Der Iran im Mittleren Osten nach dem Zwölftagekrieg

Ein geostrategisch wichtiges Land zwischen Krieg und multilateraler Weltordnung

Israels Krieg gegen Iran vom 13. bis zum 24. Juni 2025, der „Zwölftage-Krieg“, war schon lange erwartet worden. Er war in der Tat zwischen Trump und Netanjahu minutiös abgestimmt und von der NATO und indirekt auch von der Wiener UN-Atomenergie-Organisation (IAEO) unterstützt worden.

12. September 2025
Der Iran im Mittleren Osten nach dem Zwölftagekrieg
Lesezeit: ca. 4 Minuten

Entgegen der Ziele der israelisch-amerikanischen Regierungen hat ein Sturz der islamischen Herrschaft nicht stattgefunden. Es gelang der Islamischen Republik trotz erheblicher eigener personeller und materieller Verluste sogar das Kunststück, das Tabu von Israels Unbesiegbarkeit zu brechen und trotz „Iron Dome“ eine Vielzahl militärischer Einrichtungen und Infrastruktur in Tel Aviv, Haifa und anderswo zu zerstören. Nahezu alle Expert*innen gehen davon aus, dass der Krieg noch lange nicht zu Ende ist und dass er weitergehen wird.

Israel macht die „Drecksarbeit“ für uns

Israel spielt im US-geführten Hegemonialsystem im Mittleren und Nahen Osten eine zentrale Rolle. Dieser Staat ist der militärische Arm der US-Hegemonie und sorgt sehr erfolgreich für die Mobilisierung des ethnischen, religiösen, ideologischen und geopolitischen Konfliktpotentials, das die Region permanent in Wettrüsten, Zwietracht und Kriege stürzt. Dadurch wird die störungsfreie Zufuhr von Öl und Gas in die Weltwirtschaft mit möglichst niedrigen Preisen möglich gemacht. (1) Friedrich Merz hatte mit seiner undiplomatischen Äußerung, Israel mache „die Drecksarbeit für uns“, den israelischen Angriffskrieg gegen alle Konventionen der UNO und des Artikels 26 des eigenen deutschen Grundgesetzes legitimiert. „Israels Dreckarbeit für uns“ ist m.E. der eigentliche Grund dafür, dass Israels Existenz zur deutschen Staatsraison erklärt wurde und nicht die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust. Diese Gesinnung beruht auf knallharten ökonomischen Vorteilen und erklärt, warum Deutschland entgegen jeglicher moralischer Prinzipien Israels Verbrechen in Gaza, im Westjordanland und jetzt im Iran schamlos in Schutz nimmt.

Iran als geopolitische Gegenmacht

Israel, die USA und der Westen insgesamt unterschätzen kolossal das Machtpotential des Iran, das wesentlich mehr ist als das nukleare Vorhaben und die ballistischen Raketen der gegenwärtigen islamischen Machthaber. Iran ist das einzige große Land im Mittleren Osten (Westasien), das 90-mal größer als Israel ist und das nie kolonisiert wurde. Die mehrere tausend Jahre Geschichte und Kultur der Iranerinnen und Iraner ist offensichtlich die wichtigste Machtressource weit über die Macht der jeweils herrschenden Regierung hinaus. Iran erlebte im 20. Jahrhundert drei Revolutionen mit Auswirkungen auf die gesamte Region und darüber hinaus: Erstens die konstitutionelle Revolution von 1905 mit ihrer Wirkung auf den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und die Gründung der türkischen Republik 1923; zweitens die Nationalisierung der Ölindustrie durch die demokratisch gewählte Regierung von Mohammad Mossadegh 1951 mit der positiven antikolonialistischen Ausstrahlung auf viele monarchistisch regierte arabische Staaten wie Ägypten, Irak, Libyen, die von nationalistischen Kräften gestürzt wurden und beispielsweise die Nationalisierung des Suez-Kanals 1952 in Ägypten hervorbrachten. Und schließlich drittens die antimonarchistische Revolution 1979, die mit ihrer letztlich radikal-islamischen Ausrichtung die Revitalisierung und Politisierung des Islams und der Verwandlung des Islams als politische Kraft in der gesamten Region Westasiens und im Grunde weltweit zur Folge hatte.

Die Gründung der Islamischen Republik 1979 war schon mit dem Trauma des durch den von CIA und MI6 organisierten Sturz der Mossadegh Regierung 1953 massiv belastet. Er wurde durch einen Militärputsch und begleitend durch die Totalsanktionen gegen das iranische Öl herbeigeführt. Der aus diesen Traumata hervorgegangene Antiamerikanismus und der Antizionismus, ausgelöst von der Ungerechtigkeit der kolonialistischen Besatzung von Palästina, wurde von fast allen politischen Strömungen einschließlich der nationalistischen und linken getragen und von Anfang an zur Staatsraison der Islamischen Republik erklärt, nachdem der von US-Gnaden regierende Schah gestürzt worden war. Rückblickend kann festgestellt werden: Die Islamische Republik stieg in das regionale Machtvakuum als Gegenspieler von Israel auf, dessen Vormachtstellung bereits in den 1980er Jahren entstanden war. Israel und den USA war es nämlich gelungen, sämtliche arabische Gegenspieler, entweder wie Ägypten und Jordanien durch bilaterale Abkommen und korrumpierende Militärhilfen an den Rand zu drängen oder aber wie den Irak und Libyen durch Krieg regionalpolitisch ganz zu neutralisieren. Seit Anfang der 1990er Jahre begann die Islamische Republik im Iran auch, ganz in Übereinstimmung mit den eigenen Machtinteressen, der „Herrschaft der Geistlichen“, als Gegenmacht zu Israel einen antiisraelischen Kreis von Verbündeten wie die Hisbollah in Libanon, das Assad-Regime in Syrien, die Hamas in Palästina und die Huthis im Jemen zur „Achse des Widerstands“ zusammenzuführen.

Nuklearstrategie versus regionale Kooperation

Es gibt keinen Zweifel: Israels- und die US-Herausforderung zur Durchsetzung ihrer geopolitischen und neokolonialistischen Interessen (vor allem die vollständige Kontrolle des Ölsektors durch die USA, die Schaffung Großisraels und die Vertreibung der Palästinenser*innen aus Palästina entsprechend dem zionistischen Plan von 1897) machte die Entstehung einer mächtigen regionalen Gegenmacht unausweichlich, um diesen neokolonialistischen Projekten entgegenzutreten. Zu diesem Zweck gab es und gibt es immer noch zwei Alternativen: Entweder der Aufbau einer gleichwertigen Militär- und angesichts israelischer Atomwaffen auch Nuklearmacht, für die sich offensichtlich die Islamische Republik Anfang 1990er Jahre entschieden hat, oder aber die Schaffung eines ihrem Wesen nach nicht-militärischen Regimes der regionalen Kooperation und gemeinsamen Sicherheit.

Die Perspektive der militärisch-nuklearen Strategie, wie wir sie gegenwärtig erleben, war vorauszusehen. Es war klar, dass im Falle eines umfassenden Schlagabtausches von Israel und den USA die Islamische Republik den Kürzeren ziehen müsste. Damit würde die Zukunft des gesamten iranischen Volkes und des Irans als eines souveränen Staates zur Disposition gestellt werden. Ein solches Verbrechen wäre niemals entschuldbar. Auch ohne einen denkbaren Vernichtungskrieg hat schon jetzt die 90 Millionen-Bevölkerung des Landes für mehrere Jahrzehnte die immensen und mehrere Billionen Dollar betragenden direkten militärischen Kosten sowie deren indirekte Kosten, verursacht durch die umfassenden Sanktionen der westlichen Gemeinschaft, auf seinem Buckel. Leider hat die islamische Führung des Landes diese einfache 2 x 2 Rechnung grundlegend ignoriert und sich gegenüber den künftigen Generationen des Landes politisch und moralisch schuldig gemacht.

Demgegenüber wäre durch die Alternative der regionalen Kooperation und gemeinsamen Sicherheit nicht nur ein nachhaltiges Bollwerk gegen Israels Strategie von „spalten, um zu herrschen“ entstanden, sondern mit einem Bruchteil der vergleichbaren Kosten eine ökonomisch und politisch prosperierende und in vielerlei Hinsicht mit der EU vergleichbare Einheit entstanden, die den Völkern des Mittleren Ostens aller Wahrscheinlichkeit nach einen dauerhaften Frieden beschert hätte. Hinzu kommt die strategische Bedeutung eines Westasiens mit seinen unermesslichen Energieressourcen für die Schaffung einer multipolaren Welt.

Diese Perspektive ist m.E. immer noch und gerade nach den bitteren negativen Erfahrungen und dem kolossalen Scheitern der nuklear-militärischen Alternative vorhanden.

Anmerkung

1 Mohssen Massarrat, Die Anatomie der US-Hegemonie und Wege zu einer multilateralen Weltordnung, im Erscheinen

Der Beitrag wurde Anfang Juli 2025 fertiggestellt. Erstveröffentlichung: Friedensforum Nr. 5/2025

Prof. Dr. Mohssen Massarrat ist Professor für Politik und Wirtschaft des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück i. R. Er ist 83 Jahre alt und lebt gegenwärtig in Berlin.

Personen: Mohssen Massarrat


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