"Steinbrück ist ein Medienprodukt"

Albrecht Müller wirft Kanzlerkandidaten der SPD Täuschung vor
Video: 
weltnetz.tv
Länge: 
00:09:51
Personen: 
Interview: Harald Neuber

Im Gespräch mit weltnetz.tv wirft Albrecht Müller, Herausgeber des kritischen Internetportals NachDenkSeiten, dem Kanzlerkandidaten der SPD Peer Steinbrück vor, die Öffentlichkeit zu täuschen. Indem er aktuell eine Verschärfung der Regeln der Finanzmärkte fordere, scheint er davon abzusehen, daß er selbst als Finanzminister dazu beigetragen habe, diese zu deregulieren. Auch in der Bereichen der Beschäftigungspolitik und der Erhöhung der Mehrwertsteuer habe Steinbrück, der nach wie vor für die Agenda 2010 steht, nur eine scheinbare Kehrtwendung vollzogen.

Das vollständige Transkript des Videos ist hier zu finden:

Herr Müller, die großen Kanzler der bundesdeutschen Geschichte standen immer für klar definierte Projekte: Konrad Adenauer für die NATO-Integration der Bundesrepublik und Antikommunismus, Willy Brandt für eine neue Ostpolitik und Sozialpolitik. Wofür steht Peer Steinbrück?

Ich würde ja gerne sehen, dass er für eine Alternative steht und dass diese Alternative auch erfolgreich ist, weil ich es für dringend notwendig halte, dass wir eine neue Politik bekommen. Aber ich sehe das nicht, dass er für eine wirkliche Alternative steht. Und ich sehe auch nicht, dass er klar definiert ist. Ich habe ihn einem Leitartikel für ein anderes Medium gesagt "Steinbrück täuscht" und er sei sehr zwielichtig. Er hat zum Beispiel die Finanzmärkte dereguliert als Finanzminister und das auch in die damalige Koalitionsvereinbarung mit Frau Merkel festgelegt. Und jetzt ist er für die Verschärfung der Regeln. Er hat die Beschäftigungsvorgabe polemisiert und jetzt ist er für die SPD für eine aktivere Beschäftigungspolitik. Er hat, was inzwischen ja ganz vergessen ist, die Mehrwertsteuer erhöht. Da hat die SPD damals, 2005, mit einem Plakat Reklame gemacht gegen die "Merkel-Steuer". Merkel hatte vor, sie um zwei Prozent zu erhöhen. Herausgekommen sind hinterher drei Prozent, und das ist im Wesentlichen auf Herrn Steinbrück zurückzuführen. Er ist ein ganz schlechter Makroökonom, fast noch schlechter als Herr Schäuble – da habe ich richtig Sorgen. Und er steht hinter der Agenda 2010 und sagt, die SPD müsse darauf stolz sein. Das ist schon ein gewisser Hammer, muss ich sagen, denn eigentlich müsste sich die SPD davon lösen. Denn viele Leute haben inzwischen gemerkt, dass die Schaffung eines Niedriglohnsektors, der eng mit Hartz IV verknüpft ist, wirklich nicht das Gelbe von Ei ist.

In einem Thesenpapier forderte Herr Steinbrück unlängst die "politische Bändigung des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus". Das klingt ja fast nach einem Flugblatt der DKP. Ist diese Position tatsächlich so progressiv wie sie daherkommt?

Also ich kann damit überhaupt nichts anfangen. Ob bei der DKP oder Herrn Steinbrück – das ist Jargon, Schlagworte. Wichtig wäre, dass man mal begreift, was vorgegangen ist. Vorgegangen ist folgendes: die Finanzmärkte wurden dereguliert, in der erwähnten Koalitionsvereinbarung wurden Elemente der Spekulation festgelegt, es hieß, die Finanzmarktaufsicht solle hier nicht so genau hingucken, sondern maßvoll prüfen. Und das alles hat dazu geführt, dass wirklich die Spekulanten losmarschiert sind und spekuliert und gewettet haben. Und dann haben wir sie als Steuerzahler gerettet und da war Herr Steinbrück wieder aktiv. Er hat die IKB in Düsseldorf, diese lächerliche Kreditbank, im Wesentlichen damals in der großen Koalition gerettet mit zehn Milliarden Euro. Für ein wirklich lächerliches Institut. Er hat die HRE-Gelder mit zu verantworten, das sind inzwischen schon über 100 Milliarden. So glaubhaft ist seine Gegnerschaft gegen die Finanzwirtschaft und ihre Machenschaften also nicht. Das ist mein großes Problem. Ich will auch sagen, was gut war bei ihm, also die einzige gute Leistung, die ich bei ihm sehe, ist, dass er mit Frau Merkel zusammen vor die Kamera getreten ist und gesagt hat: "Wir garantieren die Sparkonten." Das war wichtig damals, um Panik einzudämmen. Ich sehe deshalb auch nicht undifferenziert auf diese Person. Aber das ist wirklich das einzig Positive, was mir einfällt.

Der sogenannte Linke Flügen der SPD hatte sich eigentlich ja vehement gegen Peer Steinbrück ausgesprochen. Weshalb die Kehrtwende?

Das ist nicht so schwer zu erklären. Zum einen hatte die Linke in der SPD keine personelle Alternative. Und da ist es dann eben schwer Nein zu sagen, da kommt man schnell in große Schwierigkeiten in eine Partei. Aber viel wichtiger ist, dass Peer Steinbrück ein Medienprodukt ist. Und die Kampagne – einschließlich der Unterstützung von Helmut Schmidt – lief ja so massiv, wie vier Jahre zuvor übrigens für Herrn Steinmeier, der ja auch ein Medienprodukt war. Das ist ein Phänomen, dass die Kanzlerkandidaten der SPD nunmehr zum vierten Mal nicht von der Partei und ihren Gliederungen und Mitgliedern bestimmt werden, sondern dass das Produkte der Medien sind, die der SPD das vorschlagen. Das war bei Steinmeier so, das war auch bei Schröder 1997 so. Schröder hat damals gegen Lafontaine gewonnen, weil es eine Medienkampagne im Kontext der Landtagswahlen in Niedersachsen gab. Diesen Fall haben wir wieder. Und nun stellen Sie sich vor, Sie sind Vertreter der Linken in der SPD und jetzt sollen Sie gegen diese Medienkampagne angehen. Das schaffen Sie nicht.

Medien sind zu stark oder die Linke in der SPD ist zu schwach, um gegen die dieses „Framing“ und „Agenda-Setting“ anzukommen?

Wir haben das ja überall. Sie haben das bei den Grünen, dort sind die "Fundis" durch eine Medienkampagne kaputtgemacht worden. Wir haben das bei der Linkspartei, wo immer wieder versucht wird, den einen Flügel Reformflügel zu nennen und die anderen als "Kommunisten" zu diffamieren. Und das muss man halt begreifen, das die mächtigen Leute, die viel publizistische und finanzielle Macht haben in Deutschland, dass die auch in die innerparteiischen Prozesse zur Willensbildung eingreifen, sogar und vor allem in Personalfragen. In inhaltlichen Fragen sowieso.

Herr Müller, sie sind selbst Vertreter eines alternativen Mediums, der Nachdenkseiten. Welche Rolle können alternative Medien in dieser Situation spielen?

Also wir überschätzen uns nicht. Wir sind ein kleiner Stein des Anstoßes und das gilt auch für andere Blogs und andere alternative Medien. Wir versuchen, eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Aber ich muss ehrlich gestehen: Bertelsmann, Springer und all die anderen großen Medien zusammen sind halt um einiges mächtiger. Zudem haben wir ja inzwischen auch die Entwicklung, dass die öffentlich-rechtlichen Medien im Wesentlichen diesen Mainstream unterstützen und dort nur noch ganz selten kritische Beiträge kommen. Ein ganz wichtiges kritisches Organ, dass in der Vergangenheit als Korrektiv funktioniert hat, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, ist heute neben der Online-Redaktion Spiegel Online ein Rückgrat des Kampagnenjournalismus. Und das muss man sehen: Wir stehen gegen einen wirklich massiven Kampagnenjournalismus: pro Steinbrück, pro Niedriglöhne, gegen Lohnnebenkosten. Das sind so massive Kampagnen, dass wir uns als alternatives Medium sehr schwer tun, dagegenzuhalten.

Wenn wir nun über 2013 hinausblicken: Welche bundespolitische Perspektive eröffnet die Nominierung von Herrn Steinbrück?

Sie verhindert zunächst eine wichtige Perspektive, nämlich die für eine Koalition links der CDU/CSU. Durch die Absage einer Koalition mit der Linkspartei ist diese Option nicht mehr da. Wenn Sie sich einmal vergegenwärtigen, welche ein Wahnsinn das ist, dass die SPD mit dieser FDP, wie wir sie derzeit sehen, koalieren will und gleichzeitig die Koalition mit der Linkspartei ausschließt. Also eher mit Herr Rösler und Herrn Westerwelle, mit diesen inhaltslosen Politikern, die eindeutig von einer Lobby gesteuert sind, mit denen will man koalieren und die andere Option lässt man aus. Und deswegen ist die Perspektive für 2013 und für die Zeit danach schlecht für das Volk. Wenn wir eine Demokratie sein wollen, dann müsste es politische Alternativen geben. Eine Allparteienkoalition oder eine Pseudokoalition aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen ist keine parteipolitische Alternative. Und das ist mit Herrn Steinbrück als Kandidat festgezimmert worden.

Interview und Skript: Harald Neuber

Albrecht Müller

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