Hamas-Exodus nach Katar?

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Ob das von Benjamin Netanyahu verkündete Ziel erreichbar ist, die geschätzten 40 000 Kämpfer der Hamas vollständig zu vernichten und ein für alle Mal Sicherheit für Israel zu garantieren, ist zweifelhaft. Schwierig, aber doch aussichtsreicher ist es, die Gewaltspirale anzuhalten und mittels Kompromissen politische Entspannung einzuleiten. So ist es auch gelungen, dass sich die ab 1959 terroristisch agierende Fatah in eine politische Organisation transformierte.      

Nach dem Sechstagekrieg, in dem Jordanien das Westjordanland verlor, verübte die Fatah als militärischer Arm der PLO von der Flüchtlingsstadt Karame aus Terroranschläge in Israel. Um der aus etwa 100 000 Kämpfern bestehenden Fatah einen entscheidenden Schlag zu versetzen, startete Israel im März 1968 einen nur teilweise erfolgreichen Angriff auf die in Karame befindlichen palästinensischen und jordanischen Truppen. Das gewachsene Prestige der Fatah machte die PLO zur Gefahr für die Monarchie, besonders, als sie von radikaleren Widerstandskräften, die mit Entführungen westlicher Flugzeuge Schlagzeilen machten, selbst unter Druck geriet. Im Juni 1970 begann ein Bürgerkrieg in Jordanien. Nur mit Hilfe der USA und Israels gelang es der jordanischen Armee, die Fatah zur Aufgabe ihrer Stellungen zu zwingen. Vermittelt durch Ägypten wurde der PLO samt ihren verbliebenen Kämpfern im September 1971 ein Abzug in den Libanon gestattet. 

Zwar war die PLO militärisch geschwächt, erreichte aber 1974 ihre Anerkennung als Repräsentantin des palästinensischen Volkes in der UNO. Wie zuvor in Jordanien konnte sie auch im Libanon eine  soziale Struktur und eine militärische Organisation mit 20 000 Kämpfern aufbauen, die Anschläge in Israel verübten. Das war auch für die christliche Hegemonie im bikulturellen Libanon eine Gefahr. Die christlichen Phalange-Milizen arbeiteten mit Israel zusammen, als es 1982 den Libanon angriff. Die zur Verstärkung der PLO im Land befindlichen syrischen Truppen konnten ausmanövriert und große Teile der Fatah ausgeschaltet werden. Unter dem Vorwand, Fatah-Kämpfer zu verfolgen, richteten Phalange-Milizen mit Einverständnis der israelischen Armee in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila Massaker an, die tausende Opfer kosteten. In Verhandlungen zwischen den USA und Syrien wurde erreicht, dass den verbliebenen etwa 10 700 Kämpfern freier Abzug in das weit entfernte Tunesien gewährt wurde, wo sie keine Gefahr für Israel mehr darstellten.    

Um Militärkonflikte zu beenden, kam es zu ähnlichen Arrangements im Syrienkrieg. Als sich die Niederlage der vom Westen unterstützten bewaffneten Gruppen abzeichnete, entwickelten die USA und Saudi Arabien einen schließlich von der syrischen Regierung genehmigten Plan, den 2017 und 2018 von ihr besiegten islamistischen Rebellen freies Geleit in die von der Türkei kontrollierte Nordprovinz Idlib zu ermöglichen. Im Fernsehen konnte man Bilder sehen, die zeigten, wie ehemalige Kämpfer mit ihren Familien in Busse geleitet wurden und – sogar unter Mitnahme leichter Bewaffnung – abfuhren.  

Seit sich die PLO nach Tunesien zurückziehen musste, betätigte sie sich nur noch politisch. Am 15. Dezember 1988 verlas Jassir Arafat in Algier die Unabhängigkeitserklärung eines Staates Palästina in den von der UNO dafür anerkannten Gebieten. Deutlich signalisierte er, dass somit auch die Anerkennung der staatlichen Existenz Israels möglich werde, käme es zu gegenseitig einvernehmlichen Verträgen. Versucht wurde das mit den 1993 begonnen Oslo-Abkommen, deren Verwirklichung steckenblieb, weil sich Israel durch die begonnene Besiedlung des Westjordanlands der Zwei-Staaten-Lösung verweigerte. Zu engster Zusammenarbeit mit Israel gezwungen, verlor die Autonomiebehörde beträchtlich an Prestige und die Hamas konnte sich zum bewaffneten Arm der Palästinenser entwickeln. Soll die Gewaltspirale nicht weitere Jahrzehnte rotieren, muss ein Kompromiss gefunden werden: Freilassung der Geiseln gegen Abzug der Hamas, etwa nach Katar.  

Die Idee könnte schon überholt sein, denn ein totaler militärischer Sieg Israels im Gaza-Streifen scheint immer weniger möglich zu sein. Plötzlich wird doch verhandelt. 


Der Artikel erschien unter dem Titel Weicht die Hamas nach Katar aus? In Der Freitag no 46 v. 16. 11. 2023, S. 8.