„Die verfluchte Staatsraison“

Free-Gaza-Demo in Bremen

Die Palästinensische Gemeinde Bremen und Umgebung hatte wieder zur Free-Gaza-Kundgebung mit anschließender Demonstration aufgerufen.

 12.07.25
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Die Palästinensische Gemeinde Bremen und Umgebung hatte wieder zur Free-Gaza-Kundgebung mit anschließender Demonstration aufgerufen. Während der Kundgebung wurde bekannt, dass die in der Bremer Universität am Abend geplante Veranstaltung mit Iris Hefets („Schweigen und Schuld“) von der Rektorin verboten worden war. Der Protest und die Verbitterung über diese erneute Schikane waren groß! Bernd Fischer vom Bremer Friedensforum ging in seiner Rede auf die jüngsten Ereignisse, den zunehmenden Faschismus in Israel und die „Drecksarbeit“-Äußerung des deutschen Bundeskanzlers ein. „Die verfluchte Staatsraison“ würde in Deutschland dazu führen, dass die Morde an unschuldigen Kindern in Gaza beklagt und gleichzeitig immer mehr Waffen für den Genozid geliefert würden. Die Rede von Bernd Fischer hier: http://nahost-forum-bremen.de/wp-content/uploads/2025/06/Rede-bernd-fischer.docx

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Welt schaut in den Nahen Osten, aber sie schaut an Gaza und am Westjordanland vorbei. Sie ist mit der Frage beschäftigt, ob Netanjahu es schafft, die USA in seinen ganz persönlichen Krieg hineinzuziehen; ob der Iran die Straße von Hormus sperrt und was das für den Ölpreis bedeutet; ob Ajatollah Ali Chamenei den nächsten Angriff überlebt und Netanjahu, was natürlich keiner von uns hofft, demnächst von einer iranischen Hyperschallrakete am Kopf getroffen wird.

Fragen über Fragen, und die Medien laufen heiß, doch der Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser in Gaza geht weiter, Tag für Tag, begleitet von einer rassistischen Hasskampagne, die sich seit dem 07. Oktober 2023 durch die israelische Gesellschaft frisst wie ein bösartiger Tumor und das Gerede von der einzigen Demokratie im Nahen Osten Lügen straft.

Eine Umfrage März 2025 unter Leitung des israelischen Wissenschaftlers Tamir Sorek, Professor an der Pennsylvania State University, ergab, dass 82% der befragten Israelis die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen, 47% deren Ermordung und 56% die Vertreibung der israelischen Palästinenser aus Israel befürworten.

Rassismus in reinster Form, der in Israel öffentlich ungestraft geäußert wird.

  • Zum Beispiel von Elad Barashi, der den Haus- und Hofsender von Premierminister Netanjahu – Channel 14 – leitet, am 27. Februar 2025 auf X: „Gaza befindet sich im Todestrakt. 2,6 Millionen Terroristen in Gaza sind zum Tode verurteilt. Sie verdienen den Tod. Menschen, Frauen, Kinder auf jede erdenkliche Art und Weise, lasst es einen Holocaust in Gaza geben – ja, lesen Sie das ruhig noch einmal – H-O-L-O-C-A-U-S-T. Wenn man mich fragt, so braucht es Gaskammern, Zugwaggons und andere grausame Arten des Todes für diese Nazis. Ausrotten. Abschlachten. Dem Erdboden gleichmachen. Demontieren. Zerschmettern. Ohne Gewissen und Gnade sind Kinder und Eltern, Frauen und Mädchen zu einem grausamen und schweren Tod verurteilt. Gaza verdient den Tod. Lasst es einen Holocaust in Gaza geben.“
  • Zum Beispiel von dem Likud-Abgeordnete Galit Distel-Atbaryan am 1. November 2023: „Radiert Gaza vom Antlitz der Erde. Lasst die Monster von Gaza zur Südgrenze eilen und nach Ägypten fliehen oder sterben. Und lasst sie qualvoll sterben. Gaza muss von der Landkarte getilgt werden!“
  • Oder von Amichay Eliyahu, Minister in der Regierung Netanjahu, im Januar 2024:„Wir müssen für die Einwohner Gazas Wege finden, die qualvoller sind als der Tod.“
  • Oder von Itamar Ben-Gvir, Minister für innere Sicherheit in der Regierung Netanjahu, am 28. Januar 2024: „Die einzige humane Lösung für Gaza ist die Massendeportation seiner Einwohner.“
  • Oder vom israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich, der sich selbst als „faschistischen Homophoben“ feiert und es für „moralisch gerechtfertigt“ hält, die noch lebenden 2,1 Millionen Palästinenser im Gazastreifen verhungern zu lassen. Und am 06. Mai 2025 ohne jede Scham verbreiten ließ: „Die Palästinenser werden vollkommen verzweifeln. Sie werden verstehen, dass es keine Hoffnung gibt und sie in Gaza keine Zukunft haben.“

Liebe Freundinnen und Freunde, was meint Ihr: Würde so auch unser Bundeskanzler reden, Friedrich Merz, der Lange mit dem kleinen Kopf und der großen Klappe? Auf keinen Fall, so redet doch kein deutscher Bundeskanzler! Deutsche Politiker sind zivilisiert und setzen sich für Menschenrechte ein, vor allem in Russland, in Belarus, in China oder Kuba. An Israel gerichtet rufen sie zur Mäßigung auf, vergießen Krokodiltränen über die armen Kinder von Gaza, schicken aber Waffen an die israelische Armee und begründen dieses Verbrechen mit der „Deutschen Staatsraison“.

Mal ehrlich: Wenn es im Jahre 2025 einen Grund gibt, als Deutscher dieses Land und die große Mehrheit seiner Politiker zu verachten, dann ist es die verfluchte „Deutsche Staatsraison“ – ein Begriff aus der Mottenkiste des Feudalismus, mit dem inzwischen jeder Bruch des Völkerrechts, jedes Verbrechen, jede kleine und große Schweinerei legitimiert werden kann.

  • Zum Beispiel die Lieferung von atomar bestückbaren U-Booten, mit denen Israel in die Lage versetzt wird, die nukleare Triade, also die Atombewaffnung zu Land, zu Wasser und in der Luft, zu vollenden.
  • Oder die Lieferung von Dieselmotoren für die israelischen Merkava-Panzer, die durch die Trümmer von Gaza rollen und auf alle schießen, die noch in der Lage sind, sich auf zwei Beinen zu bewegen.
  • Oder die Lieferung von Panzer- und Infanteriemunition zur präzisen Ermordung derer, die sich halbverhungert in die Nähe der obskuren Gaza Humanitarian Foundation wagen, um ein Stück Brot oder einen Teller Suppe zu ergattern.

Erst am letzten Dienstag wurden dort mehr als 50 Hungernde getötet, möglicherweise mit in Deutschland hergestellter Munition. „Es war ein Massaker“, sagte der Augenzeuge Ahmed Halawa gegenüber AP und berichtete, dass die Menschen von Panzern und Drohnen beschossen wurden, „selbst als wir auf der Flucht waren“.

Doch ganz egal, was gerade in Gaza und im Westjordanland passiert, in Libanon, Syrien und Iran, die „Deutsche Staatsraison“ steht wie ein Elefant im Raum und zertrampelt jeden Versuch, den israelischen Vernichtungskrieg auch offiziell als Kriegsverbrechen zu verurteilen.

Und im Sinne dieser Staatsraison sollen wir jetzt auch noch dankbar sein für die Bombardierung des Iran durch Israel?

Ihr habt es gehört und gesehen und Euch gefragt, wie kann das möglich sein, was da am 16. Juni im Zweiten Deutschen Fernsehen über den Bildschirm lief: Friedrich Merz im Gespräch mit der penetrant grinsenden ZDF-Journalistin Diana Zimmermann, die ihm das verabredete Stichwort mit der Frage lieferte: „Ist es nicht sehr verlockend, dass die Israelis jetzt die Drecksarbeit machen?“

Verlockende Drecksarbeit! Und Friedrich Merz, hochzufrieden, endlich die deutsche Sau herauslassen zu können, bedankt sich bei ihr für das Stichwort, bevor er sich bei der israelischen Armee für ihren Luftkrieg bedankt. „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht, für uns alle“, sagt er, und was er damit auch zum Ausdruck bringt, ist klar: Der Iran ist Dreck, und dieser Dreck muss weg, und Netanjahu ist der einzige, der bereit und in der Lage ist, diese Drecksarbeit zu erledigen, weil er in Gaza und im Westjordanland schon gezeigt hat, wie das geht und dass er es auch kann.

Liebe Freundinnen und Freunde! Wer so redet wie dieser Bundeskanzler, ist ein Rassist, der in den Kategorien des europäischen, insbesondere des deutschen, Rassismus denkt und fühlt. Wer so redet, hat auch kein Problem damit, die Scharfschützen der israelischen Armee mit der Munition zu versorgen, die sie brauchen, um spielende Kinder abzuknallen, weil sie in jedem Kind den zukünftigen Terroristen sehen.

Wer aber ist der Terrorist?

Dazu hat die berühmte palästinensische Freiheitskämpferin Leila Khaled etwas gesagt, was schon für die vietnamesischen, die südafrikanischen, die angolanischen oder algerischen Freiheitskämpfer galt, die von den europäischen Kolonialherren als Terroristen stigmatisiert und verfolgt wurden:

Wir wissen, dass sie über Terrorismus sprechen, aber sie sind die Helden des Terrorismus. Alles, was sie über Terrorismus sagen, bezieht sich letztendlich auf sie selbst. Menschen haben das Recht, mit allen Mitteln Widerstand zu leisten, einschließlich des bewaffneten Kampfes. Dies ist in der Charta der Vereinten Nationen verankert und ein fundamentales Gesetz: Wo es Unterdrückung gibt, gibt es Widerstand. Menschen werden nicht unter Besatzung und Unterdrückung leben. Die Geschichte lehrt uns, dass, wenn Menschen Widerstand leisten, sie ihre Würde und ihr Land bewahren können.“

Vielen Dank

Produktion: Marlies und Sönke Hundt
Länge: 00:14:33
Aufzeichnung: 28.06.2025
Personen: Bernd Fischer




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