Israel im Vierfrontenkrieg*

Israel im Vierfrontenkrieg
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Die Türkei hofft, mithilfe der ihr nahestehenden Rebellengruppen schon seit Wochen laufenden Militäroperationen das kurdische Unabhängigkeitsbegehren ein für alle Mal zu ersticken und in Damaskus ein sunnitisches Vasallenregime zu installieren. Ob sich Recep Tayipp Erdogan auf ein Kräftemessen mit dem künftigen Präsidenten der USA einstellen muss, weil amerikanische Truppen im Nordosten Syriens kurdische Eigenständigkeit gefördert haben, ist keineswegs ausgemacht. Da diese Unterstützung nur den Sinn hatte, den syrischen Rumpfstaat von Öl- und Weizenressourcen abzuschneiden, ist dieses Ziel nach dessen Kapitulation obsolet geworden. Der pragmatische Donald Trump könnte beschließen, alle syrischen Kurden Erdogans Obhut zu überlassen.

Obwohl große Teile der syrischen Armee bereits vor Monaten demobilisiert und ihre noch operationellen Teile keinen Widerstand mehr leistete, gaben angeblich in Zentralsyrien noch befindliche starke Verbände des Islamischen Staates den Vorwand für zahlreiche Luftangriffe auf militärische Infrastruktur, die von den amerikanischen Militärbasen und von Israel aus geflogen wurden. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London meldete hunderte Bombardierungen von Flughäfen, Flugzeugstaffeln, Waffendepots, Langstreckenraketen, Radarstationen und militärischen Aufklärungsanlagen im ganzen Land. Auch Chemiestandorte wurden angegriffen, obwohl laut UNO-Beobachtern bislang keine Hinweise auf Giftgasproduktion vorlagen. Mit den „falschen Händen“, in die militärische Hinterlassenschaften der Assad-Regierung nicht fallen sollten, war offenbar nicht nur der IS gemeint, sondern auch die neuen Machthaber in Damaskus, deren Souveränität damit vorsorglich eingeschränkt wurde. Denn der neue starke Mann in Damaskus, Mohamed Baschir soll in der Umayyaden-Moschee seinen Anhängern auch die Eroberung des heiligen Jerusalem versprochen haben. Vereinzelte israelische Bombardements in Damaskus galten der Botschaft und anderen Einrichtungen des Iran, der – angeblich in Absprache mit al-Jolanis Rebellen – sein Personal vorsorglich abziehen konnte. Die stärksten israelischen Luftangriffe seit einem Jahrzehnt erlebte die hauptsächlich von Alawiten bewohnte Küstenregionen Syriens. Ein Angriff auf syrische Militärbasen bei Latakia wird eine Provokation für den russischen Luftstützpunkt Khmeimin gewesen sein. Da dieser sowie der Marinehafen Tartus für die militärische Kooperation Russlands mit Staaten in Afrika von großer Bedeutung sind, hat Moskau verlauten lassen, beide Stützpunkte behalten und notfalls „hart“ verteidigen zu wollen.

Obwohl Israels Außenminister Gideon Sa`ar und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonen, dass diese militärischen Operationen allein der künftigen Sicherheit des Landes dienen, geht es doch auch um das rasche Erschaffen einer neuen Realität. Das beweist ein bereits von der Regierungskoalition einstimmig gefasster Beschluss, der die Verdoppelung der jüdischen Besiedlung des jetzt vollständig besetzten Golan vorsieht. Dafür soll eine Summe von 40 Millionen Schekel bereit gestellt werden. Der schon seit dem Krieg von 1967 besetzte Teil des Golan wurde 1981 annektiert. Donald Trump hat diese völkerrechtswidrige Annexion in seiner vorigen Amtszeit anerkannt. Als künftig wieder amtierender Präsident soll er sich in einem am 14. Dezember stattgefundenem Telefonat mit Netanjahu mit den neu geschaffenen Perspektiven bereits einverstanden erklärt haben. Außerdem wurde über mögliche Modalitäten einer Feuerpause in Gaza gesprochen.

Schon jetzt leben auf dem Golan, dessen besonderer Wert in seinem Wasserreichtum liegt, 31000 israelische Siedler neben der drusischen Bevölkerung, die sich jedoch größtenteils noch als Syrien zugehörig betrachtet. Eine mit Panzereinheiten gesicherte neue israelische Pufferzone die sich bis auf das Hermon-Gebirge erstreckt, von dem aus Damaskus einsehbar ist, soll vorläufig nur den Winter über besetzt bleiben. Unbekannt ist, wo die UNO-Kontingente abgeblieben sind, die in der alten, nun der Vergangenheit angehörenden Pufferzone stationiert waren.

Israel befindet sich an drei Fronten im Krieg: in Gaza, im Libanon und in Syrien. Da die Regierung in Jerusalem sich bereits auch mit dem Iran im Krieg wähnt, kann man sogar von einem Vierfrontenkrieg sprechen. So erfolgreich er militärisch zu sein scheint, ist schwer vollstellbar, dass der Nahe Osten auf diesem Wege dauerhaft stabilisiert werden wird. Saudi Arabien, die größte Regionalmacht, um deren Anerkennung sich Israel seit Jahren inständig bemüht, hat auch sein aktuelles Vorgehen in Syrien scharf verurteilt.

Man muss sich in Erinnerung rufen, dass von der Regierung Baschar al-Assads anerkanntermaßen weder eine Bedrohung der Türkei noch Israels ausging. Schon Hafiz al-Assad verschob die Rückholung des Golan auf einen langfristig angesetzten diplomatischen Weg. Angesichts der Gier, mit der Syrien zerstückelt wird, verliert die Behauptung, es ginge um die Verteidigung von Menschenrechten an Glaubwürdigkeit. Auch von einem Bürgerkrieg ist nur eingeschränkt zu sprechen. Damit die Bürgerproteste von 2011 zum blutigen Dauerkonflikt wurden, war nach Expertenschätzung die Beteiligung von mindestens 40 000 internationalen Islamisten nötig, die militärisch trainiert und mit moderner Bewaffnung ausgestattet wurden. Hinzu kamen strengste Wirtschaftssanktionen, die Hunger und Mangel an allem Lebensnotwendigen über ein Land brachten, das einst als ´Brotkorb` der Region aride Nachbarstaaten mit Nahrungsmitteln belieferte.

 

* Dieser Artikel erschien unter dem Titel ´Mehr Siedler auf den Golan-Höhen` in ´Der Freitag` no. 51 v. 19. 12. 2024.

 

 

 

 

 

 

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