Nicht nur der Bundestag, auch der US-Kongress hat einen wissenschaftlichen Dienst, den Congressional Research Service – und das seit über 100 Jahren. Er wird nicht nur auf Anfrage tätig, sondern informiert auch ungefragt die Abgeordneten, vor allem nach Wahlen, wenn es viele Neulinge gibt. So werden zum Beispiel in einem Report vom Januar 2021 die Prinzipien der US-Außenpolitik erklärt. Die bestehen demnach aus »vier Schlüsselelementen«. An erster Stelle wird »globale Führung« genannt, also Dominanz der USA über den Rest der Welt. Ex-Präsident Barack Obama formulierte das bei einer Rede an der Militärakademie Westpoint so: »Amerika muss auf der Weltbühne immer führen.« Bemerkenswert auch seine Begründung: »Ich glaube mit jeder Faser meines Wesens an die außergewöhnliche Bedeutung Amerikas.« Zur Erinnerung: Der Anteil der USA an der Weltbevölkerung beträgt etwa vier Prozent.
Das zweite Schlüsselelement heißt: »Verteidigung und Förderung der liberalen internationalen Ordnung«, vulgo Schutz und Verbreitung des Kapitalismus. Danach kommt die »Verteidigung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten« – im Ausland versteht sich, denn es geht ja um außenpolitische Prinzipien: »Freedom & Democracy« eignen sich immer gut als Legitimation, wenn man irgendwo einmarschieren will. Siehe Vietnam, Grenada, kubanische Schweinebucht, Irak usw. Wenn es um geopolitisch nützliche Diktaturen geht, dann treten Prinzipien wie Freiheit und Demokratie plötzlich in den Hintergrund. Das vierte Schlüsselelement der US-Außenpolitik: Es soll die Entstehung regionaler Hegemonialmächte in Eurasien verhindert werden. In diesem Zusammenhang wird die Teilnahme an den Weltkriegen genannt, ebenso die Beteiligung an den Kriegen in Korea und Vietnam und an Militärbündnissen, darunter die Nato. Deren Funktion bestehe darin, den Versuch »Russlands, regionaler Hegemon in Europa zu werden, abzuschrecken und zu verhindern«.
Es ist also nützlich zu verstehen, wie die US-Außenpolitik funktioniert. Wir brauchen viel mehr USA-Versteher.
Andere Länder haben andere Vorstellungen vom internationalen System als Washington. Die sogenannten Brics-Staaten China, Indien, Russland, Brasilien und Südafrika betonten auf ihrem Gipfel in Jekaterinburg beispielsweise die Notwendigkeit einer »multipolaren« Weltordnung. Die Brics stehen für 40 Prozent der Weltbevölkerung.
Wir leben also in einer Epoche, in der die etablierte Weltordnung in Frage gestellt ist. Immer mehr Länder verlangen gleichberechtigte Mitsprache über die Gestaltung der Welt. Die USA und ihre europäischen Hintersassen verteidigen die bestehenden Verhältnisse mit Zähnen und Klauen. Die 500-jährige Ära der Dominanz des weißen Mannes neigt sich ihrem Ende zu.
Es wäre naiv zu glauben, dass diese machtpolitische Konstellation keine Rolle für den Ukraine-Krieg spielen würde. Im Gegenteil: Es wird von Tag zu Tag deutlicher, dass die geopolitische Konfrontation den ursprünglichen russisch-ukrainischen Konflikt zunehmend überlagert. Der Westen strebt einen Sieg über Russland an – und das nicht nur militärisch. Der seit Jahren laufende Wirtschaftskrieg wird so eskaliert, dass das Land »ruiniert« werden soll, zumindest wenn es nach der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) geht. Dabei spielt weder der Blutzoll an den Kriegsschauplätzen für die Protagonisten der angeblich wertebasierten Außenpolitik eine Rolle, noch die weltwirtschaftlichen Kollateralschäden, die vor allem in den armen Ländern des Globalen Südens zu Buche schlagen.
Wem es wirklich um die humanen Opfer von Krieg ginge, der kann nicht mit der Forderung nach immer mehr Waffen Öl ins Feuer gießen. Sind die 50 Milliarden US-Dollar, die Washington dafür jetzt bewilligt hat, immer noch nicht genug, um die Sehnsucht selbst einiger Linker nach Panzern und Kanonen zu stillen? Gebraucht wird stattdessen Druck für einen Kompromissfrieden – jenseits von militärischer Eskalation und Kapitulation.
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