Spoos Presseschau: Mediale Beißreflexe gegen Friedensaufruf

Die Reaktionen auf die Initiative: "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen"
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"Der Appell an die Journalisten, ihrer Pflicht zu vorurteilsloser, verantwortungsvoller, auf solider Recherche basierender Berichterstattung besser nachzukommen als bisher, wird also als Versuch abgetan, Druck auszuüben und ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden, Nein, die Springer-Journalisten, speziell die leitenden Herren, halten es offenbar für ihr gutes Recht, wenn sie unsolide arbeiten und Vorurteile schüren und sie möchten dabei nicht von schlechtem Gewissen bedrängt werden."

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Das hätte ich mir bisher kaum vorstellen können: daß ich einem politischen Aufruf zustimmen könnte, zu dessen Unterzeichnern Luitpold Prinz von Bayern, Klaus von Dohnanyi, Roman Herzog, Otto Schily, Horst Teltschick, Eberhard Diepgen und diverse Konzernchefs gehören. Es stehen aber auch andere Namen darunter: Mario Adorf, Christoph Hein, Erhard Eppler, Burkhard Hirsch, Margot Käßmann, Reinhard May, Georg Schramm, Friedrich Schorlemmer, Ingo Schulze und dazwischen Gerhard Schröder. Ein parteiübergreifendes, außergewöhnlich breites Bündnis - allerdings waren die Initiatoren offenbar darauf bedacht, dass niemand aus der Linkspartei auf die Liste geriet. Vielleicht dachten sie, Unterschriften von dieser Seite würden nicht gebraucht, weil sie niemanden überraschen würden.

Der Aufruf ist überschrieben: „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ Aus jedem Satz spricht tiefe Sorge um den Frieden. Diese Sorge, dass Nordamerika, die Europäische Union und Russland unausweichlich auf den Krieg zutreiben, wenn sie der Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten, diese Sorge hat 65 so unterschiedliche Prominente zusammengeführt.

Ich zitiere: „Wir appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. (...) Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer. Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Wir appellieren an die Mitglieder des Deutschen Bundestages als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen (...) Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher (...). Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen."

Das waren einige Auszüge aus dem am 7. Dezember 2014 publizierten Aufruf. Ich empfehle, den ganzen Wortlaut und die ganze Unterzeichnerliste aus dem Internet herunterzuladen. In den Zeitungen war nur wenig davon zu finden. Schämen sich die Journalisten vielleicht wegen der Vorhaltungen, die ihnen in dem Aufruf gemacht werden?

Schauen wir uns mal an, wie einige tonangebende Blätter damit umgehen. Die beiden Kleinsten und Linkesten, „Neues Deutschland und „Junge Welt“, können insofern außer Betracht bleiben, weil es sich von selbst verstände, dass sie einer solchen Initiative für den Frieden zustimmen. „Die Welt“ aus dem Springer-Konzern behandelt den Aufruf unter der Überschrift: „Dieser Russland-Aufruf ist ein peinliches Dokument (...), ein Versuch, die Arbeit von Journalisten zu beeinflussen, ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden und auf sie Druck auszuüben“. Der Appell an die Journalisten, ihrer Pflicht zu vorurteilsloser, verantwortungsvoller, auf solider Recherche basierender Berichterstattung besser nachzukommen als bisher, wird also als Versuch abgetan, Druck auszuüben und ihnen ein schlechtes Gewissen einzureden, Nein, die Springer-Journalisten, speziell die leitenden Herren, halten es offenbar für ihr gutes Recht, wenn sie unsolide arbeiten und Vorurteile schüren und sie möchten dabei nicht von schlechtem Gewissen bedrängt werden. Der Chefkommentator der „Welt“, Jacques Schuster, ereifert sich dermaßen über den Aufruf, dass er die Unterzeichner angiftet: „Dann gebt doch Russland die DDR zurück!“

In der „taz“, die immer noch hier und da als alternativ gilt, kommt die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck zu Wort. Sie wirft den Aufrufern, die mehrmals an die Geschichte der deutsch-russischen Beziehung erinnern, „prekäre Geschichtsvergessenheit“ vor und verlangt Parteinahme für die Ukraine – im Gegensatz zu den Aufrufern, die gerade vor solcher Einseitigkeit warnen. „Kein Bückling vor Putin!“ fordert taz-Kommentator Dominic Johnson, als müsse irgendwer davon abgehalten werden, vor dem russische Präsidenten den Rücken krumm zu machen. Johnson schreibt: „Klar, die Bewahrung des Friedens in Europa ist ein gutes Ziel. Aber (...).“. Welches Aber soll uns an der Bewahrung des Friedens hindern? Der taz-Kommentator hat ein solches Aber parat, ein absolut überzeugendes: „Es herrscht längst Krieg in Europa.“ Und die Schuld daran sieht er - versteht sich - in Russland. Und nirgendwo anders.

Die Frankfurter Rundschau, die früher als Verbündete der Friedensbewegung galt, meldet jetzt: „Friedensappell stößt auf Widerspruch.“  Quer durch die Parteien heiße es, der Aufruf richte sich an die Falschen, berichtet die FR. Die einzig richtige Adresse für Beschwerden und Forderungen aller Art ist eben Russland. Dort sitzt der Feind. Die Aufrufer aber meinen es anders, um Gegenteil: Sie warnen vor Feindbildern und einseitigen Schuldzuweisungen, und das missfällt der FR offenbar ebenso wie der "Welt". Unter der Überschrift „Kopfschütteln über Russland-Aufruf" zitiert sie u.a. Rebecca Harms, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europa-Parlament, die den Appell als „Zumutung“ beschimpft, als „Fälschung der Wirklichkeit“, als „Mischung aus Undifferenziertheit und Voreingenommenheit“; die Unterzeichner seien „offenbar noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen“. Über diese wütenden Reaktionen getroffener Politiker berichtet die FR drei mal so lang wie über den Aufruf selber.

Aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist derweil zu erfahren, dass sich die Kanzlerin gegen Vorwürfe ihrer drei Amtsvorgänger zur Wehr setze, also nicht nur Schröder, sondern auch Schmidt und Kohl, die Vorwürfe nämlich, in der Ukraine-Krise zu wenig diplomatisch mit Moskau umzugehen; Russland werde in der Krise zu stark isoliert. Dazu Merkel in der FAZ: „Ich bin überzeugt, dass die gemeinsame europäische Antwort auf Russlands Handlungen richtig ist.“ In derselben Ausgabe berichtet die FAZ über ein Treffen des französischen Präsidenten Hollande mit Putin. Dass Putin das Gesprächsergebnis positiv bewerte, sei ein Zeichen „politischen Versagens“. Denn was Putin gut findet, muss schlecht sein (oder umgekehrt) Jedenfalls ist das, was Merkel Europa nennt (also ein Europa ohne Russland), wohl doch nicht so einig, wie sie es gern darstellt.

Bei EINEM Journalisten findet der Aufruf Gehör und Verständnis für die Sorge um den Frieden: bei Herbert Prantl, dem Zuständigen für Innenpolitik in der Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“. Wenn doch dem dortigen außenpolitischen Ressort ebenfalls ein Journalist vorsäße, der darauf bedacht wäre, durch seine Arbeit den Frieden vorzubereiten, nicht den Krieg. Und wenn doch auch bei anderen Blättern nicht immer nur friedensverachtende Journalisten in leitende Positionen gelangten.

Eckart Spoo für weltnetz.tv am 10.12. 2014

Unter den großen Namen kritischer Journalisten der letzten Jahrzehnte findet sich neben Günter Gaus, Erich Schmitt-Eenboom, Heribert Prantl und Hajo Friedrichs auch zweifelsohne Eckart Spoo. Einst führender Redakteur der Frankfurter Rundschau, heute Herausgeber von Ossietzky -  dem Nachfolgeblatt von Ossietzkys Weltbühne. Unter der Rubrik „Spoos  Presseschau“ unterzieht er für weltnetz.tv die Berichterstattung der auflagenstärksten Presse in Deutschland einer kritischen Analyse.

Eckart Spoo für weltnetz.tv

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