Wahlen in Syrien: hohe Erwartungen an Assad

Karin Leukefeld hat den Wahlprozess in der syrischen Hauptstadt Damaskus beobachtet
Video: 
weltnetz.tv
Länge: 
00:14:04
Personen: 

Karin Leukefeld, langjährige Syrien- und Nahostkorrespondentin, berichtet für weltnetz.tv aus Damaskus.

Teil 1 des Interviews vom 07.06.2014)

"(...) Ich denke, die Sichtweise des Westens auf die syrische Wahl ist eine politische Sichtweise. Man will dem neugewählten Präsidenten Assad die Legitimität absprechen. Es ist hier in Syrien so, dass es unter den schwierigen Bedingungen eine relativ hohe Wahlbeteiligung gegeben hat. Zum Beispiel sind viele Syrer, die in Libanon als Flüchtlinge leben, zur Grenze gekommen, um dort wählen zu können. Aus syrischer Sicht ist diese Wahl völlig gerechtfertigt und legitim. Sie stand laut Verfassung an, die Amtszeit des Präsidenten war abgelaufen. Es gab eine Erklärung des Parlaments, dass diese Wahlen stattfinden sollen. Es haben sich insgesamt 24 Personen gemeldet, die kandidieren wollten. Drei davon haben die Bedingungen erfüllt und haben kandidiert."

 

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Weltnetz.tv: Frau Leukefeld, in Syrien herrscht Krieg, es wird aber zumindest in den großen deutschen Medien weniger darüber berichtet als noch vor einigen Monaten, was wohl auch daran liegt, dass schon der nächste Kriegsbrand entfacht wird – diesmal in der Ukraine. Sie jedoch sind wieder in Syrien und berichten von dort. Wie gefährlich ist es zur Zeit, sich in Damaskus zu bewegen? Wie gehen Sie Ihrer journalistischen Arbeit nach?

Karin Leukefeld: Ich habe ein Grundprinzip, dass ich die Nachrichten verfolge und mit Leuten spreche, die aus dem Umland von Damaskus kommen, um die Sicherheitslage einschätzen zu können. Ich halte mich an das, was diese Personen, die ich bereits seit vielen Jahren kenne, mir raten. Allerdings ist das Problem in Damaskus, dass es sehr viele Mörsergranaten gibt, die auf die Stadt geschossen werden. Das kann einen überall treffen. Zum Beispiel ist vor wenigen Tagen unmittelbar vor dem kleinen Familienhotel, in dem ich wohne, eine Mörsergranate niedergegangen und hat drei Leute verletzt. Davon sind vor allem die östlichen und südlichen Gebiete der Stadt betroffen.

Weltnetz.tv: Wie haben sich die militärischen Kräfteverhältnisse in den letzten Monaten entwickelt? 

Karin Leukefeld: Es ist ganz eindeutig, dass die syrischen Streitkräfte auf dem Vormarsch sind. Sie gehen sehr massiv und gewalttätig gegen die Orte vor, in denen sich bewaffnete Gruppen noch immer widersetzen. Es werden die Luftwaffe, Panzer und schweres Geschütz eingesetzt. Insbesondere in Aleppo ist das der Fall , in Damaskus und auch im Süden des Landes sind die Streitkräfte verstärkt im Einsatz. Darüber wird auch viel berichtet in den syrischem Medien. Die bewaffneten Gruppen sind in der Defensive. Viele bewaffnete Gruppen haben Vereinbarungen getroffen, mit der Regierung, mit den Streitkräften, dass sie den Kampf einstellen. Es gibt da eine Reihe von sogenannten lokalen Waffenstillständen. Auch Amnestien sind ausgesprochen worden, wie z.B. in der Altstadt von Homs. Dort sind über 1500 Kämpfer abgezogen und in ein anderes Gebiet gebracht worden, wo auch bewaffnete Gruppen sind, die aber nicht mehr den Kampf führen. Immernoch stark im Einsatz sind allerdings die Nusra-Front, die islamische Front und die Gruppe Islamischer Staat im Irak und in der Levante. Letztere vor allen Dingen im Osten des Landes.

Weltnetz.tv: Mitten im Krieg hat Präsident al-Assad Wahlen ausrufen lassen. Im Ergebnis ist er mit 88 Prozent der Wählerstimmen in seinem Amt bestätigt worden. War das eine Schweinwahl, wie die Gruppe der G7, der führenden Industriestaaten, diese Wahl verurteilt? Sie konnten ja den Wahlprozess vor Ort beobachten: Wie beurteilen Sie Wahlverlauf  und Wahlergebnis?

Karin Leukefeld: Ich war hier in Damaskus und im Umland von Damaskus unterwegs. Ich habe insgesamt 5 verschiedene Wahlzentren in den Vororten von Damaskus besucht. Mich interessierte vor allen Dingen, ob die Inlandsvertriebenen wählen können. Sechseinhalb Millionen Menschen mussten ihre Häuser verlassen und sind in andere Gebiete des Landes geflüchtet, insbesondere in den Westen. Es gab die Maßgabe, dass jeder Wahlberechtigte mit seinem Ausweis in jedes Wahlzentrum gehen kann, d.h. dass tatsächlich die Inlandsvertriebenen wählen konnten. Die Menschen konnten dort wählen, wo sie waren. Es gab allein in Damaskus 1500 Wahlzentren. Diese waren relativ gut besucht – vor allen Dingen in der zweiten Tageshälfte und am Abend. Am Vormittag waren die Leute etwas zurückhaltender, weil bewaffnete Gruppen angekündigt hatten, dass sie Anschläger verüben wollten. Und ich vermute, dass die Menschen erstmal so ein bißchen sehen wollten, wie der Tag sich entwickelt. Ich habe in zwei Vororten, in denen sich sehr viele Inlandsvertriebene aufhalten, mit Leuten gesprochen, die ihre ursprünglichen Wohngebieten verlassen mussten, und hier in Damaskus gewählt haben.

Ich denke, die Sichtweise des Westens auf diese Wahl ist eine politische Sichtweise. Man will dem neugewählten Präsidenten Assad die Legitimität absprechen. Es ist hier im Land so, dass es doch unter den schwierigen Bedingungen eine relativ hohe Wahlbeteiligung gegeben hat. Zum Beispiel sind viele Syrer, die sich im Libanon als Flüchtlinge aufhalten, zur Grenze gekommen, um dort wählen zu können. Insofern, denke ich, sind die Wahlen aus syrischen Sicht völlig gerechtfertigt und legitim. Sie stand laut Verfassung an, die Amtszeit des Präsidenten war abgelaufen. Es gab eine Erklärung des Parlaments, dass diese Wahlen stattfinden sollen. Es haben sich insgesamt 24 Personen gemeldet, die kandidieren wollten. Drei davon haben die Bedingungen erfüllt und kandidiert. Ein vierundachtzigjähriger Mann hat zu mir gesagt: „Ich gehe zum ersten Mal in meinem Leben hier in Syrien wählen, weil wir die Auswahl aus drei Kandidaten haben.“ Ich glaube, die Wahrnehmung der Syrer hier im Land ist eine völlig andere als die politische Bewertung, die wir in den westlichen Medien gehört haben.

Natürlich gibt es hier auch sehr viele Menschen, die nicht wählen gegangen sind. Ich habe auch mit Menschen gesprochen, die gesagt haben: „Wir bleiben auf jeden Fall zu Hause. Wir boykottieren die Wahl.“ Und es gab etliche, die in einem Zeichen von Protest „ungültig“ gewählt haben. 3,8 Prozent der abgegebenen Stimmen waren ungültig und ich vermute, dass einige darunter waren, die damit auch ihren Unmut kundtun wollten – darüber, dass die Wahlen in einer Kriegssituation stattfinden. Das wird auch von denjenigen, die zur Wahl gegangen sind, eingeräumt, dass die Bedingungen, unter denen die Wahl stattgefunden hat, sehr schwierige sind.

Die Ergebnisse sind – auch laut verschiedener politischer Analytiker  und Beobachter der politischen Situation hier im Land – sehr eindeutig. Man hat dem Präsidenten Baschar al-Assad einen hohen Prozentsatz an Vertrauen ausgesprochen – verbunden mit hohen Erwartungen. Verbunden mit den Erwartungen, dass er es schafft, diese Kriegssituation zu beenden. Dass er in der Lage ist, die Gesellschaft miteinander zu versöhnen. Dass er Reformen durchführt und dass er die wirtschaftliche Krise in den Griff bekommt. Es liegt also eine hohe Last auf ihm, aber gleichzeitig auch ein hohes Vertrauen. Man muss allerdings auch sagen, dass die Armee, die Streitkräfte und die Geheimdienste Assad selbstverständlich unterstützt haben und insofern kann man sagen, auch die Armee und die Streitkräfte sind gestärkt aus dieser Wahl hervorgegangen.

Weltnetz.tv: Können Sie etwas über die anderen beiden Kandidaten sagen, die zur Wahl standen?

Karin Leukefeld: Ja, es waren zwei Personen, Hassan al-Nouri und Maher Hajjar. Hassan al-Nouri ist ein früheres Mitglied des Parlaments. Er war  sowohl unter Hafiz al-Assad als auch unter Baschar al-Assad Minister. Er war früher der Vorsitzende der Damaszener Handelskammer. Er ist ein Geschäftsmann, er hat internationale Kontakte. Ich habe ihn persönlich getroffen und ein längeres Interview mit ihm geführt. Dabei hat er berichtet, dass er kürzlich vom Europa-Parlament eingeladen wurde, um über Syrien zu sprechen. Das heißt, er ist international vernetzt. Er ist auf der einen Seite ein Unterstützer des Präsidenten, weil er sagt, der Präsident habe es geschafft, die Armee hinter sich zu bringen und dieser Kampf gegen den Terror, von dem man hier in Syrien spricht und der real auch stattfindet, hat den Präsidenten gestärkt. Diese Vorgehensweise hat al-Nouris Zustimmung gefunden. Auf der anderen Seite hat er schon früher die Wirtschaftspolitik des Landes kritisiert. Er hat scharf kritisiert, dass man  enge Kontakte zur Türkei aufgenommen hat und den türkischen Geschäftsleuten und Firmen quasi eine Art Freibrief gegeben hat, hier im Land zu agieren. Was dazu führte, dass die nationale Ökonomie ziemlich zusammengebrochen ist. An dem Punkt hat er eine scharfe Kritik, die er auch beibehält. Vermutlich wird al-Nouri in der neuen Regierung, die jetzt geformt werden muss, eine Rolle spielen können. Er hat insgesamt 4,3 Prozent der Stimmen bekommen – eine halbe Million. Das ist verschwindend gering gegenüber den 88 Prozent für Baschar al-Assad, aber immerhin doch ein Zeichen, dass man ihn in bestimmten Kreisen unterstützt.

Der andere Kandidat, Maher Hajjar, stammt aus Aleppo. Er war früher Mitglied der Kommunistischen Partei. Aktuell ist er unabhängiger Abgeordneter im Parlament. Auch er war ein scharfer Kritiker des Präsidenten. (Beide Kandidaten sind hier in Funk und Fernsehen ausgiebig zu Wort gekommen und haben aus ihrer Position kein Hehl gemacht.) Hajjar hat gesagt, dass die Protestbewegungen in den arabischen Ländern am Anfang aufgrund der sozialen Schieflage in den Ländern ihre Berechtigung hatten und es habe eine gewalttätige Reaktion auf diese Proteste gegeben. Aber diese Proteste seien eben von ausländischen und anderen Interessen ausgenutzt worden, so dass diese ursprünglich friedlichen Proteste in diese gewaltsame Auseinandersetzung umgeschlagen sind. Er hat auch die Wirtschaftspolitik des Präsidenten der letzten zehn Jahre kritisiert. Außerdem hat er einen Punkt erwähnt, der sehr wichtig ist: die Korruption im Land. Er hat gesagt, dreißig Prozent des Bruttoinlandproduktes gingen in die Korruption und wenn er Präsident würde, dann würde er sich dafür einsetzen, dass diese 30 Prozent zugunsten der Bevölkerung eingesetzt würden. Maher Hajjar hat 3,2 Prozent der Stimmen bekommen, knapp über 300 000 Stimmen – das sind natürlich sehr wenige Stimmen, aber immerhin gab es diese Kandidaten und die Präsenz dieser Kandidaten in den Medien. Ich denke, das ist für viele Menschen tatsächlich ein Signal einer – wenn auch langsamen – Veränderung.  

Wahlzentrum in einem Vorort von Damaskus

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