Der Erfurter Parteitag 2022

Foto: Erfurter Parteitag Juni 2022 von Martin Heinlein by DIE LINKE on flickr.com (CC BY 2.0)
Foto: Erfurter Parteitag Juni 2022 von Martin Heinlein by DIE LINKE on flickr.com (CC BY 2.0)

Gespannt habe ich die Entwicklungen der Partei DIE LINKE. in den vergangenen Jahren seit Juni 2017 verfolgt. Damals wie heute bin ich der Meinung, dass wir eine starke Alternative zum wachsenden Rechtsruck in Deutschland brauchen. Eine Alternative, die überzeugt und verändert. Auch damals war ich als junger, linker Anarchist angetan von der Idee, man könne mit nur genug Kommunikation und Zusammenhalt zu einer starken Partei heranwachsen, die sogar mitregieren könnte. Doch viel ist davon nicht mehr übrig.

Uneinigkeit hat es auch damals schon bei Themen, wie dem geforderten Austritt aus der NATO oder bei der Gleichberechtigung gegeben. Auch bei der Flüchtlingsdebatte 2015 waren sich die Mitglieder der Partei DIE LINKE. sehr uneinig. Während die einen solidarisch mit allen Flüchtlingen standen, gab es auch Stimmen in der Partei, die nach Klassifikationen unter Flüchtlingen riefen. Doch nun scheint es, dass diese Uneinigkeit nur noch zum Ausschluss derjenigen führt, die nicht mit den Aussagen des Parteivorstandes einverstanden sind.#

Für mich war die Partei DIE LINKE. und auch die damalige PDS eine Partei des Fortschritts, die sehr früh Ideen zur Förderung einer pluralistischen Gesellschaft hatte und diese in die Öffentlichkeit trug. So gab es bereits 2010 einen Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll und Jan Korte zur “Ehe für alle”, um die Rechte von Menschen mit einem modernen Bewusstsein für die Geschlechterrollen zu schützen und um mit alten Konventionen zu brechen. Erst 7 Jahre später, am 30. Juni 2017 wurde im Bundestag hierzu abgestimmt und die “Ehe für alle” in Deutschland beschlossen.
Auch beim Mindestlohn waren die Forderungen der Partei DIE LINKE. sehr früh vorhanden. Zum Schutz derjenigen, die im Niedriglohnbereich arbeiteten und zum Schutz vor allgemeiner Ausbeutung wollte die Partei bereits 2010 in einem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann und Sabine Zimmermann einen gesetzlichen Mindestlohn einführen. Damals wie heute wurden aufgrund des Kostendrucks durch die voranschreitende Internationalisierung und des globalen Konkurrenzdenkens, jede Wirtschaftlichkeit durch die Reduzierung von Arbeits- und Lohnstandards ermöglicht.
Wenn man nun den Reden der Abgeordneten lauscht, erhält man jedoch den Eindruck, dass die sprachliche Entwicklung für so einige eine größere gedankliche und emotionale Hürde darstellt, als eine friedenspolitische Haltung gegenüber Waffenexporten zu festigen. Ein Gendersternchen bringt nun mal eine so gravierende Veränderung mit sich, dass wir erneut 7 Jahre warten müssen, bis die Herren und Damen endlich akzeptieren können, dass nicht nur Frauen in ihren Rechten gestärkt werden müssen. 

Ebenso ernüchternd sind Aussagen gegenüber dem Krieg in der Ukraine. Andauernde Floskeln zur Verurteilung eines Angriffskrieges, der ursprünglich den Schutz der russischen Bevölkerung in der Ukraine diente, die wohlgemerkt zu tausenden von Soldaten der eigenen ukrainischen Regierung umgebracht wurden, hielten in jede Rede einzug. So sprach die wiedergewählte Bundesparteivorsitzende Janine Wissler in ihrer Rede über die Verantwortung der russischen Führung für die Eskalation in der Ukraine und “vergisst“ damit die Geschehnisse der vergangenen 8 Jahre. Wo bleibt die Solidarität mit dem Teil der ukrainischen Bevölkerung, die vor einigen Jahren für eine Unabhängigkeit auf die Straße gingen und unter dem Deckmantel einer “Anti-Terror-Operation” zu hunderten ermordet wurden? Wo bleibt die Solidarität mit den antifaschistischen Verbünden, die seit Jahren gegen die enorm steigende Zahl paramilitärischer & militärischer rechter Gruppierungen im Land kämpfen?
Kaum ein linker Delegierter traute sich zur Regierung in der Ukraine ein falsches Wort zu verlieren, obwohl rechte Hardliner, wie Dmytro Yarosh mittlerweile zu den höchsten Beratern des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zählen. Yarosh hatte 2014 noch mehrfach in öffentlichen Videos von der Mobilmachung rechter Gruppierungen zur Unterstützung der offiziellen aber dennoch illegal in den Osten der Ukraine versetzen Soldaten gesprochen. Ebenso beschwor er die Ausrottung von pazifistischen Haltungen und von nicht ukrainisch sprachigen Bürgern. Wir alle kennen die Bilder und Videos von Ukrainern, die aus ihren Autos gezerrt und bei Ungehorsam hingerichtet wurden. Wir alle kennen die aktuellen Bilder und Videos aus den Social Media Kanälen von Ukrainern, die teils aus der Roma-Community stammen und die vor allem im Westen der Ukraine öffentlich misshandelt und nach mittelalterlicher Manier an Laternenpfählen gebunden werden. Allzu häufig endet diese “Pfählung” mit tödlicher Folge und keiner juristischen Aufarbeitung dieser Taten. Auch hierzu gab es nicht einen Redebeitrag oder Teilsatz von keinem der Delegierten.  

Ebenfalls kaum ein Delegierter wagte Kritik an den unwirksamen und lächerlichen Sanktionierungen gegenüber Russland. Selbst im Leitantrag scheint es mehr um die mediale, als um die tatsächliche Wirkung zu gehen. So findet man im Leitantrag kein einziges Wort zur Wirkungen der Sanktionen auf die deutsche Bevölkerung. Selbst in der Rede von Janine Wissler wird höchstens auf geopolitische Spielchen hingewiesen, aber keine logische Schlussfolgerung aus der Misswirtschaft in der Energiepolitik gezogen. Der Alleinschuldige in dieser Frage bleibt Russland und die Lösung soll ein staatliches Kontrollgremium zur Überwachung und Kontrolle der Strompreise sein. Eine Idee, die bereits bis 2007 in den Händen der Bundesländer lag und 2009 in einem Antrag der linken Abgeordneten Hans-Kurt Hill und Gesine Lötzsch erneut in den Bundestag eingebracht wurde. 2007 wurde dieses Gesetz durch den Bund abgeschafft und seit dem steigen die Preise aufgrund der Monopolstellung der vier großen Energieanbieter auf dem deutschen Markt rapide an. Wer auf dem Erfurter Parteitag auf einen Seitenhieb in Richtung Energiekonzerne und in Richtung der in Leipzig ansässigen Börse (die European Energy Exchange (EEX)) wartet, der wartet vergebens. Bis diese Aufsicht ihrer Arbeit nachkäme und Veränderungen bewirken könnte, werden die von Janine Wissler erwähnten Rentner es wohl wie der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck halten müssen: “Frieren für die Freiheit”.

Aber auch zum Gesundheitssystem in Deutschland wurden wenig bis gar keine Worte gefunden. Die Grundrechtseinschränkungen und die Profitorientierung bei Impfstoffen der vergangenen 2 Jahre sind wohl nicht mehr bedeutsam für die Partei, um den nächsten Einzug ins Parlament zu sichern oder um die Follower-Zahlen auf Facebook zu halten. Der Pflegenotstand ist nur noch ein Begriff, um Tags und Hashtags für Pressemitteilungen zu erhaschen. Corona wird aus Angst, wieder mit der rechten Community in einen Topf geworfen zu werden, vollkommen totgeschwiegen. 

Während in Frankreich ein starkes Bündnis aus verschiedensten Linken entsteht und eventuell den Premierminister stellt, schafft es die deutsche Linke kaum eine gemeinsame Haltung darzustellen. So sprach sich der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow im Mai diesen Jahres für Waffenlieferungen in die Ukraine aus und bricht dabei einen linken Grundsatz: “Frieden schaffen ohne Waffen!” Zu Recht kritisierte dementsprechend eine junge SDSlerin, die kaum noch zum Parteiprogramm passenden Aussagen der Spitzenpolitiker auf deren Social Media Kanälen und gegenüber der Öffentlichkeit. Da stellt man sich doch die Frage, ob denn die Partei überhaupt noch ein gemeinsames Programm kommuniziert oder ob die Selbstdarstellung einzelner Individuen und deren persönliche Aufmerksamkeit im Vordergrund steht. 

Somit wird immer deutlicher, dass es schon lange nicht mehr um die Belange des hörenden und sprechenden Wählers geht, sondern um die Interessen der berufsmäßigen Politiker.
Als Dachverband zwischen Bewegungslinken, Reformisten, populären Linken uvm. hat die Partei seit ihrer Gründung Schwierigkeiten mit den unterschiedlichen Meinungen und Strömungen. Jedoch konnte sie unter dem Motto: “Alleine sind wir schwach, aber gemeinsam sind wir stark” immer wieder zusammenfinden. Seit der Wahl der Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping im Jahr 2012 erhält das Lager der Reformisten nun enormen Aufwind und wie am Beispiel von Sahra Wagenknecht deutlich wird, ist eine inhaltliche und strategische Auseinandersetzung unerwünscht und wird mit medialen Hetzkampagnen votiert. Hinzu kommt das andauernde Füttern von Medien mit parteiinternen Informationen, um damit den Genossinnen und Genossen zu schaden. Die katastrophalen Wahlergebnisse werden mit typischen Floskeln, wie “mit solch katastrophalen Ergebnissen kann es nicht weitergehen”, abgetan und selten aufgearbeitet, und somit wirkt es unglaubwürdig, wenn Janine Wissler als Parteivorsitzende mit dem Slogan wirbt: “Es kommt darauf an, Sie zu verändern!” 

Und so halte ich es, wie Konrad Adenauer sagte: “Eine Partei ist für das Volk da und nicht für sich selbst”.

Foto: Erfurter Parteitag Juni 2022 von Martin Heinlein by DIE LINKE on flickr.com (CC BY 2.0)

Foto: Erfurter Parteitag Juni 2022 von Martin Heinlein by DIE LINKE on flickr.com (CC BY 2.0)