WAHLWERBUNG IN KRIEGSZEITEN
An den Werbetafeln in Moskau konnte man erkennen: Alles bestimmendes Thema war der Krieg und der Zusammenhalt der russischen Gesellschaft gegen eine Bedrohung von außen. Wahlaufrufe der Zentralen Wahlkommission, auf großen Werbetafeln entlang der Straßen, betonten Begriffe und Ideen wie „Zusammenhalt“ und „Gemeinsam sind wir stark“. Optisch wurde sich an der Front orientiert und als zentrales Symbol der Wahl das von militärischen Einheiten verwendete V in den Farben der russischen Trikolore eingesetzt – dies entspricht der Transkription des russischen Wortes für Wahlen: „Vybory“.
Gemeinsam sind wir stark – Wir stimmen für Russland!
Besonders auffällig und beeindruckend war aber ein anderer visueller Aspekt, den es sonst nur in historischer Form zum „Tag des Sieges über den Faschismus“ um den 9. Mai herum zu sehen gibt: Da wo früher die Werbung westlicher Produkte das Straßenbild dominierte und der kapitalistische, auf Konsum ausgerichtete, Lebensstil propagiert wurde, werden jetzt zunehmend Kriegshelden aus dem Volk präsentiert. Ehemals gewöhnliche junge Männer, wie sie jeder Russe aus der Nachbarschaft, dem Supermarkt oder vom Arbeitsplatz kennt.
Sie schauen dem Betrachter fest in die Augen und geben Einblick in eine andere Welt, die in starkem Kontrast zur individuellen Genussmaximierung steht. Die russische Mentalität, die, spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, mit der Sinnlosigkeit des aufgezwungenen neoliberalen Lebensmodells ringt, suchte geradezu nach etwas Anderem und Größerem, und ist für solche neuen (alten) Ideen deshalb sehr empfänglich. In zahlreichen Gesprächen konnte ich zu diesen neuen Werbetafeln keine einzige negative Meinung hören. Einige verhielten sich dazu neutral aber die meisten, und interessanterweise auch jüngere Russen, lobten dies ausdrücklich.
Mut und Tapferkeit! Pawel Serejew, Gefreiter
Der Stolz Russlands! Artjom Romanzow, Unterleutnant
IST DAS GUT ODER SCHLECHT?
Natürlich kann man das unterschiedlich bewerten und eine möglicherweise damit einhergehende Militarisierung der Gesellschaft auch kritisch betrachten. Aber grenzübergreifende Verallgemeinerungen führen zu falschen Schlussfolgerungen. Ja, oberflächlich betrachtet platziert auch das deutsche Militär zunehmend Werbung. Damit versucht die Bundeswehr den Auftrag der „Kriegstüchtigkeit“ des „Kriegsministers“ umzusetzen.
Dabei wirbt sie mit ausgehöhlten Phrasen wie „Freiheit“ um „Handwerker (m/w/d)“ oder um „Frauen* als militärisches Führungspersonal (m/w/d)“. Aber da wird die Intelligenz der Bevölkerung und der Zugang zu unabhängigen Informationen über das Internet unterschätzt. Kaum jemand will aus Überzeugung in einer Hilfsarmee des US-Imperialismus dienen. Und seit dem Überfall auf Jugoslawien kennt jeder den wirklichen, im Grunde verfassungswidrigen, Auftrag der Bundeswehr. Es bleibt also nur die zunehmend schlechte Wirtschaftslage in Deutschland und steigende Perspektivlosigkeit der Jugend, um an Schulen und Universitäten mit stabilen Arbeitsplätzen in der Armee zu locken.
In Russland braucht die Armee nicht zu werben. Abgesehen von den 90er Jahren hatte der Militärberuf immer ein hohes Ansehen und die Meisten wurden aus guten Motivationen heraus Berufssoldaten. Die Lehren aus der Geschichte wurden verstanden und die Verteidigung des Vaterlandes ist gesellschaftlicher Konsens. Es geht bei diesen Abbildungen russischer Soldaten daher nicht um Stellenangebote. Es geht darum dem Westen neben, dem militärisch-materiellen, auch etwas gesellschaftlich-ideelles entgegenzusetzen. Von außen und mit Gewalt ist Russland ohnehin nicht zu schlagen. Es kann nur von innen an gesellschaftlichen Widersprüchen scheitern.
DER WESTEN HAT RUSSLAND HINTER PUTIN VEREINT
Und genau hier hat der Westen einen großen Fehler gemacht – entweder als Fehlkalkulation oder aus Zeitdruck. Durch zunehmenden äußeren Druck rückte die russische Gesellschaft in den letzten zehn Jahren immer weiter zusammen und die russische Wirtschaft machte sich immer unabhängiger. In einem patriotischen russischen Lied findet sich der Satz: „Je stärker der Druck, umso fester der Beton“. Und das sieht man auch an den stetig höheren Wahlresultaten von Wladimir Putin: 2012 erreicht er 64,4%. 2014 startet das Regime in Kiew einen Krieg gegen den Donbass. 2018 liegt sein Wahlresultat schon bei 77,5%. Der Westen rüstet die Ukraine auf und drängt den ukrainischen Diktator zu einem neuen Feldzug gegen den Donbass. Die russische Armee interveniert 2022. 2024 erhält Putin 87,3%.
Die Versuche Russland zu destabilisieren, die fortschreitende NATO-Osterweiterung und die ständigen anti-russischen Farbrevolutionen in ehemaligen Sowjetrepubliken an den russischen Grenzen waren eine kalkulierte, aggressive Politik, die alles auf eine Karte setzte und keinen Raum für ehrliche Verhandlungen ließ. Dadurch wurden vor allem pro-westliche Liberale innerhalb Russlands politisch demontiert und zunehmend als fünfte Kolonne wahrgenommen bzw. tatsächlich als solche instrumentalisiert. Gleichzeitig wurde Putin zunehmend in die Rolle des Verteidigers der Souveränität oder sogar des Überlebens Russlands gedrängt und die russische Gesellschaft versammelte sich, unabhängig von konkreten politischen Ansichten, deshalb hinter ihm.
2022 ist diese aggressive Strategie des Westens völlig gescheitert und das Wahlresultat 2024 war nur eine logische Folge davon. Es gab in den Monaten nach Kriegsbeginn 2022 noch die Hoffnung Russland wirtschaftlich zu vernichten, aber wie man nun sieht wurde damit nur die Zerstörung der unipolaren Weltordnung des Westens besiegelt – sowohl des neoliberalen Weltwirtschaftssystems und US-Dollars als globaler Leitwährung, als auch auf der Ebene internationaler Beziehungen. Zusätzlich deutet vieles darauf hin, dass, nach der Energiesicherheit, nun auch Deutschlands Wirtschaft geopfert wird, um die daraus resultierenden wirtschaftlichen Probleme der USA auszugleichen.
Die neoliberalen Entscheidungsträger im „kollektiven Westen“ haben sich also verkalkuliert aber scheinbar wurde für diesen Fall der (wirtschaftliche) Untergang Deutschlands einkalkuliert. Der größte Verlierer dieser harten geopolitischen Auseinandersetzung sind wieder die Deutschen. Nach der US-Präsidentschaftswahl im November 2024 wird sich dieser Prozess beschleunigen.