Ukraine-Konflikt: "Der Putsch in Kiew stand am Anfang"

Raymond McGovern, ehemaliger CIA-Offizier und Russland-Spezialist, im Gespräch mit weltnetz.tv.
Video: 
weltnetz.tv
Länge: 
00:18:19
Personen: 
Übersetzung: Doris Pumphrey/weltnetz.tv

Während im Osten der Ukraine ein heißer Krieg mit schon weit über 2.000 Todesopfern läuft, findet in den westlichen Staaten ein Kampf um die öffentliche Meinung statt. Regierungen, Geheimdienste und Medienkonzerne machen massiv Stimmung gegen Russland. Zwar verfolgt auch Moskau in der Ukraine ohne Zweifel seine eigene Interessenpolitik. Aber ist die Regierung von Präsident Wladimir Putin für die Krise verantwortlich? Welche Rolle spielt die NATO? Und ist angeblichen Beweisfotos über russische Truppen zu trauen?

Weltnetz.tv sprach mit dem ehemaligen CIA-Offizier Raymond McGovern. Der gebürtige New Yorker war fast drei Jahrzehnte lang für die morgendliche Berichterstattung im Weißen Haus zuständig. Er diente insgesamt sieben US-Präsidenten. Aus Kritik gegen den Angriffskrieg der USA gegen Irak gründete er 2003 mit anderen ehemaligen CIA-Mitarbeitern die Organisation  Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS), die eine alternative Analyse geopolitischer Konflikte liefert. McGovern gehört auch zu den Unterzeichnern eines offenen Briefes an die deutscheBundeskanzlerin Angela Merkel, in dem ehemalige US-Geheimdienstler die CDU-Politikerin vor gefälschten Beweisen gegen Russland warnen.

Weltnetz.tv-Redakteur Harald Neuber traf Raymond McGovern am Rande einer Veranstaltung im ,"Sprechsaal" in Berlin zu einem kurzen Gespräch.

Für das Transkript in deutscher Übersetzung bitte auf "mehr" klicken (siehe unten).

Wortlaut des Briefes von VIPS nachzulesen unter: www.antiwar.com

Transkript in deutscher Übersetzung:

weltnetz.tv: Ray, aus Anlass des NATO-Gipfels, der gegenwärtig in Wales stattfindet, haben Sie und andere Mitglieder der Veterans Intelligence Professionals for Sanity einen offenen Brief an Angela Merkel geschrieben. Warum haben Sie und Ihre Kollegen unter allen europäischen NATO-Führern, gerade Angela Merkel gewählt?

Ray McGovern: Nun, wir fühlten uns verpflichtet Bundeskanzlerin Angela Merkel zu bitten vorsichtig zu sein, sie vor den Geheimdienstinformationen zu warnen. 

Unser Gebiet ist die Aufklärung. Wir sind professionelle Geheimdienstoffiziere. Wir, die acht Offiziere, die wir das Memorandum an Angela Merkel unterschrieben, haben zusammengenommen 225 Jahre Erfahrung im Nachrichtendienst, meist auf sehr hoher Ebene. Wir konnten Missbrauch und Manipulationen von Informationen sehen. Vor zwölf Jahren haben wir beobachtet, wie unser Beruf korrumpiert wurde, nur um einen Aggressionskrieg zu "rechtfertigen." Es kann gar nicht schlimmer werden. 

Viele der Leute sind immer noch da, die damals zum Aggressionskrieg aufwiegelten. Ich meine nicht nur Leute in der Regierung sondern noch unheimlichere Typen in den US-Medien, z.B. Michael R. Gordon von der New York Times. Es gibt ein Buch über ihn. Er war verantwortlich für diese Story mit den Aluminiumröhrchen. Er nahm, was das Weiße Haus ihm gab und behauptete, diese Röhrchen seien der Beweis dafür, dass Saddam Hussein Atomwaffen entwickle – oder wie Condoleezza Rice sagen würde, das erste Anzeichen für einen kommenden Atompilz. 

Also Michael Gordon war der Typ, der mit diesen Aluminiumröhrchen daherkam …

weltnetz.tv: Jetzt behauptet die US-Regierung, sie hätte Geheimdienstinformationen über eine russische Invasion in der Ostukraine. In ihrem offenen Brief warnen sie die Bundeskanzlerin vor der Unglaubwürdigkeit der Beweise. Welches Ziel verfolgt die US Regierung mit der Erfindung solcher Beweise? 

Ray: Ob das nun die US-Regierung ist, oder die ukrainische, oder die NATO selbst, der NATO Generalsekretär, der ja bekannt ist für seine Unaufrichtigkeit, um es mal freundlich auszudrücken. Als Anders Fogh Rassmussen am Vorabend des US-britischen Angriffs auf Irak – er war noch dänischer Premierminister – seinem Parlament sagte, ich zitiere: "Dass Irak Massenvernichtungswaffen hat, GLAUBEN wir nicht, wir WISSEN es." Woher wusste er es? Von Washington. Und woher bekommt er das, was er jetzt behauptet? Aus Washington. 

Also diese schlechten, unscharfen Bilder, die eine russische Invasion beweisen sollen, sie sind doch nur peinlich für jeden professionellen Geheimdienstoffizier.

weltnetz.tv: Apropos Bilder: Satellitenfotos werden ja immer wieder erwähnt oder gezeigt, um die Präsenz von russischen Truppen in der Ukraine zu beweisen. Wo kommen diese Fotos her und was beweisen sie?

Ray: Na ja, viele sollen ja aus der Sammlung kommerzieller Satelliten stammen. Das ist wirklich ein Witz. Jedes Jahr geben wir 85 Milliarden Dollar allein in unserem Land, den USA, aus und einen Teil davon für hochentwickelte Satelliten – also für andere Arten von Satellitenbildern. Und wir haben die Möglichkeit die Parameter dieser Fotos zu tarnen. In anderen Worten, wenn jemand sich Sorgen macht, dass man dem Feind dann zeigen würde, wie fein die Auflösung unserer Fotos ist – ich übertreibe jetzt mal, ob ein Knopf an McGoverns Hemd locker ist (ich glaub zwar nicht, dass wir das zeigen könnten, aber nehmen wir es einfach mal an) – und das verschleiern will, gibt es automatische Möglichkeiten, dies in nur zwei Stunden zu tun. Das wären dann die Art von Fotos, die ich nehmen würde, um zu beweisen, dass die Russen kommen. Aber diese unscharfen Fotos, die nichts zeigen. Also wirklich, man könnte doch meinen, dass 'Anstand und Achtung für die Meinung der Menschen'  Leute wie Rassmussen, oder den holländischen Chef dieser NATO-Einheit, oder Leute aus dem State Department davon abhalten würden zu behaupten, dass diese Fotos irgendwas beweisen. Sie tun es nicht.

weltnetz.tv: Ab Mitte September will die NATO ein Großmanöver in der Ukraine abhalten. Wie wird dieses Militärmanöver die Situation dort beeinflussen?

Ray: Ich glaube nicht, dass es viel bewirken wird. Ich bin sehr froh über die gestrige Ankündigung des Waffenstillstands. Das ist eine große Leistung. Dafür ist vor allem der verhasste Vladimir Putin verantwortlich, dieser "böse, böse Putin" der Medien, der manchmal sogar ohne Hemd auf einem Pferd reitet, der "böse, böse Putin."

Wie Sie wissen, hat Putin und Poroschenko das ausgearbeitet, trotz großen Missfallens seitens der Regierungen in Kiew, Washington und aller anderen. Jetzt gib es vielleicht eine größere Chance für einen dauerhaften Waffenstillstand. Selbst die New York Times musste heute anerkennen, dass der böse böse Putin die Bedingungen des Waffenstillstands konzipiert hat, offensichtlich auf der Rückseite eines Heftes während seines Fluges nach Sibirien. 

Sie geben die fällige Anerkennung. Ich hoffe nur, dass jene, die Feindschaft zwischen dem Westen, vor allem den USA und Russland bevorzugen, mit ihren Tricksereien aufhören, merken, dass Russland die wichtigen Karten in der Hand hält und dass sie nachgeben.

weltnetz.tv: Das Manöver entspricht ja dem, was Präsident Obama neulich in Tallinn meinte, als er sagte, "der Westen" werde "standhalten". Denken Sie, dass seine europäischen Verbündeten wirklich fest hinter der US-Führung stehen, während diese auf einen Krieg zusteuert? 

Ray: Nun, da gibt es die Rhetorik und die Realität. Obama ist gut wenn's um Rhetorik geht, aber nicht wenn's um die Realität geht. Realität ist, die Russen werden nicht in Estland, Lettland und Litauen einmarschieren. Das war vorher. Ich verstehe die Sorge der Leute in diesen Ländern. Sie haben eine traurige Geschichte. Aber es gibt keinerlei Hinweise, dass Putin oder sonst jemand in Moskau beabsichtigt, in die baltischen Republiken einzumarschieren. Es gibt keinerlei Hinweise, dass Putin und seine Genossen je daran dachten, die Krim aufzunehmen – vor dem vom Westen gesponserten Staatsstreich gegen die verfassungsmäßig gewählte Regierung in Kiew am 22. Februar. Damit beginnt die jüngste Geschichte und nicht mit der Wiedereingliederung der Krim in die russische Föderation. 

weltnetz.tv: Lassen Sie uns über die Rolle Russlands sprechen. Die Medien in Europa und den USA schreiben viel über die Rolle Russlands im Konflikt in der Ukraine, viel weniger über die Rolle der USA. Welche Rolle spielen die USA?  

Ray: Ich bin Geheimdienstoffizier und die Beweise, für deren Erlangen wir töten würden, Beweise, auf die wir begierig sind, sind die gleiche Art von Beweisen, auf die auch jeder Anwalt oder Gericht versessen ist. Konkrete Beweise, wie abgehörte Gespräche. 

Ende Januar telefonierte die für Europa zuständige Staatssekretärin im US-Außenministerium mit US Botschafter Geoffrey Pyatt in Kiew. Sie sagte eine Menge Dinge, darunter eben auch, dass Jatzenuk unser Mann sei. Die anderen könnten warten. Er sei der Mann, denn er war der Leiter der Zentralbank. Er kennt sich aus mit dem IWF und den Sparmaßnahmen, die nötig sein werden. Yats ist unser Mann. 

Nun, wer immer das abgehört hat – ich denke es waren die Russen – man sollte doch nicht an einem offenen Telefon darüber reden, wen man nach einem Putsch an die Macht bringt. Aber sie taten es. Also ist das jetzt auf YouTube. Die ganze Welt hat Victoria Nuland zugehört und sie sagte ja noch andere Dinge, die zu ordinär waren, um sie hier zu wiederholen. 

Sie können sich meine Überraschung vorstellen, als ich am 23. Februar aufwachte und vom Putsch in Kiew hörte. Und wer war der neue Premier? Jatzenuk. Und ich schrieb gleich einen Artikel mit dem Titel "Mein Gott! Es ist Yats!" Ich konnte es einfach nicht glauben. Nachdem sein Name auf YouTube erschienen war, also der Name des Kerls, den die USA für den Putsch ausgewählt hatten, hätte man denken können, dass 'Anstand und Achtung für die Meinung der Menschen' ihn als Premierminister verhindert hätten. Aber Nein.

Diese Selbstüberschätzung und Arroganz, mit der dieser Kerl Yats, unser Mann, zum Premierminister gemacht wurde. Auch Poroschenko ist unser Mann, wie WikilLeaks Depechen kürzlich aufzeigten. Wir hatten Einfluss auf beide.

Also, unterm Strich: Es war ein vom Westen gesponserter Putsch. Es gibt kaum Zweifel daran. Und wie das vor Ort organisiert wurde, das wissen wir vom Bericht des estnischen Außenministers für Catherine Ashton, die so was wie eine EU-Außenministerin ist. Er sagte zu ihr: "Wussten Sie, dass laut Aussage von Ärzten in Kiewer Krankenhäusern, die gleichen Geschosse aus den gleichen Waffen von den gleichen Scharfschützen nicht nur die Polizei sondern auch die Demonstranten trafen?" 

Nun, wer waren die Scharfschützen? Es waren Agents provocateurs. 

Wessen Anweisungen folgten sie? Nun, wir wissen, dass John Kerry Janukowitsch überzeugen konnte, seine Sicherheitskräfte zurückzuziehen. Wir wissen es, weil Putin Janukowitsch sagte, "um Himmels willen, tu das nicht. Das wäre verrückt." Doch er tat es und wir wissen, wie die Geschichte ausging. Am nächsten Tag musste er fliehen. Also wer waren die Scharfschützen? Wer versuchte einen Putsch zu machen, der eine verfassungsmäßig gewählte Regierung beseitigen und am Ende Leute an die Macht bringen würde, von denen man bereits wusste, dass sie von den USA gesponsert wurden. Nicht nur das, sondern auch vier Ministerien gingen an Protofaschisten. Ich wiederhole: Protofaschisten. 

weltnetz.tv: Da wir über diese Kräfte reden, wie sehen sie die Rolle der Rechtsextremisten in der Ukraine z.B. das Asow Bataillon. Ist das für Russland entscheidend?

Ray:  Was die Russen betrifft, so denke ich, dass sie viel Erfahrung haben mit den Bandera Typen und mit Nazis. Wenn man daran denkt, dass sie 25 Millionen Menschen im zweiten Weltkrieg verloren haben. Sie wissen wie Nazis sind. Ich dachte, der Rest Europas würde das auch. Ich dachte, hier in Deutschland würde man wissen wie Nazis sind. Aber über die Medien erfährt man nicht viel über die Swoboda Leute. 

Obwohl die UNO sie als Rechtsextreme einstuft, erfährt man nicht viel über den Rechten Sektor. Aber wir wissen, dass sie auf ihrem Territorium Nazifahnen schwingen und auch die Fahne der US-Südstaaten – der weißen Rassisten. Ich weiß genug über sie und es lässt meine Haare zu Berge stehen. Warum gibt es keine Reaktion in Westeuropa? Ich vermute, dass die Medien verhindern wollen, dass die Menschen in Deutschland und anderen Ländern den Ernst der Lage erkennen. Natürlich ist das nicht auf die Ukraine begrenzt. Es gibt auch Probleme in Frankreich und in anderen Ländern.

weltnetz.tv: Würden Sie sagen, es gibt einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine?

Ray: Es gibt jetzt diesen Waffenstillstand. Es ist schwierig, dies als Stellvertreterkrieg zu definieren. Es war ein Putsch und zwar in einem Land, das integraler Bestandteil der russischen Interessen ist. Die nationale Sicherheit Russlands wurde bedroht. Wir wussten das, deshalb muss man sich fragen, ob unsere Politiker wirklich so naiv sind, um nicht zu merken, dass Russland hier wichtige Karten in der Hand hält. Für Russland steht viel mehr auf dem Spiel und es würde deshalb auch mehr tun, z.B. die Krim integrieren. Wussten die das nicht. Es gibt viele naive Leute in Washington. Ich weiß nicht, ob sie so dumm sind.

Aber es gibt da auch noch eine andere Fraktion, die Spannungen zwischen Russland und den USA für nützlich halten. Nicht nur die Rüstungsindustrie. Nicht nur die Leute, die ohne einen erkennbaren Feind keinen gemeinsamen europäischen Kampfpanzer bauen können.

Es sind Leute, die meinen, feindliche Beziehungen seien nützlich, weil sie Putin nicht mögen, wegen dem, was er letztes Jahr getan hat. Genau vor einem Jahr hat er für Obama die Kastanien aus dem syrischen Feuer geholt.

Obama hat das Vernünftige für Syrien getan. Er hat sich Kerry und den anderen Neocons widersetzt, die Syrien angreifen wollten. Und Putin sagte, "wir können die Chemiewaffen entfernen und zerstören". 

Es gab ein gewisses Vertrauen zwischen den beiden, das war das Erstaunliche. Viele wissen gar nicht, dass die syrischen Waffen entfernt und völlig zerstört wurden. Wirklich erstaunlich. Das wird von der Presse kaum berichtet, stimmst's? Aufgrund des Vertrauens konnte das geschehen und es hat die Neocons um den Krieg gebracht, auf den sie so versessen waren.

Die Russen waren aber auch hilfreich in Bezug auf Iran. Sie ermöglichten den angemessenen Umgang mit den Befürchtungen, Iran erstrebe den Bau von Atomwaffen. Es gibt auch hier keine Beweise. Aber es gibt diese Befürchtung und die Verhandlungen am 24. November führen hoffentlich zu einer Lösung des Problems. Teilweise dann auch, weil die Russen so hilfreich waren. 

Und dann sind da die Neocons, die das nicht wollen. Sie sind leidenschaftlich dagegen. Als Neocon bezeichne ich jemanden, der nicht unterscheiden kann zwischen den strategischen Interessen Israels und jenen der USA. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Jeder kann seine Meinung haben. Sicherlich. Aber ich denke nicht, dass die Neocons die Außenpolitik der USA bestimmen sollten, wenn sie diese doppelte Loyalität haben.

weltnetz.tv: Ganz herzlichen Dank für dieses Interview, Ray.

Ray: Ich danke Ihnen. 

Ray McGovern

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