Spoos Presseschau: Flüchtlinge oder Geflüchtete?

Flüchtling, so lese ich seit Wochen in der E-Post, sei ein diskriminierendes Wort, das man meiden müsse.
Produktion: 
weltnetz.tv
Länge: 
00:07:24
Aufzeichnungsdatum: 
01.04.2016
Personen: 

Flüchtling, so lese ich seit Wochen in der E-Post, sei ein diskriminierendes Wort, das man meiden müsse. Eifrige Sprachregler fordern mich auf, stattdessen von Geflüchteten zu sprechen. Zu den Initiatoren dieser Debatte gehört der Sächsische Flüchtlingsrat, der gleichwohl bislang seinen Namen beibehalten hat.

Es stimmt: Viele mit -ling endende Wörter – Schreiberling, Wüstling oder gar Schädling – wirken herabsetzend. Das gilt auch sowohl für Weichling wie für Rohling. Wenn wir aber jemanden als Jüngling oder als Prüfling bezeichnen, wird er sich dadurch nicht gekränkt fühlen. Und bei dem Wort Schützling kann ebenso Sympathie wie Antipathie mitklingen. Wir brauchen also die Flüchtlinge nicht vor dem Wort Flüchtling zu schützen und müssen Bert Brechts "Flüchtlingsgespräche" nicht in "Geflüchtetengespräche" umbenennen. Wörter entziehen sich festen Regeln. Sie werden gebraucht oder mißbraucht, wie es gerade paßt. Oft verkehren sich ihre Bedeutungen bis ins Gegenteil, je nachdem wer sich ihrer für seine Zwecke bemächtigt.

Aufklärer haben die Aufgabe, die Sprache vor propagandistischem Mißbrauch zu schützen, vor allem vor Verdrehungen von oben. Also aufgepaßt, wenn die Herrschenden ihre Angriffskriege als Verteidigungskriege ausgeben, und wenn sie dann auch noch verlangen, wir müßten "Verantwortung übernehmen".

Nein, Angriffskriege sind unverantwortlich, nach dem Grundgesetz verboten und strafbar.

Zweierlei Sprache = verlogene Sprache ist eines der wirksamsten Mittel, mit denen die Herrschenden – darunter die Rüstungsindustriellen – ihre Herrschaft festigen und ausweiten. Assad, der relativ demokratisch gewählte Präsident Syriens, darf hierzulande seit langem nicht mehr Präsident genannt werden. Darauf haben sich die tonangebenden Medien offenbar verständigt. Schlächter ist erlaubt. Als sachlich, geradezu neutral mag da die Bezeichnung Machthaber erscheinen. Aber welcher Nachrichtenredakteur wird es wagen, diese Bezeichnung dem US-Präsidenten Obama zuzuerkennen oder ihn gar unter Hinweis auf tausende Drohnen-Opfer Schlächter zu nennen?

Angesichts derartiger Sprachmanipulationen kann es nicht mehr verwundern, daß monarchische Diktaturen wie Marokko und Saudi-Arabien zu Kriegsverbündeten der NATO werden oder neuerdings als sichere Herkunftsländer gelten, in die die Flüchtlinge, Flüchtenden. Geflüchteten oder Geflohenen im Zeichen der "Willkommenskultur" gewaltsam abtransportiert werden sollen. Das durch den NATO-Bombenkrieg von Serbien abgetrennte Ländchen Kosovo ist so sicher, daß Bundesregierung und Bundestagsmehrheit es nach bald 15 Jahren immer noch für erforderlich halten, dort zur Aufrechterhaltung der Sicherheit das größte Kontingent der deutschen "Armee im Einsatz" einzusetzen. Die als besonders familienfreundlich gelten wollenden Parteien CDU und CSU achten vor allem darauf, daß denen, die trotz aller Abwehrmaßnahmen nach Deutschland gelangt sind, mehrere Jahre lang keine Angehörigen folgen. Zu den speziellen Gemeinheiten gegen Flüchtlinge, Flüchtende und Geflüchtete gehört es, ihnen weniger als das Existenzminimum zuzusprechen – womit man ihnen klarmacht, daß sie in Deutschland kein Existenzrecht haben. Kein Lebensrecht.

Vergessen sind Äußerungen von Unternehmern und auch manchen Politikern: Deutschland brauche Zuzug. Vor allem von jungen, gut ausgebildeten Fachkräften. Sonst werde es immer schwieriger, die Alten zu ernähren, deren Anteil an der Bevölkerung steige und steige. Das galt jahrelang. Jetzt gilt das Gegenteil: Christ- und Sozialdemokraten überbieten sich in Forderungen, die Armutswanderung zu unterbinden, die Wirtschaftsflüchtlinge abzuwehren.

Wirtschaftsflüchtling war auch mein älterer Bruder Armin. Er wanderte Anfang der 1950er Jahre mit seiner Frau nach Kanada aus, da lebte es sich besser. Auch in den USA und in Australien suchten damals hunderttausende Deutsche ihr Glück. Sie waren erwünscht. Armin und seine Familie kehrten in den Sechziger Jahren zurück, als sich hier die Lebensumstände gebessert hatten.

Wer spricht noch davon? Und von den Millionen Polen, die vor dem Ersten Weltkrieg ins Ruhrgebiet oder weiter nach Amerika gezogen waren? Oder von all den Deutschen, die sich einreden ließen, sie seien ein "Volk ohne Raum", und sich im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine ansiedelten, wo ihnen das Grodeutsche Reich Grund und Boden schenkte?

Freizügigkeit war bis 1989 in der Bundesrepublik der Inbegriff von Freiheit. Was heute damit gemeint ist, erfährt man am deutlichsten aus den "Verteidigungspolitischen Richtlinien": freier Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten weltweit. Auch zum Fußballspieler-Markt. Da konkurriert Deutschland mit England um die besten Balltreter aller Kontinente. Für Millionen-Beträge gekauft, mit deutschem Paß ausgestattet und so zu Deutschen geworden stärken sie Tore schießend deutsches Ansehen und Selbstwertgefühl.

Was erwarten wir, wenn wir hören, daß ein Parlamentsbeteiligungsgesetz geschaffen wird? Etwa mehr Demokratie??? Eine Kommission unter Vorsitz eines früheren Bundesverteidigungsministers hat eine Neufassung dieses Gesetzes vorbereitet. In "Fällen von geringer Intensität und Tragweite", so die offzielle Begründung, will die Bundesregierung das Parlament draußen vor lassen. Damit könne die Regierung, erklärt der CDU-Militärpolitiker Hans-Peter Uhl, "schnell und flexibel auf die Krisen des 21. Jahrhunderts reagieren". Das Recht des Parlaments, über Militäreinsätze zu entscheiden, soll also eingeschränkt werden – nachdem schon seit Jahren der "Bundessicherheitsrat" im Geheimen entscheidet und eine Truppe namens "Kommando Spezialkräfte" der parlamentarischen Diskussion und Meinungsbildung gänzlich entzogen ist. Die Öffentlichkeit erfährt nichts über die KSK-Einsätze, der Bundestag desgleichen, selbst der Verteidigungsausschuß wird nicht informiert.

Traurige Wahrheit: Die Abgeordneten – jedenfalls die Mehrheit – akzeptieren das. Ebenso wie die Medien, deren Aufgabe doch eigentlich darin besteht, Öffentlichkeit herzustellen. Flüchtlinge oder Geflüchtete – darüber sollten wir nicht streiten angesichts solcher Militarisierung und Entdemokratisierung der Sprache und der Gesellschaft.

Eckart Spoo

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