Der stille Putsch - Investigativautor Jürgen Roth im Gespräch

Wie neoliberale Eliten den Sozialstaat angreifen - Investigativautor Jürgen Roth im Gespräch mit weltnetz.tv
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00:09:16
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"(...) Es ist ein stiller Putsch. Kein Putsch, bei dem Blut fließt, bei dem die Soldateska in die Parlamente stürmt – das ist gar nicht mehr notwendig. Das hat die Troika gemacht. Das haben bestimmte interessierte Kapitalgruppen gemacht, über die hier in Deutschland geschwiegen wird. Das wurde mitorganisiert und mitinitiiert von sogenannten kleinen Eliteclubs. Diese Eliteclubs sind keine institutionalisierten Organe, sondern das sind informelle Zusammentreffen von ganz bestimmten politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern, die sich alle dadurch auszeichnen, dass sie Vertreter des neoliberalen Systems sind und die im Grunde genommen mit dem, was an sozialen und demokratischen Errungenschaften in Europa in den letzten Jahren erreicht worden ist, nicht zufrieden sind. Sie wollen ihre Macht und ihre Privilegien sichern."

Jürgen Roth, investigativer Journalist und Autor des Buches:

Der stille Putsch. Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt

 

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weltnetz.tv: Herr Roth, Sie haben ja einige Bücher, darunter auch Bestseller, geschrieben, die sich mit organisierter Kriminalität beschäftigen. In diesem Falle geht es um das Zusammenspiel zwischen wirtschaftskriminellen Handlungen und Politik. Ist das Wort „Putsch“ nicht vielleicht etwas zu hoch gegriffen?

Jürgen Roth: Nein, das Wort Putsch ist deswegen nicht zu hoch gegriffen, weil es in der Tat ein Putsch ist. Ein Putsch gegen den demokratischen Sozialstaat, ein Putsch gegen die Europäische Verfassung. Das ist ein Putsch gegen die Europäische Sozialcharta, der von einer kleinen Elite betrieben wurde. Es ist ein stiller Putsch – so heißt ja auch das Buch. Kein Putsch, bei dem Blut fließt, bei dem die Soldateska in die Parlamente stürmt – das ist gar nicht mehr notwendig. Das hat die Troika gemacht. Das haben bestimmte interessierte Kapitalgruppen gemacht, über die hier in Deutschland geschwiegen wird.  Das wurde mitorganisiert und mitinitiiert von sogenannten kleinen Eliteclubs. Diese Eliteclubs sind keine institutionalisierte Organe, sondern das sind informelle Zusammentreffen von ganz bestimmten politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern, die sich alle dadurch auszeichnen, dass sie Vertreter des neoliberalen Systems sind und die im Grunde genommen mit dem, was an sozialen und demokratischen Errungenschaften in Europa in den letzten Jahren erreicht worden ist, nicht zufrieden sind. Sie wollen ihre Machtsicherung und sie wollen ihre Privilegien sichern. Und weil sie das erfolgreich gemacht haben, ist es ein stiller Putsch. Und ich habe verschiedenste Ökonomen und Gewerkschaftsführer gefragt, ob ich mit dieser Bezeichnung nicht übertreibe, aber zB. Ulisses Garrido vom Europäischen Gewerkschaftsbund in Brüssel sagt: „Nein, es ist in der Tat ein stiller Putsch, weil das eine ideologische Revolution ist

weltnetz.tv: ... Konterrevolution!

Jürgen Roth: Eine Konterrevolution, ja! Eine Konterrevolution, indem die demokratische Partizipation vollkommen ausgeblieben ist. Es war eine kleine Machtelite, die das erfolgreich durchgesetzt hat.

weltnetz.tv: Wie heißen diese Eliteclubs und wie darf man sich den Ablauf vorstellen?

Jürgen Roth: Das ist der „Entrepreneur Roundtable“ in der Schweiz und in Deutschland. Das ist der „European Roundtable of Industrialists“, das ist der „European Roundtable for Finance Industrie“. Das sind Verbände, in denen nur Banker bzw. hochkarätige Unternehmer sind, in Brüssel. Und in der Schweiz und in Deutschland sind das hochkarätige Unternehmer. Voraussetzung ist, dass sie einen Jahresumsatz von 650 Millionen Euro haben. Es sind Medienvertreter, es sind die Vertreter der Finanzindustrie, die sich relativ regelmäßig sechs- bis siebenmal an unterschiedlichen Orten ganz zwanglos treffen und dann darüber diskutieren, wie ihre Interessen in der Politik wahrgenommen werden können. Wenn man überlegt, dass auch große Medienvertreter dabei sind...

weltnetz.tv: Namen?

Jürgen Roth: Springerkonzern – Kai Diekmann gehört dazu, die Vorstandsvorsitzenden von Sat 1 gehören dazu... Das sind alles so jungdynamische Unternehmer. Bei einem Banker, so hat mir ein Informant erzählt, bei dem drohte, dass Medienöffentlichkeit hergestellt wird, hat man sich halt mit einem Repräsentanten der Medien getroffen und gesagt: „Schreib mal lieber nicht darüber!“ – und genau so ist es geschehen. Das geht alles sehr informell. Da wird nichts niedergeschrieben, sondern da ist das Glas Whisky oder das Glas Wein viel wichtiger als ein Stenogramm.

weltnetz.tv: Krawattenzwang?

Jürgen Roth: Kein Krawattenzwang. Keine Frauen. Mitgliederliste ist geheim. Die Treffen sind alle geheim und ich hätte das ja nie erfahren, wenn es nicht Informanten direkt aus dem inneren Kreis dieses „Entrepreneur Roundtable“ gegeben hätte, die mir darüber berichtet haben. Ich musste dann eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschreiben. Wenn ich die durchbreche, müsste ich 50 000 Euro zahlen. Also die haben sich schon abgesichert.  Ich habe einen Großteil der Betroffenen ja angeschrieben: „Warum seid Ihr denn da?“ Und es hat keiner geantwortet, was ja schon für sich spricht. Der einzige, der geantwortet hat, war Herr Blessing, der  Vorstandsvorsitzende der Commerzbank. Seine Pressestelle hat gesagt: „Ja, wir geben Auskunft!“ Und nach ein paar Tagen kam dann eine kurze E-Mail: „Nein, wir werden dazu keine Stellungnahme abgeben.“ Das spricht ein bisschen für sich. Warum sind sie so verschwiegen, wenn es so ein harnloser Verein ist, in dem junge Unternehmer nur ihre Freizeit verbringen wollen... Warum ist das alles so geheim? Die Initiatoren sind Leute ausschließlich aus der Finanzindustrie, von Goldman Sachs, McKinsey und große Anwaltskanzleien.

weltnetz.tv: Als Sie gegen russische Oligarchen und Mafiosi geschrieben haben waren Sie – zumindest vorübergehend – gesundheitlich nicht ganz außerhalb der Gefahr... Wie dürfte man sich jetzt eine Gegenwehr vorstellen? Weil, wenn diese Leute zusammenkommen, dann reden sie ja nicht nur darüber „Wie bekennen wir uns möglichst zu Kapitalismus und Marktwirtschaft?“ sondern: „Wie machen wir solche Leute nieder, die uns kritisieren und angreifen?“ Das ist ja heute eigentlich der Hauptsport... Worauf haben sie sich da eingerichtet?

Jürgen Roth: Ich habe mich darauf eingerichtet, dass Prozesse kommen werden, dass Unterlassungs- und Verleumdungsklagen kommen.

weltnetz.tv: Schmerzensgeld?

Jürgen Roth: Die sind inzwischen immer mit Schmerzensgeld verbunden. Aber bisher ist glücklicherweise nichts gekommen, ich muss nicht um mein Leben fürchten wie in anderen Ländern, sondern hier macht man die Leute tot durch Prozesse und – ich befürchte – indem die Medien auch über das Buch schweigen. Wäre das Buch nicht in so einem Umfang durch die sozialen Medien gelaufen, hätte es nicht den Erfolg, den es heute hat. Das ist schon sehr seltsam, wie man auf Bücher reagiert oder auch nicht mehr reagiert. Was die Hintergründe sind – ich weiß es nicht. Ich glaube, es ist auch ein generelles Problem, dass die Journalisten keine Zeit mehr haben, Bücher zu lesen und sich dann damit zu beschäftigen. Wobei ich ja immer davon ausgehe – deswegen schreibe ich ja Bücher – einerseits um die Öffentlichkeit zu informieren, andererseits damit die Journalisten die Themen aufgreifen, die ich behandele. Es wäre doch interessant, einmal aufzugreifen: was ist die Geschichte von Mario Draghi? Was hat er für eine Vergangenheit? Was hat er in Italien unter Berlusconi alles mitgemacht und mitgetragen? Was ist beispielsweise mit Herrn Barroso? Was ist mit seiner Geschichte in Portugal – er ist mitverantwortlich für die hohe Korruption, die dann auch zu dieser sogenannten Schuldenkrise geführt hat. Das zeige ich auf und hatte eigentlich gehofft: „Jetzt greifen die Journalisten das auf und thematisieren dieses...“ Aber überhaupt nichts, absolutes Schweigen!

weltnetz.tv: Ich kann nur Erfolg und Durchhaltevermögen wünschen! ... Und vielleicht wollen Sie noch Ihr Buch bewerben...

Jürgen Roth: ... Das Buch ist im Heyne-Verlag erschienen und hat 320 Seiten mit Namensregister und Quellenverzeichnissen. Also man kann alles nachprüfen, was ich geschrieben habe und dann kann man es unter Umständen auch anzweifeln, weil man sagt, die Quellen sind unseriös. Aber ich habe nun wirklich nur hochrangige Ökonomen, Gewerkschaftler, Wissenschaftler damit beschäftigt. Und ich habe mich damit beschäftigt: Was sind denn die Konsequenzen dieses stillen Putsches gewesen? Beim blutigen Putsch, weiß man, gibt es Tote. Da berichten dann die Medien darüber, weil Blut zu sehen ist oder die Soldaten, wie sie mit ihren Maschinenpistolen ein Parlament stürmen. Das Resultat des stillen Putsches sind mehrere tausend Tote – dadurch, dass die Krankheitsversorgung nicht mehr funktioniert - eine hohe Selbstmordrate, die hohen Flüchtlingszahlen am Schwarzen Meer und am Mittelmeer, über die niemand redet. Das hängt alles mit dem Ideal Europa zusammen, das aber in Wirklichkeit so ideal leider überhaupt noch nicht ist. 

Der stille Putsch - Autor: Jürgen Roth

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