Dolchstoß in den Rücken der Palästinenser

Dolchstoß in den Rücken der Palästinenser
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Schon seit Wochen demonstrieren tausende Israelis regelmäßig gegen Benjamin Netanyahu, der ihrer Meinung nach nicht mehr regieren, sondern sich endlich vor Gericht verantworten sollte. Er gilt immer mehr Israelis auch nicht mehr als geschickter Krisenmanager. Denn die das Land ereilende zweite Covid-19-Welle hat viele Bürger noch tiefer in existentielle Not gebracht als die erste. Die  Arbeitslosigkeit ist auf  über 20% gestiegen.

Für Überraschungen ist Netanyahu aber immer noch gut. Am 13. August verkündete er, dass Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate überein gekommen seien, volle diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Das sei ein großer Schritt in Richtung Frieden und brächte die Integration des Landes in den Nahen Osten ein entscheidendes Stück voran. Auch würden sich neue Möglichkeiten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ergeben: auf den Gebieten des Wasserhaushalts, der Gesundheits-und vor allem der Sicherheitstechnik.

 

Auch US-Präsident Trump schreibt sich das Abkommen, das unter Vermittlung seines Schwiegersohns Joshua Kuschner zustande kam, ebenfalls als Erfolg seiner Regierung zu, mit dem er im Wahlkampf besonders gegenüber jüdischen Wählern punkten kann. Immerhin hat es etliche Monate diskreter Kontakte gebraucht, die der israelische Geheimdienst mit den VAE führte, bis das Abkommen zustande kam. Ausgeräumt werden musste u. a. eine Verstimmung, die 2010 die dem Mossad zugeschrieben Ermordung eines palästinensischen Politikers in Abu Dhabi ausgelöst hatte. 

   

Ganz ungetrübt ist die Nachricht auch aus einem aktuellen Grund nicht. Denn das Abkommen ist eigentlich nur das, was Trump einen „deal“ nennt: Die VAE haben es nur unter der Bedingung angenommen, dass Israel die Annexion großer Teile der Westbank aussetzt, die auch von Trump und Kuschner mit großem Triumphgetöse für den 1. Juli verkündet worden war. Insbesondere die Siedler, aber auch ein Teil der amerikanischen Juden, die das Westjordanland seit Jahren nur noch Judäa und Samaria nennen, sind sehr enttäuscht, dass die dringend erwartete Annexion bislang nicht erfolgte. Das liegt wohl einerseits an den innenpolitischen Schwierigkeiten Israels und andererseits an der Ablehnung, die das Vorhaben auf internationaler Ebene fand, u. a. auch bei der Europäischen Union.

 

Netanyahu und Trump versichern allerdings, dass die Annexion keinesfalls vom Tisch sei, dass man weiter daran arbeite. Und zweifellos wird versucht werden, die Annexion in kleinen Schritten, quasi schleichend, durchzusetzen – solange der internationale Druck dagegen nur verbal bleibt.

 

Anshel Pfeffer, Autor einer Biographie Netanyahus, schrieb in Haaretz, dass der Regierungschef  doch einen bedeutenden Erfolg errungen habe, weil er etwas gewonnen habe, ohne den Palästinensern etwas gegeben zu haben. Der Erfolg könnte sich noch ausweiten, sollten andere arabische Staaten denselben Schritt wie die VAE tun: Als mögliche Kandidaten sind Bahrein und Oman im Gespräch.

 

Dass die VAE den Palästinensern nur einen Bärendienst erwiesen haben, sehen diese natürlich selber so. Sowohl im Westjordanland und im Gazastreifen wurde energisch gegen das Abkommen protestiert. Die wichtigsten Fragen des Friedens und der Sicherheit für Israel können nach wie vor nicht über die Köpfe der Palästinsner hinweg, sondern nur in direkten Verhandlungen mit ihnen selbst gelöst werden. Seab Erkat, der Poliktiker der palästinensischen Autonomiebehörde, der schon seit dem Oslo-Abkommen an Verhandlungen mit Israel beteiligt war und sie mehrfach führte, sagte am 14. August im weltweit ausgestrahlten katarischen Fernsehsender Al Djazira: „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass uns ein arabisches Land einen solchen Dolchstoß in den Rücken versetzen würde.“

 

Erkat erklärte das Abkommen als kontraproproduktiv für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten.

 

Tatsächlich konturiert es die Linien des diese Region bedrohenden Großkonflikts keineswegs neu. Obwohl sich Saudi Arabien in der Frage diplomatischer Beziehungen zu Israel momentan bedeckt hält – wahrscheinlich weil es noch Rücksicht auf den schiitischen Teil seiner Bevölkerung nehmen muss – steht doch außer Frage, dass es schon seit dem Sechs-Tage Krieg 1967 an Israels Seite steht: Denn die Radaranlagen, mit deren Hilfe die ägyptische Luftwaffe schon am ersten Kriegstag am Boden kampfunfähig gemacht wurde, standen auf saudischem Territorium. In einem kriegerischen Konflikt mit dem Iran besteht am Schulterschluss zwischen Riad und Tel Aviv kein Zweifel und es ist auch keine Überraschung, dass sich ihm die VAE schon seit langem anschließen würden. Auf der Seite des Iran stehen Syrien, der Libanon, die Palästinenser und Katar – letzteres Land leistet den Menschen im Gazastreifen materielle Unterstützung. Aber auch die Türkei würde nicht am Krieg gegen den Iran teilnehmen und kritisierte das Abkommen scharf. Das tat übrigens auch der jordanische König, obwohl sein Land schon lange diplomatische Beziehungen zu Israel unterhält. Er hat zu befürchten, dass Jordanien nach der Annexion der Westbank eine neue Welle von palästinensischen Flüchtlingen aufnehmen muss, was ja den oft öffentlich geäußerten Zielen der israelischen Rechten entspricht. Dasselbe gilt für Ägypten, dessen Präsident Al-Sissi das Abkommen jedoch begrüßte. Aber sowohl Jordanien als auch Ägypten halten an der Zwei-Staaten-Lösung fest. Das tut übrigens auch der demokratische Präsidentschaftskandidat in den USA, Joe Biden. 

       

Wie ernst es die VAE mit der von ihnen als Erfolg verkauften Aufrechterhaltung der Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung meinen, wird sich zeigen, wenn bekannt wird, ob ihre Botschaft in Tel Aviv oder in Jerusalem stehen soll. 

 

* Dieser Artikel erschien unter dem Titel Ein Schritt, doch der Frieden ist fern in: Der Freitag no 34 v. 20. 8. 2020, S. 8.

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