Alte und neue Fragen zur Imperialismus-Theorie

Zu dieser Thematik findet am 29.01.2023 um 19:30 Uhr eine Diskussion mit Diether Dehm auf https://twitter.com/ statt.
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Vor genau 50 Jahren entbrannte in der SPD der »Stamokap-Streit«. In Wahrheit war nämlich bereits unser APO-Kampf gegen US-Aggressionen in Indochina längst kein pazifistischer mehr, sondern ein wirtschafts-demokratischer geworden: warum durften bestimmte Monopole hinter Hitler und der NATO eine solche Übermacht haben, mit einem Fingerschnipp Hunderttausende in den Kriegstod zu befördern?
Zahlreiche Juso-und Falken-Funktionäre wurden aus der SPD ausgeschlossen. Wie bereits Wolfgang Abendroth im Zuge der SDS-Auseinandersetzungen, der gleichwohl philosophisch-praktisch an unserer Seite stritt. Viele waren direkt zur DKP gegangen. Einige blieben in der SPD. Darunter damalige Exponenten der »Stamokap«-Theorie wie Kurt Neumann, Andreas Wehr, Christoph Butterwegge, Olaf Scholz, Uli Wolf, Detlev Albers, Klaus-Uwe Benneter, Uli Schoeler, Traute Müller, Matthias Machnik, Heinrich Lienker, omas Ewald, Rüdiger Deissler, Sigmar Gabriel, ich und andere. Mit den Meisten davon entstand in meinem osthessischen Bauernhof die Neufassung der »Herforder Thesen – Zur Arbeit von Marxisten in der SPD«. Damals waren wir überwiegend von der gewaltarmen Annahme ausgegangen, mit antimonopolistischen Strukturreformen und der SPD die Profitgier des Kapitals stutzen zu können. Allmählich mussten wir herausfinden, welche langwierigen und radikalen Anstrengungen nötig wurden – und zwar gegen eine neue Formation des Kapitals: die Monopole. Da stiegen einige aus, darunter der heutige Bundeskanzler. Andere grübelten theoretisch weiter bis heute: wo mit flächendeckender Zerstörung von Mittelschichten, robuster Inflation und neuerlichen NATO-Expansionen die Fragen nach dem Monopol noch bohrender geworden sind; zum Beispiel:
Ist weiterhin vom »Hauptfeind US-Imperialismus « zu sprechen? (worunter die expansionistischsten Konzerne zu subsumieren wären). Sind das rechts-regierte Indien und Russland mitsamt Oligarchie nicht auch »imperialistisch«? Oder sind sie mit China »Teile des antikolonialistisch globalen Südens« (D. Losurdo)?
Ist der Begriff vom STAATS*monopolistischen Kapitalismus weiterzuverwenden? Auch angesichts supranationaler, quasi-staatlicher Behörden (NATO, IWF, WHO, Weltbank u.ä.) und national-diversifizierter Konzernstandorte?
Gilt Lenins Zuschreibung vor über 100 Jahren vom »höchsten« Kapitalismus-Stadium: dem Imperialismus – als entwickeltster Stufe vergesellschaftlichter Produktion unter monopolkapitalistischen Aneignungsbedingungen – auch heute noch?
(Zumal »der Staat« zunächst zwar als Abstraktum »monolithisch« verstanden werden kann, aber in concreto sich bis heute zu größerer Wirkmacht weiter entfaltet hat, zu einem in sich widersprüchlichen Gebilde aus unterschiedlichen Gewerken – Sozialstaat/ Repressionsapparate etc. wovon einige zwar zu bekämpfen und zu überwinden sind, andere jedoch antimonopolistisch auch partiell zu verteidigen und weiterzuentwickeln.)
Nach Lenin kam dann noch die Frage hinzu, welche Finanzkapitale – auf Basis der Imperialismus-Theorie plus Dimitrows Faschismus-Definition – in ihrem Wesen vor 1933 auf Faschismus orientiert waren? Und warum? Und welche Monopole heute »faschismus-potenziell« sind? Und worin die sich ökonomiepolitisch unterscheiden?
Lenins Begriffe vom »staatsmonopolistischen Kapitalismus« liefern heute noch die modernste Grundlage, die gegenwärtige Kriegs- und Krisenerscheinungen zu bewerten. Aber auch subjektiv und populär zu konkretisieren, um sie bündnispolitisch und kulturell angreifen zu können. Beate Landefeld sei Dank, an Lenins folgende Dialektik erinnert zu haben: »Der Kapitalismus überhaupt und der Imperialismus insbesondere verwandelt die Demokratie zu einer Illusion – und zugleich erzeugt der Kapitalismus demokratische Bestrebungen in den Massen, schafft er demokratische Einrichtungen, verschärft er den Antagonismus zwischen dem die Demokratie negierenden Imperialismus und den zur Demokratie strebenden Massen.« (Antwort auf P. Kijewskis »Über das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung. LW, Bd. 23, S. 16)
Ob aber Lenin auch zu folgen ist, wenn er den Imperialismus einen »Zustand der Fäulnis« nannte? Wo doch der staatsmonopolistische Kapitalismus seit Lenin fröhlich neue Startups hervorbringt, die sich zu Konzernen mausern, neue Erfindungen und Lieferlogistiken, so dass seine Luft nicht eben faul riecht?
Wie wenig »parasitäre Fäulnis« verströmt die NATO im Gefolge des 2. Weltkriegs und im kalten Aufrüstungskrieg dabei, die Sowjetunion niedergerungen zu haben? Und ihre »menschenrechts«-imperialistische Bigotterie in erfolgreichen Regimechanges und failed states auszuleben?
Ebensowenig gab es bislang die lange von marxistischen Propagandist:innen ersehnte Überreifung von Monopolen, die uns als Frucht in einen Schoss mit gefalteten Händen plumpsen sollte. Als gäbe es eine eherne Gesetzmäßigkeit, die den Imperialismus in sich brechen würde. Stattdessen ist dieser dynamisch gewachsen – und zwar gerade an seinen Krisen und Katastrophen. Entweder nämlich: die Arbeiterklasse und ihre Bündnispartner in den nationalen Befreiungsbewegungen beseitigen den Imperialismus – oder: er wird ewig fortbestehen. Bis er die Menschheit dahinrafft.
Ein zweites Missverständnis hat der jüngere Lenin selbst genährt: er hält den Imperialismus für die materielle Voraussetzung, für eine Art unmittelbares Dispositiv von Sozialismus – in Ökonomie und Staat. Der ältergewordene Lenin und auch Engels sprachen hingegen mehr von »Übergängen«. Während zunächst lange die naive Vorstellung vorherrschte, ein paar Zerschlagungsaktionen à la »Pariser Commune « würden den bürgerlichen Staat von eben auf jetzt durch eine radikaldemokratisch proletarische Diktatur ersetzen. Mit »Staat und Revolution« war letztendlich auch das Missverständnis genährt, mit der Verschmelzung von Industrie, Finanzkapital und Staat würden uns formale Potenziale für Sozialismus gleichsam auf dem Silbertablett angereicht; es bedürfe also nur noch revolutionärer Eigentumsumschreibungen von Monopolen, um aus imperialistischer Planwirtschaft eine sozialistische zu machen. Lenin sprach sogar damals davon, dass einige Grundeigenschaften des staatsmonopolistischen Kapitalismus von sich aus »in ihr Gegenteil umzuschlagen begannen« (LW, Bd. 23, S. 270).
Jedenfalls: wenn es das ist, was Lenin zunächst meinte und Leninist:innen viel zu lange versimpelt verbreiteten, dass nämlich der staatsmonopolistische Kapitalismus »die vollstendige materielle Vorbereitung des Sozialismus« sei (LW, Bd. 25, S. 370), dann griff dieser geniale Mensch hier zu kurz. Und zwar gerade auch in Bezug auf seine eigenen späteren Erkenntnisse – als bislang erstem praktischen Philosophen an einer Regierungsspitze.
Denn erstens wurden doch gerade im staatsmonopolistischen Kapitalismus Teile des Staats selber zur ökonomischen Materialität, deren private Investment- oder halbverstaatlichte Großbanken, aufgerüstete Militär- und Geheimdienstapparate, als »Entwicklungshilfe« getarnte Kapitalexporte, deren Aufrechterhaltung von Schutzzöllen besonders bei exportfähigen Produkten (Siehe Fr. Engels im 3. Bd. Das Kapital; MEW 25, S. 130) etc. erst radikal und langwierig von einer antimonopolistischen Regierung entflochten, umgerüstet, zurückgestutzt, regionalisiert oder partiell abgeschafft werden müssen, aber doch nicht »vollständige materielle Vorbereitung des Sozialismus« sein können.
Zweitens hatte Lenin zunächst aus Staat und Monopolkapitalismus kulturelle und subjektive Faktoren als quasi »nicht-materiell« ausgeklammert, was er zwar zumeist mit seinen großartigen Anteilen an der bolschewistischen Partei- und Regierungs-PRAXIS korrigiert hat, was aber von Leninisten ökonomistisch wiedergekäut wurde. Bis endlich Gramsci mit westlich-revolutionären Einsichten in die »kulturelle Hegemonie eines revolutionären historischen Blocks« neue Wege aufzeigte.
Lenins anfängliche Schwäche liegt dort, wo er sich ausschließlich den »ökonomischen Grundlagen für das Absterben des Staates« (LW, Bd. 25, S. 470) zuwendet und nicht den kulturellen Bedingungen! In seiner revolutionären Praxis hat er diesen ideologischen Faktoren zwar reichhaltig Rechnung getragen (z.B. in seinen großartigen »April-Thesen«). Aber theoretisch hatte er in seinen »vorrevolutionären « Schriften die Kultur vernachlässigt: unter welchen subjektiv-hegemonialen Bedingungen kann der bürgerliche Staat absterben, also in die Gesellschaft »zurückgenommen« werden? Repression also durch Einsicht ersetzt? Die Aura der Macht als die Macht der Aura bourgeoiser Institutionen und Authorities um ihre einschüchternde Wirkungen gebracht? Denn der bürgerliche Staat wird nicht nur nach ökonomischer Reifung überfällig, sondern erst, wenn die entsprechend subjektiven Faktoren kulturell »hinterhergereift« sind. Und zwar, weil diese Faktoren in den Köpfen einerseits selber Resultanten der historischen Materialität sind und andererseits »subjektiv« erst zur materiellen Gegengewalt organisiert sein wollen.
Die logische Inkohärenz beim jüngeren Lenin wird somit augenfällig, wo er einerseits den Staat völlig zerschlagen will, um zur proletarischen Herrschaft zu gelangen, aber andererseits in diesem Staat des monopolistischen Kapitalismus »vollständige materielle Voraussetzungen « für Sozialismus sieht.

Glücklicherweise war in wichtigen DDR-Schriften Lenins Imperialismus-Theorie weiterentwickelt und auch in Westdeutschland verbreitet worden. Hervorzuheben sind hier Gretchen Binus und Otto Reinhold; auch Walter Ulbricht hatte sich kreativ an diesem Diskurs beteiligt. Dazu kommen: »Heininger/Hess« mit »Zur Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus« (Berlin 1975); der Grundkurs zu »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« (Haak, Wunderlich; Dietz, 1971) und Boccara: »Der staatsmonopolistische Kapitalismus« (Dietz 1972) des französischen Autorenkollektivs der KPF. Vor allem diese hatten wir marxistischen Jusos damals studiert. Einige klassische Zitate finden sich in all diesen Werken:
»Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft … des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationale Praxis begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist« (LW, Bd. 22, S. 269/270).
»Marx bewies …, dass die freie Konkurrenz die Konzentration der Produktion erzeugt, diese Konzentration aber auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung zum Monopol führt.« (LW, Bd. 22, S. 204).
»Konzentration der Produktion, daraus erwachsendes Monopol, Verschmelzung oder Verwachsen der Banken mit der Industrie – das ist die Entstehungsgeschichte des Finanzkapitals und der Inhalt dieses Begriffs« (LW, Bd. 22, S. 230) »Krieg und Zerrüttung zwingen alle Länder, zum monopolistischen Kapitalismus überzugehen« (LW, Bd. 26, S. 157)
Im »Grundkurs« wird die neue Qualität des Monopol entwickelt: »Unter Konzentration des Kapitals verstehen wir das Anwachsen des Kapitalumfangs durch Akkumulation von Mehrwert innerhalb es einzelnen kapitalistischen Unternehmens; unter Zentralisation des Kapitals die Vereinigung mehrerer kapitalistischer Unternehmen zu einem größeren Kapital, in erster Linie durch die rigorose Ruinierung kleiner und mittlerer kapitalistischer Unternehmen im Konkurrenzkampf durch das Großkapital. (S. 16 ff.). »Das Monopol besitzt eine gewaltige, wirtschaftliche und damit auch politische Macht …, Monopolpreise zu diktieren und riesige Monopolprofite zu erzielen … Die Herrschaft der Monopole … richtet sich nicht nur gegen die Arbeiterklasse, sondern gegen das ganze Volk … Ziel und Zweck jedes kapitalistischen Monopols ist der Monopolprofit … Teile des von der nichtmonopolistischen Bourgeoisie erzielten Profits; das Mehrprodukt und mehr und mehr auch Teile des notwendigen Produkts der kleinen Warenproduzenten (werktätige, Bauern, Handwerker usw.); Vermögensanteile aus allen Schichten des Volkes im Ergebnis von Inflation … Teile des in den vom Imperialismus noch abhängigen Ländern erzeugten Nationaleinkommens durch imperialistisches Preisdiktat auf dem Weltmarkt, durch Kapitalexport, Raub usw. … über die Umverteilung des Nationaleinkommens neue Profitquellen zu erschließen, wie das für kapitalistische Unternehmen im vormonopolistischen Kapitalismus nicht kennzeichnend war …« (S. 22/23). (Horst Heininger sprach in zahlreichen Vorträgen später vom »Monopol als einem in erster Linie neuartigen Enteignungsverhältnis « – gerade auch als Dauerangriff auf nichtmonopolistische Unternehmen.)
Damit waren die SMK-Autoren bei jenen ökonomischen Grundlagen angelangt »für die Herstellung des notwendigen antiimperialistischen Bündnisses zwischen der Arbeiterklasse und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung der vom Imperialismus beherrschten Länder … unter Führung der Arbeiterklasse …« (S. 24), um die Perspektiven für antimonopolistische Bündnisse ihrer Zeit zu eröffnen: mit 1972 einerseits der »Union de la Gauche« aus KP, SP und Parti Radical unter Mitterand. Und andererseits 1969 im Gefolge der Moskauer Konferenz der Arbeiterparteien mit Befreiungsbewegungen. Die Nachweise der im Monopol hochwirksamen Dauerliason von Industrie und Finanzkapital bei Zugriff auf staatliche Ressourcen »gegen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung « waren ja bündnispolitisch notwendig: mit empirischen Belegen für Kapitalexport, Minderung von Kapitalsteuern, staatlichen Vorhaltungen von Forschungsressourcen etc. Diese Entwicklungen sind bis heute nur nicht nur nicht abgeschwächt, sondern in ein neues Stadium getreten, in welchem der (vor allem US-) Imperialismus weit über die eigenen nationalstaatlichen Potenziale hinaus mit Erfolg fremdländische, staatliche Ressourcen einzunehmen verstand. Gleichzeitig bauen sich – und hier ist Losurdos Blick auf den antikolonialistischen, globalen Süden zu empfehlen – Gegenpotenziale auf, die mit dem Etikett »links« nur unzureichend einzugrenzen sind. Wenn wir also sowohl empirisch als auch theoretisch zu einer neuen Qualität des »staats«-monopolistischen Kapitalismus als Imperialismus gelangen wollen, müssen wir sowohl zu neuen quantitativen Beurteilungen aufsteigen, als auch die kapitalistische Formationsspezifik des Monopols theoretisch weiterentwickeln. Und dies auf der Grundlage der besonderen Qualität dieses oligopolen Großkapitals, sich gegen den tendenziellen Fall der Durchschnitts-Profitrate zu behaupten und dazu auf immer neue national- und supranational-staatliche Ressourcen Zugriff zu nehmen.
Im Kommunistischen Manifest steht bereits: »Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnten Absatz für ihre Produkte jagt sie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen« (MEW, Bd. 4, S. 465) Bei Lenin geht es dann um eine »Aussonderung weniger Staaten, die finanzielle Macht besitzen« (LW, Bd. 22, S. 242) und um »reiche Länder, in denen die Akkumulation des Kapitals gewaltige Ausmaße erreicht hat« (S. 245). Beide Erkenntnisse sind heute um die der sekundenschnellen und spekulativen Kapitalbewegungen der imperialistischen Monopolbourgeoisie zu erweitern, die damit für ihre Extraprofite über neue, NATO-bewehrte Kommandohöhen verfügt.
Die Nutznießer dieser Staatressourcen waren bei Lenin schwerindustrielle, petrochemische und vor allem militaristische, nationalstaatlich verfasste Oligopole, aus denen dann auch »die am meisten terroristischen Teile des Finanzkapitals« (Dimitrow) und der Faschismus wuchsen. Bis heute ist deren aggressiver Expansionsdrang durchaus um den der Monopole in der Verkehrs- und Kommunikationslogistik (Amazon, Apple usw.) zu erweitern. Diese können nicht nur (z. B. mit NATO-Kriegen) fremde Gebiete, Bodenschätze und Arbeitskräfte erobern, nationalstaatlich-zivilisierte Strukturen samt deren Kapitalien zerstören (»failed states«) und Arbeiterorganisationen terroristisch zerschlagen – sie müssen und wollen es! Dazu entsteht »nach amerikanischem Vorbild ein militärisch industrieller Komplex« (Grundkurs, S. 28).
Auch Boccara interpretiert das Monopolkapital in eigener Formationsspezifik gegenüber dem frei konkurrierenden, nichtmonopolistischen Kapital. Darum reiche es nicht aus, dies »von einem rein quantitativen und juristischen Standpunkt« zu betrachten. Das Monopol ist also nicht mit dem bürgerlichen Begriff des Monopols (etwa bei Streichhölzern, damals: Post und Bahn) zu verwechseln. Es ist auch nicht dadurch allein gekennzeichnet, eine fixe und absolute Menge an Produktionsmitteln bereits angesammelt zu haben. Monopole werden bezeichnet »weil es ihnen gelingt sich einen ständig wachsenden Teil der Produktionsmittel anzueignen«(S. 18), um seinen Extraprofit aufrecht zu erhalten, in dem es auf staatliche Ressourcen, abgewertete mittelständische Kapitale und monopolhaft diktierte Preise zurückgreifen kann.
»Insgesamt wird auf gesellschaftlicher Ebene mit der Entwicklung des technischen Fortschritts nicht nur jeder Maschine die Möglichkeit geben, bei gleichbleibendem Wert in derselben Zeit mehr Produkte zu erzeugen … weniger Arbeiter gleicher Qualifikation verrichten jetzt mehr Arbeit gleicher Qualität« – mit der »Gefahr, dass ein Teil ihrer Erzeugnisse keine Abnehmer findet. Je mehr diese Entwicklung zunimmt, desto geringer sind die Garantien für das Kapital, seinen Wert durch den Verkauf der produzierten Erzeugnisse zurückzugewinnen und zu vermehren.« (S. 25) Denn »der Wert der Löhne ist … die alleinige Quelle des Mehrwerts, also die Differenz zwischen dem Gesamtkapital und dem produzierten Mehrwerts. Damit akkumulieren die kapitalistischen Unternehmen immer mehr (= constantes d) Kapital, ohne dass der produzierte Mehrwert im gleichen Tempo mitwächst. Der Durchschnittsprofit zeigt folglich auf gesellschaftlicher Ebene eine Tendenz zum sinken … In der Hoffnung, allerdings, in den Genuss des mit einer höheren Produktivität im eigenen Betrieb verbundenen Extraprofits kommen zu können, führt jedes kapitalistische Unternehmen unter den Auswirkungen einer verschärften Konkurrenz fort, zu investieren und damit Überkapazitäten zu schaffen. Bald jedoch zeigt sich eine Verallgemeinerung … Diese zieht notwendigerweise die Entwertung eines Teiles des Kapitals nach sich.« (S. 26, 27).
Dadurch, dass die Entwertung des Kapitals nicht nur den »mittelständischen« Bereich betrifft, sondern vor allem den öffentlichrechtlichen »trägt einerseits das entwertete, staatliche Kapital, entscheidend zur Erhöhung der Profitrate der großen Monopolgruppen bei … und dabei spielt andererseits das entwertete staatliche Kapital (= keinen Profit verlangend; d) eine nicht minder bestimmende Rolle bei der Entwicklung der Großproduktion und der fortgeschrittensten Technologien« (S. 27).
Damit wird dies dauerhaft entwertete staatliche Kapital für die privatkapitalistischen, somit dem tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate trotzenden, Monopolgruppen als »Ressource« vorgehalten. Dabei profitieren besonders solche Unternehmen, die aus ihrer, spezifischen Produktionsweise einen hohen Bestandteil an konstantem (technologieindizierten) Kapital haben und nicht auf zu große Lohnkosten angewiesen sind: das waren bislang nukleare Energiebetriebe, aber eben vor allem die Rüstungskonzerne. Und dann – bei Auslagerung auf staatliche, halböffentliche, mittelständische, selbstständige Logistik – die Liefer- und elektronischen Kommunikationsunternehmen. Für die an der Rüstungsproduktion beteiligten Konzerne bleibt das monopolistische Privileg, Preise verlangen zu können, die nur geringfügig oder gar nicht von Wettbewerb eingeengt werden können.
Mit staatlichen Ressourcen werden dem Monopol nicht nur Planungssicherheit gewährleistet, sondern Planwirtschaft ermöglicht – wenn auch: antidemokratisch und nur in den Kerngeschäftsfeldern des großen Kapitals, dem schon Engels »das Ende der Planlosigkeit « vorausgesagt hatte. Boccara schrieb: »Im Zusammenhang mit der Militarisierung der imperialistischen Wirtschaft besteht sie (die Planung; d) vor allem in einer gelenkten Verteilung der Ressourcen, der Rohstoffe und der staatlichen Beschaffung unter die wichtigsten Monopole… um immer größere Kapitalmassen zu zentralisieren, die Vorschussausgaben zu erhöhen, ohne dass diese ganz oder teilweise zu ihren Lasten (der Monopole; d) gehen, aber trotzdem unter ihrer Kontrolle bleiben… Der Staat ermöglicht … insbesondere durch Rüstungsaufträge, regelmäßige und ›geschützte‹ Absatzmöglichkeiten zu bieten und Zusatzkapitale zu bilden … (S. 528/529).
Supra- und national-staatliche Ressourcenvorhaltungen sind heute vielfältiger; z. B. durch Coronadiktate und Gasverteuerung erzielte Enteignungen mittelständischer Kundenstämme durch das darüber liegende Großkapital (Lieferando u. ä.), durch NATO-Rüstungs-Aufträge, die Privatisierung des Rentensystems, das Straßennetz für Amazon, die durch SPD-Finanzminister Hans Eichel lizensierte Privatisierung der Fernsprech-Frequenzen, quasi für Apple & Co (= als neu»liberale« Verbot für Amateurfunker, auf diesen Frequenzen zu senden) etc. Diese werden zum »künstlich hervorgerufenen Defizit, das dann vom Staat gedeckt wird, der die dafür notwendigen Mittel aus Steuergeldern vorhält.« (S. 27).
Sabine Kebir und Andreas Wehr haben kürzlich in ihrem Podcast faktenreiche, globalstrategische Neueinordnungen zur Modernisierung der Imperialismustheorie beigetragen (https://weltnetz.tv/video/-imperialismus- heute). Denn es gilt sowohl, Empirie konkret fortzuschreiben, als auch den tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate abstrakt zu erfassen und konkret populär zu Gegenbewegungen als Volksbündnisse zu verbreitern. Die Entwertung bei staatlichem und halbstaatlichem Kapital berührt auch »die nichtmonopolistischen Schichten – Landwirtschaft, Handwerk, Handel, kleine und mittlere Unternehmen … und unter bestimmten historischen Bedingungen auch Teile des Monopolkapitals selbst. Die Entwertung eines Teils des gesellschaftlichen Gesamtkapitals bietet vor allem die Gewähr für die Rentabilität des anderen Teils des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, das heute von entscheidender Bedeutung ist: das staatsmonopolistische Großkapital. Diese Entwertung ist das objektive Ergebnis des tendenziellen Falls der Durchschnittsprofitrate und der Akkumulation des Monopolkapitals.« (S. 28)
Mit dem – auch durch das Monopolkapital verstärkte – Zerstören bestimmter, zivilisierter (national-)staatlicher Strukturen (nicht sämtlicher) wird aber unsererseits ein entfalteter Begriff des Staatswesens erforderlich. Marx: »Die Tendenz, den Weltmarkt zu schaffen, ist unmittelbar im Begriff des Kapitals selbst gegeben. Jede Grenze erscheint als zu überwindende Schranke« (MEW, Bd. 42, S. 321).
Es ist längst nicht mehr nur der Nationalstaat, in dessen Bereich bestimmte Monopole angesiedelt sind, beziehungsweise von wo ihre Wertschöpfungen ausgehen. Es ist vielmehr eine Summe von staatlichen Ressourcen, auf die das Monopol zunehmend zurückgreifen kann und muss. Deswegen sollten im Geist bei nachfolgendem Zitat auch supranational-staatliche Vorhaltungen anstelle des Begriffs »der Staat« hinzugefügt werden: »So übernimmt der Staat alle Kosten für den Straßenbau und, zusammen mit den örtlichen Organen, die Gestaltung der Industriegebiete. Der Staat trägt die Kosten für die (teilweise mit Verlusten verbundene) Finanzierung des Eisenbahn-, Luft- und Seeverkehrs sowie die Kosten für nahezu die gesamte Grundlagenforschung und einen großen Teil der Kosten für die angewandte Forschung und Entwicklung. Der Staat finanziert heute die Investitionsvorhaben in den wichtigsten Produktionszweigen, von der Eisen- und Stahlindustrie bis zur Luftfahrt, von der Chemie bis zur Elektronik und von der Rüstung bis zum Schiffbau. Es ist der Staat, der die Selbstfinanzierung und Investitionen durch ein komplexes System von Steuerabzügen und erhöhten Abschreibungen erleichtert.« (S. 34) Für antiimperialistische Kräfte erwachsen daraus aber auch völlig neue Bewegungspotenziale für grundsätzliche Bündnisse, die sich naturgemäß auch auf die andere selbstständigen Mittelschichten erstrecken, die ebenfalls unter der kapitalistischen Konzentrations- und Integrationsbewegung zu leiden haben.« (S. 198)
Mit der Dimitrowschen Faschismus-Definition auf dem VII. Weltkongress der Komintern 1935 wurden – spät, aber immerhin! – auch der KPD Wege zu völlig neuen, breiten Volksfrontbündnissen (besonders für die Zeit nach Stalingrad) eröffnet (Nationalkomitee Freies Deutschland, Nationale Front etc.). Und zwar gegen die »offene terroristische Diktatur der imperialistischsten, reaktionärsten und chauvinistischsten Teile des Finanzkapitals«! Also, wenn die Zeiten danach verlangen: auch punktuelle Kooperation mit weniger imperialistischem Kapital gegen den jeweiligen aggressivsten Imperialismus (*)! Das mag manchem von uns nach bürgerlichem, sozialdemokratischem Wunschdenken klingen. Aber es bezeichnet jenes Bündnis, das den Hitler-Faschismus der Krupp, yssen, Deutsche Bank & Co militärisch geschlagen hat: das fragile Bündnis der Alliierten mit dem antikommunistischen Agitator Churchill, dem (seine Monopolflügel ausbalancierenden) Roosevelt und der Sowjetunion. Auch der gemeinsame »Kuomintang-Krieg« gegen die japanischen Invasoren, den Maos KP mit Chiang Kai-shek führte, umfasste eine Breite, die über das uns bekannte »antimonopolistische Bündnis« weit hinausgeht. Es wäre auf der theoretischen Basis von Lenin, Dimitrow, Togliatti u. a. auch in Zukunft nötig, Augen und Ohren offen zu halten für Potenziale gegen den jeweils terroristischsten und mächtigsten Imperialismus. Getreu der Mahnung Lenins im »Linksradikalismus«, für die kleinsten Risse im Gemäuer des Feindes unsererseits ein feines Gespür aufzubauen – ansonsten nämlich »vom Marxismus keinen Deut verstanden zu haben«.


(*) Was aber ist heute das aggressivste Monopolkapital? Kommen der Faschismus noch einmal »völkisch« und seine Finanziers »autark orientiert« an die Macht? Oder sind nicht eher die Freihandelskonzerne »faschismuspotenziell «: die Amazon, BlackRock, Fox-Conn, Tesla & Co? Werner Rügemer hat dazu in seinem neuesten Buch sorgfältigste Empirie zusammengetragen, über deren Kinderarbeit, working poor and sick, Hungerlöhne – und Leichenberge. Aber solcherlei kolonial-imperialistische Gräueltaten gab es bereits vor dem Faschismus. Was ist also das Neue und Eigentliche am Faschismus, diesem terroristischsten Regime des Imperialismus? Und: warum kamen faschistische Milizen und Terrorbanden immer dort an Kapital und Macht, wo die organisierte Arbeiterbewegung relevant stärker geworden war? (So hatte z. B. die Harzburger Front Hjalmar Schachts erst dann den Brief an Hindenburg 1932 verfasst, Hitler jetzt schnell zum Reichskanzler zu ernennen, als die Nazis im November Millionen Stimmen nach links verloren hatten).
Gleichzeitig erhebt sich – gegenläufig und zusätzlich – eine zunächst verstörende Frage: wirken vielleicht sogar diese (von Rügemer dankenswerterweise zusammengetragenen) diversifizierten DAX-Beteiligungen von »BlackRock & Co« aggressivsten, imperialistischsten Politiken entgegen? Und zwar weil Fonds, ETFs etc. mit unter-10-Anteilen an sehr vielen Konzernen (z. B. der Luxusproduktion, des täglichen Konsums von Ikea über DHL bis Coca Cola) ein gewisses Balance-Interesse haben müssten, um abseits von infernalischen Kriegen und Atomwaffeneinsätzen ihre Monopolprofite einzufahren? Um Antworten näherzukommen, die jetzt schon schwer nach Dialektik riechen, müsste also erstens zunächst benannt werden, welche Monopole z. B. gerade den Wirtschaftskrieg gegen China zu befeuern suchen – und warum. Und welche nicht?! Zweitens sollte genau zusammengetragen werden, aus welchen Konzernchefetagen proletarische Selbstorganisationen, also Gewerkschaftsaktivitäten, am meisten terrorisiert werden. Damit erst wären – auf Grundlage des Leninschen Imperialismus-Begriffs UND der Dimitrowschen Faschismus-Definition – mit neuen Empirien dem echten Antifaschismus neue antiimperialistische Potenziale zu erschließen. 


Im Original erschienen in der Zeitung Marxistische Blätter Ausgabe 2023 Nr. 1