Menschenjagd in Chemnitz: Moralische Appelle reichen nicht mehr

Strafanzeigen und klischeehaften Entschuldigungen bei den Pogromopfern sind nicht mehr genug - Ein ganzes System muss auf den Prüfstand *

Dass es bei Volksfesten zu Messerstechereien kommen kann ist kein neues Szenarium und auch keines, in dem Ausländer besonders oft die Hauptrolle spielen.

31. August 2018
Menschenjagd in Chemnitz: Moralische Appelle reichen nicht mehr
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Hier beginnt der eigentliche Skandal. Sowohl die sächsische als auch die Bundespolitik scheint keinen blassen Schimmer vom Ausmaß zu haben, den der Fremdenhass mittlerweile angenommen hat. Und ebenso wenig weiß sie den Erfolg einzuschätzen, den seine Instrumentalisierung für die AFD bedeutet. Denn diese kann mittlerweile die Puppen tanzen lassen, gleichzeitig ihr Bedauern über deren Gewaltexzesse äußern und zur Mäßigung aufrufen. Denn sie weiß, dass bei nächster Gelegenheit Ähnliches möglich ist.

 

Besonders zu denken geben sollte, dass die Gewalt nicht von denen ausging, die gemeinhin das Bild der Pegida- und AFD-Aktivisten prägen: biedere Rentner, denen die DDR mit ihrer Geborgenheit und ihrem Provinzialismus noch in den Knochen steckt. Nein, es waren junge, größtenteils nach dem Systemwechsel geborene Menschen, die aufgewachsen sind mit den Segnungen der Demokratie und westlichen Bildungserlebnissen in der Schule. Diese jungen Rassisten hatten  keinerlei Probleme damit, sich für den Montag zu einer weiteren „Demonstration“ am monumentalen Marxkopf zu verabreden. Dass die Stadt sich entschlossen hat, diesen zu erhalten, wirkt beinahe machiavellistisch. Denn das Häufchen linker Gegendemonstranten musste sich mit dem Platz gegenüber begnügen.

 

Soweit ist es gekommen und das war auch noch nicht alles. Mit ein paar Strafanzeigen und klischeehaften Entschuldigungen bei den Pogromopfern wird es nicht getan sein. Die über Generationen wirksame Kausalkette, die Erniedrigte und Beleidigte zu Gewalttätern macht, kann nicht mehr durchbrochen werden mit bloßen moralischen Appellen und polizeilichen Maßnahmen, die auf Grund politischen Kalküls gerade in Sachsen moderat ausfallen dürften. Ein ganzes System muss auf den Prüfstand, das immer mehr Ungleichheit sowohl im eigenen Land als auch weltweit produziert.  

 

* Dieser Kommentar erschien unter dem Titel Deutsche Standards in Der Freitag vom 30.08.2018    

Personen: Sabine Kebir


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