hinzu. Dessen König wiederum wurde mit der offiziellen Anerkennung der Annektion der Westsahara durch die Vereinigten Staaten gratifiziert – ein Hinweis, dass die Annektionspläne Israels hinsichtlich der Westbank als nur aufgeschoben gelten. Trumps Zauberstab bewirkte noch weitere Wunder, die man sich nicht hätte träumen lassen: Jordanien und die Emirate kündeten an, in den annektierten Gebieten der Westsahara Konsulate zu errichten.    

Dass Trumps vergiftete Abschiedsgeschenke eine weitere gravierende Erosion des Völkerrechts bedeuten, wird von der Weltöffentlichkeit zwar registriert, aber mit sanftem Zähneknirschen hingenommen. 

 

* Dieser Artikel erschien, redaktionell bearbeitet unter dem Titel Vergifteter Nachlass in Der Freitag  no. 51 v. 17. 12. 2020, S. 9.             

 

           

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