Hoff contra Pellmann in Sex- & Atomkriegszeiten

...Weil Tages- und Geschäftsordnungen und ähnliche
rituelle Parteitags-Abläufe wie ein Korsett erstmal die Sinne in wohliger Gewohnheit
suhlen. Wenn also DIE LINKE Ende Juni ihren Vorstand neu wählt, wird sich in der Halle
alles so anfühlen wie immer: die Einlasskontrolle, die imposant ausgeschmückte
Bühne, die Fernseh-Kameras. Unter denen dann blaugelbe Spendendosen herumgehn
werden. Sicher geben dann einige Delegierte demonstrative 50-Euro-Scheine hinein.
Aber andere grollend nur 50 Cent. Letztere werden sich in ihr Schicksal fügen, wie
beim letzten Bundesparteitag, wo ihnen der Chef des Parteiapparats, Jörg Schindler,
"die zwei tollen Frauen" Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler als Vorsitzende
aufgedrückt hatte und in den Auszählungspausen lauwarmes Anti-Sahra-Kalauer-
Kabarett. Der viele Drill, das viele In-Sich-Hineingrollen, der viele müd inszenierte
Parteitagsapplaus - all das dürfte sich nun rächen.
Seit der Dresdner Parteitagsrede des glücklosen Parteivorsitzenden Riexinger 2013 für
den Euro, für die EU sowie für das Gelddrucken der EZB, womit er Oskar Lafontaine
über den Mund gefahren und der AfD ungewollt zu weiterem Alleinstellungsmerkmal
und Aufstieg verholfen hatte, war die Basis mindestens zehnmal zuoft auf die Partei-
und Staatsführung eingeschworen worden. Auf medienverordnete Regenbögen, auf
zivilgesellschaftlich inszeniertes Wellcome für sämtliche Refugees (inclusive Graue
Wölfe), für Gender-Sprachakrobatik, für Klima-Diktate und Spahn/Lauterbachs Corona-
Auflagen. Und nun, im Krieg um die Tränen, sollen sie Beileid heucheln für Selenski
und dessen Ukrainer - aber gegen die Russisch-Sprechenden. Die seit Jahren exiliert
und von Asow-NATO-Nazis mit Scharfschützen und Mörsern auf Wohnhäuser zu
Tausenden massakriert worden waren. Auch Frauen und Kinder!
Aber die "populären Anti-Imperialisten" sind parteiintern auf dem Rückzug, während
sie gerade - wenn auch in ungehobelterer Sprache - an Arbeitsplätzen und
Stammtischen immer mehr werden. Mein Maurer- und Skatkollege Werner K. sagte vor
drei Tagen: "Langsam habe ich bei der Ukraine das dumpfe Gefühl, daß das alles vom
Ami so eingefädelt wurde."
Und bei Millionen wächst die Sehnsucht nach einem parteipolitischen Neuanfang mit
engerem Fokus auf Reallohnsteigerungen, Abrüstung und mehr Sozialstaat: für jene
"schweigende" (d.h. zum Insich-Hineingrollen von Medien- und Demoskopie-
Manipulateuren vergewaltigte) Mehrheit. Die taucht ängstlich in alterhergebrachte
Ordnungen unter, von wo sie den Arsch nur hochkriegt mit starken Persönlichkeiten.
Atomisierte Sorge um die eigene Existenz lehnt sich auf der Strasse oder
parlamentarisch erst auf, wenn jemand mit mutmachender Ausstrahlung vorangeht.
Aber weil nun mal "Charisma" weder genetisches Mysterium noch schnell mixbare
Formel ist, sondern hart erarbeitet und erlitten sein will, klammern sich sogenannte
kleine Leute an Sahra Wagenknecht, die beliebteste Politikerin, Aufdeckerin
herrschender Lügen und klammheimliche Königin der Herzen.
Den organisierten Linken zeigen gerade die riesigen Erfolge des linken
Präsidentschaftskandidaten in Frankreich, was auch in Deutschland drin sein dürfte,
nämlich mehr als die 1,7% in Schleswig-Holstein. Wie Sahra Wagenknecht und Oskar
Lafontaine gehört Jean-Luc Melenchon zu jenen bedeutenden Menschen, von denen
Max Weber einst schrieb, man wisse bei denen zwar nie genau, was sie demnächst
täten, aber immer, was sie nie tun würden! Und dazu zählt nun gerademal jegliches Ja
zur NATO.

Die im Saarland, in Schleswig und bei der Bundestagswahl im letzten September so
vernichtend angezählt wurden, sind exakt die von Mainstream-Schreiber*innen
umspeichelten Identitären im Parteivorstand. Deren Stars und Gendersternchen
Kipping, Hennig-Wellsow, Riexinger und Jan van Aken liessen bereits 2018 in jeweils
kleinen Kreisen in Madrid und Hamburg unter sich gehen, ohne Sahra Wagenknecht
und Oskar Lafontaine würden die Prozentzahlen der Linken ungebremst nach oben
durch die Decke gehen. Quod demonstrandum erat bzw.error.
Die Identitären (vormals Antideutsche) bekamen für ihren Regierungskurs bei
Migration, pro coronadikatorischem Irrsinn, Gendern und "Grünerwerden als die
Grünen" die innerparteilichen Stellschrauben zu den geldbringenden Jobs von Jörg
Schindler justiert. Dieser weist zwar die vernichtendste Bilanz auf, die je ein deutscher
Wahlkampfführer hatte, ist aber der Meister des Apparats mit den 1000 Augen im Karl-
Liebknecht-Amt beim Delegierten-machen und -einbinden. Es war auch Schindler, der
die einstige Wirtschaftsministerin Prof. Dr. Christa Luft und den Ehrenvorsitzenden
Hans Modrow ungehört in die Wüste wies. Und der genüsslich das Partei-Ausschluss-
Verfahren gegen Parteigründer Oskar Lafontaine abgewartet hatte, bis dieser dann
vorher von selbst austrat.
Aber nun gehen Schindlers Apparat-Triumphe zur bitteren Neige. Die Inflation mit
mindestens 7% erfordert eine härtere Gangart gegen die EZB-Gelddrucker des
Monopolkapitals. Und die USA wollen Europa gerade in einen Atomkrieg treiben. Und
allein schon die 100 Milliarden mehr für die NATO überfordern den identitären
Kuschelkurs mit den Grünen.
Eigentlich hätten die Identitären längst ihrem Idol Susanne Hennig-Wellsow in den
Amtsverzicht folgen müssen, hätten ihnen nicht grünliche Medien gerade nochmal ein
Durchhalte-Notproviant geschnürt: den Sex-Skandal. Dieser aphrodisiert gerade
Hinterbänkler*:innen zu ihrem vermutlich allerletzten Aufbäumen. Bereits am 23.4. hat
Diether Dehm in Weltnetz.TV zum "Sexkrieg in der Friedenspartei" die rechtsstaatlich
offenen Fragen zur angeblichen Schuld von Wissler benannt. Die dann sogar zum Teil
vom Telekom-Newsletter am 7.Mai aufgegriffen wurden. Aber für die angetriggerten
Identitären in Medien und Partei ist eine Hetzjagd einfach zu geil, um Zweifeln Raum
zu gönnen. Wer will da schon Quer- oder Mehrdenker sein?
Ausgangspunkt war die Beschwerdenachricht vom Handy einer kurzerhand zur
Minderjährigen umgetauften jungen Frau von vor vier Jahren gegen einen
Hauptamtlichen in der hessischen Landtagsfraktion. Deren Chefin war damals Janine
Wissler - und die langjährige Geliebte des Beklagten. Zwar: nichts Genaues weiss man
nicht und der Staatsanwalt sah nicht mal einen Ermittlungsanlass. Aber die
#LinkeMeToo-Identitären dürfen dennoch wieder mal nach Herzenslust verdächtigen,
keifen und keilen. Stolz verkündete DER SPIEGEL: "Auslöser dafür war ein
Enthüllungsbericht des Spiegel vom 17.April“.
Auch Hennig-Wellsow trat in ihrem Rücktrittsschreiben aus und nach. Nicht mehr das
linke 4,9%-Desaster vom vergangenen September oder ihr schonender Umgang mit
der NATO, sondern der Umgang mit "sexualisierter Gewalt" musste ins Zentrum des
vorparteitäglichen Gemetzels. Womit endlich auch die Bundestagsfraktion ihr Fett
abbekommen sollte. Der einst für den Charme eines Sparkassenfilialleiters belächelte
Dietmar Bartsch musste nun als Oberhaupt einer Sex-Sekte herhalten, die
Vergewaltigern Zuflucht bot, Kinderschändern, flotten Dreiern, Pornosuchtabhängigen,
Voyeuren und Exibitsionist*:/innen. "Peep Peep Peep - Dietmar hat euch lieb" höhnte
es auf Twitter.
Eine Abgeordnete bejammerte jetzt in der Fraktion ihr Martyrium unter Bartsch bei der
Fraktionsklausur des Jahres 2017(!): 

ein Abgeordneter hatte ihr da höflich ein vom Tisch heruntergefallenes Schild aufgehoben und gescherzt, ihr dabei nicht unter den
Rock geschaut zu haben. Die Abgeordnete hatte vier Jahre lang schwer in ihrem
Herzen an dieser "sexualisierten Gewalt" getragen. Ehe es jetzt aus ihr heraus platzte.
Dieselbe Abgeordnete war dann zwei Jahre später zu einer Demo "Freiheit für Julian
Assenge" mit einem gepinselten Schild aufgetaucht, auf dem sie die Auslieferung von
Assange an Schweden gefordert hatte. In Schweden nämlich war der Whistleblower als
"Vergewaltiger" von Staatsorganen verfolgt worden, weil dort einvernehmlicher
Beischlaf, aber ohne Condom, als "Vergewaltigung" ausgelegt werden kann.
Wer im hessischen Sexgemetzel die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung (= im
Zweifel für den Beschuldigten) ins Feld führt, Dietmar Bartsch oder Janine Wissler vor
dem SPIEGEL in Schutz nimmt, wird der Beihilfe oder des Wegschauens oder als
Anhängsel „eines patriarchalen Grundgesetzes“ am virtuellen Pranger gecancelt.
Gegen so angegiftete Männer, wo sie Gerichte gegen Unhaltbares bemühen, wird
gerade das als Schuldbeweis ausgelegt; wie bei den Hexenprozessen im Mittelalter,
wo auch nur der Tod die Unschuld beweisen konnte. Eigentlich legte DER SPIEGEL
seinen Getreuen in der Linkspartei sogar die Forderung nahe, daß die Wissler ihren
Freund und Mitarbeiter damals sofort hätte kündigen müssen. Womit sich
Arbeitgeber:sternchen künftig das im Arbeitsrecht und bei Gewerkschaften nicht
vorgesehene Privileg rausnehmen können, das Liebesleben ihrer Arbeitnehmer*innen
in der Freizeit für Vorverurteilung und Entlassung ausspähen zu dürfen. Ergo: wo sich
diese Identitären, die meist nur fremder Leuts Leid fürs eigene Omnipotenz-Gefühl
kolonialisieren, mehr Deutungsmacht erobern, darf sich die Verfassung warm
anziehen.
Der IG-Metaller Klaus Ernst musste sich am 28.April zuerst nur wie ein einsamer
Zwischenrufer in der plenaren Wüste vorgekommen sein, als er (brilliant!) CDU-Chef
Merz anging, brandaktuell auch hierzulande einen Atomkrieg billigend in Kauf zu
nehmen. Prompt wurde der linke Parteigründer Ernst auf A-Sozial-Medien seiner
erotischen Verfehlungen "überführt". Auch ein jüngstes Porträt des Frieden-mit-
Russland-Kanzlers Willy Brandt im ZDF hatte dessen Liebesskandale ins Zentrum
gerückt. (Der alte Hippy-Spruch "Make Love - Not War" bekommt gerade einen recht
eigenwilligen Beigeschmack.)
Nun hat Sahra Wagenknecht einen zum Parteivorsitzenden empfohlen, dessen
Performance das reinste Drachenblut gegen Sexskandal und ähnlichen Schabernack
ausstrahlt: den Partei-Retter Sören Pellmann. Der kennt in Leipzig jedes Strassenschild
persönlich, hatte im August mit Sahra Wagenknecht in seinem Wahlkampf und zu aller
Welts Überraschung seinen Wahlkreis direkt gewonnen. Und damit für DIE LINKE den
Fraktionsstatus und viele Millionen Staat-Euros vor dem Untergang bewahrt.
Gegen ihn will nun anstelle der zurückgetretenen Hennig-Wellsow - aber in deren
ideologischen Fußstapfen - der Thüringer Staatskanzlei-Professor Benjamin Immanuel
Hof in den Ring. Der gerne Rosa Luxemburgs "Freiheit des Andersdenkenden" zitiert -
solange die Andersdenkenden endlich auch anders denken! Nämlich so wie er. Und
wie das geht, erklärte er gerade in schockierender Offenheit:
"Die osteuropäischen Länder wurden ja nicht in die NATO gezwungen, sondern auch
linke Parteien in Osteuropa wollen lieber in der NATO leben als unter der permanenten
Gefahr eines großrussischen Imperialismus."
Und als ob ein solcher Frontalangriff auf das Erfurter Parteiprogramm nicht alleine
schon ausreichen würde, um sich die Chancen auf dem Juni-Parteitag zu vermasseln,
sendete sein Mentor und Chef Bodo Ramelow am 8.Mai noch "schwere Waffen & EU-
Beitritt für die Ukraine" hinterher. Selenski mag ihm das danken. Für Hoff war das derTodesstoss.

So, wie die Verbotsverfügungen seiner Parteifreunde in der Berliner Regierungs"linken": 

gegen Sowjetsterne am 8.Mai und gegen ein Konzert der FriKo mit
Gina Pietsch am sowjetischen Ehrenmal. Damit der SS-Anbeter Andrij Melnyk (benannt
nach dem gleichnamigen Altnazi, der 1942 vom großdeutschen Führer schwere
Waffen gegen Russland gefordert hatte) am selben Ort seine Hetzrede ablassen
durfte. Was (wenigstens unter ein paar Zwischenrufen) geschah. Als dann am 9.5.
Pellmann und Hoff im MDR-TV gegeneinander diskutierten, war Hoff eher nur ein
wichtigtuerischer Wicht, den der Moderator sogar ermahnen musste, nicht mehr nur
fürs ukrainische, sondern auch mal fürs deutsche Publikum zu reden.
Trotz aller Emsigkeit des Parteiapparats im Schindlerschen Delegiertennetzwerk, des
SPIEGEL, der taz und affiner Nachrichtendienste wird Hoff somit chancenlos bleiben.
Zumal sein Habitus von jedem werktätigen Haushalt so abgehoben schillert, wie
Mondgestein. Also dürften die Identitären kurz vor dem Bundesparteitag dem
Wagenknecht-Flügel und Sören Pellmann den Rückzug ihres Gegenkandidaten Hoff
andienen, aber verpackt in einem vergifteten Deal: Sören Pellmann nämlich personell
einmauern zu dürfen mit einem Bundesgeschäftsführer und einem Schatzmeister ihrer
grünlich-identitären Wahl. Die Agonie der Linkspartei wäre damit reloaded. Wieder
würden DER SPIEGEL und dessen untergründige Spindoctors siegen und "die große
Hoffnung Wagenknecht" versiegen. Die wäre nämlich mit Pellmann wieder
„eingebunden“ - in die Trostlosigkeit. Aus der einst aufbegehrenden, von Lafontaine
und Bisky gegründeten Partei für soziale Gerechtigkeit und Abrüstung würde ein
waberndes Lauern auf handwerkliche Fehler der Ampel, die bitte, bitte aus 4,9%
vielleicht doch noch 5,1% machen könnten. Die leise grollenden
Bevölkerungsmehrheiten würden also weiter dem Nichtwählerbecken überlassen.
Oder der Rechten im Parlament, wo es hinter den Kulissen der AfD nach dem Rauswurf
aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag grade auch heftig knackt - nach
Auseinanderbrechen von NATO-Transatlantikern versus "Frieden mit Russland". Die
einst so stolze Linkspartei würde sich dann nur noch aus allem Aas speisen, das vom
Tisch der Herrschenden fällt.
Das große Vakuum im Volk gegen NATO-, Mittelstandssterben und
Sozialstaatskürzungen bliebe kampflos den Gegnern der Demokratie überlassen.
Hary Neubert

Foto: Bundesparteitag 2017 Fraktion DIE LINKE., CC BY 2.0, von Flickr