Syrien nach den Präsidentschaftswahlen

Syrische Bevölkerung tief gespalten
Video: 
weltnetz.tv
Länge: 
00:11:02
Personen: 

Karin Leukefeld, langjährige Syrien- und Nahostkorrespondentin, berichtet für weltnetz.tv aus Damaskus.

(Teil 2 des Interviews vom 07.06.2014)

"(...) Die wirtschaftliche Lage in Syrien ist sehr schwierig - auch aufgrund der Sanktionen, die die EU jetzt wieder um ein Jahr verlängert hat. Insofern, denke ich, gibt es unglaublich viele Probleme für die Menschen und für jede zukünftige Regierung. Militärisch ist es so, dass die Armee Fortschritte macht und mit eiserner Faust versucht, das Land zu befrieden. Die Opposition hier im Land ist sehr verhalten und sehr pessimistisch über die Entwicklung hier. Sie sagt, die Tatsache, dass sich die Armee und die Geheimdienste so stark durchgesetzt haben, ist eher ein Zeichen dafür, dass es für Reformen und Veränderungen im Land sehr schwierig werden wird. Die Bevölkerung ist gespalten. Es gibt viele Menschen, die überhaupt kein Vertrauen haben in diese Regierung und die auch das Vertrauen in den Westen verloren haben, von dem sie sich tatsächliche eine militärische Intervention erwartet haben, die sicherlich nicht kommen wird."

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Weltnetz.tv: Frau Leukefeld, sie waren kürzlich in Homs, eine der vom Krieg am stärksten betroffenen Städte Syriens. Können Sie ihre Eindrücke von Ihrem Besuch und von den Gesprächen, die Sie mit den Bewohnern dort geführt haben, schildern?

Karin Leukefeld: Ich war in der Altstadt von Homs, die zwei Jahre besetzt war. Das letzte Mal war ich vor ziemlich genau zwei Jahren dort. Die Bilder sind schockierend. Es ist alles verbrannt. Es sind Ruinen. Eine unglaubliche Zerstörung. Viele Leute sagen, es erinnere sie an Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich bin in Hamidiye gewesen und dort durch die Straßen gelaufen, um die Orte wiederzusehen, die ich vor zwei Jahren besucht hatte. Die Wohnungen sind jetzt leer. Nur noch wenige Menschen leben zur Zeit dort, denn es gibt nur ungenügende Strom- und Wasserversorgung. Ich habe Leute getroffen, die zu ihren Wohnungen gegangen sind, um dort aufzuräumen. Ich habe z.B. einen jungen Mann getroffen, der vor dem Krieg ein Geschäft für Solartechnik hatte. Er hat mir sein Haus gezeigt: alle drei Stockwerke hatten die Fenster verloren, hatten Einschläge von Granaten, überall war Schmutz und Staub.

Ich war in dem Jesuitenkonvent, in dem der Pater Frans van der Lugt vierzig Jahre gelebt und gearbeitet hat. Er ist dort am 7. April ermordet worden. Sein Grab ist dort. Das Gespräch mit Leuten, die dort in dem Konvent waren, war erschütternd. Aber gleichzeitig war zu spüren, dass die Leute ihre Viertel wieder aufbauen wollen. Sie wollen sich dort nicht vertreiben lassen. Sie haben seit Generationen ihre Wurzeln dort. Hamidiye ist eines der ältesten Viertel und vor allen Dingen für die Christen in Syrien bedeutsam. Einige der ältesten Kirchen im Mittleren Osten stehen in Hamidiye. Es wird zwar lange dauern, aber die Menschen sind sehr entschlossen, das alles wieder aufzubauen.

Weltnetz.tv: Die bewaffneten aufständischen Gruppen haben sich zwar aus Homs und anderen Gebieten zurückgezogen, sind jedoch nach wie vor sehr aktiv und haben Teile des Landes auch nach wie vor unter ihrer Kontrolle. Die großen Nato-Mächte, die Türkei und die Golfstaaten unterstützen eine Vielzahl an unterschiedlichen militanten Gruppen. Wie hat sich dieses Unterstützerwesen in den letzten Monaten entwickelt?

Karin Leukefeld: Die Unterstützung für die bewaffneten Gruppen wird von den Freunden Syriens, zu denen ja auch einige der Nato-Staaten– auch Deutschland - gehören, offiziell mit nicht-tödlichen Waffen geleistet. Es gibt Schutzwesten, es gibt Nachtsichtgeräte. Es gibt vor allen Dingen Logistik, es gibt Kommunikationshilfe. Angeblich werden keine Waffen geliefert, diese kommen eher aus Saudi Arabien, aus den Arabischen Emiraten und über die Türkei ins Land. Aber es gibt eine offizielle Position, nach der man will, dass diese bewaffneten Gruppen sich in der Islamischen Front zusammenschließen und dass sie sowohl die Regierung bekämpfen als auch die Terroristen. Denn im Westen hat man nun auch festgestellt, dass sich hier Gruppen befinden, die der Al-Qaida zuzurechnen sind und die perspektivisch eine Gefahr für Europa bedeuten. Man weiß, dass tausende von europäischen jungen Männern hierhergekommen sind, um in Syrien zu kämpfen. Man weiß, dass der Attentäter vom Jüdischen Museum in Brüssel vorher ein Jahr in Syrien gekämpft hat. Also die Politik des Westens ändert sich nun auch gegenüber diesen bewaffneten Gruppen.

Weltnetz.tv: Wie ist die deutsche Regierung in den syrischen Gebieten, insbesondere in den von den bewaffneten Gruppen besetzten Gebieten präsent? Und wie sind diese Aktivitäten zu bewerten? Welche Ziele verfolgt Deutschland in Syrien?

Karin Leukefeld: Deutschland versucht, sich in jede Richtung die Tür offen zu halten. Die Bundesregierung unterstützt einerseits die Nationale Koalition – politisch und finanziell, indem sie diesen Wiederaufbau-Fonds, der ja ausschließlich für die Nationale Koalition zur Verfügung gestellt wird, observiert und unter ihrer Kontrolle hat, zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Es wird humanitäre Hilfe geleistet über islamische Organisationen, die über die Türkei in den Norden Syriens kommen. Über diesen Weg kommen sehr wahrscheinlich auch bewaffnete Kämpfer. Also in dieser Hinsicht ist die Bundesregierung aktiv. Sie betont immer, den Wiederaufbau, in den von den moderaten bewaffneten Kämpfern kontrollierten Gebieten zu unterstützen, um eine Alternative zur Regierung in Damaskus zu fördern. Auf der anderen Seite hat die Bundesregierung auch eine größere Summe an die ESKAR gegeben. Die ESKAR hat auch einen Fonds aufgelegt und führt eine Diskussion um den nationalen Wiederaufbau in Syrien, daran sind Oppositionelle beteiligt, aber auch Stellen hier aus Syrien. Das heißt, die Bundesregierung hält sich de facto alle Türen offen, um zu sehen, wie die Lage sich zukünftig entwickelt. Es gibt hier in Syrien die Einschätzung, dass die Bundesregierung selbstverständlich der Außenpolitik Washingtons folgt. Und wenn von Washington das Signal käme, dass man indirekt wieder Kontakte mit der Syrischen Regierung aufnimmt, würde das die Bundesregierung sicher auch tun. Auf der Ebene der Geheimdienste, der Sicherheitsdienste gibt es schon seit über einem Jahr indirekte Kontakte. Und das ist jetzt auch offiziell von der hiesigen Regierung bestätigt worden. Man hat gesagt, wir sind selbstverständlich bereit, mit dem Westen in Bezug auf die terroristischen Gruppen, die hier m Land aktiv sind, zusammen zu arbeiten, aber der Westen muss das auf einer politischen Ebene tun. Das heißt, die westlichen Botschaften sollten hier in Damaskus wieder eröffnet werden. Ich glaube, die Bundesregierung ist weit davon entfernt, das zu tun.

Weltnetz.tv: Auf welchem Weg sehen Sie Syrien jetzt nach der Präsidentschaftswahl?

Karin Leukefeld: Es gibt große Erwartungen von denjenigen, die sich an den Wahlen beteiligt haben an den Präsidenten, dass er tatsächlich zügig Reformen umsetzt, dass er sich einen Beraterstab holt, der in der Lage ist, Beziehungen zu den Kritikern aufzubauen, um die Kritik von Oppositionsgruppen aufzunehmen. Die wirtschaftliche Lage ist sehr schwierig - auch aufgrund der Sanktionen, die die EU jetzt wieder um ein Jahr verlängert hat. Insofern, denke ich, gibt es unglaublich viele Probleme für die Menschen und für jede zukünftige Regierung. Militärisch ist es so, dass die Armee Fortschritte macht und mit eiserner Faust versucht, das Land zu befrieden. Die Opposition hier im Land ist sehr verhalten und sehr pessimistisch über die Entwicklung hier. Sie sagt, die Tatsache, dass sich die Armee und die Geheimdienste so stark durchgesetzt haben, ist eher ein Zeichen dafür, dass es für Reformen und Veränderungen im Land sehr schwierig werden wird. Die Bevölkerung ist gespalten. Es gibt viele Menschen, die überhaupt kein Vertrauen haben in diese Regierung und die auch das Vertrauen in den Westen verloren haben, von dem sie sich tatsächliche eine militärische Intervention erwartet haben, die sicherlich nicht kommen wird. So dass ich denke, dass es letztlich an den Syrern selber liegen wird, wieder aufeinander zuzugehen, sich zu versöhnen und ihr Land aufzubauen. Das wird nur geschehen, wenn diese Staaten der Freunde Syriens und die Nachbarstaaten Syriens das Land in Ruhe lassen, nicht weiter mit Waffen überziehen und nicht weiter hetzen, sondern versuchen, einen Weg des Zusammengehens zu finden. Ich denke, die Situation ist sehr schwierig, aber es gibt hier viele Menschen, die optimistisch sind.

Karin Leukefeld

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