Eine Gas-Turbine und die Pipeline-Geschichte

In Mühlheim liegt eine Gasturbine und sie kommt nicht an ihren Bestimmungsort. Medienwirksam ist Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang Augst an die Ruhr gefahren und hat sich vor besagter Turbine ablichten lassen. Sie könne jederzeit geliefert werden und am Bestimmungsort in Russland wieder den Dienst versehen. Gesagt werden sollte damit auch: Russland boykottiert die Lieferung, um weiterhin die Gasmenge zu drosseln, die durch die Nord Stream 1 nach Europa fließt. Russland hat die Gaslieferung zurückgefahren und das damit begründet, dass die Turbine fehle, um den nötigen Druck für das Durchpumpen des Gases zu erzeugen. Für die Turbine fehlten notwendige Dokumente. Siemens Energy weist dies zurück.1

Um die Dimension der Geschichte zu verstehen, muss man 40 Jahre zurückschauen, als es eine Explosion an einer Pipeline gab. Aber beginnen wir die Geschichte mit der aktuellen Situation: Die von Siemens Energy in Montreal/Kanada gewartete 20 Tonnen schwere Turbine wurde mit einer Ausnahmegenehmigung von Kanada per Luftfracht nach Deutschland geliefert, weil eine direkte Rücklieferung nach Russland wohl gegen weitere Sanktionen der EU bzw. der USA verstoßen hätte, von welchen man keine Ausnahme machen wollte. Die Idee war, die Turbine dann über die Ostsee nach Finnland und von dort auf dem Landweg nach Russland zu liefern. Die Gasturbine ist aber derzeit weiterhin bei Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr.

Von Seiten Gazproms kam die Aussage, dass dies nur die erste Turbine in der nahe der finnischen Grenze gelegenen Kompressorstation Portovaya im Nordwesten Russlands sei, die ihr Wartungsintervall überschritten habe und auf Anweisung der zuständigen Behörde gewartet werden müsste. Die anderen würden jetzt mit verminderter Leistung, also gewissermaßen im Streckbetrieb betrieben, um die Nutzungszeit zu verlängern. In dem Zusammenhang teilte Siemens Energy mit: „Wir haben derzeit keinen Zugang zu den Turbinen vor Ort und uns liegen bisher keine Schadensmeldungen von Gazprom vor. Daher müssen wir davon ausgehen, dass die Turbinen betriebsbereit sind.“3 Da Siemens seine Aktivitäten in Russland eingestellt hat, hat man jetzt auch kein Personal mehr vor Ort, das die Lage in der Kompressorstation beurteilen könnte. Allerdings könnten laut Medienberichten die turnusgemäße Wartungen in Zukunft ebenfalls problemlos durchgeführt werden, denn die aktuelle Genehmigung der kanadischen Regierung sehe vor, dass weitere Turbinen von Siemens Energy in Montreal gewartet und anschließend ausgeführt werden könnten. Dies meldete Ingenieur.de.2

Was passiert mit dem Gas?

Wenn Russland weniger Gas durch die Nord-Stream-1-Pipeline liefert, kann es theoretisch mehr Gas an China, Indien, Japan und andere Abnehmer verkaufen. Das Problem besteht darin, dass es für die 55 Milliarden Kubikmeter Gas, die bislang jährlich nach Deutschland geliefert wurden, keine alternative Pipeline gibt, mit welcher das Gas zu anderen Kunden transportiert werden könnte. Über die „Kraft Sibiriens“-Pipeline werden derzeit zehn Milliarden Kubikmeter Gas4 nach China geliefert. Wenn die Pipeline im Jahr 2024 oder 2025 komplett fertiggestellt ist, sollen jährlich gerade mal 38 Milliarden Kubikmeter Gas durch diesen Strang geliefert werden können.

Erdgas, das gefördert, aber nicht verkauft und nicht gespeichert wird, kann somit nur abgefackelt werden. Das geschieht derzeit wohl in der Nähe der Verdichterstation Portovaya und trägt offensichtlich zur globalen Erwärmung bei. Das Erdgas könnte natürlich auch in verflüssigter Form als LNG per Schiff transportiert werden. Doch die bestehende weltweite LNG-Tankerkapazität ist als Tranportalternative zu einer Lieferung per Pipeline viel zu klein, was Deutschland gerade feststellen muss.

Die USA und die Pipelines nach Deutschland

Die Vereinigten Staaten haben gegen die Pipeline Nord Stream 2 alle erreichbaren Mittel eingesetzt. Die Pipeline wurde gebaut, weil Nord Stream 1 aufgrund bestehender EU-Vorschriften nur zu 50 Prozent ausgelastet werden darf. Die verbleibende Hälfte der Kapazität muss für den Wettbewerb aus Russland freigehalten werden. Den aber gibt es faktisch nicht. Westlichen Firmen wurden Sanktionen angedroht, wenn sie die bestehenden Verträge mit der russischen Firma Gazprom erfüllten. Diese haben sich daher unter Bruch der bestehenden Verträge aus dem Projekt zurückgezogen.

Der US-Widerstand gegen Gaslieferungen aus Russland ist dabei keineswegs neu. Schon unter Leonid Breschnew unterzeichnete Russland im Jahre 1981 ein Abkommen, das den „Bau von Rohrleitungen und Kompressorstationen im Wert von 20 Milliarden D-Mark und – von 1984 bis 2009 – die Lieferung von jährlich 40 Milliarden Kubikmeter sibirischen Erdgas‘ im Wert von 16 Milliarden Mark – 400 Milliarden Mark in 25 Jahren“5 vorsah.

Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde damals von den USA erklärt, dass sie mit dem Projekt keinesfalls einverstanden wären. Denn längs der künftigen Pipeline sollte hochwertige westliche Technik installiert werden und der Westen musste befürchten, dass die Sowjets die gelieferten Anlagen ausschlachten und für ihre Militärtechnik nutzten. Die Folge waren Embargobestimmungen, die die Lieferung von 200 Rohrverlegemaschinen der US-Firma Caterpillar und General Electric die Komponentenlieferung für Gasturbinen untersagten. Die Regierung Schmidt hatte offensichtlich eine bessere Position gegenüber den Vereinigten Staaten, wenn er zu dem Thema bemerkte: „Da können andere noch soviel quaken, es bleibt dabei.“6

Der Widerstand dauerte dann auch beim Bau der ersten direkten Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland an, die unter dem Namen Nord Stream am September 2011 eröffnet wurde7. Ukraine, Litauen und Polen sind bis heute die größten innereuropäischen Gegner der Ostseepipeline.

Die Pipeline-Explosion 1982

Der US-Geheimdienst CIA hat in den 80er Jahren offensichtlich eine gewaltige Pipeline-Explosion in der damaligen Sowjetunion verursacht. Die CIA spielte damals der Sowjetunion eine Software zu, die in der Pipelinesteuerung zum Einsatz kam und ebenso, wie dies später mit den Zentrifugen im Iran praktiziert wurde, die Gasversorgung des Landes stören sollte, indem die Einstellungen von Pumpen, Turbinen und Ventilen manipuliert wurden.8

Als dann im Sommer 1982 eine der größten Gaspipelines der damaligen Sowjetunion in die Luft ging, war die Freude jenseits des großen Teichs groß. Die Mission, abgesegnet von US-Präsident Ronald Reagan, war zu voller Zufriedenheit erfüllt worden. Die USA schoben der UdSSR soviel Fakes unter, dass man dort am Ende nicht mehr wusste, welche Technik echt und welche von den USA manipuliert war. Wenn den Russen jetzt im Zweifelsfall alles verdächtig erscheint, war die Mission unter Reagan ein voller Erfolg.9 Deutschland darf sich jetzt allerdings über die Spätfolgen dieser Aktion nicht wundern, wenn Russland auf den Wiedereinbau der Turbine und beträchtliche Einnahmen verzichtet und damit einer erneuten Explosion an einer Pipeline vorbeugt.


Endnoten

1 https://www.berliner-zeitung.de/news/energiekrise-streit-um-pipeline-nor...

2 https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/nordstream-1-wie-w...

3 ebenda

4 https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/erdgas-nordstream-...

5 https://www.spiegel.de/wirtschaft/der-unverziehene-strang-nach-osten-a-7...

6 ebenda

7 https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Ostsee-Pipeline-Nord-Stream-A...

8 https://www.derstandard.at/story/1583660/cia-verursachte-mittels-softwar...

9 https://www.spiegel.de/politik/ausland/sabotageexporte-an-die-sowjets-ci...


Foto: Vuo, Lizenz: CC BY SAMehr Infos

Im Original erschienen am 16.08.2022 auf hintergrund.de