System im Stresstest

Anhörung der Fraktion DIE LINKE im Bundestag zur Corona-Krise
Video: 
Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Länge: 
05:07:44
Aufzeichnungsdatum: 
2.07.2020

Am 2 Juli fand die Anhörung zur gesundheitlichen, ökonomischen und sogar philosophischen Bewertung der Coronakrise durch die Bundestagsfraktion der Linken statt. Diether Dehm hatte die Idee, um die Partei argumentationsfest in den Bundestagswahlkampf orientieren zu können. Im Wesentlichen ging es darum, dass wir zeigen, wie wir erstens das Hauptnarativ der Rechten und Konservativen zerstören, wonach wir mit dieser Bundesregierung „einigermaßen gut durch die Krise gekommen“ seien und zweitens darum, dass DIE LINKE der Ort ist, in dem Widersprüche ausgetragen werden.

Das Virus selbst und seine pandemische Ausbreitung sind wissenschaftlich noch nicht hinlänglich erforscht, so dass zwar von bestimmten Grundannahmen ausgegangen werden muss, aber ohne mit dem Gestus aufzutreten, im Vollbesitz der einzigen Wahrheit zu sein (was für Linke ohnehin nicht sonderlich charmant wirkt).

Deswegen hatte die Fraktionsführung, die mit ständiger Unterstützung von Diether Dehm (wofür der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch ihm zu Beginn der Anhörung ausdrücklich dankte) auch unterschiedlich und widersprüchlich argumentierende Mediziner (darunter den Präsidenten der Bundesärztekammer), Ökonomen, Bildungspolitikerinnen und Gewerkschafter (darunter der DGB Bundesvorstand) eingeladen. Es nahmen teil: Amira Mohamed Ali und Dr. Dietmar Bartsch (MdB, Fraktionsvorsitzende), Dr. Franziska Augstein (Journalistin), Dr. Birke Bull-Bischoff (MdB, Sprecherin für Bildungspolitik), Dr. Svenja Flaßpöhler (Philosophin, Journalistin), Dr. Gregor Gysi (MdB, Sprecher für Außenpolitik), Reiner Hoffmann (DGB-Vorsitzender), Norbert Müller (MdB, Sprecher für Kinder- und Jugendpolitik), Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin (Philosoph), Prof. Dr. Heinrich Niemann (Institut für Angewandte Virologie in Berlin-Schöneweide), Bodo Ramelow (Ministerpräsident des Freistaates Thüringen), Dr. Klaus Reinhardt (Präsident der Bundesärztekammer), Dr. Ulrich Schneider (Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes), Dr. Sahra Wagenknecht (MdB).

In Deutschland waren waren die Gesundheitsämter, die im wesentlichen für die Koordination, für Tests und die regionale Eindämmung eine politische Aufsicht haben, um zigtausend Stellen in den letzten 15 Jahren gekürzt worden - und im März am Rand der Leistungskraft. Die Privatisierung von Krankenhäusern (die nicht in erster Linie die reine Bettenzahl betrifft und die als Faktor oftmals nur trügerisch ins Feld geführt wird statt der Intensivbetreuung), taten das übrige (besonders in der Fläche), um im März den totalen Kurswechsel dieser Regierung von einer Verharmlosung (Spahn sprach zunächst von Corona als „milder Grippe“) zu einer Überdramatisierung einzuleiten. Worauf dann wieder eine neue 100Grad-Wende zum Lockdown geschah.

Darüber hinaus wurden die Pandemiestudie aus der DDR und zwei Pandemiestudien des Robert-Koch-Instituts von vor 2017 (sogar mit „Sars Virus“ überschrieben!) in den Wind geschlagen. Im Winter 17/18 war in Deutschland eine Influenza-B-Grippe-Epidemie ausgebrochen (die wenig europäische Länder so stark in die Übersterblichkeit führte, wie Deutschland). Das Robert-Koch-Institut schätzte diese auf 25.100 Tote. Da die Influenza ähnlich übertragen wird wie das neuartige Coronavirus, nämlich per Tröpfchen, hätte (alleine um eine Rückkehr dieser Grippewelle zu verhindern) in Hülle und Fülle Schutzbekleidung für pflegendes und heilendes Personal, aber auch für Endverbraucher vorhanden sein müssen. Dass die Regierung diese Vorhaltung seit Jahren – harmlos formuliert – vernachlässigt hatte, ist eine nicht durch irritierende Grundannahmen zur neuartigen Pandemie entschuldbare Verantwortung, die dazu führte, dass sich auch überzogene Maßnahmen im Kurswechsel März 2020 durchgesetzt hatten. Diese Maßnahmen werden sich katastrophal auf Arbeitsplätze, Sozialstaat, Steuereinnahmen und Handwerk und anderen Mittelstand auswirken. Auch dafür trägt diese Bundesregierung und ihre Vorgänger die politische Verantwortung, aus der wir sie keinesfalls entlassen dürfen.

Der Kampf von Gewerkschaften und der Mehrheit in der Bevölkerung hatte in der alten Bundesrepublik und in der DDR einen hohen Status des Sozialstaats errungen. Dieser war in der neoliberalen Wende nach 1989 zu einem Teil abgebaut worden, die Privatisierungsreligion feierte fröhlich Urständ. Heute geht es darum, den Sozialstaat zu stärken, die Gewerkschaften zu stärken und den Kampf mit den Erfahrungen dieser Krise neu zu entfachen. Der vor uns liegende Bundestagswahlkampf ist ein wichtiger Teil bei diesem politischen, sozialen und kulturellen Kampf.

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