Versuch einer Erklärung zum Wahlausgang in Thüringen

Thüringenwahl_Sönke Hundt
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Die "bürgerliche Mitte" ist so sehr geschrumpft, dass sie plötzlich nicht mehr eine Regierung bilden kann! Wie kann es sein, dass die Ränder größer geworden sind als die Mitte?

Ich möchte da mal einen bundespolitischen Grund nennen, der bei einigen Wählerinnen und Wählern für diese überraschende Stimmabgabe eine Rolle gespielt haben dürfte. Vielleicht ist ja die "bürgerliche Mitte", also die ganz große CDU-SPD-Grüne-FDP-Koaltion, wegen ihrer zutiefst unfriedlichen Außenpolitik der letzten Jahre abgestraft worden. Umfragen belegen immer wieder, dass die Menschen - vor allem in Ostdeutschland - mit einer deutlichen Mehrheit den Frieden wollen, Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnen und vor allem die zunehmende Feindschaft mit Russland einschließlich der Sanktionspolitik satt haben. Also kann es doch gut sein, dass die Linkspartei bei der Wahl auch deswegen mit dem besten Wahlergebnis ever belohnt worden ist, weil sie sich seit langem (und bis auf einige Ausnahmen auch immer noch glaubhaft!) für eine friedliche Außenpolitik inklusive Abrüstung einsetzt.

Aber gilt das auch für den zweiten Wahlgewinner, die AfD? Die Antwort ist: ja. Dazu muss man wissen, dass die neuen Rechten in dieser Frage anders ticken als die alten Rechten. Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland gilt bekanntlich als "Putin-Versteher", der davon träumt, die Bismarcksche Politik aus dem 19. Jahrhundert wieder zu beleben. Er hat die Anti-Russland-Sanktionen des öfteren kritisiert und sich sogar für den Bau der Nordstream-2-Pipeline eingesetzt. Der AfD ist es zweifellos gelungen, auch auf diesem Politikfeld ihr Anti-Establishment-Profil zu schärfen.

Putin könnte natürlich darüber erfreut sein, wenn der "russlandfeindliche Konsens" in Europa durch die rechten Parteien (AfD in Deutschland, Lega Nord in Italien, Rassemblement National in Frankreich) etwas aufgebrochen würde. Aber eine Freundschaft zur europäischen Rechten ist daraus zum Glück bisher nicht erwachsen, auch wenn immer mal wieder entsprechende Annäherungsversuche seitens der AfD gemacht worden sind. Die russische Regierung hat sich wohl an die Geschichte nach Bismarck erinnert und derartigen Versuchen einen Riegel vorgeschoben. "Diese Menschen handeln nicht in Moskaus Interesse", so Andrej Klimow, der Vizechef des außenpolitischen Ausschusses im russischen Föderationsrat. Parteien wie die italienische Lega Nord oder die deutsche AfD, so jüngst der staatliche Fernsehsender Perwyj TV, seien eben "rechtsradikal".

Was sie ja auch sind und bleiben! Die AfD hat gegen Kriege unter anderen Vorzeichen keine grundsätzlichen Einwände, befürwortet vehement die weitere Aufrüstung der Bundeswehr, will den Erwerb von Waffenscheinen für "gesetzestreue Bürger" erleichtern und singt immer mal wieder Loblieder auf die alte Nazi-Wehrmacht.

Thüringenwahl_Sönke Hundt