"Welche Gefahr soll Venezuela darstellen?"

Venezuelas Botschafter in Berlin, Orlando Maniglia Ferreira, über US-Drohungen, die regionale Integration und die Beziehungen zu Kuba
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weltnetz.tv
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00:15:02

Harald Neuber befragt den Botschafter Venezuelas in Deutschland, Orlando Maniglia Ferreira, über die Politik der USA gegenüber Venezuela, über die internationalen Beziehungen des südamerikanischen Landes, über die lateinamerikanische Integration und die Rolle der EU aus Sicht Venezuelas. Schließlich ist die wirtschaftliche Situation in dem bedeutenden Ölland ein Thema.

Herr Botschafter, der Präsident der Vereinigten Staaten, Barack Obama, hat unlängst gesagt, Venezuela sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit seines Landes. Können Sie das nachvollziehen?

Nun, zunächst möchte ich mich bedanken, dass Sie mir in diesem Medium die Möglichkeit geben, mich zu äußern. Ihre Frage stellen wir und zweifelsohne auch – innerhalb von Venezuela und außerhalb Venezuelas. Die Staaten Lateinamerikas, Zentralamerikas, der Karibik, Europas und anderer Teile der Welt stellen sich dieselbe Frage. Wieso soll Venezuela eine Gefahr darstellen? Wenn wir die Streitkräfte der USA mit denen Venezuelas vergleichen, dann gibt es keine Messlatte, die wir anlegen können, um die Ausrüstung überhaupt vergleichen zu können. Wenn wir dann die geopolitische Situation betrachten, so gehörte Venezuela zu den Kräften, die auf mehr Kooperation zwischen den Staaten gedrängt haben. Venezuela hat mit seinem Erdöl anderen Staaten geholfen, über Zahlungsbedingungen und Zinsen, um die Region zu unterstützen. Zudem herrscht in Lateinamerika ein demokratisches System und ein regionaler Frieden. Und Venezuela hat Kolumbien bei seinem internen Friedensprozess geholfen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Präsident Chávez an diesen Zusammenkünften direkt teilgenommen hat, um dieses Problem Kolumbiens in den Griff zu bekommen und zu beseitigen. Präsident Chávez sagte dazu: „Der Frieden in Kolumbien ist zugleich der Frieden in der Region“.

Da wir gerade von der Geopolitik sprechen: Venezuela kooperiert ja auch mit Staaten wie Iran und Russland. Trägt das zur Reaktion der USA bei?

Ich glaube, wir haben hier folgendes Problem: Die USA werden es uns nie verzeihen, dass wir in andere Märkte vorgestoßen sind. Also den chinesischen Markt, den russischen Markt mit die Märkte im Nahen und Mittleren Osten – Iran, Irak, Libyen – vor allem nach Kuba. Kuba hat an verschiedene unserer Programme unterstützt, vor allem im Gesundheits- und Bildungswesen. Nun weiß ich nicht, ob die USA das falsch aufgefasst haben. Vielleicht leben sie ja in einer anderen Welt, aber diese Welt ist doch untereinander verbunden. Sie selbst haben ja, wie auch andere Staaten, immer von der Globalisierung gesprochen. Wenn dann also ein Land wie Venezuela an diesem Weltsystem teilhaben will und die Kontakte ausbaut, dass sind wir also auf einmal eine Gefahr? Aber nach dieser Aussage hat man in den USA auch die heftigen internationalen Reaktionen zu spüren bekommen. Viele haben gefragt: Aber welche Gefahr soll Venezuela darstellen? Venezuela fordert seinerseits, dass die Resolution aufgehoben wird, in der es heißt, dass es eine Gefahr für die Region sei. Jetzt heißt es in den USA auf einmal, dass man niemals in Venezuela intervenieren würde und dass niemals von einer Gefahr die Rede gewesen sei. Es gibt da also einen gewissen Widerspruch und ich denke, dass man in den USA jetzt etwas zurückrudert und einen Neustart versucht, dass man versucht, ein anderes Vokabular zu verwenden.

Sie haben die Zusammenarbeit zwischen Venezuela und Kuba erwähnt. Tatsächlich gibt es auch hier einen Widerspruch. Denn auf der einen Seite haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten ja eine deutliche Annäherung zwischen Washington und Havanna beobachten können. Auf der anderen Seite drohen die USA Venezuela mit neuen Sanktionen. Wie erklären Sie sich diese Politik?

Ich verstehe das tatsächlich auch nicht. Wenn man in Miami ist, kann man sehen, dass mehr Flüge nach Havanna abheben als nach Caracas. Das weist ja auf eine Strategie auf US-amerikanischer Seite hin, die eine Annäherung an Kuba beinhaltet. Ich glaube, dass wir in Venezuela in diesem Zusammenhang auch einen ehrlichen Blick auf unsere Geschichte werfen müssen. Denn wir haben immer Beziehungen zu Kuba unterhalten, wenn auch unter der Hand. Das heißt, selbst die traditionelle Politik Venezuelas verstand sich mit Kuba. Als Offizier der Marine bin ich mit meinem Schiff, einer Fregatte, zu mehr als einer Gelegenheit zur Insel Orchila befehligt worden, weil sich Fidel Castro dort aufhielt und weil seine Sicherheit gewährleistet werden musste. Und das war unter Präsident Carlos Andrés Pérez. Das heißt also, es gab eine Art stiller und heimlicher Verbindung.

Chávez hat in seinem Willen zu Transparenz das Geheimnis gelüftet und gesagt: „Aber dann lasst uns doch direkt mit Kuba reden. Und lasst und direkte Beziehungen zur kubanischen Politik aufbauen, mit dem Tourismus, der Medizin und den Lehrkräften.“ Die Sozialprogramme, die nach dem Putschversuch 2002 aufgelegt wurden, gingen in großen Teilen auf die Kooperation zwischen Kuba und Venezuela zurück. Weit entfernt davon, eine Gefahr zu sein, hat diese Kooperation maßgeblich dazu beigetragen, das Lebensniveau der Menschen zu verbessern, vor allem in Venezuela.

Im Rahmen der UNESCO haben wir es dank diese Sozialprogramme geschafft, den Analphabetismus zu beseitigen, dazu haben die Programme „Rivas“ und „Robinson“ beigetragen. Das pädagogische Programm zur Alphabetisierung stammte dabei aus Kuba. 

All dies ist auch Teil der lateinamerikanischen Integration. Mit der Europäischen Union gibt es aber weitaus weniger Kontakte. Welche Rolle spielt die EU derzeit für Venezuela, Herr Botschafter?

Auch wenn Venezuela es geschafft hat, Beziehungen zu China, Russland und den arabischen Staaten aufzubauen, brauchen müssen wir an zwei weiteren Zielen arbeiten. Zum einen geht es darum, die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zu verstärkten – und das ist teilweise meine Arbeit als Botschafter hier in Berlin. Auf der anderen Seite muss es darum gehen, den Dialog mit den Vereinigten Staaten zu suchen, denn wir sind kein Feind der USA. Wir haben auch keine Vorbehalte, aber wir fordern Respekt ein und wir fordern Verständnis für eine Region, der die USA nur sehr selten echte Hilfe angeboten haben. Dabei hält diese Region viele Möglichkeiten der Entwicklung für die USA bereit, vor allem in Bezug auf die Beziehungen zwischen den Völkern. Ich denke, dass die Beziehungen zu Europa heute sehr wichtig sind, und ich will kurz ausführen, weshalb: Europa hatte traditionell stets gute Verbindungen – wirtschaftlich, politisch, sozial – mit Amerika.

Tatsächlich geht der revolutionäre Freiheits- und Unabhängigkeitsgedanke in Venezuela auf die Französische Revolution zurück. Unsere Studenten wurden an europäischen Universitäten ausgebildet, in Berlin, in Paris, in England, Italien und Spanien. Das sind essentielle kulturelle Elemente, die wir beleben müssen, statt sie fallen zu lassen.

Unsere Arbeit hier als Botschaft steht in diesem Kontext, indem wir auf dieses Gebiet jenseits des Atlantiks aufmerksam machen, das Amerika heißt, und dass Venezuela Teil dieses Kontinents ist.

Lassen Sie uns über die wirtschaftliche Situation in Venezuela sprechen.  Tatsächlich kann man nicht in Abrede stellen, dass Venezuela derzeit eine schwierige Situation durchlebt. Weshalb ist es bislang so schwierig gewesen, das Erdölmodell, die Erdölwirtschaft zu überwinden?

Statt die Schwierigkeiten ins Zentrum zu rücken, möchte ich doch auf ein Konzept hinweisen, das wir die „Saat des Erdöls“ nennen. Natürlich muss man dazu sagen, dass der Preis des Erdöls sehr hoch lag. Und wir haben auf Basis dieser Einnahmen viele Programme aufgelegt, die nun Kontinuität und viel Engagement der Menschen in Venezuela benötigen.

Leider sind die Preise dann sehr heruntergegangen. Zugleich haben wir in Venezuela ein politisches Problem, nämlich die Nicht-Akzeptanz des chavistischen Modells. Und natürlich kommt es vor diesem Hintergrund zu einer Konfrontation, vor allem aber werden wir Zeugen sehr undurchsichtiger Manöver, die darauf abzielen, dass der Chavismus von der politischen Bühne verschwindet.

Ich sage „undurchsichtig“, weil dieses Vorgehen auf Methoden außerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung beruhen. Diese Elemente beeinträchtigen uns tagtäglich, sie untergraben Glaubwürdigkeit, die Risikoeinstufung des Landes oder solche Fragen wie die Verteilung von Medizin. Zugleich beeinflussen Elemente des sogenannten Wirtschaftskrieges ständig das tägliche Leben. Es ist nicht so, dass es mal einen Tag Ruhe gibt und sich dann wieder zuspitzt. Präsident Maduro muss einen ständigen, täglichen Kampf gegen die Versuche führen, das von Präsident Chávez etablierte System zu beseitigen. Und natürlich ist das ein schmutziges Spiel, das da gespielt wird; es wird nicht mit offenen Karten gespielt. Die Leidtragenden dabei sind die Menschen in Venezuela, ist die gesamte Region.

Ich glaube, dass wir tausende Wege gesucht haben, um Gleichheit zu gewähren, gleiche Möglichkeiten, aber das ist sehr schwer. Ich erinnere mich noch gut an den Erdölstreik im Jahr 2002, also dei Erdölproduktion praktisch auf Null eingebrochen ist.

… das war eine Sabotageaktion in der Erdölindustrie.

Genau. Aber wir haben das überwunden, sind wieder aufgestanden, haben und erholt, um danach einen wahren Wachstumsboom im Land zu erleben. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, sich zusammenzuschließen.

Dass die Vereinigten Staaten Venezuela nun zu einer Gefahr erklärt haben, hat zu neuen, festen Allianzen geführt und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Venezolaner wieder gestärkt. Die Menschen sagen: Moment mal, das ist ein internes Problem, das wir mit den Mitteln der Verfassung lösen werden. Aber natürlich gibt es wirtschaftliche Probleme, die nur mit den Ideen, Projekten aller gelöst werden können, weil es am Ende um Venezuela geht.

Zugleich genießt Venezuela eine große Solidarität der Nachbarstaaten und von Regionalorganisationen wie der Celac oder Unasur. Was erwarten sie in dieser Situation von dem Amerika-Gipfel, der im April in Panama stattfinden wird?

Im Moment weist alles auf einen Dialog zwischen Präsident Maduro und Präsident Obama hin, auf eine Annäherung. Meiner Meinung nach wird dieser Gipfel der Debatte dienen, um Ideen zu klären und um die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Projekte neu auszurichten.

Und dies auf der Basis des Respekts, der Gleichheit aller teilnehmenden Staaten und der gemeinsamen Suche nach Projekten, die allen Seiten dienen.

Natürlich müssen die Vereinigten Staaten ihre Hand reichen. Zugleich sind sie aber auch auf Hilfe angewiesen. In den USA gibt es ein schwerwiegendes Drogenproblem, und sie haben ebenso wirtschaftliche und soziale Probleme. Es gibt also viele Bereiche, die den USA helfen können und von denen die anderen Staaten der Region profitieren könnten. Nur gemeinsam kann der Wohlstand vermehrt und die sozialen sowie politischen Bedingungen verbessert werden, um der Welt weiter ein Beispiel zu sein. Nicht nur in zivilen Belangen, sondern im beständigen Willen, die Probleme zu lösen.

Herr Botschafter, ich danke Ihnen.

Venezuelas Botschafter in Berlin: Orlando Maniglia Ferreira

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