Syrien: Der Westen will den Krieg

Karin Leukefeld im Gespräch mit weltnetz.tv über die Giftgasvorwürfe gegen Assad und die Lehren aus den Lügen vor dem Krieg gegen Irak.
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Karin Leukefeld, freie Journalistin und langjährige Syrienkennerin, im Gespräch mit weltnetz.tv über die Giftgasvorwürfe gegen die Regierung Assad, die Lehren aus den Lügen vor dem Irakkrieg, die Angst vieler Syrer vor einer völligen Destabilisierung des Landes und der Strategie der Weltmacht Nr. 1, genau das durchzusetzen.

"Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Es scheint ein übergeordnetes Interesse daran zu geben, Syrien nicht nur wirtschaftlich zu zerstören, sondern es auch von der politischen Struktur her zu destabilisieren. Und mithilfe dieser Destabilisierung vielleicht ganz andere Ziele in der Region zu verfolgen."

 

Syrien: Der Westen will den Krieg 

Karin Leukefeld im Gespräch mit weltnetz.tv über die Giftgasvorwürfe gegen Assad und die Lehren aus den Lügen vor dem Krieg gegen Irak.

Das Gespräch wurde am 2. September 2013 in Berlin geführt.
 

weltnetz.tv: Frau Leukefeld, Sie sind Journalistin und Syrienexpertin. Sie pendeln seit geraumer Zeit zwischen Deutschland und Syrien und haben viele Kontakte vor Ort. Wie beurteilen Sie die aktuellen Berichte über einen ja offenbar stattgefundenen Giftgasangriff? Gibt es überhaupt noch Zweifel an einer solchen Attacke?

Karin Leukefeld: Ich denke, es gibt keine Zweifel. Die verschiedenen Belege, die uns über die Medien, aus Berichten zugänglich sind, zeigen ja, dass eine große Anzahl von Menschen gestorben ist. Das wird von Medizinern auch bestätigt  - und dass sie offensichtlich an chemischen Substanzen, die eingesetzt worden sind, gestorben sind. Ich denke, an dem Vorfall an sich kann man nicht mehr zweifeln. Aber ich finde, es ist eine große Frage, wer dafür verantwortlich ist, wie es dazu gekommen ist. Das ist für mich keineswegs klar.

weltnetz.tv: In der Tat hat die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" diesen Angriff ja schon bestätigt. Auch die UN-Experten, die vor Ort waren, haben diesen Angriff an sich untersucht, nicht, woher der Angriff kam. Trotzdem hat US-Außenmininister John Kerry diese Attacke ja der Regierung Assad zugeschrieben. Welches Interesse aber hätte die Staatsführung unter Baschar al-Assad, diese Attacke auszuführen?

Karin Leukefeld: Ich halte es eigentlich für ausgeschlossen, dass die syrischen Streitkräfte diese chemischen Waffen eingesetzt haben, über die das Land offensichtlich verfügt. Von der offiziellen syrischen Seite aus ist das immer wieder betont worden, dass diese Waffen nicht eingesetzt werden, 'wenn sie diese Waffen tatsächlich haben sollten' - weil diese Waffen offiziell nie deklariert wurden von Seiten der syrischen Regierung. Aber ich denke, es gibt weder aus militärischen, noch aus politischen, noch aus sonstwelchen Gründen irgendwie Interessen für die offizielle syrische Seite, diese Waffen einzusetzen.

weltnetz.tv: Frau Leukefeld, wer "profitiert" denn, wenn man das so sagen kann, vom Einsatz von chemischen Waffen, von Nervengas in Syrien?

Karin Leukefeld: Es profitieren ganz offensichtlich die Kämpfer, die in den östlichen Gebieten der Hauptstadt Damaskus aktiv sind. Das sind sehr viele unterschiedliche Gruppierungen. Das sind islamistische Gruppen, das sind salafistische Gruppen, das sind auch Gruppen der sogenannten "Freien Syrischen Armee", die eher politische, säkulare Ziele verfolgen. Andere verfolgen das Ziel, einen "islamischen Staat" einzurichten, die wollen Damaskus zur Hauptstadt eines islamischen Staates machen. Also diese Gruppierungen profitieren davon. Warum? Weil die syrischen Streitkräfte vor zwei, drei Wochen eine massive Operation gegen diese Gruppen begonnen hatten. Darüber haben die Streitkräfte immer auch berichtet, die Öffentlichkit war über diese Operation also informiert. Und die Operation war erfolgreich, die Kämpfer mussten sich von strategisch wichtigen Positionen zurückziehen. Und jetzt, mit dieser Kampagne, oder dieser Diskussion, über den Einsatz von Chemiewaffen und der Beschuldigung, dass es die offizielle syrische Seite gewesen sein soll, musste die Armee diesen Einsatz stoppen. Die Armee musste den Einsatz stoppen, damit die Sicherheit für die UN-Inspektoren gewährleistet ist, die dort in diesen Gebieten Untersuchungen vorgenommen haben. Das heißt, die militärische Operation musste gestoppt werden und das hat natürlich den Aufständischen, in einer Situation der Bedrängnis, Luft verschafft, sich zurückzuziehen, ihre Kräfte neu zu ordnen, wie auch immer.

weltnetz.tv: Nun ist es aber so, dass in Syrien nicht das erste mal Giftgas aufgetaucht ist. So wurden vor einiger Zeit bei Rebellengruppen auch Giftgasbestände gefunden. Es sind immer wieder auch chemische Substanzen abhanden gekommen. Die syrische Regierung, wenn ich richtig informiert bin, hat diese Fälle immer auch gemeldet, wenn eine gefährliche Substanz aus irgendwelchen Beständen gestohlen wurde.

Karin Leukefeld: Ja, das ist etwas, was man hier selten erfährt. Die offizielle syrische Seite hat ein ganz großes Interesse daran, deutlich zu machen, dass sie nicht zu diesen Waffen greift. Nicht nur in Form von Stellungnahmen, sondern es gibt, nach meinen Informationen, auch vermittelt durch die russische Seite, direkte Kontakte mit Washington. Um Washington sozusagen zu versichern, dass diese Waffen (intern ist es bekannt, dass Syrien über dieses Waffenarsenal verfügt) unter Kontrolle der syrischen Streitkräfte sind und dass sie nicht angetastet werden. Weil auch Russland, weil auch der Iran ein großes Interesse daran haben, dass diese Waffen nicht eingesetzt werden. Und deswegen ist das jedesmal, wenn zum Beispiel chemische Substanzen aus Fabriken gestohlen werden, oder auch nukleare Substanzen abhanden gekommen sind, zum Beispiel auf Ölfeldern, wo das in irgendeiner Weise für die technische Förderung relevant ist, gemeldet worden. Ich habe selber solche Meldebriefe gesehehen, die man mir gezeigt hat. Um sicherzustellen, dass eben die Vereinten Nationen Bescheid wissen: es gibt Substanzen, die abhanden gekommen sind und es ist sehr gefährlich. Dahinter war natürlich immer die Aufforderung, dass man zu einer politischen Lösung kommen muss, um die Kämpfe zu stoppen, damit diese Substanzen nicht außer Kontrolle geraten.

weltnetz.tv: Sie haben gerade gesagt, man erfährt über viele Dinge in der westlichen Presse nichts. Wie beurteilen Sie denn als Journalistin und als Syrienexpertin den medialen Diskurs in der westlichen Presse?

Karin Leukefeld: Es werden inzwischen etwas mehr Fragen gestellt als noch vor einem Jahr. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Öffentlichkeit diese Fragen an die Medien weitergegeben hat. Also ich höre, wenn ich hier in Deutschland bin, häufig solche Sendungen, wo ein Experte im Studio ist und dann rufen Leute an und stellen Fragen oder geben ihre Meinung kund. Und aus diesen Diskussionen wird eigentlich immer sehr deutlich, dass die Öffentlichkeit das Gefühl hat, sie ist von den Medien nicht richtig über Syrien informiert worden. Dennoch stelle ich fest, dass die Tendenz - insbesondere der wichtigen, großen, sogenannten Leitmedien, ob das jetzt die großen Tageszeitungen oder der öffentlich-rechtliche Rundfunk oder das Fernsehen ist - dass die Tendenz der Fragestellung von Kollegen in Interviews immer in Richtung militärische Lösung geht. Es wird zum Beispiel nicht erörtert: was ist eigentlich mit der Genf-II-Konferenz, warum ist es nicht zu Verhandlungen gekommen? Wer blockiert eigentlich die Verhandlungen? Es wird immer gesagt, auch von unseren Politikern hier in Deutschland, dass Russland und China sozusagen an den Verhandlungstisch kommen sollten, sie sollten im UN-Sicherheitsrat "nicht mehr blockieren". Aber Tatsache ist, dass Russland und China von Anfang an Verhandlungen unterstützt haben, dass die syrische Regierung eine Delegation für Verhandlungen zur Verfügung gestellt, zusammengestellt hat und dass es die Opposition im Ausland ist, die diese Verhandlungen von Genf blockiert. Also da, finde ich, werden die Medien ihrem Informationsauftrag nicht gerecht.

weltnetz.tv: Darüber hinaus sind es ja auch noch weitere Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, neben den ständigen Mitgliedern, die eine kritische Position haben. Die Union Südamerikanischer Nationen UNASUR hat sich die Tage gegen eine Intervention in Syrien ausgesprochen. Auch andere lateinamerikanische, karibische Verbände, auch Staaten Afrikas und Asiens nehmen generell eine kritische Position ein.

Karin Leukefeld: Ja, man hat immer den Eindruck, als würde die Welt nur aus der Sicht Europas oder der USA oder der Golfstaaten bestehen. Also man hört, wie Sie sagen, überhaupt nicht, welche Position die blockfreien Staaten vertreten. Das stimmt.

weltnetz.tv: Dennoch ist es ja so, Frau Leukefeld, dass die Intervention, über die letzte Woche in der internationalen Presse noch gesprochen wurde, erstmal aufgeschoben ist, zumindest, wenn nicht aufgehoben. Inwieweit spielt denn hier die Erfahrung des Irakkrieges eine Rolle, vor allem eben der Auftritt von Colin Powell im Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat, als er damals über vermeintliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins gesprochen hat?

Karin Leukefeld: Da spielte ja auch ein abgehörtes Telefonat eine wichtige Rolle, damals, bei Colin Powell... Wie auch jetzt wieder. Der israelische Geheimdienst hat ja entsprechende Informationen in Washington übermittelt. Ich finde das eigentlich ganz ermutigend, dass die Öffentlichkeit sich doch noch so gut an diese Geschichte mit dem Irak erinnert. Es hat ja viele Demonstrationen gegeben. Aber auch viele Politiker in den Parlamenten: in London, auch in Washington werden diese Fragen gestellt. Überhaupt in europäischen Parlamenten. Also, dass diese Lügen, die damals verbreitet worden sind, nicht vergessen worden sind, das ist ganz wichtig. Und es setzt offensichtlich doch die Politik, die eine militärische Intervention in Syrien befürwortet, erheblich unter Druck.

Ich glaube, ein anderer Punkt ist, dass es sehr viele Zweifel gibt über diese sogenannten "Beweise". Dass man in der letzten Zeit so viel gehört hat über die Aktivitäten von Geheimdiensten - über Whistleblower wie Snowden oder auch, was von Wikileaks veröffentlicht worden ist. Wie US-amerikanische Geheimdienste arbeiten, britische Geheimdienste... Das alles trägt zu einer großen Skepsis bei. Ich denke, das ist sehr wichtig, dass die Öffentlichkeit so aufmerksam ist.

weltnetz.tv: Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass es zu einer wie auch immer gearteten Intervention unter US-führung in Syrien kommt. Welche Folgen hätte das für dieses vom Krieg verwüstete Land? Sie kennen die Situation ja vor Ort, sie waren nicht nur in Damaskus, sondern auch in anderen Regionen. Welche Folgen erwarten Sie für Syrien?

Karin Leukefeld: Die unübersichtliche Lage in Syrien würde noch unübersichtlicher werden. Wenn die Streitkräfte nicht mehr in der Lage sind, gegen bewaffnete Gruppen vorzugehen, dann wird es immer mehr in Richtung von "Warlords" gehen, die ja das Land, bestimmte Gebiete, unter sich aufteilen - aber auch gegeneinander "verteidigen" und gegeneinander kämpfen...

weltnetz.tv: Das wäre also eine "Afghanisierung" Syriens?

Karin Leukefeld: Die Syrer fürchten, dass es so wird wie in Somalia. Denn eine solche Militarisierung, die nicht mehr in Strukturen nachzuverfolgen ist, die sich verselbstständigt, führt natürlich dazu, dass staatliche Strukturen nicht mehr funktionieren. Es ist ja so, dass noch die Universtäten funktionieren, dass die Schulen funktionieren. Es gibt noch Stromversorgung - zumindest dort, wo nicht gekämpft wird. Es gibt dort, wo nicht gekämpft wird, Lebensmittel, die die Menschen kaufen können. Es gibt Möglichkeiten, die Inlandsflüchtliche in Familien oder in Kommunen und Gemeinden zu versorgen. Das alles würde zusammenbrechen. Wenn also die staatlichen Strukturen und die syrischen Streikräfte so erheblich geschwächt werden, würde das eben den bewaffneten Gruppen nutzen...

weltnetz.tv: Aber ist das nicht unlogisch, vom geopolitsichen Standpunkt her? So eine "Afghanisierung" oder "Somalisierung" Syriens wäre doch sowohl für die USA als auch, in erheblich stärkerem Maße, für Israel eine große Gefahr.

Karin Leukefeld: In Israel scheint man sich relativ sicher zu sein, dass man ein Übergreifen des Krieges auf das eigene Territorium oder auch auf die besetzten Gebiete - wobei ich denke, das sorgt sie nicht so sehr - aufhalten kann. Es sind ja entsprechende militärische Manöver zur Zeit im Gange. Es sind Luftabwehrraketen auf dem Golan stationiert worden - also die israelische Armee hat sich massiv verstärkt in diesem Gebiet. Israel scheint sich sicher zu sein, einen Krieg abwenden zu können. Aber die Frage ist natürlich auch, was machen die anderen Staaten dort in der Region? Wie verhält sich der Iran? Wie verhält sich die Türkei? Wird die Türkei zum Beispiel bombadieren? Wird die Türkei Ansprüche in Syrien erheben? Was natürlich auch die syrischen Streitkräfte, so sie es denn noch können, zu entsprechender Gegenwehr provozieren würde... Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Es scheint ein übergeordnetes Interesse daran zu geben, Syrien nicht nur wirtschaftlich zu zerstören, sondern es auch von der politischen Struktur her zu destabilisieren. Und mithilfe dieser Destabilisierung vielleicht ganz andere Ziele zu verfolgen in der Region.

weltnetz.tv: Genau das ist meine letzte Frage an Sie heute: Welche langfristigen Ziele gibt es denn neben der Schwächugn der Assad-Führung?

Karin Leukefeld: Nun, es ist bekannt, dass der Iran eine Politik bestreibt, die dem Westen nicht passt. Anstatt Gespräche zu führen, werden Beschuldigungen ausgetauscht, wird diffamiert. Eigentlich ist das Ziel dieser Schwächung Syriens sicherlich auch eine perspektivische Schwächung des Iran. Und man sollte nicht vergessen - in Washington hat man das jetzt wieder betont, sowohl Kerry als auch Obama: Sie betrachten sich als Weltmacht Nr. 1. Und als die einzige Weltmacht beanspruchen sie natürlich auch die Kontrolle über eine Region, die sehr reich an Bodenschätzen ist. Nicht unbedingt Syrien, aber der Iran, Zentral-Asien, dann natürlich Russland bis hin zu China - also dieser ganze zentralasiatische Bereich ist im Grunde im Fokus der US-amerikanischen Interessen. Und ich denke, darauf läuft es hinaus: die Region soll destabilisiert werden. Das nächste Ziel wird aller Wahrscheinlichkeit nach der Iran sein und der Krieg wird sozusagen vom Westen in den Osten getragen. Das ist, glaube ich, zu befürchten und in diese Richtung geht die Strategie.

weltnetz.tv: Wir werden die Situation in Syrien sicherlich weiterverfolgen - Sie und wir auch bei weltnetz.tv. Ich danke Ihnen für das Interview.

Karin Leukefeld: Danke für das Interview.

Karin Leukefeld

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