„Mehr USA-Versteher braucht das Land“

ein Beitrag von Peter Wahl zu den USA-Verstehern

 31.05.22
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Nicht nur der Bun­des­tag, auch der US-Kon­gress hat einen wis­sen­schaft­li­chen Dienst, den Con­gres­sio­nal Rese­arch Ser­vice – und das seit über 100 Jah­ren. Er wird nicht nur auf Anfra­ge tätig, son­dern infor­miert auch unge­fragt die Abge­ord­ne­ten, vor allem nach Wah­len, wenn es vie­le Neu­lin­ge gibt. So wer­den zum Bei­spiel in einem Report vom Janu­ar 2021 die Prin­zi­pi­en der US-Außen­po­li­tik erklärt. Die bestehen dem­nach aus »vier Schlüs­sel­ele­men­ten«. An ers­ter Stel­le wird »glo­ba­le Füh­rung« genannt, also Domi­nanz der USA über den Rest der Welt. Ex-Prä­si­dent Barack Oba­ma for­mu­lier­te das bei einer Rede an der Mili­tär­aka­de­mie West­point so: »Ame­ri­ka muss auf der Welt­büh­ne immer füh­ren.« Bemer­kens­wert auch sei­ne Begrün­dung: »Ich glau­be mit jeder Faser mei­nes Wesens an die außer­ge­wöhn­li­che Bedeu­tung Ame­ri­kas.« Zur Erin­ne­rung: Der Anteil der USA an der Welt­be­völ­ke­rung beträgt etwa vier Prozent.

Das zwei­te Schlüs­sel­ele­ment heißt: »Ver­tei­di­gung und För­de­rung der libe­ra­len inter­na­tio­na­len Ord­nung«, vul­go Schutz und Ver­brei­tung des Kapi­ta­lis­mus. Danach kommt die »Ver­tei­di­gung von Frei­heit, Demo­kra­tie und Men­schen­rech­ten« – im Aus­land ver­steht sich, denn es geht ja um außen­po­li­ti­sche Prin­zi­pi­en: »Free­dom & Demo­cra­cy« eig­nen sich immer gut als Legi­ti­ma­ti­on, wenn man irgend­wo ein­mar­schie­ren will. Sie­he Viet­nam, Gre­na­da, kuba­ni­sche Schwei­ne­bucht, Irak usw. Wenn es um geo­po­li­tisch nütz­li­che Dik­ta­tu­ren geht, dann tre­ten Prin­zi­pi­en wie Frei­heit und Demo­kra­tie plötz­lich in den Hin­ter­grund. Das vier­te Schlüs­sel­ele­ment der US-Außen­po­li­tik: Es soll die Ent­ste­hung regio­na­ler Hege­mo­ni­al­mäch­te in Eura­si­en ver­hin­dert wer­den. In die­sem Zusam­men­hang wird die Teil­nah­me an den Welt­krie­gen genannt, eben­so die Betei­li­gung an den Krie­gen in Korea und Viet­nam und an Mili­tär­bünd­nis­sen, dar­un­ter die Nato. Deren Funk­ti­on bestehe dar­in, den Ver­such »Russ­lands, regio­na­ler Hege­mon in Euro­pa zu wer­den, abzu­schre­cken und zu verhindern«.

Es ist also nütz­lich zu ver­ste­hen, wie die US-Außen­po­li­tik funk­tio­niert. Wir brau­chen viel mehr USA-Versteher.

Ande­re Län­der haben ande­re Vor­stel­lun­gen vom inter­na­tio­na­len Sys­tem als Washing­ton. Die soge­nann­ten Brics-Staa­ten Chi­na, Indi­en, Russ­land, Bra­si­li­en und Süd­afri­ka beton­ten auf ihrem Gip­fel in Jeka­te­rin­burg bei­spiels­wei­se die Not­wen­dig­keit einer »mul­ti­po­la­ren« Welt­ord­nung. Die Brics ste­hen für 40 Pro­zent der Weltbevölkerung.

Wir leben also in einer Epo­che, in der die eta­blier­te Welt­ord­nung in Fra­ge gestellt ist. Immer mehr Län­der ver­lan­gen gleich­be­rech­tig­te Mit­spra­che über die Gestal­tung der Welt. Die USA und ihre euro­päi­schen Hin­ter­sas­sen ver­tei­di­gen die bestehen­den Ver­hält­nis­se mit Zäh­nen und Klau­en. Die 500-jäh­ri­ge Ära der Domi­nanz des wei­ßen Man­nes neigt sich ihrem Ende zu.

Es wäre naiv zu glau­ben, dass die­se macht­po­li­ti­sche Kon­stel­la­ti­on kei­ne Rol­le für den Ukrai­ne-Krieg spie­len wür­de. Im Gegen­teil: Es wird von Tag zu Tag deut­li­cher, dass die geo­po­li­ti­sche Kon­fron­ta­ti­on den ursprüng­li­chen rus­sisch-ukrai­ni­schen Kon­flikt zuneh­mend über­la­gert. Der Wes­ten strebt einen Sieg über Russ­land an – und das nicht nur mili­tä­risch. Der seit Jah­ren lau­fen­de Wirt­schafts­krieg wird so eska­liert, dass das Land »rui­niert« wer­den soll, zumin­dest wenn es nach der deut­schen Außen­mi­nis­te­rin Anna­le­na Baer­bock (Grü­ne) geht. Dabei spielt weder der Blut­zoll an den Kriegs­schau­plät­zen für die Prot­ago­nis­ten der angeb­lich wer­te­ba­sier­ten Außen­po­li­tik eine Rol­le, noch die welt­wirt­schaft­li­chen Kol­la­te­ral­schä­den, die vor allem in den armen Län­dern des Glo­ba­len Südens zu Buche schlagen.

Wem es wirk­lich um die huma­nen Opfer von Krieg gin­ge, der kann nicht mit der For­de­rung nach immer mehr Waf­fen Öl ins Feu­er gie­ßen. Sind die 50 Mil­li­ar­den US-Dol­lar, die Washing­ton dafür jetzt bewil­ligt hat, immer noch nicht genug, um die Sehn­sucht selbst eini­ger Lin­ker nach Pan­zern und Kano­nen zu stil­len? Gebraucht wird statt­des­sen Druck für einen Kom­pro­miss­frie­den – jen­seits von mili­tä­ri­scher Eska­la­ti­on und Kapi­tu­la­ti­on.

Personen: Peter Wahl



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