USA: Die schwarze Elite und das Vermächtnis von Martin Luther King

Interview mit Glen Ford, Chefredakteur von Black Agenda Report
Video: 
therealnews
Länge: 
00:11:19

Vor 50 Jahren hatten sich Hunderttausende in der US-Hauptstadt versammelt, um Gleichberechtigung für die schwarze Bevölkerung zu fordern. Der "Marsch auf Washington" und die Rede Dr. Martin Luther Kings "Ich habe einen Traum" gingen als einer der Höhepunkte der Bürgerrechtsbewegung in die Geschichte ein. Im August dieses Jahres wurde mit einer Festwoche in Washington der historische Jahrestag begangen. Auch Präsident Obama, der sich nur allzu gerne mit dem Vermächtnis Martin Luther Kings schmückt, nahm an den Feierlichkeiten teil. Glen Ford, der Chefredakteur der linken afroamerikanischen Internetseite www.blackagendareport.com ist ein bekannter Kritiker des US-Präsidenten und der schwarzen Elite des Landes, die Martin Luther King für sich vereinnahmen möchten. Am 21. Januar, am Tag der zweiten Amtseinführung von Präsident Obama führte der Chefredakteur Paul Jay von The Real News Network (TRNN) ein Interview mit Glen Ford.

Originalbeitrag auf TRNN vom 21.01.2013: http://www.youtube.com/watch?v=n4SEr76qhoA

Übersetzung: Doris Pumphrey / weltnetz.tv

USA: Die schwarze Elite und das Vermächtnis von Martin Luther King 

(21. Januar 2013)

PAUL JAY: Willkommen bei The Real News Network. Ich bin Paul Jay in Baltimore.

Martin Luther King war zu seinen Lebzeiten ein Repräsentant, ein Führer der Afroamerikaner, aber der Arbeiterklasse, vor allem der schwarzen Arbeiterklasse. Inzwischen scheint er für die Elite eine Ikone geworden zu sein, ein Symbol für ehrenamtlichen Dienst an der Gemeinde, besonders für die schwarze Elite.

Um über Martin Luther King, seine heutige Bedeutung und Erinnerung an ihn zu sprechen, begrüßen wir Glen For, den Mitbegründer und derzeitigen Chefredakteur des 'Black Agenda Report'. Er hat 'America's Black Forum', das erste schwarze Fernseh-Interviewprogramm, mitbegründet, produziert und moderiert.

Danke, dass Sie gekommen sind, Glen.

Ford: Danke, dass ich da sein kann, Paul.

JAY: Was halten Sie vom Umgang mit dem Gedenken an Martin Luther King, vor allem über die Rolle der schwarzen Elite dabei?

FORD: Sie meinen offensichtlich die Entstehung dessen, was wir die Klasse der schwarzen Irreführer nennen. Ich denke, wir müssen ins Jahr 1968 zurückgehen, als Martin ermordet wurde.

1968 war die gesetzliche Verankerung fast aller Bürgerrechte gewonnen. Es fehlte nur noch ein wichtiges gegen die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, das kurz nach Martins Tod angenommen wurde.

Von der Abschaffung der gesetzlichen Rassentrennung konnte vor allem jene Klasse von Schwarzen profitieren, die über Bildung und Geld etc. verfügte und die neue Mobilität nutzen konnte. Sie waren dafür ausgerüstet, die Bürgerrechtsrevolution für die eigene Karriere und Verwirklichung ihrer Sehnsüchte zu nutzen. Und das taten sie.

Die Bürgerrechtsbewegung, die breite schwarze Bewegung, wurde nicht nur durch die staatliche Repression, auf Bundesebene durch das FBI-COINTEL-Programm und auf Landes- und lokaler Ebene beeinträchtigt. In gewissem Sinne wurde die Bewegung auch von innen heraus stillgelegt durch die Schwarzen aus der oberen Klasse. Sie sahen ihre Zeit gekommen, in die Welt der Unternehmer einzutreten, für politische Ämter zu kandidieren, aus der Abschaffung der gesetzlichen Rassentrennung Profit zu schlagen. Sie wollten keine Fortsetzung der Massenbewegung und der Unruhe in den Straßen. Jene, die für ein politisches Amt kandidieren, die Bürgermeister sind oder werden wollen, das letzte was die wollen, ist eine Volksbewegung in der Stadt. Die einzige Bewegung, die ein lokaler Amtsträger haben will, ist, dass sich die Leute alle 2 oder 4 Jahre Richtung Wahlurne bewegen und die übrige Zeit stillhalten.

Es war also im Interesse dieser Klasse der gewinnsüchtigen Aufsteiger, die Bewegung lahmzulegen und das Evangelium der willfährigen Politik zu predigen, die die Art von politischen Massenaktivitäten ausschließt, wie Dr. King sie angeführt hatte.

JAY: Sagen Sie uns doch etwas zu Kings Botschaft, vor allem in den letzten Jahren seines Lebens und zu dem, was die schwarze Elite, oder wie Sie sie nennen, schwarzen Irreführer verkünden.

FORD: Ich denke man könnte King zutreffend als linken Sozialdemokraten bezeichnen. Einige, wie Dr. Tony Monteiro, den Sie vor Kurzem auf Sendung hatten, nennen Dr. King einen revolutionären Demokraten. Er hat sich nicht als Nationalist gesehen, sondern als Sozialist bezeichnet. Seine Mitarbeiter rieten ihm ab dieses Wort zu benutzen.

Er unterschied sich von den Sozialdemokraten, wie wir sie heute kennen, denn er war gegen den US-Imperialismus, weil er ein Mann des Friedens war.

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MARTIN LUTHER KING JR.: Bald werden sie verstehen, dass ihre Regierung sie in den Kampf gegen die Vietnamesen geschickt hat und die Aufgeklärteren werden sicherlich erkennen, dass wir auf der Seite der Wohlhabenden und Gesicherten sind, während wir den Armen die Hölle bereiten.

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FORD: King war ein Antikriegsaktivist vor 1967, als er mit seiner Rede in der Riverside Church den formalen Bruch vollzog. Dr. King brach mit dem Präsidenten, mit dem die Bewegung, die er anführte, eine Art Bündnis eingegangen war, mit dem Präsidenten, der die Bürgerrechtsgesetzgebung eingeführt und unterschrieben hatte. Martin Luther King fühlte, dass er mit dem zeitweiligen Verbündeten brechen musste wegen des Vietnamkrieges, nicht nur weil der Krieg unmoralisch war, sondern weil der Militarismus auch die Innenpolitik beeinflusst.

Ja, er war ein linker Sozialdemokrat. Er war überzeugt, dass Politik sich nicht auf die Wahlurne beschränken sollte. Er widerstand allen Bitten von linken Leuten, die ihn drängten für ein politisches Amt zu kandidieren. Für ihn bedeutete Politik Menschen in Bewegung zu setzen – und die Wahlurne war nur ein Ziel.

JAY: Nun soll Martin Luther King gewürdigt werden, indem man, glaube ich, an einem bestimmten Samstag, also einen ganzen Tag lang, Dienst für die Gemeinde leistet. So soll an Martin Luther King erinnern werden, mit ehrenamtlicher Arbeit. Sie sagten, dass sich King selbst als Sozialist sah. Seine Reden in den letzten Jahren seines Lebens waren ja auch ziemlich antikapitalistisch geprägt.

FORD: Nun er sprach von den drei Übeln, Rassismus, extremen Materialismus und Militarismus.

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MARTIN LUTHER KING JR: Ich bin davon überzeugt, dass wir uns auf die richtige Seite der Weltrevolution stellen müssen. Als Nation müssen wir uns einer radikalen Revolution der Werte unterziehen. Wir müssen zügig mit der Abkehr von einer sachbezogenen hin zu einer personenbezogenen Gesellschaft beginnen. Wenn Maschinen und Computer, Profitstreben und Eigentumsrechte für wichtiger gehalten werden als die Menschen, dann wird die gigantische Allianz von Rassismus, extremem Materialismus und Militarismus nicht mehr besiegt werden können.

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FORD: Ich denke, mit extremen Materialismus meinte er die Herrschaft der Reichen. Er wurde auch sehr deutlich was die Beherrschung der Massen durch eine begüterte Klasse betraf. Schon 1967 befürwortete er ein garantiertes nationales Mindesteinkommen. Er hat sicherlich eine Art soziales Evangelium gepredigt. Und ich denke, politisch sollten wir ihn als Sozialisten bezeichnen, wie er sich selbst genannt hat.

JAY: Wir haben uns schon mehrmals über Präsident Obama unterhalten und dass einige versuchen ihm Dr. Kings Mantel umzuhängen. Sie kritisieren das und haben vor kurzem etwas darüber geschrieben. Wird das immer noch gemacht und was halten Sie davon?

FORD: Das ist doch Irrsinn. Wir schrieben, dass, wäre King noch am Leben, würde er seinen eigenen Geburtstag am 15. Januar mit der Organisierung einer massiven Störung der Amtseinweihung Obamas feiern. Wir meinen das ernst, denn ich bin mir dessen sicher. Er wäre entsetzt über diesen Präsidenten, der schon mal gleichzeitig 5 Länder bombardierte, der eine Kill-Liste hat und jeden Dienstag entscheidet, wer mit einer Drohne umgebracht werden soll, der ein Gesetz zur Präventivhaft einführen ließ. Dieser Kriegstreiber übertrifft in seinem Militarismus sogar George Bush.

Wie könnte man sich unseren 'Friedensfürst' King, wie ihn einige nennen, anders vorstellen, als dass er seine ganze Organisationskraft einsetzen würde, um die weltweiten kriegerischen Strategien dieser Regierung zu stören.

Wenn Leute sagen, es gäbe eine nahtlose Verbindung, eine direkte Linie zwischen Dr. King und Barack Obama, dass King heute die Verwirklichung seines Traums in dieser Familie im Weißen Haus sehen würde, dann ist das einfach verlogen, vor allem wenn bekannte Intellektuelle diese Art Denken befördern.

Von all unseren großen Führern – ich spreche von den großen schwarzen Führern – war Dr. King wahrscheinlich derjenige, der den Menschen alle Facetten seines Denkens erklärt hat. Er schrieb Bücher, hielt Reden, nicht nur wie ein Mann der Bewegung, sondern auch wie ein Intellektueller und Staatsmann. Er war eine öffentliche Persönlichkeit und zu seiner Zeit so bekannt wie Mandela heute. Er besaß die Kunst mit den führenden Medien zu sprechen, auch mit kurzer prägnanter Rhetorik.

Kings Schriften, Reden und Interviews legen sein Denken offen. Und in seinen Hunderttausend, ja Millionen Worten liegt der Beweis, dass er ein Gegner dieses Regimes, dieses Präsidenten wäre, ein Gegner seiner Innen- und Außenpolitik.

JAY: Danke, dass Sie gekommen sind, Glen.

FORD: Ich danke Ihnen.

JAY: Und ich danke den Zuhörern von The Real News Network.

Barack Obama

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