Vom Gipfeltreffens des arabischen Kooperationsrates am 5. Januar im nordwestlichen Saudi Arabien gingen erstaunliche Bilder um die Welt: Der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad al-Thani wurde vom saudischen Kronprinzen Mohamed bin Salman herzlich in die Arme geschlossen. Und der Kooperationsrat beschloss, die seit Juni 2017 von Saudi Arabien, den Vereinigten Emiraten und Bahrein verhängte Blockade der Land- Luft- und Wasserwege nach Katar aufzuheben.
Das kleine Land, das dank seines Ölreichtums über das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt verfügt, war ausgerechnet von Riad des Terrorismus angeklagt worden, weil es zwischen von ihm finanzierten bewaffnete Gruppen in Syrien, Libyen, dem Irak sowie in Nordmali einerseits und von den Saudis und den Emiraten finanzierten bewaffneten Gruppen andererseits öfter zu blutigen Zusammenstößen kam. Da Katar auch die ägyptischen Muslimbrüder unterstützt hatte, schloss sich Kairo ebenfalls dem Boykott an. Oman und Kuwait taten es nicht.
Dass das sunnitische Katar viele Arbeitsmigranten aus schiitischen Ländern beschäftigte und gemeinsam mit dem Iran Erdgasfelder im Golf ausbeutete, passte ebenfalls nicht in eine Strategie, die immer offener auf einen Krieg gegen den Mullah-Staat zusteuerte: Katar sollte in eine antiiranische Einheitsfront gezwungen werden.
Der Boykott zeitigte jedoch nicht die gewünschten Erfolge. Zwar musste Katar seinen Außenhandel jetzt mit teuer erkauften Überflugrechten über den Iran abwickeln und den bislang praktizierten Import von Gütern des täglichen Bedarfs stark einschränken. Das führte jedoch zu einem zuvor undenkbaren Boom der eigenen Industrieproduktion und Landwirtschaft sowie zu erheblich gesteigertem Nationalbewusstsein. Die verstärkt importierten technischen Ausrüstungen funktionierten unter katarischen Verhältnissen zunächst nicht besonders gut, konnten aber durch einheimische Ingenieure in kürzester Zeit angepasst und optimiert werden. Mittlerweile möchten die Kataris auf eigenes frisches Gemüse und Geflügel nicht mehr verzichten, zumal die Produkte billiger als die früher importierten Lebensmittel sind.
Donald Trump hatte sich 2017 den Terrorismusvorwürfen aus Riad angeschlossen, verkaufte Katar aber weiterhin Waffen. Das war von seiner Warte her nicht unlogisch, denn schließlich befindet sich das Hauptquartier der US-Streitkräfte im Nahen Osten ausgerechnet in Katar. Dass von hier aus auch ein Krieg gegen den Iran koordiniert werden müsste, erklärt das amerikanische Interesse, den innersunnitischen Konflikt einzudämmen. Die Blockade der Land-Luft- und Wasserwege nach Katar wären da ein erheblicher Störfaktor. Dass er im Dezember 2020 seinen Schwiegersohn, Jerad Kushner mit dem Auftrag, für die Beendigung des Konflikts zu sorgen, auf die arabische Halbinsel schickte, war Teil der Strategie, am Ende seiner Amtszeit außenpolitisch noch einmal Tatkraft zu beweisen und als unlösbar geltende Konflikte in Bewegung zu bringen. Da ihm mit dem Sturm auf das Capitol innenpolitisch bereits ein fataler Überraschungscoup gelungen war, schien es sogar höchsten amerikanischen Verantwortungsträgern nicht mehr ausgeschlossen, dass dieser selbstherrliche Präsident zur Krönung seiner Regierungszeit noch einen Militärschlag – womöglich sogar mit Atomwaffen – gegen den Iran im Kopf hatte. Jedenfalls hat Nancy Pelosi, Oppositionsführerin und als Sprecherin des Repräsentantenhauses dritthöchste Amtsperson der USA, Kontakt mit der Armeeführung aufgenommen, um zu erreichen, dass ein diesbezüglicher Befehl des Präsidenten nicht mehr befolgt würde. Denn Joe Biden hat versprochen, für eine friedliche Perspektive im Nahen Osten zu sorgen. Er will die von Trump stark forcierten Waffenverkäufe an Saudi Arabien drosseln und das Atomabkommen mit dem Iran beleben. Besonders die Europäer müssten an einer Deeskalation am Golf interessiert sein.
Ein neuer Großbrand im Nahen Osten brächte auch für sie sehr ernste Folgen, nicht zuletzt einen weiteren Zustrom von Flüchtenden.
Sind die Staaten am Golf wirklich versöhnt? Und wird Katar seine Beziehungen zum Iran verändern oder gar aufgeben? Auf den noch nicht beruhigten Kriegsschauplätzen im Nahen Osten und Nordafrika konkurriert es weiterhin mit dem saudischen Königreich und den Emiraten. In Libyen stehen letztere, zusammen mit Ägypten hinter der von Feldmarschall Khalifa Haftar gestützten Regierung in Tobruk, während die Kataris zusammen mit den Türken die Regierung in Tripolis unterstützen. In all diesen Konflikten spiegelt sich die scharfe Frontlinie zwischen dem wahabitisch-salafistischen Islamismus und dem Islamismus der Moslembrüder. Beide ringen in der sunnitischen Welt um die Führungsrolle.
Die Beendigung des Boykotts gegen Katar empfahl sich auch, weil hier im kommenden November die Fußballweltmeisterschaften ausgetragen werden.
* Dieser Artikel erschien unter dem Titel: Harmonie auf der Halbinsel in Der Freitag am 14. Januar 2021