Alexis Tsipras fordert Kampf gegen Korruption

Der Vorsitzende der griechischen Sozialisten über Vetternwirtschaft, Steuerfreiheit und Rosa Luxemburg
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Alexis Tsipras ist Vorsitzender der linken Partei Synaspismos und des griechischen Parteienbündnisses Syriza. Mit ihm sprach für weltnetz.tv Harald Neuber

Herr Tsipras, in Griechenland gibt es inzwischen eine neue Einkommenssteuer, eine Kopfsteuer, eine Immobiliensteuer – und nun erneut Steuererhöhungen. Wie hoch ist die Belastung für den normalen Bürger inzwischen?

In Griechenland wird seit vielen Jahren die Armut besteuert, während dem Kapital die Steuern erlassen werden. Das Ergebnis ist, dass diese Steuern nicht effizient wirken. Zudem können die Menschen nicht mehr konsumieren. Auch vor diesem Hintergrund kann die Besteuerung nicht als effizient bezeichnet werden. Und das große Problem: Das Gefühl der sozialen Ungerechtigkeit im griechischen Volk wächst, weil die Steuern einseitig die Armen belasten. Die Wohlhabenden setzten aber weiterhin auf Steuerflucht bei Schweizer Banken. Ich nenne nur das Stichwort der Lagarde-Liste.

Unternimmt Griechenland also nicht genug gegen Steuer- und Kapitalflucht?

Was die Regierungen bis heute außerordentlich gut vermocht haben, ist, diese Listen in den Schubladen geheim zu halten. Wie ein Buch mit sieben Siegeln. Sie tun also nichts, damit dieses jahrelang währende  System der Staatsplünderung beendet wird. Das ist einer der hauptsächlichen Gründe, die uns in den Bankrott geführt haben. Denn seit mehr als einem Jahrzehnt beträgt der Durchschnitt der Staatseinnahmen in Griechenland viel weniger als im gesamten Wirtschaftsraum der Europäischen Union. Das lag auch an der Tatsache, dass die Reichen keine Steuern gezahlt haben. Das muss sich ändern, wenn wir einen Weg aus der Krise ebnen wollen.

Sie plädieren unter anderem für eine Tobin-Steuer auf Finanzgeschäfte. Welche Steuerpolitik schlägt Syriza darüber hinaus vor?

Wir streben in erster Linie an, dass die bestehende Steuerfreiheit für die reiche Elite beendet wird. Es ist kein Zufall, dass in diesen berühmten Listen der Steuerflüchtlinge all jene – in Anführungsstrichen – wichtigen Namen vorkommen. All jene, die aus starken Positionen heraus das Schicksal des Landes in den Händen gehalten haben. Unter diesen Namen finden wir Medienbosse, Bankiers oder Großunternehmer. Es sind Personen, die eng mit den wirtschaftlichen und politischen Strukturen des Landes verwoben sind. Deshalb fordern wir, dass sie auch für die Krise bezahlen müssen.

Gleichzeitig muss dem Mittelstand Luft zum Atmen gegeben werden. Er kann keine weitere Besteuerung mehr tragen. Schauen Sie sich zum Beispiel die Erhöhung der Heizölsteuer an. Das ist ein klassisches Beispiel für das Scheitern der aktuellen Politik. Die Menschen haben schlichtweg aufgehört, Heizöl zu kaufen. Stattdessen nutzen sie zum Heizen alles was sie finden. Die Wälder werden abgeholzt. Es besteht die Gefahr, dass Menschen den Kältetod erleiden oder durch die starke Benutzung von Holzöfen in ihrem eigenen Heim tödliche Brände verursachen. Währenddessen sind die Steuern, die der Staat einnimmt, stärker zurückgegangen, als in Zeiten, in denen die Besteuerung niedriger war.

Am Montag sind Sie in Berlin mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble zusammengekommen. Was haben Sie mit ihm besprochen?

Ich habe ihm die Realität geschildert. Ich habe ihm gesagt, dass Griechenland vor einer humanitären Krise steht, und dass es als Resultat dieser Politik eine sehr große Gefahr sozialer Spannungen gibt. Zudem gibt es die Gefahr des Zulaufs für Neonazis, während wir gleichzeitig keine Verbesserungen sehen. Das Programm ist gescheitert. Und ein neuer Schuldenschnitt ist für Griechenland unausweichlich. Deshalb habe ich dem „Architekten“ dieser Strategie zu erklären versucht, dass seine Ideen gescheitert sind. Es wäre zum Vorteil der Griechen, aber auch der Deutschen, diese Strategie zu korrigieren, bevor es zu spät ist.

Nach Griechenland benötigen nun auch die Banken in Zypern Finanzhilfen von der Europäischen Union. Sehen Sie einen Unterschied zwischen Ihrem Land, Griechenland, und Zypern?

Es gibt da sicher viele und erhebliche Unterschiede. Der erste Unterschied ist, dass es zwei nicht vergleichbare Wirtschaften sind. Griechenland ist viel größer als Zypern. Der zweite Unterschied ist, dass sie in Zypern nicht das Problem der Staatsschulden hatten, wie wir es in Griechenland aufgrund der Regierungspolitik der vergangenen Jahre haben. Aber hier und dort haben das Problem die Banken verursacht. Sie haben ein weiteres Land dazu verdammt, am Rande des Bankrotts zu stehen.

Hier stellt sich also eine übergeordnete Frage, die Griechenland betrifft, aber auch Zypern, Italien, Spanien, Portugal und ganz Europa. Werden wir dem Bankensystem in Europa gestatten, die Gesellschaften, die Politik, die Stabilität, den sozialen Zusammenhalt wie ein großes schwarzes Loch zu zerstören? Oder werden wir Grenzen setzen? Oder werden wir die Schulden von den Bankiers bezahlen lassen, so dass die Völker ihren sozialen Zusammenhalt bewahren können? Das ist die große Frage. Und ich glaube, dass die Zeit für diese Frage gekommen ist. Die Zeit ist reif, Antworten darauf zu geben.

In Griechenland haben wir knapp 200 Milliarden Euro Gelder und Garantien in Banken gesteckt. Die Banken haben wir gerettet. Aber leider haben wir nicht die Gesellschaft gerettet. Wir haben nicht das griechische Volk gerettet.

Herr Tsipras, Sie sind am Sonntag in Berlin mit dem Vorstand der Europäischen Linkspartei zusammengekommen. Am Morgen haben Sie an dem traditionellen Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teilgenommen. Welchen Eindruck nehmen sie von dieser Veranstaltung mit?

Es ist nicht das erste Mal, dass ich an dieser Veranstaltung teilnehme, es ist das dritte Mal. Denn ich glaube, dass es wichtig ist, sich an die Geschichte zu erinnern, an die politische Geschichte Deutschlands, die mit der europäischen Geschichte einhergeht. Hier haben sich die großen Ideen der sozialen Befreiung mit der Wegbereiterin, dieser großen Persönlichkeit Rosa Luxemburg, entwickelt.

Ich glaube, es spielt eine große Rolle, sich zu erinnern. Denn die Diskrepanz, die wir heute erleben, resultiert aus der sozialen Ungleichheit zwischen Kapital und Arbeit. Wir müssen realisieren, dass die Ideologien nicht verloren sind. Gescheitert sind die Versuche, die Ideologien in Schubladen zu stecken und aus ihnen „-ismen“ zu machen. Die Ideen von Marx, von Rosa sind nicht verloren. Verloren ist der Versuch, aus ihnen eine Religion zu machen. Wir sollten also in die Vergangenheit schauen, um Schlussfolgerungen für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen.

Alexis Tsipras fordert Kampf gegen Korruption

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