"Spiegel" riskiert Kritik an Israelfreunden

»Ich habe einen so systematischen Versuch zur Beeinflussung des Bundestags noch nicht erlebt« – Recherche des „Spiegel“
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Der Spiegel v. 13. Juli 2019 (leider hinter einer Bezahlschranke) hat sich an seine alten Tugenden erinnert und gründlich über ein heikles Tabu-Thema recherchiert. In einem großen Artikel, verfasst von sechs Redakteuren (Matthias Gebauer, Ann-Katrin Müller, Sven Röbel, Raniah Salloum, Christoph Schult, Christoph Sydow) wird zusammengetragen und erfragt, welches die Hintergründe für die jüngsten Anti-Antisemitismus- und Anti-BDS-Beschlüsse im deutschen Bundestag und die offenbar erfolgreiche Lobby-Arbeit von zwei Pro-Israel-Organisationen gewesen sind.

Am 17. Mai 2019 stimmten CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne für eine gemeinsame Erklärung mit dem Titel: „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“. Der Erklärung war schon eine ähnliche Entschließung vorausgegangen, nämlich die „Erklärung gegen Antisemitismus“ von 2018, in der auch schon die BDS-Bewegung kritisiert worden war. Die Zustimmung im Bundestag zu den Resolutionen war überwältigend. Dabei war die Anti-BDS-Resolution mehr als umstritten. Es war klar, dass diese die Arbeit von vielen NGOs, darunter auch die parteinahen Stiftungen von CDU, FDP, SPD und Grünen in Israel/Palästina behindern würden. 103 Abgeordnete hatten sich in persönlichen Erklärungen von dem Text distanziert. „Ablehnen wollten sie ihn aber nicht“, so der Spiegel, „auch aus Angst, als Antisemiten zu gelten.“

Warum dann trotzdem die überwältigende Zustimmung? Es lag, so der Spiegel, auch an der erfolgreichen Lobby-Arbeit von zwei proisraelischen Organisationen, nämlich 2018 gegründeten Verein „WerteInitiative“, der „jüdisch-deutsche Positionen“ vertritt, und dem 2009 gegründeten „Nahost-Friedensforum“, kurz Naffo genannt. Der Einfluss dieser beiden Vereine sei „bemerkenswert“, obwohl sie relativ klein und einer breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt seien.

„Bei Naffo werden ausgewählte Mitglieder des Bundestags intern als »Kontakt-MdBs« bezeichnet. Auf ihnen ruht die Hoffnung, dass sie die Positionen der Vereine weitertragen mögen. Dafür entwerfen die Lobbyisten nicht nur Positionspapiere und veranstalten ‚Runde Tische‘, sie laden die Abgeordneten auch zu Reisen nach Israel ein – und vermitteln sogar Spenden an die Politiker. All das zeigt, wie strategisch sie die Einflussnahme auf die Politik gestalten. Am Ende stellt sich die Frage,
wie unabhängig Politiker sein können, die finanziell von den Kontakten profitieren.“

Wie das im einzelnen funktionierte, und wie die umstrittene BDS-Resolution im einzelnen vorbereitet wurde, darüber berichtete der Spiegel so: Sie sei „an einem Mittwoch im Mai um 7.30 Uhr im Raum 4.101 des Paul-Löbe-Hauses“ während eines Treffens mit Parlamentarieren aller Fraktionen (außer der AfD, die nicht eingeladen war) vom FDP-Abgeordneten Bijan Djir-Sarai eingebracht und beraten worden. Organisiert worden sei der „Runde Tisch“ von der „WerteInitiative“ und seinem Sprecher Elio Adler. Es habe Kritik an dieser Art Einmischung und Diskussionen gegeben. Aber das Ergebnis sei so geworden wie von Adler und der „WerteInitiative“ gewünscht. „Die israelische Regierung“, so der Spiegel, „feierte den Bundestagsbeschluss dann auch wie eine Trophäe. ‚Bahnbrechend‘ und den ‚bisher bedeutsamsten Schritt‘ nannte ihn Gilad Erdan, der Minister für Strategische Angelegenheit, bei einer Konferenz in Jerusalem.“

Über Gilad Erdan weiß der Spiegel weiter zu berichten. Er stehe im Mittelpunkt des israelischen Kampfs gegen die BDS-Bewegung und bediene sich dabei auch „zweifelhafter Methoden“. Jüngst habe er zugeben müssen, eine Organisation gegründet zu haben, die die verdeckte Kampagnen gegen die Boykott-Initiative unterstützen solle. Umgerechnet 30 Millionen Euro habe das Ministerium dafür bereitgestellt und der Geheimdienst Mossad sei auch involviert. Man habe vor allem in Europa und den USA Druck auf Banken ausgeübt, um die Konten von Gruppen zu schließen, die BDS unterstützen hätten. Sogenannte Frontorganisationen in den Ländern sollen geholfen haben. „Der Verdacht liegt nahe“, so der Spiegel, „dass auch die ‚WerteInitiative‘ oder Naffo zu jenen ‚Frontorganisationen‘ gehören könne.“

Der Spiegel berichtet im folgenden ausführlich über verschiedene von den „Frontorganisationen“ organisierte Reisen für Parlamentarier und ihre Mitarbeiter nach Israel und in die palästinensischen Gebiete und über die nicht immer ganz transparente Art ihrer Finanzierung.

Aber die Lobbyarbeiter scheuen sich offenbar nicht, noch direktere Methoden der Einflussnahme anzuwenden. So hätten sie ausgewählten Bundestagsabgeordneten Spenden vermittelt. Wer die Spendenangebote dann schließlich auch in welcher Höhe angenommen hat, wird aus verständlichen Gründen nicht berichtet. Aber es gab auch einige, die solche Angebote abgelehnt haben. Z.B. Frithjof Schmidt, damals stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. Es sei das Angebot von zwei Verterinnen von Naffo gekommen, für seinen persönlichen Wahlkampf eine Summe zu spenden. Es habe sich um 1500 Euro gehandelt. Im Juni habe Elio Adler zu einem Spenden-Dinner nach Berlin-Dahlem eingeladen. „Aus dem Bundestag lud er sechs Abgeordnete ein, die Sozialdemokraten Michaela Engelmeier und Fritz Felgentreu sowie die Christdemokraten Thomas Feist und Thorsten Frei. Der berühmteste Gast war Jens Spahn (CDU), der heutige Gesundheitsminister. Auch der Außenpolitik experte der Union, Roderich Kiesewetter, war eingeladen, sagte aber kurzfristig ab. […] Der CDU-Abgeordnete Frei bestätigt, dass im Anschluss an das Abendessen »von knapp zwanzig Personen« Spenden in insgesamt vierstelliger Höhe eingegangen seien, drei andere dementieren nicht, dass Geld auf Parteikonten überwiesen wurde, SPD-Mann Felgentreu verweist an den Kreisverband. Alle Betroffenen geben an, dass die Spenden ordnungsgemäß verbucht worden seien.“

Wie auch immer die angebotenen Spenden angenommen oder nicht angenommen bzw. auf welchen Konten verbucht worden seien, der Spiegel findet es bemerkenswert, wie subtil die Einflussnahme wirken könne. Als in den Tagen danach sich die Fernsehsender Arte und der WDR sich – wegen handwerklicher Mängel – geweigert hätten, eine Antisemitismusdokumentation zu senden, hätten sich einige der Gäste prompt „in auffallend ähnlichem Wortlaut“ gemeldet. „Fünf der sechs Parlamentarier, die zum Dinner eingeladen waren, machten daraufhin Druck, etwa: ‚Was ist los bei @ARTEde‘, fragte ein SPD-Abgeordneter auf Twitter. Seine Kollegin schrieb: ‚Ich würde mir gerne die Doku anschauen! Warum strahlen Arte und WDR die Doku nicht aus?‘ Und Jens Spahn forderte: ‚Die Doku muss gezeigt werden!!!'“

Die Spiegel-Recherche hat die Israel-Lobby-Organisationen natürlich „befremdet“. „Ihre Recherchen“, so Adler, „folgen, dem Anschein nach, einer Mär der Einflussnahme jüdischen Kapitals in die Bundesrepublik“. Die Spenden für skandalisierungsfähig zu halten sei der „eigentliche Skandal“, denn es findet Resonanz in verschwörungstheoretischen Bildern und antisemitischen Vorstellungen.“

Nicht alle Bundestagsabgeordneten wollen sich mit der Einflussnahme seitens der Pro-Israel-Lobby abfinden. Andreas Nick (CDU) meldet Bedenken an: »Ich habe einen so systematischen Versuch zur Beeinflussung des Bundestags noch nicht erlebt«, sagt er. »Es geht offenbar letzten Endes darum, die deutsche Position im Nahostkonlikt im Sinne der Herren Trump und Netanyahu zu verschieben und so die EU in dieser Frage zu spalten.«

Sönke Hundt

 

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»Ich habe einen so systematischen Versuch zur Beeinflussung des Bundestags noch nicht erlebt« – Recherche des „Spiegel“