War Voltaire ein Antisemit?

Voltaire
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Es mehren sich in Deutschland in erschreckender Weise die Angriffe gegen die französische Aufklärung (sowohl in Universitätspublikationen und Dissertationen als auch in der Presse, im Fernsehen, im Internet, auf Wikipedia), der oft ohne Belege, aber unter Benutzung von falschen und faschistischen „Quellen“ der 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts und modernen getürkten Übersetzungen und unvollständigen Texteditionen offen Antisemitismus und Rassenhass angelastet werden. Bei ganz verschiedenartigen Intellektuellen hat sich die unsachliche und wütende Bekämpfung der französischen Aufklärer, an deren Spitze Voltaires, eingespielt durch unbelegte und unbelegbare Behauptungen, sie wären ganz generell Antisemiten, Rassisten etc. gewesen. Voltaire erscheint immer wieder als heftig attackiertes Standardbeispiel für übelste Spekulationen.

In Frankreich weiß es jedes Schulkind: In seinem bekanntestem Werk, dem Kurzroman Candide (1759), hat Voltaire in exemplarischer pädagogischer Weise Themen abgehandelt, die ihn als vorbildlichen Aufklärer ausweisen: Verurteilung des Unrechtstaates, des Krieges, der Inquisition, des Sklavenhandels, des Rassismus, der Knabenkastration durch die Kirche, der Intoleranz etc. und eben auch des Antisemitismus.

Im Kapitel 6 erreicht Candide, die Hauptfigur des Romans, Lissabon, das eben (1755) von einem Erdbeben heimgesucht worden ist, das große Teile der Stadt zerstört hat, worauf die Universität beschließt, Gott durch ein eindrückliches Autodafé und entsprechende Menschenopfer dahin zu bringen, ein weiteres Beben zu verhindern, das als Gottesstrafe interpretiert wird. Dazu werden willkürlich Opfer aufgegriffen, u.a. auch zwei arme Teufel, Portugiesen wohlgemerkt, die in ihrem Hunger sich noch ein Huhn haben beschaffen können, von dem sie, bevor sie es essen, sorgfältig den Speck, also das Fett, entfernen und wegwerfen. Die deutschen Übersetzer entstellen den Text meist dadurch, dass sie hinzufügen (Voltaire muss ja verbessert werden), dass die beiden den Speck achtlos (gedankenlos, unachtsam etc.) vom Fleisch des Huhns entfernt hätten. Damit wird der Text völlig verfälscht und seiner Sprengkraft beraubt. Durch ihre sehr wohl überlegte Entfernung des Fettes geben sich nämlich die beiden Hungerleider als gläubige Juden zu erkennen, was die Obrigkeit sogleich zum Anlass nimmt, die beiden bei lebendigem Leib verbrennen zu lassen. Da sie am Erdbeben mitschuldig seien. Das einzige Unrecht, das die beiden begangen haben, ist es, Juden zu sein und sich als solche auszuweisen. Sie bekennen sich mutig und öffentlich zu ihrem Judentum.

Das reicht für ein Todesurteil aus, das sofort vollstreckt wird. Das hat Voltaire mit einer analytischen Prägnanz in einer Dichte dargestellt, für die es in der Weltliteratur wohl nur wenige vergleichbare Beispiele gibt.

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Ein zweites Beispiel aus der vollständigen (!) Edition des 1752 in Angriff genommenen Dictionnaire philosophique geht noch an Eindringlichkeit über das Candide – Kapitel hinaus, weil der Verfasser hier für die Judenvernichtung seine eigene Betroffenheit, seine Mitschuld (!) und Mitverantwortung voller Mitgefühl mitbenennt, und zwar mit „tendresse“, ein erschütterndes Bekenntnis, das bis heute nie von einem deutschen Politiker ausgedrückt worden ist. (Wohl aber in Frankreich vom Staatspräsidenten Chirac):

„Wir haben euch während vieler Jahrhunderte zwischen zwei Hunden aufgeknüpft. Wir haben euch die Zähne ausgeschlagen, um euch zu zwingen, uns euer Geld zu geben. Wir haben euch aus Habsucht viele Male vertrieben und euch dann wieder zurückgeholt aus Geldgier und Dummheit. Wir lassen euch auch in mehreren Städten Steuern dafür bezahlen, damit ihr darin in Freiheit die Luft einatmen dürft. Wir haben euch in mehr als einem Königreich Gott geopfert. Wir haben euch als holocaustes verbrannt.“

Er spricht sie als „mes amis“ an, gebraucht holocaustes 1756 im modernen Sinn (der Terminus erscheint erst 1986 im Duden!), und dies in einer Zeit, da die bestehende Judenfeindlichkeit kein gesellschaftliches oder politisches Massenphänomen ist, das eine Judenvernichtung vorankündigen könnte. Aber eben: der luzide und sensible, mit Verstand und Herz an Randphänomenen der Geschichte und Gesellschaft stets interessierte Voltaire (er hat mehrere Justizopfer rehabilitiert, in seinem Anwesen Ferney 300 Flüchtlinge beherbergt) baut vor. Er ist hellsichtig wie niemand sonst in seiner Zeit. Er sagt, wie auch im Candide, was man erst aus der Auschwitz-Analyse eines Historikers nach 1945 meinte vernehmen zu können: Es genügt, Jude zu sein, um auf der Stelle verbrannt zu werden.

Voltaire ist der erste Historiker im modernen Sinne, der Quellenarbeit betreibt, der die überlieferten Texte auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Glaubwürdigkeit hin untersucht und der – oft – den sehr alten Texten und Dokumenten einen fiktiven, mythologischen Charakter nachweist. In seinem Bekanntenkreis spielen Juden eine große Rolle: der Arzt Jean-Baptiste da Silva, ein gerühmter Leibarzt des ewigkranken Dichters; Pinto Isaac, ein Briefpartner; Mendez d’ Acosta, ein aufgeklärter Bänker… Die Hunderte von Seiten, die er den Juden und ihrer Geschichte widmet, zeugen von einem leidenschaftlichen Interesse an deren Geschichte, Religion und Verfolgung. Einzig die Geschichte Frankreichs und Chinas hat ihn im gleichen Sinn lebenslang beschäftigt.

Voltaire interessiert sich zuerst für das Land Judäa, seine Bodenbeschaffenheit (er ist selber Bauer in Ferney), seine Nachbarn und stellt fest, dass seine Kargheit es darin hindert, im Wohlstand ein festes Ankerland aufzubauen. Es wird – geographisch ungünstig gelegen – früh zum Opfer mächtiger Nachbarn, die es versklaven. Halt findet es lediglich in der Religion, in dem Glauben an seine

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Auserwähltheit. (Eine Vorstellung, die dem Deisten Voltaire widerstrebt.) Seltsam erscheint ihm freilich, dass Gott sich nicht verwendet für das von ihm auserwählte Volk. Einsichtig ist ihm aber, dass diese Gewissheit des Volkes Israel dieses zu einer Einheit zusammenschweißt und ihm eine Stärke und eine Identität verleiht. Was wieder dazu führt, dass seine Gegner an Zahl zunehmen, die sein Unglück ausnützen und es beständig bedrohen, marginalisieren, ausstoßen oder gar niedermetzeln.

Aus dem ihnen aufgezwungenen Randdasein leiten die Feinde der Juden eine unerbittliche Gegnerschaft gegen sie ab. Dieses verachtete Randdasein des Volkes Israel empört Voltaire, der es schon damals deutet als Verlockung zu dessen Ausrottung. Die den Juden zuteilwerdende generelle Misshandlung (unter den Feudalherren werden sie später immer materieller Besitz,  ̏meubles“, sein) deutet er hellsichtig als möglichen Beginn von deren Auslöschung. Die Inquisition profitiert schamlos, in Absprache mit den jeweiligen Staatsorganen, von den steten, den Juden aufgezwungenen Fluchtbewegungen und Auswanderungen. Dort, wo sie sich meist nur für kurze Zeit niederlassen können, gelingt es ihnen selten, zu großem Reichtum zu kommen, der ihnen Anerkennung und Sicherheit gewährleisten könnte. Ihr Abgedrängtwerden in „schmutzige Handels- und Bankgeschäfte“ macht sie verdächtig, a priori schuldig. Ihr Geld wird ihnen unter Folter konfisziert bei Zwangschristianisierung, und das Prozedere wird als „legal“ ausgewiesen wegen der sündigen Berufstätigkeit der Juden und der „schuldhaften Schamlosigkeit“ (sic) des Geldes. Man schiebt sie in Berufe ab, die man verachtet, um sie um so besser und leichter, also fast legitim, der allgemeinen gesellschaftlichen Ächtung ausliefern zu können. Das nimmt ihnen jede gesellschaftliche Achtung und jeden menschlichen Respekt, letztlich jede anerkannte gemeinnützige Bedeutung.

Voltaire analysiert, vielleicht als erster, dass die sehr früh einsetzende Judenverfolgung mit einer Ächtung einhergeht, die es den Christen (staatlichen wie kirchlichen Einrichtungen folgend und von denen tatkräftig unterstützt) ermöglicht, von Juden völlig legal erworbene Vermögenswerte an sich zu reißen. Und demonstriert fabelhaft luzide die Mechanismen dieser historischen Dauererpressung, die religiös verbrämt wird.

Er schreibt, ausbrechend aus der reinen, sachlichen Analyse seines Textes die Juden an:

„Ich habe euch stets beklagt. Ich bin euer Diener, euer Freund. Euer Bruder, obwohl mein Vater und meine Mutter mir meine Vorhaut belassen haben.“

Man spürt seine Ergriffenheit und Betroffenheit (er durchbricht bewusst die kalte Historikerprosa): Er nimmt sie in Schutz gegen die gehässigen und geläufigen Verleumdungen (Kindermord am Karfreitag etwa), für die es keine Belege gäbe (Voltaire ist Historiker), gesteht, dass er „euch stets mit Mitgefühl („compassion“) betrachtet hat.“ Er schafft damit den für einen Geschichtswissenschaftler neuen Diskurs der Betroffenheit, in dem die direkte Rede an das geschundene Volk legitim ist.

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Er spricht die Juden direkt an in seinen Schriften. Ihm ist klar, dass es mehrfach Opfer „versuchter Auslöschung“ geworden ist. Niemand hat so klar wie der große Voltaire fast 200 Jahre vor der von den Nazis geplanten „Endlösung“ eine solche als für ihn, den Historiker, denkbare schaurige Möglichkeit im Rahmen des theoretischen schon Fassbaren beschrieben, erahnt, auf das Warnschild seines moralischen Denkens gesetzt. Er bescheinigt den Juden seiner Zeit „parfaits Israelites“ zu sein, keine Schuld auf sich geladen zu haben und sieht – vorausschauend! – in der Auswanderung nach Judäa eine politische Lösung, die er unterstreicht: „So schnell ihr es nur könnt.“ Er diagnostiziert damit klarer als irgendwelche andere Zeitgenossen (unter denen es an Judenfreunden namentlich unter den „philosophes“, den Aufklärern, nicht mangelt: Diderot, Jaucourt, Meslier…) die Staatenlosigkeit der Juden als Grund ihres historischen Schicksals des stets „vertriebenen, versklavten, verleumdeten Volkes.“

Er rühmt ihnen, „mes amis les Juifs“, nach, religiös tolerant zu sein, keine Konversionsversuche zu betreiben oder gar Zwangsbekehrungen vorzunehmen. Im Sinne einer Selbstbezichtigung hält er fest: „die Christen sind bis heute die intolerantesten aller Menschen gewesen.“ Mit der ihm eigenen feinen Selbstironie schließt er daraus: „es ist klar, dass wir alle Juden werden sollten.“

Subtil verfährt der große Dichter mit den biblischen Texten, die für ihn keine geoffenbarten Schriften sind (darin trifft er sich mit theologischen Denkern der französischen Aufklärung), sondern Zeugnisse von Menschen für Menschen, die deren geschichtliche Erfahrungen sehr subjektiv und parteiisch widerspiegeln. Folglich mit Irrtümern behaftet, die kein Historiker ernst nehmen kann im Sinne von belegten Fakten. Er hebt – sehr modern – hervor, dass der Pentateuch die Hölle nicht kennt, ein für Voltaire besonders abstoßendes Unterdrückungsinstrument der christlichen Kirche. Moses deutet er modern als eine großartige, in vielen Teilen mythische und mythologische Figur, die z.T. in Erfahrungen des jüdischen Volkes wurzelt. Was und ob Moses geschrieben hat, kann und will er nicht entscheiden, er entlässt ihn als Denkmodell in einen dem Historiker verschlossenen Raum von Unsicherheiten. Jesus, ein Vorbild an Toleranz und Klugheit, der keine schriftlichen Botschaften hinterlassen hat, erlag der römischen Staatsarroganz (Voltaire ist Pazifist), der Politangst eines brüchigen Regimes, das sich um seinen Bestand sorgen musste.

Was er mit beschränkten Kenntnissen an alttestamentarischen Berichten und Lehren kritisiert, fällt unter den Begriff des Antijudaismus und ist letztlich kongruent mit seiner meist herben Kritik an christlicher Dogmatik, die freilich ganz anders scharf ausfällt angesichts der kirchlichen Machtmissbräuche, die er lebenslang wütend attackiert („Écrasez l’infâme!“), wogegen er dem Volk der Juden Beispiele an Toleranz attestiert, ebenso Jesus und Moses, und sie alle miteinschließt in ein universelles religiöses Toleranzverständnis: „ Wie denn! Der Türke mein Bruder? Der Chinese mein

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Bruder? Der Jude? Der Siamese? Ja, zweifelsfrei. Sind wir denn nicht alle Kinders desselben Vaters und Geschöpfe desselben Gottes?“ Er umarmt („embrasse“) die Juden: Sie sind die ihm Nächstverwandten und in seinem Geschichtswissen stets die von den Christen Bedrohtesten gewesen. In dem fulguranten Text Rede des Rabbiners Akib, gehalten zu Smyrma, am 20.November des Jahres 1761, aus dem Hebräischen übersetzt, geht der Autor gar so weit, sich selber als Juden darzustellen: „Hört auf, ein ganzes Volk zu verfolgen für ein einziges Vorkommnis, für das es nicht einmal verantwortlich ist.“ Gemeint ist die Verurteilung von Jesus: „einzig von den Römern getötet.“ Jesus hätte nie „seine“ Göttlichkeit behauptet und nur die „Beachtung der Gesetze“ gefordert, die Liebe zu Gott und den Nächsten. Und: „Käme er zurück, könnte er sich kaum auch nur in einem Menschen wiedererkennen, der sich als Christen ausgibt.“ Das ist dem Großinquisitor von Dostojewski vorausgedacht, der – oh Wunder – einen russischen Candide schreiben wollte. Die Juden, sagt Voltaire, haben ein einziges Verbrechen begangen: „Das, geboren worden zu sein.“

Die heutige Nachwelt hat Voltaire seinen Einsatz für das Judentum schlecht gelohnt. Im 18. Jahrhundert ist dessen Einfluss enorm bei Theologen, Juristen und Historikern.  In der Encyclopédie wiederholt Louis de Jaucourt Voltaires Argumente und verdichtet sie für ein großes Publikum:

„Wenn man an die Schrecken denkt, die die Juden, seit Jesus-Christus erdulden mussten, an die Blutbäder, deren Opfer sie unter einigen römischen Kaisern wurden und an die, die sich unentwegt und zahlreich in allen christlichen Staaten wiederholten, kann man sich nur darüber verwundern, dass dieses Volk überhaupt überlebt hat.“

Und ganz im Sinne seines Freundes Voltaire benennt de Jaucourt als Franzose das Judenleid als ein – auch – von seinem Land begangenen Verbrechen:

„Man hat es nicht versäumt, in Frankreich die Juden den gleichen Misshandlungen auszusetzen wie überall: Man kerkerte sie ein, man verkaufte (!) sie, man bezichtigte sie der Zauberei, des rituellen Kindermordes, der Brunnenvergiftung. Man verjagte sie aus dem Königreich und ließ sie für Geld wieder ins Land zurückkehren. Und in der Zeit, da man sie hier duldete (tolérait), zwang man sie, entehrende Kennzeichen zu tragen, die sie von den anderen Einwohnern Frankreichs unterschieden.“

In einer Zeit, die von den Schrecken des späteren Antisemitismus des Faschismus nichts vorausahnen lässt, ist Voltaire der hellsichtigste und einfühlsamste Vorausanalytiker eines möglicherweise später einmal gegen die Juden gerichteten Vernichtungskampfes, eben des antisémitisme, ein Ausdruck, der im Französischen erstmals 1886 belegt ist. In seiner Sensibilität ermüdet er nicht, über Hunderte von Seiten hinweg das Schicksal der Juden en détail zu benennen, erstellt sogar nach dem von ihm entdeckten Dokumenten (erschreckende) Zahlenlisten der ermordeten Juden und erlahmt nicht in

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der Stigmatisierung der Abscheulichkeit des Judenhasses: „Die Kirche verbrennt Menschen jüdischen Glaubens, obwohl sie selber auf dem Judentum errichtet worden war.“ Er ermüdet nicht zu wiederholen: „Eigentlich sind wir auch Juden, aber eben solche mit Vorhaut.“ Heinrich Mann hat es treffend formuliert: „Voltaire hat für die Menschen im Staube gekämpft.“

Dass man heute und hier und nicht etwa im 18. Jahrhundert Voltaire verteidigen muss (unter den Großen der Weltliteratur der am gehässigsten Verfolgte, aber zugleich auch der größte Wohltäter unter allen Autoren), das ist mehr als ein Ärgernis, zumal in einem Land, wo der belegte Antisemitismus, Rassismus und Faschismus vieler Intellektueller verniedlicht oder geleugnet wird (Martin Heidegger sei als nur eines von vielen Beispielen genannt). In Dissertationen darf hierzulande der mutige Kampf von Voltaire für Juden unwidersprochen in sein Gegenteil verkehrt werden. Professorale Gutachter und Rezensenten pflichten bei.

„Voltaire ein Antisemit“ war mehrfach ein Thema für jüdische Autoren und für Professoren und Journalisten am deutschen Fernsehen in der letzten Zeit. Der Voltairianer und Literaturnobelpreisträger Anatole France hat schon 1894 geschrieben: „Der Antisemitismus ist der Tod der europäischen Kultur.“ Und Voltaire des Antisemitismus zu bezichtigen (im Sinne von: Gerade unsere verehrten Klassiker sind unbesehen und kritiklos gelesen worden), ist ein Akt des aktiven und bekennenden, grobschlächtigen Antisemitismus, dessen Vertreter die Auffassung vertreten, dass sie durch einen großen Namen ihren Argumenten ein besonderes Gewicht verleihen können. Mit der sattsam bekannten Häme: Auch der große Voltaire ist Antisemit gewesen, und wir haben ihn endlich entlarvt.

Nicht aufgefallen ist diesen meist akademischen Lügenschleuderintellektuellen, dass nie Rechte und Antiaufklärer auch nur den Versuch gemacht hätten, Voltaire für sich zu beanspruchen und sich auf ihn zu berufen. Mit einer Ausnahme: Das haben die Nazis versucht mit unglaublich dilettantisch angefertigten, also gefälschten Texten, die einer der bedeutendsten Voltaire-Forscher, Theodore Besterman (Herausgeber u.a. der Gesamtkorrespondenz des großen Mannes seit 1946!), entlarvt hat. Und der mir bekannt hat, im fast unüberblickbaren Œuvre des Verfassers von Candide nie ein als antisemitisch zu deutendes Urteil gefunden zu haben.

Da hatte schon der notorische Berufsantisemit Edouard Druomt, Verfasser der France juive (1886), Recht, als er, verärgert und hässig, feststellte, dass für ihn und seinesgleichen Voltaire eben nicht zu vereinnahmen war: „Voltaire ist eben Jude.“

* Dieser von den großen deutschen Zeitungen abgelehnte Artikel erschien in :

ZWISCHENWELT, Wien no 4 v. Dezember 2020, S. 9-11.

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