Uwe Krüger (Marburg), analysiert in seinem Artikel das englische Originalvideo https://youtu.be/zyz2j-9M9UA . In den nächsten Tagen stellt weltnetz.tv noch das Video mit deutschen Untertiteln bereit.
Uwe Krüger studierte in Marburg Politikwissenschaft mit Nebenfach Russisch. Er verbrachte in den 1980er Jahren als DAAD-Austauschwissenschaftler 1,5 Jahre in Moskau und forschte dort zu Aspekten der Politik Gorbatschows. Angesichts des zerrütteten Zustands der UdSSR zog er sich anschließend von dem Themenfeld Sowjetunion / Russland zurück. Aktuell widmet er sich aber angesichts der dramatischen Geschehnisse wieder den aufwühlenden Verhältnissen "im Osten".
Der 1975 geborene Arestovych (je nach Transkription z.B. auch Alexei Arestowitsch oder Alexej Arestovich) ist eine schillernde Figur. Nur einige Splitter aus seinem Lebenslauf: Abgebrochenes Studium der Biologie, später auch Theologie, Schauspieler mit Rollen in Film und Theater, Mitorganisator einer Filmproduktionsfirma, Moderator und Produzent von TV-Shows (u.a. zu psychologischen Themen), Absolvent einer Militärakademie, Blogger.
Karriere machte er im Sicherheitsapparat der Nach-Maidan-Ukraine. Schon vor Februar 2022 kämpfte er als Freiwilliger gegen die separatistischen Volksrepubliken im Donbass; mittlerweile ist er Oberstleutnant der ukrainischen Armee. Parallel dazu tauchte er immer häufiger in populären Medien der Ukraine auf und kommentierte regelmäßig die politische und militärische Situation. Arestovych war in den Prozess der Minsker Vereinbarungen einbezogen und nahm kurz nach dem Kriegsbeginn 2022 an den Istanbuler Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine teil. Interessierten ausländischen Beobachtern fiel er spätestens 2022 auf, als ein mit ihm geführtes älteres Interview auftauchte. In diesem hatte er 2019 recht treffsicher den Beginn eines Krieges Russlands gegen die Ukraine und Details des militärischen Vorgehens Russlands vorhergesagt (https://www.youtube.com/watch?v=DwcwGSFPqIo).
Eine analytische Schärfe wurde ihm auch vom Umfeld Selenskyjs zugeschrieben. Deshalb und wegen seiner medialen Präsenz machte ihn Andrij Jermak, der das Präsidialamt der Ukraine leitet, 2020 zu seinem Berater für strategische Kommunikation im Bereich nationaler Sicherheit und Verteidigung.
Das Verhältnis zwischen Selenskyj bzw. Jermak und Arestovych trübte sich anschließend aber zunehmend ein. Die Gründe lagen in abweichenden Lagebewertungen und unterschiedlichen Vorstellungen über das weitere Vorgehen, aber – nach Darstellung von Arestovych – auch in seiner phasenweise großen Popularität („zweitbeliebtester Politiker nach Selenskyj“). Als er im Herbst auf einer politischen Tagung in den USA war und dort Signale empfing, dass in der Ukraine etwas gegen ihn vorbereitet wird (mittlerweile werden drei Strafverfahren gegen ihn geführt), zog er es vor, in den USA zu bleiben und seine Botschaften vor dort aus in die Ukraine zu tragen.
Seine Aussagen im jetzt mit Patrick Bet-David auf dessen Kanal PBD Podcast geführten Interview sind nicht neu – teilweise erklangen sie bereits im Jahr 2023. Doch in der nun zu beobachtenden Schärfe und Tiefe sind sie eine gnadenlose Abrechnung mit der gegenwärtigen Ukraine. Einige markante, paraphrasierte Auszüge:
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Ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung ist nationalistisch – drei Viertel sind es nicht. Diese gaben Selenskyj ihre Stimme, als er mit 73 % gewählt wurde - nachdem er eine liberale Kulturpolitik incl. Sprachentoleranz versprochen hatte. Im Amt handelte er dann ganz anders – damit beging er Wahlbetrug.
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Die Ukraine ist bankrott und ein gescheiterter Staat. Ihre Kultur und Wirtschaft sind zerstört – durch den Krieg, aber noch viel mehr durch das korrupte staatliche System. Der Kampf gegen die Korruption muss zukünftig das Thema Nr. 1 sein.
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Innenpolitisch ist eine nationalistische Ukraine in einen modernen, säkularen Staat zu verwandeln, in dem die Rechte der Menschen geschützt sind – incl. der Möglichkeit, in die Kirche zu gehen, die sie besuchen wollen, die Sprache zu sprechen, die sie sprechen wollen – ohne eine Verfolgung aufgrund nationaler, ethnischer oder religiöser Kriterien. Gegenwärtig findet eine solche Verfolgung in der Ukraine statt.
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Ein zentrales historisches Ziel Großbritanniens war immer, ein Zusammengehen von Russland und Kontinental-Europa – v.a. Deutschland – zu verhindern.Wenn Putin sagt, dass er sich nicht im Krieg mit der Ukraine und dem ukrainischen Volk, sondern in einem Krieg mit einer Nazi-Regierung befindet, die sich die Ukraine untertan gemacht hat, denkt wirklich so.
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Die ukrainische Seite machte einen schweren Fehler, als sie sich ungeachtet der in Istanbul erzielten Verhandlungsfortschritte von Großbritannien und den USA zu einer Fortsetzung des Krieges verleiten ließ.
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Victoria Nuland war eine(r) der führenden Funktionäre der Biden-Administration und eine Vertreterin der globalistischen Demokraten. Ihre Rolle bestand darin, zusammen mit anderen Akteuren eine Falle für Putin zu basteln – in die Russland und die Ukraine in Verkennung ihrer eigenen Interessen hineintappten.
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Russland ist mit nullprozentiger Wahrscheinlichkeit der Urheber der Nord-Stream-II-Explosion. Die Ukraine war es mit 20%iger Wahrscheinlichkeit, und NATO-Staaten waren mit 80%iger Wahrscheinlichkeit beteiligt.
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Putin ist bis heute der westlichste Politiker Russlands. Er wollte den NATO-Beitritt Russlands, rief Bush nach 9/11 als einer der ersten Politiker an und stellte den USA russische Militärbasen für ihren anschließenden „Kampf gegen den Terror“ zur Verfügung. Die dann erfolgte Wandlung seiner Haltung ist im wesentlichen eine Reaktion auf die Ostausdehnung der NATO. Die Veränderungen innerhalb der Ukraine empfand Putin als „systemische Bedrohung Russlands“, und der begonnene Krieg ist nach Putins Verständnis ein Verteidigungskrieg.
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Putin hält - nach Jalta - ein neues System der kollektiven Sicherheit in Europa für erforderlich. „Davon redet er – und ich auch.“
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Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ist weder jetzt noch in der Zukunft anzustreben, denn in diesem Fall gibt es einen weiteren Krieg mit Russland - und den hält die Ukraine nicht aus. Die Ukraine könne vielleicht eine privilegierte Partnerschaft mit der NATO erwirken, muss ansonsten aber ein neutraler Staat bleiben.
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Die NATO hatte ohnehin nie vor, die Ukraine aufzunehmen; diese wurde damit immer nur gelockt.
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Die Ukraine und Russland haben eine 3000 km lange gemeinsame Grenze. Beide Staaten waren einmal in einem Staat vereint und haben eine gemeinsame Wurzel. Jeder vierte Ukrainer hat enge Verwandte in Russland. Insofern sind beide Seiten zu einer Koexistenz verurteilt, und die Ukraine muss normale Beziehungen mit Russland anstreben. - Ohne eine Berücksichtigung der zentralen Interessen Russlands, Weißrusslands und der Ukraine gibt es keinen Frieden.
Viele der von ihm kritisierten Punkte scheinen direkt aus dem Sündenregister abgeschrieben worden zu sein, das sonst Russland der Ukraine vorhält – weshalb es nicht wundert, dass innenpolitische Gegner ihm bereits vor Monaten das Etikett „Agent Russlands“ anhängten. Dass Arestovych ungeachtet dessen mit solchen Aussagen in einen Wahlkampf ziehen will und sich ausrechnet, damit Präsident werden zu können, erstaunt! Aber er verweist auf seine immer noch engen Verbindungen mit einflussreichen Kreisen in der Ukraine und dürfte ein Gespür für die Lage im Land haben. Die Wahlaussagen Arestovychs könnten darauf hinweisen, wie verbittert die Stimmung in großen Teilen der ukrainischen Bevölkerung mittlerweile ist. Gerade jetzt – wo die Biden-Regierung noch in ihren letzten Tagen Druck auf Selenskyj ausübt, endlich auch die ganz jungen Rekruten an die Front zu schicken – werden sich viele Ukrainer/innen an den Spruch Putins zu Beginn des Krieges erinnern: „Die USA werden bis zum letzten ukrainischen Soldaten kämpfen“.
Auffallend ist, dass Arestovych sich an verschiedenen Stellen positiv auf Trump bezieht. Nicht nur, dass er ihm zutraut, für mehr Entspannung rund um die Ukraine zu sorgen - er lässt gelegentlich auch direkt seine Nähe zum zukünftigen US-Präsidenten Trump anklingen:
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Seine politische Grundhaltung entspricht der Haltung in den USA: Weitgehende Freiheiten für Menschen und Unternehmer – der Staat hat nur die wichtigsten strategischen Entwicklungsrichtungen zu benennen.
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Nach Arestovychs eigene Einordnung ist er ein rechter Zentrist und Kapitalist; mit Wokeness hat er nichts im Sinn.
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Trump trat an, um die Globalisten in die Schranken zu weisen – „und dafür stehe ich auch“.
Diese Äußerungen und der Umstand, dass Bet-David mit seinem Kanal als Trump-nah gilt (so wurde Trump selbst schon in diesem Format von ihm interviewt), lassen darauf schließen, dass Arestovych seine Worte nicht nur an Menschen in der Ukraine richtete. Bezeichnend ist bereits, dass das Youtube-Interview in einer russisch- und einer englischsprachigen Version vorliegt (nicht in ukrainischer Sprache!).Vielleicht rechnet er sich eine Chance aus, dass die neue US-Administration auf ihn aufmerksam wird? Im Beraterstab eines Präsidenten war er schon einmal - und evtl. werden Trump und sein Umfeld in ihm sogar die Person erkennen, die als neuer Präsident den proklamierten Kurswechsel in der Ukraine-Politik absichern könnte.
Ungeachtet dessen, dass Arestovych Putin als seinen „Feind“ bezeichnet, dürfte er mit seinen Positionen für Russland ein durchaus akzeptabler Verhandlungspartner sein. Dieses sagt Arestovych sogar explizit – er sei schließlich der einzige, der Russlands reale nationale Interessen akzeptieren will.
Ins Auge fällt weiterhin, dass Arestovych im Interview seine Nähe zum früheren Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, herausstellt, den er seit einer gemeinsamen Zeit in einer Militärakademie kennt und der laut Arestovych sogar aufgrund seiner Initiative in das Amt des Oberkommandierenden kam. Der von vielen Ukrainern immer noch geschätzte Saluschnyj wurde im Februar 2024 seines Postens enthoben und kurze Zeit später ukrainischer Botschafter in London – nach Meinung vieler Beobachter aufgrund einer möglichen Rivalität mit Selenkij. Auch Saluschnyj wird als Präsidentschaftskandidat gehandelt. Werden sich – falls immer noch enge Bande zwischen den beiden bestehen – Arestovych und Saluschnyj vielleicht sogar ungeachtet erkennbarer Differenzen koordinieren und darauf verständigen können, dass einer von ihnen mit Unterstützung des anderen in die Wahl zieht?
Diese Wahl wird kommen müssen. Denn Russland wird es im Ergebnis von Verhandlungen nicht bei einem Waffenstillstand belassen wollen. Es drängt auf eine grundlegendere Lösung und könnte auf dieser Forderung aufgrund der militärischen Lage durchaus mit Erfolg bestehen. Und auch diesen Punkt beurteilen Putin und Arestovych ähnlich: Nach beider Auffassung setzt der Abschluss einer derartigen Vereinbarung in der Ukraine einen Präsidenten voraus, der im Unterschied zur gegenwärtigen Situation verfassungsrechtlich eindeutig legitimiert ist. Ohne Wahlen ist diese Voraussetzung nicht zu schaffen.
Arestovych neigt nicht zur Selbstunterschätzung – ob er mit seiner Erwartung, als Kandidat die Wahlen gewinnen zu können, richtig liegt, muss sich erst noch erweisen. Dass sein Youtube-Kanal mehr als 1,8 Mio Abonnenten ausweist, deutet auf jeden Fall auf eine respektable Anhängerschaft hin. So oder so: Mit dem Interview hat Arestovych zeigen wollen, dass mit ihm noch zu rechnen ist – und es wird sich lohnen, ihn zukünftig gut im Blick zu behalten!

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