Im Gespräch mit weltnetz.tv spricht die Nahost-Korrespondentin und langjährige Syrien-Kennerin Karin Leukefeld über die Gründe für eine veränderte Syrienberichterstattung in der deutschen Presse, die Interessen der libanesischen Hisbollah an der Unterstützung Assads, die Planspiele der Westmächte, eine Gegenregierung im umkämpften Norden des Landes einzurichten und was eine gar nicht so friedfertige deutsche Bundesregierung und ihre humanitären Hilfsprojekte damit zu tun haben:
"Die syrische Opposition und auch einige Medien und Politiker hier sprechen ja von sogenannten "befreiten Gebieten". Das ist natürlich aus Sicht der Menschen, die dort leben, und vieler Syrer, die von dort vertrieben worden sind, eine nicht zulässige Beschreibung. Die fragen sich natürlich: was heißt "befreite Gebiete", wenn man uns aus unseren Dörfern eigentlich vertrieben hat. Aber es geht genau darum, dass zum Beispiel in der Provinz Idlib, in der Provinz Aleppo, in Ra's al-'Ayn, in Qamischli, also im Grenzgebiet zur Türkei, deutsche Nicht-Regierungs-Organisationen, ausgestattet mit Geld des Auswärtigen Amtes, Hilfsprojekte durchführen sollen - ganz explizit an der syrischen Regierung vorbei. Das hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor einiger Zeit auch so gesagt - dass es eben auch vorbei an der syrischen Regierung so gemacht werden soll. Das betrifft natürlich ein ausgewähltes Gebiet, in dem die Exilregierung der Opposition agieren soll. Die sollen dort installiert werden, die sollen dort eine Art Gegenregierung aufbauen. Und dieser Prozeß wird im Grunde mit der Arbeit von Hilfsorganisationen abgefedert, gestärkt und unterstützt. Das ist natürlich ein ganz massiver Eingriff in die staatliche Souveränität und territoriale Integrität eines Landes."
Syrien teilen und beherrschen
Karin Leukefeld im Gespräch mit weltnetz.tv über westliche Planspiele zur Zersplitterung einer widerspenstigen Regionalmacht
Das Gespräch wurde am 31. Mai 2013 in Berlin aufgezeichnet. Mit freundlicher Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
weltnetz.tv: Karin Leukefeld, man kann seit einigen Tagen in der deutschen Presse Sätze lesen wie:"Man muss sich langsam daran gewöhnen, dass der syrische Präsident Bashar al-Assad noch lange Zeit an der Macht bleiben könnte..." oder auch: "Assad ist stärker als je zuvor." Das ist erstaunlich, denn bis vor wenigen Wochen hieß es noch, das syrische Regime befinde sich in seiner Endphase. Wie ist es zu diesem so plötzlichen wie radikalen Umschwung gekommen?
Karin Leukefeld: Ich denke, dass die Geheimdienste mittlerweile zu einem anderen Ergebnis gekommen sind, als ihre Bewertungen in den vergangenen Monaten und in den letzten zwei Jahren gewesen ist. Der Chef vom deutschen Geheimdienst, also vom Bundesnachrichten-dienst (BND), hat kürzlich noch in einem Interview gesagt, die Tage von Assad seien gezählt und es sei nur eine Frage der Zeit, wann er nicht mehr Präsident von Syrien sein wird. Und nun hat er in einer Geheimsitzung gegenüber ausgewählten politischen Vertretern hier in Berlin erklärt, dass man wohl damit rechnen muss, dass Assad noch länger bleibt.
Es hat offensichtlich direkte Kontakte gegeben, auch mit dem syrischen Geheimdienst. Und dieser syrische Geheimdienst hat offenbar auch dem Bundesnachrichtendienst Informationen vorgelegt, die dieser überzeugend findet: nämlich die Anwesenheit von islamistischen Kämpfern einserseits und eine Bewertung der militärischen Lage im Land andererseits. Das hat offenbar doch den deutschen Auslandsgeheimdienst überzeugt und diese Überzeugung spiegelt sich jetzt in den entsprechenden Medienberichten wieder.
Dazu kommt, dass die syrische Armee ja anfangs nicht in der Lage gewesen ist, der Guerilla-Taktik der Aufständischen entgegenzutreten. Da hat sich einiges getan. Im vergangenen Jahr hat es Ausbildungskurse gegeben für spezielle Einheiten der Armee. Die sind sowohl von russischen als auch von iranischen Spezialisten im Häuserkampf ausgebildet worden. Unterstützung gibt es auch von der libanesichen Hisbollah, die ja mittlerweile auch öffentlich erklärt hat, wo sie aktiv ist und auch, warum sie aktiv ist in Syrien. Da hat sich also auch militärisch etwas innerhalb der syrischen Streitkräfte verändert.
Ein weiterer Punkt ist sicherlich, dass man nicht mehr daran vorbeikommt zu sehen, dass die Unterstützung für die Aufständischen in Syrien selber enorm zurückgegangen ist. Also wenn man mit der Bevölkerung spricht, die vielleicht vor zwei Jahren, oder vor eineinhalb Jahren, noch von der "Freien Syrischen Armee" beeindruckt war und sich von ihr beschützt gefühlt hat, dann ist es so, dass mittlerweile viele Personen, die durchaus der Opposition zuzurechnen sind, heute eher eine andere Meinugn einnehmen - nämlich sagen, dass die "Freie Syrische Armee" und die bewaffneten Gruppen nicht in der Lage gewesen sind, bis heute eine politische Lösung umzusetzen und sich darauf einzulassen, sondern immer nur weiter den Kampf führen und dadurch natürlich auch die Zerstörung im Land immer größer wird.
Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, als ich das letzte mal in Syrien war, die gesagt haben: Sie (die FSA und bewaffnete Gruppen, Anm. der Red.) kommen in unsere Städte und fangen an zu kämpfen und dann kommt natürlich die Armee und vieles wird zerstört. Und sie sind dafür verantwortlich, dass Syrien heute so zerstört ist. Man macht nicht die regulären Streikräftete dafür verantwortlich - auch, durchaus. Aber mehr noch die Aufständischen, weil sie einfach nicht in der Lage sind, auch politische Lösungen anzubieten.
weltnetz.tv: Ein Teil der Opposition, namentlich islamistischen Milizen wie die al-Nusra-Front etc. werben ja geradezu mit besonderen Greueltaten im Internet. Diese Bilder gehen ja auch in Syrien um. Das wird vermutlich auch eine Rolle gespielt haben...
Karin Leukefeld: Ja, die Leute sind natürlich entsetzt davon. Man muss wissen, dass die syrischen Muslime, die ja durchaus die Mehrheit im Land darstellen, sehr moderate Muslime sind, die dieses Abschlachten, diese Menschenverachtung, die aus solchen Taten spricht, völlig ablehnen. Das hat sehr viele Menschen abgeschreckt. Man muss dazu auch sagen, dass diese Nusra-Front, oder al-Quaida-nahe Gruppen, auch gegenüber einheimischen bewaffneten Gruppen sehr rigoros vorgehen, sie auch dominieren, ihnen Vorschriften machen. Ich kenne verschiedene Fälle, wo lokale bewaffnete Gruppen sich eigentlich auf einen Waffenstillstand mit der Armee einlassen wollten - das war verhandelt und vermittelt worden durch einen Ältestenrat, den es ja vielfach in diesen Ortschaften in den ländlichen Gebieten gibt- und dann haben die Islamistengruppen gesagt: das kommt nicht in Frage, dass es hier einen Waffenstillstand gibt. Sodass es dann auch zu Kämpfen untereinander gekommen ist.
Man darf aber auch nicht verschweigen, dass es durchaus junge Leute gibt, die sich von der militärischen Stärke und der rücksichtlosen Art, mit der diese Gruppen auftreten, beeindruckt fühlen. Junge, männliche Erwachsene, die sonst auch keine Perspektive im Leben haben, vielleicht auch den Kontakt zu ihrer Familie verloren haben, aus welchem Grund auch immer - fühlen sich von diesen Gruppen angezogen, werden aufgenommen, eingekleidet, ausgerüstet und bekommen ein kleines Salär. Diese verschiedenen Aspekte gibt es durchaus. Aber in der Gesellschaft allgemein wird dieses Vorgehen abgelehnt.
weltnetz.tv: Wenn ich darauf nochmal zurückkommen kann: welche Interessen verfolgt die libanesische Hisbollah in diesem Konflikt? Das ist ja ein Einsatz, der durchaus verlustreich vonstatten geht. Es heißt, es seien schon über hundert Soldaten der Hisbollah im Kampf gegen Rebellentruppen getötet worden. Welche Interessen gibt es von der Seite aus?
Karin Leukefeld: Die Hisbollah ist im Grenzgebiet zum Libanon im Einsatz, insbesondere im Gebiet um die Stadt Kusair. Der Kampf, der dort seit einigen Tagen intensiv geführt wird, geht ja im Moment stark durch die Medien (al-Kusair ist kurze Zeit nach dem Interview von der syrischen Armee und libanesichen Hisbollah-Einheiten eingenommen worden, Anm. der Red.). Kusair ist eine Stadt, die an einer sehr wichtigen Verbindungsstraße zwischen dem nördlichen Libanon, zwischen Baalbek in der Bekaa-Ebene und der Stadt Homs. Und diese Straße war die Hauptnachschublinie für die Aufständischenn - für die Stadt Homs, aber auch für die Provinz Homs, die ja im Herzen Syriens liegt und übrigens die größte Provinz des Landes ist. Insofern ist diese Straße also von großer strategischer Bedeutung für die Aufständischen.
Kusair ist ein Ort, der umgeben ist von Dörfern, in denen Libanesen leben. Früher gab es keine Grenze zwischen Libanon und Syrien. Erst die Franzosen, als sie Mandatsmacht dort wurden, haben in den 1930er Jahren diese Grenze zwischen Libanon und Syrien gezogen - nach dem Ende des Osmanischen Reiches, mit dem Jahr 1922, wurden sie ja offiziell Mandatsmacht in Syrien. Die Grenze wurde (vorher) sozusagen durch Siedlungsgebiete von libanesichen Familien gezogen, sodass wir ungefähr zwei dutzend Dörfer haben, die um Kusair herum liegen. Da leben im wesentlichen Christen und schiitische Muslime, die aber libanesischer Staatsangehörigkeit sind. Und das ist auch nie in Frage gestellt worden. Obwohl diese internationale Grenze da durch geht, war immer klar, dass die Bevölkerung, die in diesen Dörfern um Kusair herum lebt, ihren politischen und Lebensmittelpunkt durchaus im nördlichen Libanon hat, in der Bekaa-Ebene. Die Hisbollah ist in diesem Gebiet politisch sehr stark. Viele Leute dort wählen die Hisbollah, manche sind auch Aktivisten oder Soldaten der Hisbollah, sodass also der Vorsitzende der Organisation, Scheich Hassan Nasrallah, schon Anfang des Jahres gesagt hat: wir verteidigen dort in der Umgebung von Kusair unsere Bevölkerung. Das ist die Begründung, mit der die Hisbollah in diesem Gebiet kämpft. Und sie kämpft auch nur in diesem Gebiet und nicht in Aleppo oder in Idlib oder in Deir ez-Zor oder um Damaskus herum - weil sie eben unter der Maßgabe kämpft, dass sie dort Libanesen und eigene politische Interessen vertritt.
Wenn ich das noch hinzufügen darf: Die Hisbollah geht auch davon aus, wenn sie in Kusair den Aufständischen, die ja in dieser Region im wesentlichen Islamisten sind, nicht Einhalt gebietet, dann besteht die Gefahr, dass diese sich auch im Norden des Libanons noch mehr ausbreiten und Libanesen und die Anhänger der Hisbollah direkt im Libanon angreifen.
Es gibt noch einen anderen Punkt, wo Hisbollah-Kämpfer aufgezogen sind, das hat Nasrallah auch deutlich gesagt: es gibt schiitische Pilgerstätten in Syrien. Verschiedene Schreine, die sehr wichtig für die schiitischen Gläubigen sind. Dazu gehört Sajjida Zeinab, das ist eine große Moschee, die südwestlich von Damaskus liegt, vielleicht zwanzig Kilometer entfernt. Und dort sind Hisbollah-Kämpfer um den Schrein herum stationiert, weil sie verhindern wollen, dass etwas ähnliches passiert wie im Irak 2006, als die goldene Moschee von Samarra gesprengt worden ist und danach ja furchtbare Kämpfe ausbrachen. Nasrallah hat ganz deutlich gesagt, sie werden diese Moschee schützen, dass sie nicht zerstört werden kann.
weltnetz.tv: Karin Leukefeld, viele Hoffnungen richten sich zur Zeit auf eine Konferenz, die demnächst in der Schweiz stattfinden soll, die sogenannte Genf-II-Konferenz. Wer soll an dieser Konferenz teilnehmen und von wem ging die Initative für diese Konferenz aus, mit welchen politischen Absichten?
Karin Leukefeld: Die Initiative geht eigentlich auf Kofi Annan zurück. Der war ja Sondervermittler der Vereinten Nationen und der arabischen Liga für Syrien. Er hatte ja schon vor einem Jahr, im Juni 2012, das "Genfer Abkommen" vereinbart. Das Ziel dieses Abkommens ist, eine Übergangsregierung für Syrien zu installieren, die aus Teilen der Opposition und aus Teilen der jetzigen Regierung bestehen soll. Diese Übergangsregierung soll eine neue Verfassung auf den Weg bringen, Neuwahlen fürs Parlamant und Neuwahlen für das Präsidentenamt vorbereiten. Das ist die Initative, die nach wie vor bestand hat. Sie ist (jedoch) vor einem Jahr nicht zustande gekommen, weil vor allem Großbritannien, Frankreich und die USA in einem Treffen mit Kofi Annan zwar verbal zugestimmt haben, aber die Zusage anschließend politisch nicht eingehalten haben. Jetzt, in der zweiten Amtszeit von Präsident Barack Obama, hat er ja einen neuen Außenminister. John Kerry ist offensichtlich ein Außenminister, der die Politik des Weißen Hauses in Sachen Syrien mehr vertritt, als es vorher Hillary Clinton getan hat. John Kerry hat also diese Initiative zusammen mit seinem Amtskollegen aus Russland, Sergej Lawrow, neu gestartet. Die hatten sich ja Ende Februar dieses Jahres hier in Berlin getroffen um sich zu einigen, dass die Gespräche für eine Übergangsregierung nun tatsächlich auch stattfinden sollen. Nach dem Willen der Russen sollen an diesem Gespräch die Vertreter der syrischen Opposition und der syrischen Regierung teilnehmen, aber auch die Regionalstaaten, die ja in diesen Krieg involviert sind. Und die Vetomächte des UN-Sicherheitsrates, Verteter der Europäischen Union, der Arabischen Liga und der Vereinten Nationen. Also ein relativ breiter Rahmen.
weltnetz.tv: Sie hatten im Gespräch mit weltnetz.tv bereits mehrfach auf syrische Initiativen hingewiesen, die sie ingesamt als "politische Opposition" beschrieben haben, im Gegensatz zur "bewaffneten Opposition". Diese Initiativen haben von Anfang an auf Dialog und Verhandlungen gesetzt, sind aber, gerade bei den westlichen Mächten, die doch immer auf Konfrontation gesetzt haben, nie wirklich auf Gehör gestoßen. In einer eventuell neuen Situation: sitzen diese Gruppen nun in Genf mit am Tisch?
Karin Leukefeld: Es gibt starke Kräfte, die das verhindern wollen. Aber sowohl London, als auch die USA, vor allem aber Russland und China sind sehr dafür, dass diese Kräfte an der Konferenz teilnehmen. Das ist ja im wesentlichen der "Nationale Koordinationsrat für demokratischen Wandel" (NCC) und dessen Auslandsvertreter Haytham Manna. Er ist ständig unterweg im Augenblick in Gesprächen, er war in London, er war in Washington. Und er wird mit Sicherheit mit einer Delegation von vermutlich fünf oder sechs Personen an diesem Treffen in Genf teilnehmen.
weltnetz.tv: Mit dem Auslaufen des Waffenembargos können nun europäische Regierungen leichter Waffen an syrische Oppositionsgruppen schicken. Darauf haben insbesondere die französische und die britische Regierung geachtet. Die deutsche Bundesregierung schließt Waffenlieferungen ziemlich kategorisch aus. Woher rührt diese Uneinigkeit bei den europäischen Außenministern?
Karin Leukefeld: Nun, es sei mal dahingestellt, ob diese Uneinigkeit tatäschlich in diesem Krieg in Syrien begründet ist. Ich glaube, dass man sich jetzt in Brüssel nicht einigen konnte, auch das Waffenembargo aufrechtzuhalten, hat auch damit zu tun, dass es zwischen Deutschland, Großbritannien und Frankreich auch noch andere Konflikte gibt. Dass also Großbritannien und Frankreich einfach mal deutlich sagen wollten: das hier ist ein Punkt, wo wir uns nichts vorschreiben lassen. Und sie haben ja auch gezeigt, dass sie, wenn es um bewaffnete Einsätze geht, ob Libyen oder Mali, durchaus Alleingänge machen. Möglicherweise auch in Absprache mit den USA, weil das ja auch den Druck auf Washington wegnimmt - es gibt ja den Druck, dass Washington sich militärisch engagieren soll in Syrien. Dass es nun möglicherweise eine Vereinbarung gibt, oder eine Übereisntimmung, zwischen Washington einserseits und London und Paris auf der anderen Seite. Dass, wenn diese beiden Mächte nun sagen, wir liefern Waffen und wollen ins hier engagieren, dass dadurch Präsident Obama ein bißchen mehr Spielraum für Verhandlungen hat. Man weiß nie so genau, was hinter den Kulissen eigentlich verhandelt wird... Ob Großbritannien und Frankreich wirklich militärisch eingreifen, bleibt abzuwarten. Möglicherweise wollen sie nur den Druck auf die Führung in Damaskus erhöhen, vor allem auf Präsident Bashar al-Assad, dass er zu mehr Zugeständnissen bereit ist...
Dass Deutschland hier eine andere Position einnimmt, ist auch ein bißchen Geschichte. Deutschland hat sich eigentlich in den letzten zehn Jahren aus diesen neuen bewaffneten Konflikten herausgehalten, außer in Afghanistan oder Jugoslawien, wo sie ganz klar eine Rolle eingenommen haben, aber in Irak oder Libyen haben sie sich nicht engagiert. Deutschland engagiert sich aber auf einer anderen Ebene: in der politischen und humanitären Unterstützung der Aufständischen. Und das offensichtlich in Übereinstimmung mit den Staaten, die mehr die militärische Komponente betonen.
weltnetz.tv: Deutschland hat sich nicht mit Waffen an diesem Konflikt beteiligt. Im Januar 2012 ist aber das Projekt "The Day After" initiiert worden, maßgeblich von Deutschland mitgetragen, ursprünglich initiiert in den USA. Diese Projekt, das konnte man den Dokumenten entnehmen, hat durchweg auf die Zerstörung Syriens gesetzt, um "the day after", den Tag nach Assad, zu planen. Was ist aus diesem Projekt eigentlich geworden? Gab es da noch irgendwelche Verlautbarungen?
Karin Leukefeld: Es gab Sitzungen, die aber nicht so an die Öffentlichkeit gekommen sind. Das ganze Projekt ist ja eher jenseits der Öffentlichkeit zustande gekommen und man hat dann hinterher der Presse nur den Plan, sozusagen, vorgestellt. Das ist aber ein Ausdruck davon, auf welcher Ebene die Bundesregierung aktiv ist: Unterstützung von Oppositionellen für politische Zukunftspläne, um zum Beispiel eine Übergangsregierung vorzubereiten, um vielleicht einzelne Personen aus diesem Kreis vorzuschlagen, die dann in Zukunft eine politische Bedeutung haben sollen. Also da ist die Bundesregierung sicherlich nach wie vor ganz stark involviert.
Das Projekt "The Day After" ist eigentlich ein bißchen in der Versenkung verschwunden. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Entwicklung im Land selber in eine andere Richtung gegangen ist, als man sich das gedacht hat. Man hat ja damals gedacht, Assad wird innerhalb kürzester Zeit stürzen und dann steht man sozusagen in Damaskus auf dem Zentralplatz und kann mit dem Neuaufbau beginnen. Ich denke, man hat das jetzt ein bißchen auf Eis gelegt, aber das Projekt wird sicherlich in Zukunft in weiteren Diskussionen nochmal eine Bedeutung. Denn die Idee, eine Übergangsregierung einzurichten, wird ja in Frage gestellt durch das (The Day After-)Projekt, eine Gegenregierung im Norden des Landes aufzubauen. Die "Syrische Nationale Koalition" hat ja einen Exilpräsidenten gewählt, der eine Exilregierung aufbaut, die dann alle in den Norden des Landes zurückkehren sollen, um von dort aus Syrien neu aufzubauen. Das ist ja eine Gegenregierung - und die wird möglicherweise unterstützt von den Plänen dieses Projektes "The Day After".
weltnetz.tv: Ich möchte darauf später nochmal zurückkommen, aber jetzt nochmal nachhaken, was die Rolle Deutschlands betrifft bzw. wie die Bundesregierung versucht, auf syrischem Territorium doch auch Fuß zu fassen. Sie hatten eben schon auf humanitäre Projekte, auf Hilfslieferungen hingewiesen. Was für eine politische Strategie verfolgt die Regierung mit solchen Initiativen, oder geht es da wirklich nur ums Helfen und Pflegen?
Karin Leukefeld: Also bevor ich darauf antworte, möchte ich doch nochmal betonen, dass die Politik der Bundesregierung nicht ganz so friedfertig ist. Denn die Waffenexporte der Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren in die Region des mittleren Ostens, haben enorm zugenommen. Und natürlich beliefert die Bundesregierung Staaten wir Katar, Saudi-Arabien, Jordanien oder auch die Türkei, die ganz explizit an der Bewaffnung und Ausrüstung der Aufständischen in Syrien beteiligt sind. Man muss als eigentlich auch davon ausgehen, dass in diesem Fall auch Waffen aus Deutschland mit zum Einsatz kommen. Aber offiziell hat Deutschland natürlich immer den humanitären Charakter der Unterstützung der Opposition betont.
Sie tun das also in den Flüchtlingslagern in der Türkei, in Jordanien vor allen Dingen, auch im Libanon. Und dass sie jetzt überlegen, jenseits des humanitären Völkerrechts Hilfe zuzulassen und finanziell zu unterstützen die in Syrien stattfindet, aber nicht in Absprache mit der syrischen Regierung, sondern die aus der Türkei illegal über die Grenze kommt, das ist natürlich ein neuer Schritt. Damit wird das Völkerrecht auch außer Kraft gesetzt. Es wäre auch interessant zu erfahren, wie die Bundesregierugn so etwas völkerrechtlich begründet. Aber sie hat schon ein Verbindungsbüro an der Grenze zu Syrien aufgebaut, das personell von der "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit" (GIZ) betreut wird, der Entwicklungsorganisation der Bundesregierung. Und darüber wird also diese Arbeit im Norden Syriens organisiert und koordiniert.
weltnetz.tv: Sind die von Deutschland initiierten humanitären Projekte dann in den sogenannten "befreiten Zonen" aktiv? Also den Zonen, die von Rebellentruppen kontrolliert werden und also ohne Genehmigung der syrischen Regierung?
Karin Leukefeld: Genauso ist es. Die syrische Opposition und auch einige Medien und Politiker hier sprechen ja von sogenannten "befreiten Gebieten". Das ist natürlich aus Sicht der Menschen, die dort leben, und vieler Syrer, die von dort vertrieben worden sind, eine nicht zulässige Beschreibung. Die fragen sich natürlich: was heißt "befreite Gebiete", wenn man uns aus unseren Dörfern eigentlich vertrieben hat. Aber es geht genau darum, dass zum Beispiel in der Provinz Idlib, in der Provinz Aleppo, in Ra's al-'Ayn, in Qamischli, also im Grenzgebiet zur Türkei, deutsche Nicht-Regierungs-Organisationen, ausgestattet mit Geld des Auswärtigen Amtes, Hilfsprojekte durchführen sollen - ganz explizit an der syrischen Regierung vorbei. Das hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, in einem Interview mit der "Frakfurter Allgemeinen Zeitung" vor einiger Zeit auch so gesagt - dass es eben auch vorbei an der syrischen Regierung so gemacht werden soll. Das betrifft natürlich ein ausgewähltes Gebiet, in dem die Exilregierung der Opposition agieren soll. Die sollen dort installiert werden, die sollen dort eine Art Gegenregierung aufbauen. Und dieser Prozeß wird im Grunde mit der Arbeit von Hilfsorganisationen abgefedert, gestärkt und unterstützt. Das ist natürlich ein ganz massiver Eingriff in die staatliche Souveränität und territoriale Integrität eines Landes.
weltnetz.tv: Es hat von US-Thinktanks, aber auch von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" Überlegungen gegeben, dass Syrien bereits in drei Teile zerfallen ist. Nämlich in ein Gebiet, dass unter Kontrolle der bisherigen Regierung steht, ein Gebiet, im Osten, das von islamistisch orientierten Truppen kontrolliert wird, als auch einen kurdischen Teil. Und diese Dreiteilung wird in diesen Überlegungen dargestellt als gangbare, mögliche Lösung des Syrienkonfliktes. Was sind das für Planspiele der westlichen Mächte zur Aufsplitterung Syriens?
Karin Leukefeld: Teile und herrsche! Wenn man dieses Land in drei, oder auch fünf Teile unterteilen will, dann schwächt man damit natürlich jede Art von Zentralregierung, die so umstritten gewesen sein mag, wie sie war oder ist. Sicherlich, es gab sehr viele Konflikte mit Damaskus, von Seiten der Kurden, auch von Seiten islamischer Organisationen. Aber man darf nicht vergessen, dass die stärkste kurdische Opposition in Syrien, sich eindeutig an Seite der politischen Opposition in Syrien positioniert, die keine Teilung des Landes will. Die "Partei der Demokratischen Union" (PYD), welche die Kurden in Syrien mehrheitlich führt, hat gesagt, dass sie keinen eigenen Staat, keine Abtrennung wollen, sondern sie betrachten sich als Teil Syriens und wollen mit den Syrern gemeinsam eine neue Zukunft für das Land erarbeiten. Deswegen beteiligen sie sich auch nicht militärisch an diesem Konflikt.
Ich denke, dieser Plan (zur Aufsplitterung Syriens) ist ohne die Interessen der kurdischen Bevölkerung gemacht worden und natürlich auch ohne die Interessen der Syrer zu berücksichtigen. Denn ich glaube, wenn man eine Umfrage in Syrien machen würde, dann würde so etwas garantiert zurückgewiesen werden. Das entspricht eher dem Interesse, dass man das Land aufteilt, damit schwächt, und diese Schwächung soll Syrien als einen ganzen Staat treffen, der ja in Bezug auf westliche Interessen in der Region immer eine oppositionelle Haltung eingenommen hat. Da kommen wir also ganz schnell von der nationalen Ebene auf die regionale und internationale, geostrategische Ebene des Konfliktes. Solche Interessen stecken dahinter - aber nicht die Interessen der syrischen Bevölkerung.
weltnetz.tv: Karin Leukefeld, vielen Dank für das Gespräch.
Karin Leukefeld: Danke auch.
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