50. Jahrestag der Ermordung Präsident Kennedys

Oliver Stone und Peter Kuznick im Gespräch mit Amy Goodman (Democracy Now!)
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Democracy Now!
Länge: 
00:30:28

Filmregisseur Oliver Stone und US-Historiker Peter Kuznick im Gespräch mit Amy Goodman. Eine Beitrag von Democracy Now! vom 5. November 2013.

Vor 50 Jahren, am 22. Januar 1963 wurde US-Präsident John F. Kennedy ermordet. In seiner kurzen Amtszeit hatte er eine politische Kehrtwende vollzogen -- ausgelöst durch die friedliche Beilegung der Kubakrise, die die Welt an den Abgrund des Atomkrieges gebracht hatte. Er unterschrieb das erste Atomteststoppabkommen, sprach sich gegen einen Wettlauf im Weltall aus, kündigte schließlich den Abzug der US-Truppen aus Vietnam an, plante eine Annäherung an Kuba und wollte den Kalten Krieg beenden. Damit hatte er sich viele Feinde in Militär-, Geheimdienst- und Wirtschaftskreisen geschaffen. 

Über Kennedy und seine Ermordung sprechen der berühmte US-Filmemacher Oliver Stone (von ihm stammen u.a. die Filme "Platoon", das große Porträt über Fidel Castro "Comandante" und "JFK" -- "John F. Kennedy, Tatort Dallas") und der US-Historiker Peter Kuznick. Sie sind Ko-Autoren der zehnteiligen Fernsehserie über die Geschichte der USA "Untold History of the United States", in der sie erzählen, was die offizielle US-Geschichtsschreibung gerne unterschlägt. 

Übersetzung: Doris Pumphrey/weltnetz.tv

Link zum Originalbeitrag

50. Jahrestag der Ermordung Präsident Kennedys

Filmregisseur Oliver Stone und US-Historiker Peter Kuznick im Gespräch mit Amy Goodman. Eine Beitrag von Democracy Now! vom 5. November 2013.

AMY GOODMAN: Vor 50 Jahren, am 22. November 1963, nach knapp Tausend Tagen im Amt, wurde Präsident John F. Kennedy in Dallas, Texas erschossen. Das Attentat auf ihn blieb bis heute ungeklärt. Mit unserem Gast, dem berühmten Regisseur Oliver Stone, blicken wir zurück auf Kennedys Leben und sein Vermächtnis. In seinem Politthriller "JFK" untersucht der ehemalige New Orleans Bezirksstaatsanwalt Jim Garrison, gespielt von Kevin Costner, die Ereignisse, die zu Kennedys Ermordung führten und die anschließende Vertuschung. Hier zunächst der Trailer des Films JFK:

SPRECHER: Die schockierende Ermordung eines Präsidenten.

JIM GARRISON: John F. Kennedys Ermordung war wahrscheinlich eines der schrecklichsten Augenblicke in der Geschichte unseres Landes.

SPRECHER: Die abscheuliche Ermordung des Verdächtigen.

REPORTER: Oswald wurde erschossen!

SPRECHER: Die Hartnäckigkeit eines Bezirksstaatsanwalts.

JIM GARRISON: Wer tötete den Präsidenten?

DAVID FERRIE: Oh, Mann!

JACK MARTIN: Muss ich es für Sie buchstabieren, Mr. Garrison?

SPRECHER: Der alles riskieren wird.

LIZ GARRISON: Du kümmerst dich mehr um John Kennedy als um deine Familie.

SPRECHER: Um die Wahrheit zu finden.

X: Warum wurde Kennedy ermordet?

DAVID FERRIE: Weißt Du dass ich umgebracht werden soll?

X: Wer profitiert?

DEAN ANDREWS: Die Regierung wird gegen dich vorgehen, Jimbo.

X: Wer hat die Macht das zu vertuschen?

SPRECHER: Wer ermordete JFK?

JIM GARRISON: Jetzt verlassen wir die reale Welt, Leute.

WILLIE O’KEEFE: Die Menschen haben das Recht zu wissen.

JIM GARRISON: Du musst auf einer anderen Ebene denken, wie die CIA.

WILLIE O’KEEFE: Die Leute müssen erfahren warum er ermordet wurde.

JIM GARRISON: Wahrheit ist unser wichtigster Wert.

LIZ GARRISON: Ich will nur unsere Kinder erziehen und ein normales Leben führen. Ich will mein Leben zurück!

SPRECHER: Kevin Costner.

JIM GARRISON: Nichts wird mich von meiner Untersuchung über Kennedys Ermordung abhalten.

SPRECHER: In einem Oliver Stone Film.

JIM GARRISON: Lasst Gerechtigkeit walten oder alles bricht zusammen

SPRECHER: JFK.

AMY GOODMAN: Gleich nach Kennedys Ermordung wurde das offizielle Narrativ in Frage gestellt. Fünf Jahrzehnte später vermutet eine Mehrheit der Amerikaner immer noch eine Verschwörung. Laut einer Umfrage von AP im April, meinen 59 Prozent, dass mehrere Personen an der Verschwörung beteiligt waren, während 24 Prozent – der höchste Anteil seit Mitte der 60iger, an die Einzeltäterschaft Oswalds glauben, 16 Prozent sind sich unsicher. Laut einer Gallup Umfrage in 2003 glauben 75 Prozent an eine Verschwörung.

Bei uns ist heute der dreimalige Oskar Preisträger, der Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Oliver Stone. Er ist Vietnamkriegsveteran und produzierte rund zwei Duzend berühmte Hollywood Filme, u.a. Platoon, Wall Street, Salvador, JFK, Nixon.
Zum 50. Jahrestag der Ermordung Kennedys wird er eine Gedenkausgabe des Films JFK herausgeben. Er ist Ko-Autor der Filmserie "
Untold History of the United States", zu dem es auch Blu-Ray und ein Buch gibt…

Ebenso bei uns ist Peter Kuznick, Geschichtsprofessor und Direktor des Nuclear Studies Institute an der American University und Ko-Autor der "Untold History of the United States".

Herzlich willkommen bei Democracy Now. Ich möchte mit Ihnen beginnen, Oliver Stone. Was sind Ihre Gedanken an diesem 50. Jahrestag von Kennedys Ermordung?

OLIVER STONE: Danke Amy, gut Sie wiederzusehen. Hallo Peter.

Meine Gedanken. Ich sah mir den Film vor einigen Tagen an und habe das noch mal aus einem Abstand heraus bewertet. Es ist wirklich erstaunlich, dass Leute das immer noch leugnen. Ich war Infanterist in Vietnam und habe so einige Kampferfahrung. Ich sah wie Menschen weggeblasen wurden. Wenn man sich noch mal den Ausgangspunkt des Films ansieht – die Kugeln, die Autopsie, die Forensik, die Geschossbahn – und alles andere außer Acht lässt, Oswalds Hintergrund, Garrison etc. also nur das Wesentliche, die Beweise, das was man selbst in diesen sechs Sekunden sehen kann, es ist alles da, man kann es mit eigenen Augen sehen.

Man sieht wie Kennedy am Hals getroffen wird, in den Rücken. Dann vor allem von vorne. Mit dem vierten, fünften oder sechsten Schuss – fällt er zurück nach links. Das ist der Beweis. Man sieht wie ein Mann zurück fliegt, weil er von vorne getroffen wurde. Viele Zeugen im Parkland Krankenhaus und bei der Autopsie in Bethesda sahen eine massive Austrittswunde an seinem Hinterkopf, auf der rechten Seite. Auch ein junger Arzt im Parkland, Dr. McClelland, sah das Kleinhirn, wie sein Gehirn aus dem Hinterkopf herausgetreten war. Später wird er dann unzulässig nach Bethesda Maryland gebracht, ins Militärhospital…

AMY GOODMAN: Warum unzulässig?

OLIVER STONE: Wie bitte?

AMY GOODMAN: Sie sagten, er sei unzulässig dorthin gebracht worden

OLIVER STONE: Nein, ich meinte unmittelbar, also innerhalb einer oder zwei Stunden – aber der Flug dauert vier Stunden und dann spät am Abend erst die Autopsie. Es wird manipuliert, nicht die beteiligten Ärzte haben die Leitung, sondern das Militär sagt ihnen was sie tun müssen.

Und im Ergebnis kommen da eigenartige Geschosse zutage – sein Hinterkopf ist verbunden – und sie versuchen die Kugel von vorne mit der von hinten zu erklären. Sie sagen der Schuss von hinten ging in seinen Rücken und traf Gouverneur Connally. Sie reden von drei Kugeln, eine verfehlte und der magischen Kugel, die Arlen Specter und andere erfanden, wird eine unmögliche Bahn zugeschrieben.

Es gibt sieben Wunden in zwei Menschen, in Kennedy and Connally. Die Kugel trifft Kennedy in den Rücken, tritt an der Kehle aus, biegt nach rechts ab, triff Connally links, von dort geht die sie nach unten zu Connallys rechtem Handgelenk und schlägt zurück in sein linkes Knie. Es ist eine Farce und sie kommen damit durch. Ein einziger Hokuspokus mit wissenschaftlichen Beweisen. Kampferfahrene Menschen wissen, dass die Beschaffenheit der Wunde wesentlich ist. Kennedy wurde unmittelbar vor Connally in den Rücken getroffen, dann wird Connally getroffen. Dann wird Kennedy am Kopf getroffen. Es gibt mindestens fünf Schüsse. Und man muss sich den Zapruder Film immer wieder ansehen, auch wenn sie ihn geändert haben.

AMY GOODMAN: Erklären Sie doch für die Jüngeren wer Zapruder war

OLIVER STONE: Zapruder war ein Bürger aus der Stadt, der diese Filmaufnahmen gemacht hat. Die CIA und der Secret Service haben die etwas manipuliert, darauf weist vieles hin. Und trotzdem sind diese Aufnahmen von Zapruder auch heute ein wichtiges Zeugnis, denn sie zeigen deutlich den Zeitablauf der Ermordung.

Im Film gibt es eine Szene, wo ein Mann versucht das nachzumachen, was Oswald tat mit einem Mannlicher Carcanogewehr aus dem 2.Weltkrieg. Ein sehr schlechtes italienisches Infanteriegewehr. Man muss durch einen Baum auf ein Ziel treffen, das sich von einem fortbewegt. Es geht nicht, zwei FBI Experten-Teams und andere haben vergeblich versucht das in weniger als sechs Sekunden zu simulieren. Es war ein ausgeklügelter Hinterhalt. Es muss mindestens einen Schützen von vorne, vom Zaun, gegeben haben. 

AMY GOODMAN: Noch mal zum Film JFK. Als Jim Garrison den Fernsehbericht über den mutmaßlichen Mörder Lee Harvey Oswald sieht, telefoniert er mit seinem Kollegen und bittet ihn Oswalds Verbindungen nach New Orleans etwas mehr zu recherchieren.

REPORTER: ... Lee Harvey Oswald. Nach seiner Zeit in den Marines, war er offenbar vom Kommunismus fasziniert.

BOB: Er soll immer noch ein engagierter Marxist und fanatischer Unterstützer von Fidel Castro und linksextremistischer Anliegen sein. Letzten Sommer wurde er in New Orleans wegen einer Schlägerei mit Exilkubanern verhaftet.

REPORTER: Offenbar hat Oswald für eine Organisation pro-Castro Flugblätter verteilt ...

JIM GARRISON: Lou? Sorry, dass ich dich so spät störe. Es ist zwar Routine, aber wir sollten Oswalds Verbindung zu New Orleans prüfen, Freunde oder Bekannte vom letzten Sommer finden. Lass uns übermorgen ein Treffen machen mit den Mitarbeitern und Ermittlern.

LOU IVON: Am Sonntag also?

JIM GARRISON: Ja, um 11 Uhr.

LOU IVON: Gut.

JIM GARRISON: Danke Lou.

AMY GOODMAN: Das war Kevin Costner als Jim Garrison, die zentrale Figur in Ihrem Film. Warum der Bezirksstaatsanwalt Jim Garrison?

OLIVER STONE: Jim Garrison war die einzige Amtsperson, die Anklage erhob und es war sehr schwer gegen eine verdeckte Operation der US-Regierung vorzugehen, die er vermutete. Und wir wissen es auch, nachdem wir etwas mehr Erfahrung gesammelt haben. Denken wir an Snowdens Fall, an Wikileaks an Manning. Sie alle hatten Probleme, Leute glauben das erst nicht. Garrison glaubte zunächst die Story, wie ich auch. Später ruft Garrison David Ferrie zu sich. Er meinte in New Orleans seien verdächtige Dinge passiert. Aber das FBI winkte ab, lehnte alle Zeugen ab, die er anbrachte. Er stieg in die Sache ein, als drei Jahre später Senator Russell Long ihm sagt, er glaube diesem Warren Report nicht…

Garrison las den ganzen Bericht der Warren Kommission, bemerkte all die Ungereimtheiten, begann mit der Zeugenbefragung, geriet in Teufels Küche. Die CIA beobachtete alles genau. Heute wissen wir, dass sie Akten über ihn anlegten, sein Büro verwanzten, Unterlagen stahlen, Informanten in seinem Büro hatten. Es war unmöglich. Drei der Zeugen starben. Für andere wurde die Vorladung verweigert. Er wandte sich an mehrere Mitglieder der CIA, an Allen Dulles.

Allen Dulles war der CIA-Direktor, bis er von Kennedy gefeuert wurde und dann leitete der die Warren Kommission, alles sehr eigenartig …

AMY GOODMAN: … und die Warren Kommission war mit der Untersuchung beauftragt ...

OLIVER STONE: … Ja, die Warren Kommission war eine Art Nebelwerfer, um alles zu verschleiern. Die Szene über Oswald, die wir gerade gesehen haben, erinnert an Beschreibungen von Edward Snowden als einsamen ruhmsüchtigen Narzissten. Oswald war sofort identifiziert, sie hatten sein Profil schon fertig: Ein einsamer Narr, Marxismus-Anhänger, der Kennedy nicht mochte. Nichts davon ist wahr. Aber es ist immer das erste Etikett, das kleben bleibt – siehe die Massenvernichtungswaffen für den Irakkrieg, der Tonkin-Zwischenfall für den Vietnamkrieg, die Explosion des Kriegsschiffes Main. Es ist immer die zuerst ausgegebene Version, die haften bleibt – es ist eine Schande. So war das auch mit dem Reichstagsbrand in Deutschland.

Am meisten stört mich, dass das von intelligenten Leuten gemacht wird, Journalisten der New York Times, Vanity Fair, des New Yorker, etc. Sie sagen, die Geschichte habe gezeigt und es sei ja auch Konsens, dass Oswald Einzeltäter war. Sie lesen nicht was Bob Groden, Cyril Wecht oder James Douglass in ihren Büchern aufgezeigt haben. Sie lassen die Ballistik außer Acht. Bob Groden hat in seinem neuen Buch "Absolute Proof" die die beste photographische Analyse der Schusswunden geliefert. Er hat 30 Jahre an diesem Fall gearbeitet. Man muss mit den Leuten reden, die Pathologie, Autopsien und fotographischen Beweise studiert haben.

AMY GOODMAN: Oliver Stone, warum ist dies nach 50 Jahren wichtig?

OLIVER STONE: Eine sehr gute Frage. Was tat Kennedy? Peter und ich haben das in unserer Serie "Untold History of the United States" behandelt. Er war ein sehr wichtiger Präsident. Es war 13 Jahre nach Inkrafttreten des National Security Act: Die USA waren schwer bewaffnet. In der Zeit von Truman 1947 bis Eisenhower 1960 wuchs die Zahl unserer Atomwaffen von 1000 auf 30.000. 1960 waren wir Spitze, die einzige echte Supermacht. Wir nannten es den Kommunismus "eindämmen", aber in Wirklichkeit wollten wir ihn zurückrollen. Wir hatten die Möglichkeit, Eisenhower hatte mehrmals die Sowjetunion nuklear bedroht, John Foster Dulles liebte das Spiel mit dem Feuer. Wir waren aggressiv und wollten den Krieg, wir wussten, die Sowjets würden uns irgendwann militärisch einholen. Sie taten das nie, aber wir hatten Angst davor. 1960 waren wir uns sicher, dass wir mit einem Erstschlag gewinnen würden. Das Pentagon war völlig durchgeknallt.

Als Kennedy den Bau der Berliner Mauer zuließ, zog er Wut auf sich. Es hieß, er sei gegenüber dem Kommunismus zu nachsichtig. Kennedy hatte verkündet: "Eine Mauer ist besser als ein Krieg." Kennedy galt als unfähig an Eisenhowers militärischen Status heranzureichen. Er verweigerte die Luftunterstützung der Schweinebuchtinvasion, ging nicht nach Laos, und in der Kuba-Krise im Oktober 62 wich er aus – so sah man das. Er sagte Nein zum Einmarsch und zur Bombardierung der Raketenstellungen.

AMY GOODMAN: Oliver, als wir das Interview mit Ihnen ankündigten, wurden wir von Zuschauer-Fragen überschüttet…

OLIVER STONE: … Es ist ein wichtiges Thema.

AMY GOODMAN: Ein Zuschauer fragt auf facebook: "Würden Sie zustimmen, dass vieles an Kennedy verklärt wurde, dass aus ihm ein liberaler Held gemacht wurde? In Wahrheit war er doch ein schrecklicher Kriegstreiber".

OLIVER STONE: Nein, im Gegenteil. Man konnte 1960 nicht Präsident werden, wenn man nicht als antikommunistischer Hardliner auftrat. In dieser Beziehung war er rechts von Nixon. Er glaubte an die sogenannte Raketenlücke, von der alle sprachen. Sechs Wochen nach seiner Amtseinführung ernannte er den Außenseiter Robert McNamara zum Verteidigungsminister und beauftragte ihn, im Pentagon die Sache zu prüfen. Er fand heraus, dass wir der Sowjetunion in jeder Beziehung überlegen waren und einen Erstschlag machen könnten. Er merkte, dass seine Generäle sich tatsächlich auf den Krieg vorbereiteten. Sie dachten, wenn wir die Sowjets 1960 nicht angreifen dann holen die auf. Und wir hatten die Krisen in Berlin, Vietnam, Laos etc und dann würde es bis 1970 einen Krieg geben. Sie wollten den Krieg sofort. Erinnern Sie sich an Jack Ripper aus dem Film "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben?" Dieser Charakter basiert auf Curtis LeMay, dem Stabschef der Luftwaffe. Auch Airforce-General Thomas Power, Arleigh Burke von der Navy, Lemnitzer von der Army, alle diese Leute wollten den Krieg. Der Mainstream Historiker Bob Dallek sieht das anders als wir. In seinem neuen Buch "Camelot's Court" schreibt er, Kennedy habe in all den Jahren an allen Fronten auf der Seite des Militärs gestanden.

AMY GOODMAN: Wir unterbrechen kurz. Unser Gast ist Oliver Stone, der dreimalige Oskar Preisträger, Regisseur, Produzent und Drehbuchautor. Danach wird auch Peter Kuznick bei uns sein. Er ist Geschichtsprofessor an der American University. Zusammen produzierten sie den Film "Untold History of the United States". Hier ist Democracy Now. Wir sind gleich zurück.

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AMY GOODMAN: Hier ist Democracy Now. Ich bin Amy Goodman. Unser Gast ist Oliver Stone, der dreimalige Oskar Preisträger, Regisseur, Produzent und Drehbuchautor und Peter Kuznick, Geschichtsprofessor an der American University, die beiden Ko-Autoren der Filmserie "Untold History of the United States", zu der es auch eine DVD und ein Buch gibt. Hier eine Sequenz aus dem Film. Wir sehen, wie am 27. Oktober 1962, während der Kuba Krise, ein sowjetischer Oberst im letzten Augenblick einen Atomkrieg verhinderte.

OLIVER STONE: Am 27. Oktober kam es zu einem Zwischenfall, den Schlesinger nicht nur als den gefährlichsten im Kalten Krieg bezeichnete, sondern auch "den gefährlichsten in der Geschichte der Menschheit." Russische Schiffe näherten sich der Blockadelinie. Der US Flugzeugträger USS Randolph hatte den ganzen Tag eines der vier begleitenden sowjetischen U-Boote gejagt und begann - mehr als 100 Meilen außerhalb der Blockadezone – Wasserbomben abzuwerfen, ohne zu wissen, dass das U-Boot Atomwaffen führte. Die Explosion erschütterte das U-Boot. Nur noch die Notbeleuchtung funktionierte. Die Temperatur stieg. Das Kohlendioxyd in der Luft erreichte eine gefährliche Konzentration. Die Männer konnten kaum mehr atmen. Einige wurden ohnmächtig. Das Leiden dauerte vier Stunden. "Dann trafen uns die Amerikaner noch stärker. Wir dachten das Ende sei gekommen." Panik brach aus.

Kommandant Valentin Savitsky versuchte vergeblich den Generalstab zu erreichen. Er glaubte, der Krieg habe begonnen und sie würden, wenn sie nichts tun, in Schande sterben. Er bereitete den Abschuss eines Atomtorpedos vor und wandte sich an zwei andere Offiziere. Zum Glück für die Menschheit konnte ihn der politische Offizier Vasili Arkhipov beruhigen und überzeugen, nicht abzufeuern und hat wahrscheinlich damit im Alleingang den Atomkrieg verhindert.

AMY GOODMAN: Oliver Stone erzählt die Geschichte der USA, die von ihm und dem Geschichtsprofessor Peter Kuznik verfasst wurde. Oliver, erzählen Sie uns mehr über das Geschehen 1962 und wie der Atomkrieg verhindert wurde.

OLIVER STONE: Während dieser Oktoberkrise sagte Eisenhower – über einen Mittelsmann – zu Kennedy, er solle bombardieren. Aber wir hatten keine Vorstellung von den Russen. Auf Kuba gab es 40.000 kampferprobte russische Soldaten unter dem Befehl eines Stalingradkommandeurs, eine starke, robuste Einheit. Sie hatten hundert nukleare Gefechtsfeldwaffen. Wir wussten das nicht. McNamara hat das viel später eingestanden. Zirka 200.000 Kubaner waren bewaffnet. Wenn wir da reingegangen wären, hätten wir viel mehr Tote riskiert, als wir dachten. Es hätte zu einer nuklearen Konfrontation in der Karibik kommen können, die sich wahrscheinlich schnell ausgedehnt hätte. Wir hätten China von Okinawa aus atomar bombardiert. Wir waren bereit die Sowjetunion wegzublasen. Das war im wesentlichen Eisenhowers Plan. In seiner achtjährigen Amtszeit hatte er Atomwaffen als Alternative zu konventionellen Waffen entwickelt, weil wir nicht die konventionelle Stärke der Sowjetunion hatten. Wir waren bereit, Atomwaffen einzusetzen. Die ganze Welt wäre vernichtet worden.

In der letzten Sekunde, sagten Chruschtschow und Kennedy – via Dobrynin und Robert Kennedy – Nein zu ihren Hardlinern. Und beide haben dafür bezahlt. Die Generäle waren wütend auf Kennedy. McNamara beschrieb, wie Curtis LeMay tobte und sagte: "Wir haben verloren. Es war unsere Chance". Chruschtschow wurde von seinen Leuten kritisiert. Aber die Sowjets waren uns militärisch unterlegen. Nach der Krise haben sie aufgerüstet und 1970 hatten sie uns fast eingeholt. Kennedy und Chruschtschow hatten die Welt in jenem entscheidenden Augenblick gerettet. Wir schulden ihm viel.

AMY GOODMAN: Peter Kuznick, da begann auch das US-Embargo gegen Kuba, das heute noch in Kraft ist. 1962. Können Sie etwas dazu sagen?

PETER KUZNICK: Die US-Politik zielte darauf ab, die Castro-Regierung zu sabotieren, zersetzen und zu stürzen. Sie befürchtete, dass Kuba ein Beispiel sein könnte für revolutionäre Bewegungen in ganz Lateinamerika. Seit dieser Zeit, sollte nicht nur die kubanische Regierung isoliert sondern ähnliche linke Aufstände anderswo verhindert werden.

Wir stürzen andere Regierungen. Im Teil 7 unseres Films zum Beispiel, setzen wir Vietnam in einen anderen Zusammenhang. Wir wollen zeigen, dass Vietnam keine Verirrung ist, deshalb beginnen wir mit dem Sturz 1964 der Regierung in Brasilien, 1965 in der Dominikanischen Republik. Wir zeigen die Rolle der USA im Blutbad in Indonesien 1965. Wir reden über die Eskalierung in Vietnam und über den US Putsch gegen die Allende-Regierung in Chile.

Die große Sorge der USA galt nicht Kuba selbst, sondern möglichen weiteren Revolutionen und radikalen Bewegungen in unserem Hinterhof, in Lateinamerika. Unter Kissinger haben wir mit rechtsgerichteten Regierungen in Lateinamerika im Rahmen der "Operation Condor" kooperiert. Es wurden Todesschwadronen gebildet, um nicht nur Revolutionäre, sondern auch Reformer und Dissidenten zu ermorden. Diese Politik wurde in den 80iger Jahren in Zentralamerika unter Reagan fortgesetzt. Die USA kooperierten mit der rechtsextremen Regierung in El Salvaldor, in Guatemala, mit den Kontras in Nikaragua. Kuba ist also nur ein Teil.

Aber wie Oliver sagt, die Kuba-Krise ist ein entscheidender Wendepunkt auch für Kennedy und Chruschtschow. Chruschtschow schrieb in einem späteren Brief an Kennedy "Schreckliches hat Gutes gebracht. Unsere Völker haben die Flammen eines Atomkrieges gefühlt. Lasst uns das nutzen. Beseitigen wir jedes mögliche Spannungsfeld zwischen uns, das zu einer weiteren Krise führen kann. Hören wir auf mit den Atomversuchen. Überwinden wir alle Probleme zwischen uns. Beseitigen wir die Militärblöcke NATO und den Warschauer Vertrag." Er reichte Kennedy die Hand. Beide hatten gelernt, dass man in einer solchen Krise die Kontrolle verlieren kann. Wir kamen dem Atomkrieg sehr nahe, obwohl beide alles taten ihn zu verhindern. Deshalb sagte Chruschtschow, "lasst uns alles beseitigen, was einen weiteren Konflikt auslösen könnte."

Bis zu Kennedys Ermordung im folgenden Jahr, begannen beide in mehreren Bereichen zu kooperieren. Wie Oliver sagte, Kennedy hatte viele Feinde, weil er immer wieder den Generälen, den Stabschefs, den Geheimdiensten und dem Establishment die Stirn bot. Und in der Zeit streckt er die Hand aus. Er unterzeichnet den ersten Vertrag über Atomwaffenkontrolle, den Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre. Der Generalstab war wütend. Am Ende seines Lebens will er sich Kuba annähern. Castro war sehr enttäuscht, als Kennedy ermordet wurde. Kennedy wollte mit dem Abzug der Truppen aus Vietnam beginnen und 1965 abschließen. Zum Wettlauf im All sagte er: "Warum sollten wir mit der Sowjetunion wetteifern, wer zuerst im All ist? Wir sollten bei der Erforschung des Weltalls zusammenarbeiten und gemeinsam den ersten Menschen auf den Mond schicken." In seiner Rede an der American University rief er dazu auf, den Kalten Krieg zu beenden.

Der Kennedy von 1963 hatte sehr viel von einem Visionär. Oliver und ich glauben, dass es das letzte Mal war, dass ein US Präsident ernsthaft bereit war die Richtung des Landes zu ändern, den Militaristen, den Geheimdiensten die Stirn zu bieten, um die USA in eine andere Richtung zu führen. Die Tragödie von Kennedys Ermordung ist nicht nur, dass wir diesen Mann verloren haben, sondern dass die USA und die Sowjetunion auf der Suche waren, die Welt in eine andere Richtung zu lenken. Chruschtschow wird im Jahr darauf seines Amtes enthoben. Kennedy hatte bei seiner Amtseinführung gesagt, dass die Fackel weitergereicht wurde an eine neue Generation. Jetzt wurde die Fackel zurückgegeben an die alte Generation von Johnson, Nixon, Eisenhower, und die Welt wurde tief in den Kalten Krieg zurückgeworfen…

AMY GOODMAN: Lasst uns zurückgehen… Hier eine weitere Sequenz des Films über die Geschichte der USA, der Übergang von Kennedy zu Johnson.

OLIVER STONE: Mit dem Aufstieg des Vizepräsidenten Lyndon Johnson, wurde Kennedys Politik in wichtigen Bereichen geändert, vor allem in Bezug auf die Sowjetunion und Vietnam.

PRESIDENT LYNDON JOHNSON: Ich werde mein Bestes geben. Das ist alles was ich tun kann.

OLIVER STONE: Bei seiner Amtseinführung am Morgen des neuen Jahrzehnts, im Januar 1961…

PRESIDENT JOHN F. KENNEDY: Von diesem Ort und dieser Stunde soll an Freund und Feind gleichermaßen die Kunde ausgehen, dass die Fackel weitergereicht wurde an eine neue Generation von Amerikanern.

OLIVER STONE: Aber mit seiner Ermordung wurde die Fackel zurückgegeben an eine alte Generation, die Generation von Johnson, Nixon, Ford und Reagan, Führer die systematisch das Versprechen Kennedys brachen und das Land zurückführten in Krieg und Repression. Obwohl die Vision von Chruschtschow und Kennedy mit ihnen fiel, sie ist nicht gestorben. Die Samen, die sie gepflanzt hatten, sollten wieder keimen und sprießen, lange nach ihrem Tod. 

50. Jahrestag der Ermordung Präsident Kennedys

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