"Freiheit, die wir meinen"

Friedrich Schorlemmer sprach mit weltnetz.tv über den Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck
Video: 
weltnetz.tv
Produktion: 
Constanze Knoche
Länge: 
00:14:29
Interview: Harald Neuber

In der Erklärung "Freiheit, die wir meinen" hat Friedrich Schorlemmer neben weiteren zehn namhaften Vertretern der kirchlichen Opposition in der DDR Stellung zur Präsidentschaftskandidatur Gaucks bezogen. Mit Weltnetz.tv sprach er über dessen Umgang mit den Stasiakten, seine Rolle in der DDR und den Freiheitsbegriff des Rechtskonservativen.

Der "Glanz des Unpolitischen", von dem der Präsidentschaftskandidat umgeben ist, verdeckt, dass er in den vergangenen Jahren eminent politisch gewirkt habe, so Schorlemmer. Gaucks Funktion als Leiter der Stasiunterlagenbehörde und sein Umgang mit den Stasiakten sei "sehr politisch" gewesen. So seien Menschen wie die  Schriftstellerin Christa Wolf, die für viele Ostdeutsche eine Identifikationsfigur gewesen ist, als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit regelrecht stigmatisiert worden. Versöhnung hätte bei Gauck nicht auf der Agenda gestanden.

Schorlemmer rückt außerdem das Bild des "diktaturerfahrenen Bürgerrechtlers" zurecht. Gauck sei in der DDR vor allem als Diplomat, denn als offener Kämpfer für die Freiheit aufgefallen. Im Gegensatz zu anderen Bürgerrechtlern habe sich der evangelische Pfarrer nicht an kritischen Thesen oder der Vorbereitung öffentlicher Aktionen beteiligt. Kritische Wirkkraft Gaucks sei nicht über den Bereich seiner Kirchengemeinde hinausgegangen.

Im Gespräch mit weltnetz.tv kritisiert Schorlemmer zudem Gaucks individualistischen Freiheitsbegriff. Er verstünde Freiheit vor allem als Ausdruck für kämpferischen Antikommunismus. Freiheit müsse aber, so Friedrich Schorlemmer, sozial konturiert sein.


 

Erklärung zur Wahl des Bundespräsidenten 

Freiheit, die wir meinen 

Joachim Gauck wird der nächste Bundespräsident sein. Die Kompetenz, seine Glaubwürdigkeit und persönliche Integrität, die ihm dafür zugesprochen werden, beziehen sich auf sein Leben in der DDR. Dass Joachim Gauck anscheinend nicht zur politischen Klasse gehört, erhöht zusätzlich die Erwartungen an ihn. Wer kritische Einwände gegen den Präsi­dentschafts-Kandidaten vorbringt, muss mit empörten Reaktionen rechnen. 

Der Glanz des Unpolitischen, der den Kandidaten umgibt, seine Rolle als moralische Anstalt, die  mit seinem Amt als Pfarrer in der DDR begründet wird, verdecken, dass Gauck seit 1990 eminent politische Positionen übernommen hat.

Wenn die Kritik an seinem Wirken als Politiker und öffentliche Person regelmäßig mit dem Argument seiner Diktaturerfahrung abgewehrt wird, entlässt man ihn aus der Verantwortung, die er trägt. 

Wir sind wie Joachim Gauck durch diese Diktaturerfahrung gegangen. Uns hat, anders als ihn, nicht der Mangel an Freiheit am stärksten geprägt, sondern unser Kampf, unser Bemühen um ihre Durchsetzung in der DDR. Unser Freiheitsbegriff ist mehr als eine persönliche Selbstbehauptung, die am Ende nur zu einer Freiheit für Privilegierte führt. Wenn wir in der DDR in unseren Freiheits-Texten von Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung sprachen, haben wir damit auch eine grundsätzliche Kritik an der modernen Industriegesellschaft verbunden. 

Gaucks Denken über Freiheit ist von dem Begriff  individueller „Selbstermächtigung“ bestimmt. Uns geht es um die aktive gesellschaftliche Öffnung und um die Freiheit aller. Es kommt nicht nur auf eine Haltung der Freiheit an, sondern auf eine Verfassung der Freiheit. Anpassung war für uns in der DDR keine Option. Wir haben Bevormundungen widersprochen, Freiräume mit anderen und für andere geschaffen und gesellschaftliche Veränderungen eingefordert. Diese Erfahrungen aus der DDR ermutigen uns, kritische Bürger im vereinten, demokratischen Deutschland zu bleiben. 

Joachim Gauck hat die Erwartungen derjenigen beflügelt, die durch die Beschwörung des Antikommunismus die Freiheit verteidigen wollen. Die dringend erforderliche Kompetenz des künftigen Bundespräsidenten kommt aber nicht aus der Beschwörung der Vergangenheit, sondern aus der Fähigkeit, drängende Fragen der Zukunft zu thematisieren: 

Wie schaffen wir es, den Angriff der Finanzmärkte auf die Demokratie, unsere Lebensform der Freiheit, abzuwehren, den Skandal wachsender Verarmung vieler bei explodierendem Reichtum we­niger nicht länger hinzunehmen, den Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen zu beenden,  das Zusammenleben der Menschen in kultureller und religiöser Vielfalt zu ermöglichen und neue Konflikte friedlich zu lösen? 

Diesen Bundespräsidenten werden wir daran messen, ob und wie er sich die Freiheit nimmt, die Politik angesichts dieser fundamentalen Herausforderungen in die Verantwortung zu nehmen.

Berlin, am 8. März 2012

Unterzeichner: D. Dr. Heino Falcke, Erfurt; Almuth Berger, Berlin; Joachim Garstecki, Magdeburg; Wolfram Hülsemann, Berlin; Heiko Lietz, Schwerin; Ruth Misselwitz, Berlin, Dr. Sebastian Pflugbeil, Berlin, Dr. Edelbert Richter, Weimar; Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer, Wittenberg; Hans-Jochen Tschiche, Satuelle; Dr. h.c. Christof Ziemer, Berlin

Harald Neuber im Gespräch mit Friedrich Schorlemmer

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