Wagner in Hollywood?

Sabine Kebir
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Moshe Zuckermann ist vor allem bekannt als historisch-politischer und psychoanalytischer Interpret des deutsch-israelischen Verhältnisses. Mit einem gut lesbaren Band Wagner. Ein ewig deutsches Ärgernis offenbart er sich auch als Kunstkritiker mit Tiefgang. Es geht ihm nicht darum, für oder gegen Richard Wagner zu plädieren. Er arbeitet Leistungen und Schwächen Wagners mit pluralen interpretatorischen Ansätze heraus, die eins gemein haben: sie verankern Mensch und Werk im Kontext ihrer Zeit. Für ebenso historisch erklärt Zuckermann die jeweils zeitgenössischen Rezeptionen von Künstler und Kunstwerk, denn beiden werden durch neue Kontexte auch immer wieder Neues zugeschrieben, was auch außerhalb der Intention von Künstlern entsteht, bzw. bewusst geschaffen wird. Dafür ist der nach diesen Prinzipien durchdeklinierte Wagner ein lohnendes Objekt. Zuckermanns Analyse stellt eine Abkehr von der populistisch-konsumistisch orientierten postmodernen Kulturbetrachtung dar, die oft nur ein einspuriges Geschmacksurteil hervorbringt. Uferlos ist Zuckermanns Methode allerdings nicht, weil sie in ihren verschiedenen Ebenen den jeweiligen historischen Horizont der Kämpfe um Menschenrechte im Blick hat.

Zuckermann erinnert daran, dass der linke Jude Heinrich Heine bis in die ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik ein „ewiges deutsches Ärgernis“ war. Meine, wie Heine aus Düsseldorf stammende Urgroßmutter nannte ihn „Schmutzfink im deutschen Dichterwald“, was sie nicht hinderte, Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, außerordentlich zu lieben. Da sie nicht die Einzige in diesem Zwiespalt war, erklärten die Nazis das Lied kurzerhand zur deutschen Volksweise. Je mehr der Antisemitismus in der Bundesrepublik für anstößig erachtet wurde, um so mehr wurde die Eingemeindung Heines möglich und die Rolle eines „ewig deutschen Ärgernisses“ ging auf Wagner über. Wie Heines Dichtkunst hat auch Wagner als Künstler bis heute eine große Anhängerschaft. Aber die Fülle seiner überlieferten antisemitischen Äußerungen und Schriften bringen auch rigorose Gegenwehr hervor. Außerdem haftet ihm der Beigeschmack an, dass er Hitlers Lieblingskomponist war. Gegner Wagners ziehen eine direkte Linie vom Menschen und Künstler Wagner zum antisemitischen Eliminierungswahn der Nazis. Besonders stark ist die Ablehnung in Israel, wo Wagner zum Symbol der kulturhistorisch tief verwurzelten deutschen Schuld an der Shoa gilt und Aufführungsversuche mit dem Argument kritisiert werden, eine Verhöhnung der Opfer heraufzubeschwören. 

 

Keine Reinwaschung hat Zuckermann vor, sondern eine historisch-kontextuelle Untersuchung des Phänomens Wagner, auf den Heines Dichtung nachweislich einen Einfluss ausgeübt hat, z. B. in Tannhäuser und Der fliegende Holländer. Der frühe Wagner, der 1849 auf Dresdens Barrikaden stand und dann ins Schweizer Exil musste, stand auch politisch Heine nahe. In seinen Notizen findet sich die Bemerkung, dass „mit der kommenden kommunistischen Ordnung solche historischen Fiktionen wie Monarchie und Erbbesitz verschwinden“ würden und „die erhabene Göttin Revolution“ das „nie geahnte Paradies des Glücks“ errichten werde. Dem Wagner-Biographen Robert Gutmann folgend, waren Wagners gesellschaftspolitische Vorstellungen aber konfus und infolge seiner Obrigkeitsabhängigkeit anpasserisch. Seine Revolutionshoffnung wandelte sich in eine Erlösungshoffnung durch die Stärkung deutscher Kunst, deren Schwäche er in mangelndem Engagement der Fürsten für Kunst und Gesellschaft sah. In seiner Schrift Über Staat und Revolution von 1864 führt er das auf den negativen Einfluss von Höflingen und Juden zurück. Letzteren schrieb er – der damals aufblühenden Ideologie der Völkerpsychologie folgend – einen „zersetzenden“ Charakter zu. Die Aristokratie gänzlich abschaffen wollte er nicht mehr; er forderte ein neues, in seinem Sinne fortschrittliches Königtum. Die Essenzen Volk, König, Theater und Erlösung auf der Basis germanischer Mythologie zu vitalisieren, sah er als Vehikel der gesellschaftlichen Genesung an, der er sein Künstlertum verschrieb. Dem entsprach seine Abwendung von autonom verstandener Musik, die er in Beethovens „Neunter“ für unübertreffbar hielt. Besessen vom eigenen Sendungsbewusstsein, wollte er die Oper zum letztlich propagandistischen „Tondrama“ umgestalten, in dem die Musik dem Drama sogar untergeordnet war. Folglich schrieb er nicht nur die Musik, sondern auch Libretti, Regieanweisungen, revolutionierte die Bühnentechnik und fungierte am liebsten selbst als Theaterdirektor. Ziel war das publikumswirksame „Gesamtkunstwerk“, womit er einen zukunftsträchtigen Topos des künstlerischen Illusionismus schuf, der bis jetzt die Unterhaltungsindustrie prägt, so weit sie auch von Wagner entfernt sein mag: „Die im Subjekt ´verortete` Rezeption des Werkes gilt nunmehr als Träger von Affekten, Emotionen und Bedeutungen, nicht mehr wie in der kunstautonomen Primatvorstellung des Kunstwerks als Objekt.“

 

In der 1850 und 1869 erschienen Schrift Das Judentum und die Musik geißelt Wagner die Juden als Wucherer und erklärt den Kampf um ihre Emanzipation zu abstraktem Liberalismus. Dem widerspreche das Empfinden des Volkes, das Juden instinktmäßig als Fremde empfinde. Auch auf die Musiktradition wirkten Juden wie Mendelsohn und Meyerbeer „zersetzend“, weil selbst „ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle […] kein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung“ hervorbringen könne, „die wir von der Kunst erwarten“. Es klingt tatsächlich wie ein Vorgriff auf den Nazi-Wahn, wenn Wagner den Juden empfahl, „durch Selbstvernichtung“ am „wiedergebärenden Erlösungswerk teil“ zu nehmen. Im wirklichen Leben kooperierte er mit Juden. Er gab zu, dass Meyerbeer ihn einst materiell unterstützt hatte, nahm  jüdische Spenden für Bayreuth entgegen, arbeitete mit jüdischen Bankiers zusammen und akzeptierte – wenn auch widerstrebend – Hermann Levi als Dirigenten der Parsifal-Uraufführung. Auch mit jüdischen Kritikern ging er mehr oder weniger zivilisiert um. Noch erstaunlicher ist sein Engagement für den  russischen Pianisten Joseph Rubinstein, der ihm wiederum „sklavisch ergeben“ war und eineinhalb Jahre nach Wagners Tod Selbstmord verübte, was als pervertierte Erfüllung von dessen Idee der jüdischen Selbsterlösung gesehen worden ist.

 

Auch wenn Wagner schließlich das Judentum als „erstaunlichstes Beispiel von Rassen-Konsistenz“ bezeichnete, sollte man ihn laut Zuckermann nicht als direkten Vorläufer des rassenbiologisch begründeten eliminatorischen Vorgehens der Nazis sehen, das sich zu Wagners Zeit, die faktisch eine Zeit der Emanzipation war, überhaupt niemand vorstellen konnte. 1819, als Wagner fünf Jahre alt war, war es mit den Hep-Hep-Unruhen zu den letzten physischen Ausschreitungen gegen jüdische Gemeinschaften in deutschen Landen gekommen und es vergingen  knapp 120 Jahre bis zur Kristallnacht. Wagners unappetitlicher Antisemitismus habe sich auf assimilierte, intellektuelle Juden bezogen, die er – so meint die Rezensentin – wohl als kulturelle Konkurrenz kleinhalten wollte.

 

Auch in Marxens Schrift Zur Judenfrage sei das Ziel der „Emanzipation der Menschheit vom Judentum“ oft nicht als Metapher für die Aufhebung kapitalistischer Verhältnisse, sondern als antisemitisch gedeutet worden. Wem diese Rezeptionsanalogie zwischen Wagner und Marx zu gewagt erscheint, dem bietet Zuckermann das Beispiel der ideologischen Anfänge des Zionismus an, dessen emphatische Absage an die Assimilation als „Untergang der Diaspora“ beschworen wurde. Ein neuer, wehrhafter Jude sollte seinen Nationalstaat errichten. „Auch da wurde von ´Autoemanzipation` geredet, beispielsweise bei Leo Pinsker, von einer auferlegten Selbstvernichtung (des diasporischen Juden) zugunsten des zionistischen Erlösungswerks.“ Angesichts der Geringschätzung, die Überlebende der Shoa lange in Israel genossen und der Tatsache, dass es sich schon ein Jahrzehnt später mit dem Land ihrer Urheber aussöhnte, hält Zuckermann die Wagnerfeindschaft für ein aufgesetztes Ideologem. 

 

Das Buch untersucht auch die Stichhaltigkeit antisemitischer Motive in Wagners Opern. Mit seinen Thesen, die hier nur angerissen werden konnten, wird Zuckermann wieder dort anecken, wo der völkische Antisemitismus in völkischen Philosemitismus umgeschlagen ist. Gipfel der Provokation ist wohl die Bemerkung, dass nicht sicher sei, ob Wagner Nazi geworden wäre: „Anzunehmen ist eher, dass er nach Hollywood gegangen wäre.“                          

 

* Diese Rezension zu Moshe Zuckermann: Wagner. Ein ewig deutsches Ärgernis, Westend, Frankfurt am Main 2020 erschien unter dem Titel Doch nur Künstler. Judenhass. Vielen gilt Wagner als klarer Antisemit. Moshe Zuckermann relativiert das. In: Der Freitag no. 30 v. 23. 7. 2020, S. 17.

Sabine Kebir