Jugendunruhen im Irak

Wie das Land zur Ruhe kommen soll, bleibt unklar, denn es handelt sich um einen rundum gescheiterten Staat
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Nach schon zweimonatigen schweren Unruhen im Irak, die bislang an die vierhundert von den Ordnungskräften getötete Opfer und etwa 1500 Verletzte forderten, hat Premier Adil Abdul-Mahdi al Muntafiki das Handtuch geworfen und am 30. November seinen Rücktritt erklärt.

Aber wie das Land zur Ruhe kommen soll, bleibt unklar, denn es handelt sich um einen rundum gescheiterten Staat. Zwar gilt sein Konkurrent, der IS, als besiegt, aber der irakische Staat zeigt in weiten Landesteilen keinerlei Präsenz. Die Bürger müssen sehen, wie sie ohne ihn zurecht kommen, was insbesondere die heranwachsende Jugend in einen Zustand der Perspektivlosigkeit versetzt hat. Sie ist bei Sunniten noch ausgeprägter als bei Schiiten, worin sich die Umkehrung des Machtverhältnisses spiegelt, die sich erstaunlicherweise trotz der militärischen Präsenz der USA seit dem Sturz Saddam Husseins im Irak vollzogen hat. Mit der Einführung der Demokratie stieg die zuvor von Saddam kurz gehaltene schiitische Mehrheit plötzlich zum gesellschaftlichen Hegemon auf und begann ihrerseits die Sunniten kurz zu halten. Al Mahdi, ein zum bekennenden Muslim mutierter ehemaliger Kommunist hatte als Gründungsmitglied der Partei ´Oberster Rat für die Islamische Revolution im Irak´ Ministerposten inne, bevor er 2018 zum Premier wurde. Wohl, um den immer höher kochenden Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten zu beruhigen, hatte er die Partei verlassen und sich wieder säkular gegeben. Er blieb jedoch erfolglos, weil sein Regime, nicht anders als das vorhergehende, hemmungsloser Korruption und Vetternwirtschaft angeklagt ist.

 

Die reale Not der Sunniten im Irak wurde medial nur selten beleuchtet. So blieb total unterbelichtet, dass das amerikanische Bombardement des hauptsächlich sunnitischen Mossul, das als irakisches Hauptquartier des IS galt, nicht nur diese Stadt quasi dem Erdboden gleich machte, sondern – laut einer Arte-Dokumentation – auch 20 000 zivile Opfer gefordert haben soll, also weitaus mehr als die russisch-syrischen Bombardements von Aleppo. Von effizientem Wiederaufbau kann keine Rede sein, nicht nur, weil auch in den diesbezüglichen Projekten Korruption herrscht, sondern auch, weil die notwendigen finanziellen Hilfen einfach nicht ausreichen.

 

Offenbar konnten die USA nicht verhindern, dass der Einfluss des Iran im Irak unaufhörlich wuchs. Deshalb richtete sich der auch durch die stetig steigenden Opferzahlen nicht zu beruhigende Jugendprotest nicht nur gegen die als schiitisch geltende Regierung von Al Mahdi, sondern ebenfalls gegen iranische Einrichtungen wie das Konsulat der islamischen Republik in Nadschaf, das zweimal in Brand gesteckt wurde. Da war es eine sehr souveräne Geste Teherans, Al Mahdi zum Verzicht auf das Amt des Premiers aufzufordern. Sein Rücktritt bringt aber bestenfalls eine kurze Beruhigung. Ein neuer Premier kann zwar Versprechungen abgeben, wird sie aber schwerlich einlösen können.

 

Der tragische Aufstand der sunnitischen Jugend im Irak ist sicher gerechtfertigt. Aber es gibt offenbar niemanden, der ihr helfen will. Der Westen, der alles andere als unschuldig am Zustand des Landes ist, scheint die Erhebung nur als Mittel zu sehen, den Iran vorzuführen. Das gelingt um so mehr, weil sich auch Iraner erhoben haben, die die ihnen durch den faktisch bereits herrschenden Kriegszustand aufgebürdeten Entbehrungen ebenfalls nicht mehr hinnehmen wollen. Auch im Iran fielen tödliche Schüsse auf Demonstranten.

 

* Dieser Kommentar erschien unter dem Titel Ein rundum gescheiterter Staat am 6. 12. 2019 in Der Freitag, auf S. 2.

Wie das Land zur Ruhe kommen soll, bleibt unklar, denn es handelt sich um einen rundum gescheiterten Staat